Nachfolgend ein Beitrag vom 22.6.2016 von Hamann, jurisPR-ArbR 25/2016 Anm. 5

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Macht ein Arbeitnehmer Rechte aufgrund eines Scheinwerkvertrags geltend, hat er die die angeblich verdeckte Arbeitnehmerüberlassung rechtfertigenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen.
2. Der Arbeitnehmer muss substantiiert darlegen, wie sich seine Tätigkeit im Fremdbetrieb während der Einsatzzeit gestaltete; seine (primäre) Darlegungslast umfasst dabei alle Umstände, die Gegenstand eigener Wahrnehmung sind.
3. Die Grundsätze der „abgestuften Darlegungs- und Beweislast“ kommen dem Arbeitnehmer erst zugute, wenn er seiner primären Darlegungslast genügt hat.

A. Problemstellung

Unternehmen, die betriebliche Aufgaben zur Personalkostensenkung oder aus Gründen der Flexibilisierung durch externes Personal ausführen lassen, weichen angesichts der Restriktionen des AÜG und den sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Risiken (Hamann/Rudnik, NZA 2015, 449, 452 ff.) häufig auf Werkverträge aus. Nicht selten handelt es sich dann um sog. Scheinwerkverträge. Leitet ein unter dem Deckmantel eines Schweinwerkvertrags überlassener Arbeitnehmer daraus Rechte gegen den Auftraggeber seines Vertragsarbeitgebers her, trifft ihn nach zivilprozessualen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast. Daran scheitern – wie auch der vorliegende Fall zeigt – die meisten Klagen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger nimmt die Beklagte in erster Linie auf Zahlung und hilfsweise auf Feststellung eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten als Folge eines angeblichen Scheinwerkvertrags in Anspruch. Der Kläger wurde von seinem vertraglichen Arbeitgeber, der im Besitz einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis war, in der Zeit von Januar 2008 bis Mai 2013 im Rahmen angeblicher Werkverträge ausschließlich bei der Beklagten als CAD-Entwicklungsingenieur eingesetzt. Dort war er mit der Entwicklung und Konstruktion komplexer Bauteile für Nutzfahrzeugkomponenten der Beklagten befasst, wozu er ausschließlich die Software der Beklagten einsetzte. Der Kläger behauptet, er sei komplett in den Betrieb der Beklagten eingegliedert gewesen und habe ausschließlich deren Weisungen unterlegen. Seine Position habe sich durch nichts von den Arbeitsabläufen der sonstigen Mitarbeiter der Beklagten unterschieden. Von diesen habe er auch alle Aufträge und Weisungen erhalten. Seine Arbeit sei ausschließlich von der Beklagten überwacht und bewertet worden. Sein Vertragsarbeitgeber sei nicht eingebunden gewesen. Die vertraglichen Vereinbarungen der Arbeitgeber seien ihm nicht bekannt. Aus der tatsächlichen Vertragsabwicklung ergebe sich aber, dass er verdeckt als Leiharbeitnehmer eingesetzt worden sei. Die Arbeitnehmerüberlassung sei auf Dauer angelegt und damit unzulässig gewesen. Die Konstruktion des Scheinwerkvertrags sei ausschließlich aus wirtschaftlichen Erwägungen und zu seinen Lasten gewählt worden. Hiervon hätten allein sein Vertragsarbeitgeber und die Beklagte profitiert. Das sei vom AÜG nicht gedeckt.
Der Kläger hatte hier zwei hohe Hürden zu nehmen: Zuerst musste er nachweisen, dass er im Klagezeitraum von fast fünfeinhalb Jahren als Leiharbeitnehmer bei der Beklagten tätig war. Selbst wenn das gelingen sollte, musste als weiteres Hindernis die bei seinem Vertragsarbeitgeber vorhandene Überlassungserlaubnis überwinden. Denn diese schützt nach geltender Gesetzeslage auch bei Praktizierung eines Scheinwerkvertrags vor den Folgen einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung (Hamann/Rudnik, NZA 2015, 449, m.w.N.). Der Kläger scheiterte bereits an der ersten Hürde.
Das Landesarbeitsgericht schließt sich zunächst der h.M. an, nach der bei einem Scheinwerkvertrag kein Arbeitsverhältnis mit dem Auftraggeber kraft Gesetzes zustande kommt, wenn der als Schweinwerkunternehmer agierende Vertragsarbeitgeber über eine gültige Überlassungserlaubnis verfügt. Seine diesbezüglichen umfangreichen Ausführungen hätte sich das Landesarbeitsgericht allerdings sparen können, weil es sodann zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger habe die Voraussetzungen eines Scheinwerkvertrags schon nicht schlüssig dargelegt. Insoweit geht das Landesarbeitsgericht mit dem BAG (Urt. v. 15.04.2014 – 3 AZR 395/11; Hamann, jurisPR-ArbR 27/2014 Anm. 3) davon aus, dass derjenige, der Rechte aus einem Scheinwerkvertrag herleitet, letztlich die Darlegungs- und Beweislast hierfür trägt. Ebenfalls entspricht es h.M., dass dem Kläger die Grundsätze der „abgestuften Darlegungs- und Beweislast“ zugutekommen können (LArbG Hamm, Urt. v. 24.07.2013 – 3 Sa 1749/12; LArbG Stuttgart, Urt. v. 01.08.2013 – 2 Sa 6/13; Hamann, jurisPR-ArbR 38/2013 Anm. 2; Francken, NZA 2013, 985, 986 f.; Reiserer, DB 2013, 2026, 2029; Timmermann, BB 2012, 1729, 1733). Allerdings setzt die Erleichterung der Anforderungen an die Schlüssigkeit des Klägervortrags erst ein, wenn dieser zuvor die seiner Wahrnehmung zugänglichen Tatsachen, die auf eine Arbeitnehmerüberlassung hindeuten, substantiiert dargelegt hat. Dies sei – so das Landesarbeitsgericht – hier nicht geschehen. So habe der Kläger nicht dargelegt, wer ihm welche seine Tätigkeit prägenden Weisungen über welche Zeiträume erteilt habe. Das Vorbringen des Klägers sei über pauschale Behauptungen nicht hinausgegangen. Allein die Beschreibung seiner Tätigkeit reiche nicht aus. Denn diese hätte sowohl im Rahmen eines Werkvertrags als auch einer Arbeitnehmerüberlassung erfolgen können. Dem Kläger werde damit nichts Unmögliches abverlangt. Denn er war über mehrere Jahre hinweg bei der Beklagten tätig und damit mit den betrieblichen Abläufen vertraut gewesen.

