Nachfolgend ein Beitrag vom 20.2.2019 von Fischer, jurisPR-ArbR 7/2019 Anm. 2

Leitsatz

Der Arbeitgeber ist nicht allein aufgrund seines arbeitsvertraglichen Weisungsrechts berechtigt, dem Arbeitnehmer Telearbeit zuzuweisen.

A. Problemstellung

Als ich noch ein kleiner Junge war – und das ist glücklicherweise schon ziemlich lange her – war ein typischer Geruch in den Bauernhäusern und Katen meiner Verwandten dominant: der vom Tabak und dem verwendeten Klebstoff zum Zigarrenrollen. Ich lernte: Hier wurde Heimarbeit für die im nördlichen Ostwestfalen seit dem Niedergang der Textilindustrie blühende Zigarrenindustrie geleistet (vgl. dazu z.B.https://www.buende.de/Freizeit-Tourimus/Museum/index.php?La=1&object=tx,2619.571.1&kat=&kuo=2&sub =0&NavID=2619.75&La=1, zuletzt abgerufen am 22.01.2019 und https://www.westfaelische-hanse.de/erleben/zigarren-handel-im-wandel/, zuletzt abgerufen am 22.01.2019).
Ich kann nicht behaupten, dass mich die Arbeitsbedingungen meiner Tanten, ja es waren überwiegend Frauen, die so den Verdienst ihres Ehemannes aufstockten und die sich vor allem durch braune Finger auszeichneten, zu Lobpreisungen über diese Beschäftigungsform veranlasst hätten. Deshalb beobachte ich seit Jahrzehnten die teilweise euphorisch-illusorische Begleitmusik zu Konstruktionen wie Telearbeit, Home-Office und wie der Euphemismen mehr sind (so viel zu meiner Neigung, subjektive Befindlichkeiten und Vorverständnisse bei der öffentlichen Behandlung von Rechtsfragen offenzulegen).
Mit gebührender Skepsis stehe ich auch Bestrebungen gegenüber, die vom Deutschen Juristentag in großer Koalition mit dem DGB und jetzt auch von der SPD und dem vom ihr geführten Arbeitsministerium lanciert werden, ein Recht auf „Heimarbeit“ normativ zu gestalten. Dabei weiß ich wohl, dass es heute nicht um Tabakfinger, Tütenkleben, Laubsägearbeiten und Ähnliches geht, sondern vor allem um die schöne neue Welt des Computerarbeitsplatzes. Aber wer glaubt, dass die modernen Arbeitsbedingungen strukturell völlig unterschiedlich konstruiert sind, dass die Zwänge, die Verführungen, die Risiken eine Rückkehr zur Heimarbeit akzeptabel erscheinen lassen, hat möglicherweise und meines Erachtens die Rechnung ohne den Wirt gemacht.
Ist es wirklich so erstrebenswert, die kommunikativen Bindungen und Möglichkeiten eines betrieblichen Arbeitsplatzes aufzugeben? Wird es zu einer Stärkung gewerkschaftlicher Gestaltungsmöglichkeiten führen, wenn Arbeitnehmer vereinzelt in ihren Wohnungen vor sich hin werkeln? Ist es wirklich erstrebenswert, die Errungenschaften, die durch den Arbeitsschutz in den Betrieben erreicht worden sind, durch Individualisierung und Anonymisierung aufs Spiel zu setzen? Ein Spezifikum der früheren Heimarbeit war es zudem, dass die Heimarbeiter in der Lage waren, die ihnen obliegenden Arbeiten auf ihre Kinder zu übertragen. Ist das in heutigen Zeiten ausgeschlossen, in Zeiten, in denen die Kinder oft mehr informationstechnologische Kompetenz haben als ihre Eltern? „Junge, kannst du mir gerade mal helfen hier mit dem Computer?“ „Mädchen, ich muss da noch was abschreiben, kannst Du das für mich übernehmen?“ Solche Sätze und als Fragen formulierte Befehle – auch in der gendermäßigen Umkehrung – wird man dann wahrscheinlich öfter hören können, als es die Gegner der Kinderarbeit für möglich halten.
Das LArbG Berlin-Brandenburg hatte in der hier besprochenen Entscheidung darüber zu befinden, ob ein Arbeitgeber berechtigt ist, das aus seiner Sicht gegebene Glücksgeschenk eines Home-Office einem Arbeitnehmer gegen dessen Willen als aufgedrängte Bereicherung anzudienen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Rechtsstreit wickelte sich in Form einer Kündigungsschutzklage ab. Denn der klagende Arbeitnehmer, mit einem Grad der Behinderung von 40 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt, hatte es abgelehnt, der Bitte und dem Wunsch seines Arbeitgebers Folge zu leisten, seine Arbeitsleistung nicht mehr im Betrieb, sondern zuhause zu erbringen. Hintergrund dieses Begehrens war die Tatsache, dass der Arbeitgeber im Rahmen einer Betriebsänderung auf betriebsverfassungsrechtlicher und tarifvertraglicher Ebene kollektive Normen geschaffen hatte, die eine solche Modalität vorsahen. Dem Arbeitgeber gelang es, die Zustimmung sowohl des Betriebsrates, als auch des Integrationsamtes zu der auf den Kündigungsgrund der beharrlichen Arbeitsverweigerung gestützten Kündigung zu erlangen. Ohne dass das ausdrücklich angesprochen wird, scheint es darüber hinaus so zu sein, dass der Kläger auch unter den Schutzbereich des § 15 KSchG fiel. Mit seiner Klage hat sich der Kläger gegen die ausgesprochene Kündigung gewandt. Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen.
Das LArbG Berlin-Brandenburg hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die außerordentliche Kündigung rechtsunwirksam, weil für sie ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB fehlt. Dem Kläger könne insbesondere keine beharrliche Arbeitsverweigerung vorgeworfen werden. Der Kläger war arbeitsvertraglich nicht verpflichtet, die ihm angetragenen Tätigkeiten im „Home-Office“ zu verrichten.

