Nachfolgend ein Beitrag vom 6.4.2016 von Kohte/Schulze-Doll, jurisPR-ArbR 14/2016 Anm. 1

Orientierungssätze

1. Der Betriebsrat hat auch die ordnungsgemäße Durchführung einer Gesamtbetriebsvereinbarung durch den Arbeitgeber zu überwachen.
2. Hierfür muss der Betriebsrat die Namen der von der Zielvereinbarung betroffenen Mitarbeiter kennen, um die Erfüllung der dort aufgestellten Kriterien nachvollziehen zu können.
3. Der Übermittlung der Namen stehen keine datenschutzrechtlichen Gründe entgegen.

A. Problemstellung

Zu den Kollektivverträgen, deren Einhaltung der Betriebsrat zu überwachen hat, gehören auch Gesamt- und Konzernbetriebsvereinbarungen. Nimmt der Betriebsrat seine Aufgabe zur Überwachung der Durchführung geltender Normen gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 BetrVG wahr, sind ihm die erforderlichen Daten und Unterlagen zur Durchführung dieser Aufgabe zur Verfügung zu stellen. Verlangt der Betriebsrat die Unterrichtung über personenbezogene Daten der Arbeitnehmer, stellen sich neben betriebsverfassungsrechtlichen Detailfragen auch datenschutzrechtliche Probleme.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Vorlage von Zielvereinbarungen und damit einhergehenden Informationen, insbesondere der Nennung der Namen der betroffenen Arbeitnehmer. Die Beteiligte zu 2) ist ein Unternehmen des A-Konzerns. Im Konzern sind ein Gesamtbetriebsrat und 13 Einzelbetriebsräte gebildet. Antragsteller ist der für den Betrieb B gebildete Betriebsrat.
Der Gesamtbetriebsrat und die Beteiligte zu 2) vereinbarten am 12.06.2014 eine Gesamtbetriebsvereinbarung zum PBC-Prozess (GBV PBC), die auch auf den Betrieb B Anwendung findet. Sie regelt das Verfahren zur Zielvereinbarung und Leistungsbewertung. In der GBV wird u.a. verlangt, dass die individuell zu vereinbarenden Einzelziele für die Beschäftigten „erfüllbar“ sein müssen und die individuellen Stärken und Leistungseinschränkungen berücksichtigen.
Die Aufforderung des Betriebsrats, ihm unverzüglich und detailliert die vereinbarten und festgelegten PBC-Ziele individuell je Arbeitnehmer einschließlich der Zuordnung zu den Zielarten und der Priorisierung der Ziele zu übergeben oder Einsicht zu gewähren, lehnte der Arbeitgeber ab.
Das LArbG Frankfurt hat den Hauptanträgen im Wesentlichen stattgegeben.
Zutreffend ist darauf abgestellt worden, dass mit der Verpflichtung des Arbeitgebers nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG den Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und nach Satz 2 HS. 1 auf Verlangen die zur Durchführung der Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen, ein entsprechender Anspruch des Betriebsrats einhergeht, soweit die begehrte Information zur Aufgabenwahrnehmung erforderlich ist (BAG, Beschl. v. 15.03.2011 – 1 ABR 112/09 – EzA § 80 BetrVG 2001 Nr. 13 Rn. 23). Demzufolge ist eine zweistufige Prüfung vorzunehmen; beruft sich der Betriebsrat auf die Möglichkeit der Erfüllung einer ihm zugewiesenen Aufgabe, stellt sich im Anschluss daran die Frage, ob im Einzelfall die begehrte Information zu deren Wahrnehmung erforderlich ist (vgl. nur BAG, Beschl. v. 23.03.2010 – 1 ABR 81/08; BAG, Beschl. v. 30.09.2008 – 1 ABR 54/07 – BAGE 128, 92 Rn. 28; Weber in: GK-BetrVG, 10. Aufl., § 80 Rn. 58).