C. Kontext der Entscheidung

I. Arbeitnehmer, die Rechte aus einer verdeckten illegalen Arbeitnehmerüberlassung herleiten, haben nach zivilprozessualen Grundsätzen die die Arbeitnehmerüberlassung stützenden Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen (BAG, Urt. v. 15.04.2014 – 3 AZR 395/11). Diese primäre Darlegungslast umfasst alle Tatsachen, die Gegenstand eigener Wahrnehmung des Klägers sind (vgl. § 138 Abs. 4 ZPO). Der Kläger muss also darlegen, dass er in den Betrieb des Auftraggebers eingegliedert war und dort seine Tätigkeit ausschließlich nach Weisungen des Auftraggebers oder dessen Personal ausgeübt hat. Zur Substantiierung zählen Einsatzort und -dauer, Art und nähere Umstände der Tätigkeit, insbesondere durch wen die Arbeitseinteilung erfolgte, wer die Arbeitsanweisungen erteilte, dass es, wenn ja, inwiefern eine Zusammenarbeit mit bestimmten Arbeitnehmern des Auftraggebers gab. Nach Ansicht des BAG (Urt. v. 15.04.2014 – 3 AZR 395/11) umfasst die Darlegungslast außerdem die Kenntnis der auf Seiten der beteiligten Arbeitgeber handelnden und zum Vertragsabschluss berechtigten Personen von der tatsächlichen Vertragsdurchführung. Diese Anforderungen an die Darlegungslast erstrecken sich auf den gesamten Klagezeitraum. Die Darlegung einzelner Fälle, in denen z.B. Personal des Auftraggebers arbeitsrechtliche Weisungen erteilt hat, genügt nicht. Vielmehr muss es sich um repräsentative Fälle handeln, die auf eine übereinstimmend geübte Vertragspraxis schließen lassen (BAG, Urt. v. 13.08.2008 – 7 AZR 269/07; Hamann, jurisPR-ArbR 5/2009 Anm. 2; LArbG Frankfurt, Urt. v. 09.04.2013 – 8 Sa 1270/12; LArbG Düsseldorf, Urt. v. 10.03.2008 – 17 Sa 856/07; LArbG Mainz, Urt. v. 03.05.2006 – 10 Sa 913/05). Die meisten Klagen scheitern an dieser primären Darlegungslast. Sie werden situativ erhoben, nicht selten anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Vertragsarbeitgeber. Eine genaue Rekonstruktion der Tätigkeit im Auftraggeberbetrieb ist dann nicht mehr möglich; ein „Einsatztagebuch“ wurde nicht geführt. Dann trifft den Arbeitnehmer das Schicksal einer jeden Klagepartei. Ihn allein wegen seiner Arbeitnehmereigenschaft prozessual zu privilegieren, sieht das Gesetz nicht vor. Es gibt kein „Arbeitnehmer-Prozessrecht“.
II. In der Praxis sind Strategien zu beobachten, in denen die die Arbeitnehmerüberlassung kennzeichnende Verlagerung des arbeitsbezogenen Weisungsrechts „getarnt“ wird. Vorgesetzes Personal des Werkunternehmers wird als Weisungsempfänger des Auftraggebers zwischengeschaltet, das Gesamtwerk wird in Einzelbestellungen „atomisiert“, die dann die Funktion einer Arbeitgeberweisung übernehmen, oder die nötigen arbeitsrechtlichen Weisungen werden standardisiert und als Anhang Bestandteil des Werkvertrags (vgl. Hamann, NZA 2014, Beil. 1, S. 3 ff.; Maschmann, NZA 2013, 1305). In all diesen Fällen ist die Verlagerung des arbeitsbezogenen