C. Kontext der Entscheidung

Das Urteil kommt zur rechten Zeit. Es gießt – nach den obigen Vorbemerkungen verständlich –, meines Erachtens völlig zu Recht ein klein wenig Wasser in den Telearbeitswein. Allerdings konnte es sich das Landesarbeitsgericht bei seiner Entscheidungsfindung relativ einfach machen. Denn die vom Arbeitgeber ausgesprochene außerordentliche Kündigung konnte schon deshalb keinen Erfolg haben, weil der Arbeitgeber – aus welchen Gründen auch immer – sein mit „Versetzung“ überschriebenes Schreiben so formuliert hatte, dass der Kläger um Zustimmung zu seiner neuen Tätigkeit gebeten wurde. Das ist aber keine Ausübung des Weisungsrechtes, sondern schlichte Äußerung von Wunschvorstellungen. Diese unterliegt keinen rechtlichen Bedenken aber auch Rechtsfolgen.
Aber selbst wenn der Arbeitgeber eine formvollendete Weisung erteilt hätte und der Arbeitnehmer dieser nicht gefolgt wäre, wäre das Verhalten des Arbeitnehmers schon deshalb kündigungsrechtlich irrelevant gewesen, weil es der Arbeitgeber versäumt hatte, die zweifelsfrei mit der Weisung verbundene Versetzung i.S.d. § 99 Abs. 1 i.V.m. § 95 Abs. 3 BetrVG dem im Betrieb bestehenden Betriebsrat zur Zustimmung vorzulegen.
Und auch dann, wenn der Betriebsrat dieser Versetzung zugestimmt hätte, wäre eine Verpflichtung des klagenden Arbeitnehmers, ihr Folge zu leisten, nicht entstanden. Denn nach der glücklicherweise auf nachhaltige Kritik hin gewendeten BAG-Rechtsprechung zur Verpflichtung eines Arbeitnehmers, zunächst einmal eine rechtswidrige Weisung seines Arbeitgebers zu befolgen (BAG, Beschl. v. 14.09.2017 – 5 AS 7/17 – BAGE 160, 181; BAG, Urt. v. 18.10.2017 – 10 AZR 330/16 – BAGE 160, 296), hätte eine rechtswidrige Arbeitsverweigerung nicht angenommen werden können, so dass auch dann kein Kündigungsgrund vorgelegen hätte.
Denn eine so gravierende Maßnahme, wie die einseitige Zuweisung von Heimarbeit, ist vom arbeitgeberseitigen Weisungsrecht nicht gedeckt. Zwar bestimmt § 106 Satz 1 GewO bekanntlich, dass der Arbeitgeber auch den Ort der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen kann, soweit keine anderweitige Regelung anwendbar ist. Es besteht aber wohl Einigkeit darüber, dass sich diese Vorschrift nur auf den betrieblichen Rahmen, der vom Arbeitgeber gesetzt wird, bezieht und nicht auch auf die privaten Verhältnisse eines Arbeitnehmers. Denkbar ist natürlich, dass von vornherein oder später einvernehmlich eine Regelung zur Erbringung der Arbeitsleistung außerhalb des Betriebes und jenseits betrieblicher und innerhalb privater Strukturen geschaffen wird. Eine solche Regelung wäre aber nur durch die Arbeitsvertragsparteien selbst möglich. Denn weder die Tarifvertragsparteien, noch die Betriebsverfassungsparteien sind befugt, in die private Sphäre von Arbeitnehmern hinein Regelungen zu treffen, wenn dem der Arbeitnehmer nicht vorher zugestimmt hat.
Wie üblich war aber auch im vorliegenden Fall eine solche Regelung gerade nicht getroffen worden. Es ist und bleibt der Regelfall, ja fast das konstitutive Elemente eines (Normal-)Arbeitsvertrages, dass es nicht die Aufgabe des Arbeitnehmers ist, den Ort der Arbeitsleistung auf eigene Kosten zur Verfügung zu stellen, sondern einzig und allein die des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer die Erbringung seiner Arbeitsleistung im betrieblichen Kontext, also in einer vom Arbeitgeber geschaffenen und verantworteten Organisation, zu ermöglichen.