Vorliegend verwies der Betriebsrat auf seine Aufgabe, gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG den Normvollzug durch den Arbeitgeber zu überwachen. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BAG (Beschl. v. 16.08.2011 -1 ABR 22/10 Rn. 31) den örtlichen Betriebsrat auch für die Überwachung der Durchführung der Gesamtbetriebsvereinbarung für zuständig gehalten. Die gesetzliche Aufgabenzuweisung an den Betriebsrat bleibt bestehen, wenn der Gesamtbetriebsrat im Rahmen seiner Zuständigkeit nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG in einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit eine Betriebsvereinbarung abschließt (BAG, Beschl. v. 20.12.1988 – 1 ABR 63/87 – BAGE 60, 311, zu B II 1 c der Gründe), denn die Überwachung bedarf anders als die Ausübung von Mitbestimmungsrechten keiner Regelung (Kohte/Schulze-Doll in: HaKo-BetrVG, § 80 Rn. 44; Ahrendt, jurisPR-ArbR 17/2012, Anm. zu BAG, Beschl. v. 16.08.2011 – 1 ABR 22/10). Das folgt bereits aus der Tatsache, dass diese Überwachungsaufgabe weder von einer zu besorgenden Rechtsverletzung des Arbeitgebers beim Normvollzug noch vom Vorliegen besonderer Mitwirkungs- oder Mitbestimmungsrechte abhängig ist (BAG, Beschl. v. 24.01.2006 – 1 ABR 60/04 – AP Nr. 65 zu § 80 BetrVG 1972 = EzA § 80 BetrVG 2001 Nr. 5 Rn. 23).
Auch in Bezug auf den Inhalt der begehrten Informationen ist das Landesarbeitsgericht der Ansicht des Betriebsrats gefolgt. Unter Hinweis auf das in der Gesamtbetriebsvereinbarung geregelte Verfahren zur Zielvereinbarung und Leistungsbewertung hat das Landesarbeitsgericht die Übermittlung aller geforderten Daten für notwendig erachtet. Entgegen der Ansicht des Arbeitgebers gehören dazu auch die Namen der Arbeitnehmer, weil ansonsten die Erfüllbarkeit der vereinbarten Ziele unter Berücksichtigung des individuellen Anforderungsprofils sowie etwaig bestehender Leistungseinschränkungen nicht geprüft werden könne. Diese Argumentation bewegt sich auf der Linie des BAG (Beschl. v. 07.02.2012 – 1 ABR 46/10: Anspruch auf Namensnennung bei der Wahrnehmung des Auskunftsrechts nach § 84 Abs. 2 SGB IX) und des BVerwG (kritisch zur Rechtsprechung beider Obergerichte Kort Anm. zu BAG, Beschl. v. 07.02.2012 – 1 ABR 46/10 – AP Nr. 4 zu § 84 SGB IX). Auch das BVerwG sieht den Umfang zu übermittelnder Daten in Abhängigkeit zum Inhalt des Überwachungsrechts. So hat es entschieden, dass dem Personalrat Angaben zum krankheitsbedingten Eingliederungsmanagement unter Namensnennung zu machen sind (BVerwG, Beschl. v. 04.09.2012 – 6 P 5/11), während der Personalrat bei Übermittlung erfasster Arbeitszeitdaten erst bei Feststellung von Unstimmigkeiten der anonymisierten Arbeitszeitdaten einen Anspruch auf Erläuterungen hat, die auch zur Identifizierung des jeweiligen Beschäftigten führen können (BVerwG, Beschl. v. 19.03.2014 – 6 P 1/13).