Weisungsrechts auf den Auftraggeber nicht Gegenstand eigener Wahrnehmung des Arbeitnehmers. Weder ist ihm der Inhalt des vorgeblichen Werkvertrags bekannt noch hat er Kenntnis von den verabredeten oder einvernehmlich praktizierten Weisungsstrukturen im Verhältnis der beteiligten Arbeitgeber. Ob Gewährleistungsfälle auftraten und wie diese reguliert wurden, entzieht sich ebenfalls seiner eigenen Wahrnehmung. Da aber von dem klagenden Arbeitnehmer nichts Unmögliches verlangt werden darf, kommen ihm in derartigen Fällen die Grundsätze der „abgestuften Darlegungs- und Beweislast“ zugute. Dann genügt der Kläger seiner primären Darlegungslast, wenn er zusätzlich zu den ihm bekannten Umständen seiner Tätigkeit im Fremdbetrieb einen solchen „Verdeckungsfall“ behauptet. Das löst die sekundäre Darlegungslast des beklagten Auftraggebers aus. Diese prozessuale Folge tritt – und das wird zuweilen übersehen – aber nicht schon ein, wenn der Arbeitnehmer – wie im vorliegenden Fall der Kläger – nur pauschal behauptet, in den Betrieb eingegliedert gewesen zu sein, im Team mit Arbeitnehmern des Auftraggebers gearbeitet und Weisungen ausschließlich von vorgesetztem Personal des Auftraggebers erhalten und während der Tätigkeit im Fremdbetrieb praktisch keinen Kontakt mehr zum Arbeitgeber gehabt zu haben. Der Arbeitnehmer muss zunächst im Rahmen seiner primären Darlegungslast vollständig und substantiiert vortragen, wie sich seine Tätigkeit im Fremdbetrieb während der Einsatzzeit gestaltete. Erst wenn sich daraus ergibt, dass er weitere schlüssigkeitsbegründende Tatsachen mangels eigener Wahrnehmungsmöglichkeit nicht vortragen kann und der Arbeitnehmer dies geltend macht, setzt die sekundäre Darlegungslast des beklagten Auftraggebers ein. Ließe man einen pauschalen Vortrag des Arbeitnehmers genügen, liefe das auf eine Umkehr der Darlegungslast hinaus. Diese wäre mangels gesetzlicher Regelung unzulässig.
Hat der Arbeitnehmer seiner primären Darlegungslast entsprochen, muss der Beklagte substantiiert bestreiten, § 138 Abs. 2 ZPO. Er hat also darzulegen, dass er die Tätigkeit des Arbeitnehmers in seinem Betrieb nicht nach eigenem Bedarf organisiert und selbst gesteuert und dass der Vertragsarbeitgeber ein eigenes werkunternehmertypisches Risiko übernommen hat. Dazu kann er die einschlägigen Vereinbarungen in dem Werkvertrag vorlegen und zur entsprechenden Abwicklung des Vertrags vortragen. Darüber hinaus kann er ggf. einzelne Gewährleistungsfälle darlegen. Ist sein Bestreiten substantiiert, muss es der Arbeitnehmer im Rahmen der bei ihm verbleibenden Beweislast widerlegen. Eine sekundäre Beweislast gibt es – entgegen teilweise vertretener Auffassung (Greiner, NZA 2013, 697, 702 f.) – nicht; auch diese ist dem Gesetzgeber vorbehalten (zutr. Francken, NZA 2013, 985, 987; Maschmann, NZA 2013, 1305, 1310; Greger in: Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, Vor § 284 Rn. 27).