Kurz und prägnant fasst das Landesarbeitsgericht die wesentlichen Aspekte zusammen, die die kategoriale Ungleichheit zwischen betrieblichem und privatem Arbeitsplatz kennzeichnen: Verlust des Kontaktes zu Kollegen, Zerfasern der Grenzen von Arbeit und Freizeit, Kommunikationsverlust in kollektiv-rechtlichen Zusammenhängen. Dies für sich genommen würde schon ausreichen, um als ausreichende argumentative Basis für die vom Landesarbeitsgericht vertretene Auffassung zu gelten. Hinzu kommen aber noch die Aspekte, die ich oben bereits weitergehend und ohne Anspruch auf Vollständigkeit angesprochen hatte.
Völlig zu Recht ist auch das Landesarbeitsgericht der Auffassung, dass die Vorteile, die die Heimarbeit zweifelsfrei bietet, keinen Anlass geben, die Rechtslage anders zu sehen. Es ist nicht Sache des Arbeitgebers, seinen Arbeitnehmern Vorteile aufzudrängen, die von diesen entweder nicht realisiert werden können oder in der Abwägung mit den Nachteilen nicht überwiegen. Vor diesem Hintergrund war der Vorwurf des Arbeitgebers, der Kläger habe eine Arbeitsvertragsverweigerung beharrlicher Art begangen, rechtlich nicht haltbar. Deshalb ersparte sich das Landesarbeitsgericht Ausführungen zu § 15 KSchG.
Aufgrund der besonderen Schutzkonstellation für den Kläger war der Arbeitgeber hier nicht in der Lage, sein Glück über den Weg einer Änderungskündigung zu versuchen. Wäre das grundsätzlich ein gangbarer Weg? Ohne allzu viel spekulieren zu wollen: Wahrscheinlich ja, denn es ist letztlich der Arbeitgeber, der im Sinne einer unternehmerischen Entscheidung bestimmt, ob, wo und wie Arbeitsleistungen überhaupt zu erbringen sind. Voraussetzung ist allerdings, dass eine Beschäftigung im Betrieb aus Gründen des § 1 KSchG nicht möglich wäre. Spannend würde es dann, wenn der Arbeitnehmer das angebotene Home-Office ablehnt und es zur Beendigungskündigung kommt. Darf die Arbeitsagentur dann eine Sperrzeit verhängen?

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Auswirkungen für die Praxis ergeben sich unmittelbar insofern nur, als eine an sich selbstverständliche Rechtslage noch einmal ausdrücklich bestätigt wurde. Die Zukunft wird zeigen, ob dann, wenn sich die Vorkämpfer für die Ausweitung der Heimarbeit durch Formulierung eines Rechtsanspruches gegen den Arbeitgeber durchsetzen, das vom Landesarbeitsgericht bekräftigte Verweigerungsrecht des Arbeitnehmers noch Bestand haben wird. Denn es ist unschwer absehbar, dass dann über die Argumentationsschiene „wer Rechte hat, hat auch Pflichten“ eine sukzessive moralische und danach rechtliche Entwertung der Entscheidung eines Arbeitnehmers eintreten wird, nicht bei sich zuhause zu arbeiten. Meines Erachtens sollte solchen Entwicklungen dann entschieden entgegengetreten werden.

Keine einseitige Zuweisung von Heimarbeit aufgrund Weisungsrecht
Danuta EisenhardtRechtsanwältin
  • Fachanwältin für Familienrecht
  • Fachanwältin für Arbeitsrecht
  • Fachanwältin für Verkehrsrecht

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