Der Mitteilung der Namen stehen andere rechtliche Gründe nicht entgegen. Die Überwachung dient zwar auch dem einzelnen Arbeitnehmer, gleichwohl handelt es sich um eine eigenständige, betriebsverfassungsrechtlich legitimierte und ausgestaltete Überwachungsaufgabe (Kohte/Schulze-Doll in: HaKo-BetrVG, § 80 Rn. 23). Die Überwachungsaufgabe des Betriebsrats ist nicht von einer vorherigen Einwilligung der von der Vorschrift begünstigten Arbeitnehmer abhängig. Die Wahrnehmung der Überwachungsaufgabe steht nach der Konzeption des BetrVG nicht zur Disposition der Arbeitnehmer (BAG, Beschl. v. 07.02.2012 – 1 ABR 46/10 – NZA 2012, 744). Der Mitteilung stehen aus Sicht des Landesarbeitsgerichts auch datenschutzrechtliche Erwägungen nicht entgegen.
Das Landesarbeitsgericht hat den Informationsanspruch zutreffend für die Zeit der Geltung der Gesamtbetriebsvereinbarung bejaht. Zu beachten ist, dass auch für nachwirkende Betriebsvereinbarungen eine Durchführungspflicht besteht und solange die Überwachungsaufgabe durch den Betriebsrat wahrzunehmen ist (BAG, Beschl. v. 06.05.2003 – 1 ABR 13/02).

C. Kontext der Entscheidung

Der Beschluss bestätigt zunächst die erste Entscheidung des BAG zum Auskunftsanspruch bei Zielvereinbarungen. Bereits 2003 hatte der Erste Senat entschieden, dass der Betriebsrat bei einem kollektivvertraglichen Zielvereinbarungssystem einen Auskunftsanspruch nach § 80 Abs. 2 BetrVG über die einzelnen Zielvereinbarungen habe, da diese Vereinbarungen nicht isoliert seien, sondern in einem kollektiven Bezug stünden. Nur so könne der Betriebsrat z.B. die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes überwachen (BAG, Beschl. v. 21.10.2003 – 1 ABR 39/02 – NZA 2004, 936, 940). Diese Entscheidung ist in der Literatur überwiegend auf Zustimmung gestoßen (z.B. Wiese Anm. zu BAG AP Nr. 62 zu § 80 BetrVG 1972; Däubler, NZA 2005, 793, 797). Der aktuelle Sachverhalt illustriert und bestätigt die frühere Entscheidung.
Weiter macht der Beschluss neben dieser betriebsverfassungsrechtlichen Dimension deutlich, dass die Überwachungsaufgabe des Betriebsrats nicht am Datenschutz einzelner Beschäftigter scheitern darf. Grundsätzlich ist der Betriebsrat kein Dritter gemäß § 3 Abs. 8 BDSG, sondern als unselbstständiger Teil der verantwortlichen Stelle i.S.v. § 3 Abs. 7 BDSG selbst an die Vorgaben des Gesetzes gebunden. Die Unterrichtung des Betriebsrats zur Wahrnehmung seiner gesetzlichen Aufgaben ist keine Datenübermittlung i.S.d. § 3 Abs. 4 und 5 BDSG, so dass dessen Übermittlungsbeschränkungen zugunsten des Arbeitnehmers im Verhältnis des Arbeitgebers zum Betriebsrat nicht greifen (Kort, NZA 2010, 1267; Fitting, BetrVG, § 80 Rn. 58). Konsequent wird auf die Zulässigkeit der Datenverarbeitung beim Arbeitgeber abgestellt (BAG, Beschl. v. 07.02.2012 – 1 ABR 46/10; vgl. auch Düwell, CuA 5/2013, S. 17, 23 ff.).