D. Auswirkungen für die Praxis

Arbeitgeber haben von Klagen, mit denen Arbeitnehmer Rechte aus einem Scheinwerkvertrag durchsetzen wollen, wenig zu befürchten. Dieses Manko bei der Rechtsdurchsetzung ist seit längerem bekannt. Die SPD-Bundestagsfraktion hatte bereits in der vergangenen Legislaturperiode einen Gesetzentwurf (v. 19.02.2013, BT-Drs. 17/12378) vorgelegt, der in einem neuen § 1a AÜG eine Vermutungsregelung für das Vorliegen von Arbeitnehmerüberlassung vorsah. Dieses Anliegen wurde in dem ersten Referentenentwurf des BMAS vom 16.11.2015 in einem neuen § 611a Abs. 2 BGB aufgegriffen. Die Regelung war aber völlig misslungen. Die aufgeführten acht Vermutungstatbestände waren überwiegend unbrauchbar. Zudem war die Regelung rechtssystematisch verfehlt, weil mithilfe einheitlicher Vermutungstatsachen sowohl auf die Arbeitnehmereigenschaft als auch auf das Vorliegen von Arbeitnehmerüberlassung geschlossen werden sollte (Henssler, RdA 2016, 18; Schüren, DB 2016, 234; Schüren/Fasholz, NZA 2015, 1473; Thüsing, AuA 2015, 644; ders., NZA 2015, 1478; Zimmermann, BB 2016, 53). Der aktuelle Gesetzentwurf sieht keine Regelung zur Darlegungs- oder Beweislast zugunsten der Arbeitnehmer mehr vor. § 1 Abs. 1 Satz 5 AÜG-E regelt lediglich ein Transparenzgebot. Ein Verstoß bewirkt die Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags (§ 9 Nr. 1a AÜG-E) und führt zu einem Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes mit dem Entleiher (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG-E). Diese Regelung ist aus zwei Gründen ineffektiv. Zum einen muss der Arbeitnehmer nach wie vor das Vorliegen eines Scheinwerkvertrags darlegen, was ihm nur ganz ausnahmsweise gelingen wird. Hinzu kommt noch, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher nicht zustande kommt, wenn der Arbeitnehmer eine schriftliche „Festhaltenserklärung“ abgibt (§ 9 Nr. 1a AÜG-E; dazu Brors, NZA 2016, 672). In der Praxis werden die beteiligten Arbeitgeber gewiss dafür sorgen, dass solche Erklärungen vorliegen. So bleibt alles wie gehabt. Will man die Prozesssituation der Arbeitnehmer effektiv verbessern, bleibt eben doch nur eine gesetzliche Beweislastumkehr.