Es besteht somit kein Vorrang des individuellen Datenschutzes. Ohne Vorrang der kollektivrechtlichen Information ist eine effektive Wahrnehmung der Überwachungsaufgabe nicht möglich. So hat das BAG bereits 1968 entschieden, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, alle ihm bekannt werdenden Fälle der Schwangerschaft von Arbeitnehmerinnen mitzuteilen (BAG, Beschl. v. 27.02.1968 – 1 ABR 6/67). Gleiches gilt nach aktueller Rechtslage: Informiert die Arbeitnehmerin den Arbeitgeber über eine bestehende Schwangerschaft, hat der Arbeitgeber sämtliche arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften einzuhalten, was ein Überwachungsrecht des Betriebsrats auslöst (Kohte/Schulze-Doll in: HaKo-BetrVG, § 80 Rn. 24; Nebe, Betrieblicher Mutterschutz ohne Diskriminierungen, 2006, S. 45, 94 ff.), denn nur so kann kontrolliert bzw. veranlasst werden, dass die individuelle mutterschutzrechtliche Gefährdungsbeurteilung nach § 1 MuSchArbV durchgeführt wird (Beetz in: HaKo-ArbSchR, Betrieblicher Mutterschutz Rn. 15; Kollmer/Klindt/Kohte, ArbSchG, 2. Aufl., § 4 Rn. 44).
Das gilt auch, sofern die Arbeitnehmerin der Übermittlung der Daten an den Betriebsrat nicht zustimmt. Nach der immer noch aktuellen Entscheidung des BAG aus dem Jahr 1968 bedarf die Ausübung des Informationsrechts des Betriebsrats nicht der Einwilligung derjenigen Arbeitnehmer, auf deren persönliche Daten sich das Informationsrecht gegebenenfalls bezieht. Soweit ein kollektiver Aufgabenbezug für die Ausübung des Informationsanspruchs besteht, bedarf es betriebsverfassungsrechtlich keiner Einwilligung des Arbeitnehmers zur Kenntnisnahme der personenbezogenen Daten. Beschäftigte, deren persönlichkeitsrechtlich sensible Daten übermittelt werden sollen, können das Überwachungsrecht des Betriebsrats nicht sperren (BAG, Beschl. v. 18.09.1973 – 1 ABR 7/73 – AP Nr. 3 zu § 80 BetrVG 1972; Fitting, BetrVG, § 80 Rn. 61; anders: ArbG Berlin, Beschl. v. 19.12.2007 – 76 BV 13504/07; BVerwG, Beschl. v. 29.08.1990 – 6 P 30/87; Rieble/Gistel, BB 2004, 2462, 2466). Selbstverständlich unterliegen die Mitglieder des Betriebsrats bei solchen persönlichkeitsrechtlich relevanten Daten der Verschwiegenheitspflicht nach § 79 BetrVG.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der Fall zeigt anschaulich die Mechanik und Komplexität von Zielvereinbarungen, die in der betrieblichen Realität oft in einem kollektiven Bezug stehen. Es ist daher überwiegend anerkannt, dass die grundlegenden Zielrahmenvereinbarungen, soweit nicht der Tarifvorrang zur Geltung kommt, zumindest der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unterliegen (Linck/Koch in: Festschrift Bepler, 2012, S. 357, 361 ff.). Hier geht es zunächst um die Frage, inwieweit „harte“ oder „weiche“ Ziele vereinbart werden sollen. Dabei kann – außerhalb des hier durchaus möglichen Anwendungsbereichs von § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG (dazu Kohte in: HaKo-BetrVG, § 87 Rn. 146) – ein problematischer Leistungsdruck bestehen. Die Betriebsparteien hatten daher im vorliegenden Fall die Erfüllbarkeit der Ziele als Voraussetzung der individuellen Zielvereinbarung normiert und zusätzlich eine Abänderung bei möglichen Leistungseinschränkungen geregelt. Selbst wenn die individuelle Zielvereinbarung nicht der gesonderten Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen sollte, ist sie doch an die normativen Vorgaben der betriebsverfassungsrechtlichen Zielrahmenvereinbarung gebunden, so dass der Betriebsrat die Einhaltung der GBV nicht ohne die individualisierten Informationen überwachen kann. Zutreffend wird daher in der Literatur aus dieser Mechanik der Zielvereinbarungen abgeleitet, dass bei solchen Betriebsvereinbarungen regelmäßig ein Auskunftsanspruch nach § 80 Abs. 2 BetrVG zu beachten ist (Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 434). Dem hat die betriebliche Praxis Rechnung zu tragen.