Nachfolgend ein Beitrag vom 7.6.2017 von Klostermann-Schneider, jurisPR-ArbR 23/2017 Anm. 3

Leitsatz

Der Arbeitgeber muss nicht von einer geplanten Betriebsänderung absehen, wenn dadurch einem ordentlich nicht mehr kündbaren Arbeitsverhältnis die Grundlage entzogen wird. Der tarifvertragliche Sonderkündigungsschutz schränkt nicht die Freiheit des Arbeitgebers ein, Umstrukturierungen vorzunehmen, mit denen der Verlust von Arbeitsplätzen verbunden ist. Eine auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Kündigung kommt demnach in Betracht, wenn die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung tariflich ausgeschlossen ist, und dies dazu führt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer andernfalls trotz Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit noch für Jahre vergüten müsste, ohne dass dem eine entsprechende Arbeitsleistung gegenüberstünde (Anwendungsfall st. Rspr., BAG, Urt. v. 18.06.2015 – 2 AZR 480/14). Hierfür muss aus dem Vortrag des Arbeitgebers hinreichend deutlich werden, dass jegliche Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer entfallen ist. Diesen Anforderungen genügt der Vortrag eines Unternehmens der IT-Branche, dass bestimmte Tätigkeiten in der Erwartung, dass diese vom konzerninternen Hauptauftraggeber zukünftig nicht mehr abgefragt werden, eingestellt werden, nicht.

A. Problemstellung

Die Parteien streiten über eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit sozialer Auslauffrist eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers. Im Normallfall ist eine außerordentliche Kündigung aus betriebsbedingten Gründen nicht möglich; dies ist im Fall des ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers jedoch anders (Stoffels in: BeckOK Arbeitsrecht, 43. Ed., Rn. 159, 161 m.w.N.). Ist der Arbeitnehmer ordentlich unkündbar, kann der Arbeitgeber sich nämlich nur schwer von ihm – in der Regel allein durch eine außerordentliche Kündigung – lösen. Gerade in Krisenzeiten, die unternehmerische Entscheidungen erfordern, kommt es hier zum Widerstreit der Interessen des Arbeitgebers sich zu lösen und des Arbeitnehmers, weiterbeschäftigt zu werden (vgl. hierzu Kamann, ArbR 2016, 491). Die Anforderungen an die Wirksamkeit einer solchen (ausnahmsweise möglichen) außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung war Gegenstand der Entscheidung des ArbG Düsseldorf.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger ist bei der Beklagten als Anwendungsentwickler beschäftigt. Er ist aufgrund Tarifvertrages ordentlich unkündbar. Die Beklagte gehört zum J-Konzern. Die Beklagte erbringt Dienstleistungen im Zusammenhang mit Informationstechnologie fast ausschließlich für die J.E. GmbH. Letztere ist Alleingesellschafterin der Beklagten, tritt als Anbieter für IT-Dienstleistungen auf und setzt unter anderem die Beklagte zur Erfüllung ihrer Verträge mit Kunden aus Wirtschaft und Verwaltung ein.
Unter dem 12.09.2016 fasste die Beklagte den Beschluss, sämtliche Tätigkeiten im Bereich Anwendungsentwicklung spätestens zum 31.03.2017 vollständig einzustellen und mit der Umsetzung der Entscheidung sofort zu beginnen. Am 23.09.2016 ging dem Kläger eine außerordentliche Kündigung vom 16.09.2016 mit sozialer Auslauffrist zum 31.03.2017 zu.
Der Kläger ist der Ansicht, die Kündigung sei unwirksam. Dies folge u.a. daraus, dass sein Arbeitsplatz von der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten überhaupt nicht betroffen sei. Denn er sei aufgrund verschiedener bei der Beklagten erworbener Zusatzqualifikationen als IT-Architect einsetzbar und nach seiner aktuellen „Job Role“ auch entsprechend geschlüsselt. Er könne ohne großen Aufwand – etwa per Online-Schulung – in die Lage versetzt werden, die bei der Beklagten weiterhin stark nachgefragten Kenntnisse zu erwerben.
Die Beklagte hält die Kündigung für wirksam. Sie behauptet, dass ihr Beschluss aus dem September 2016 auf eine zu Beginn des Jahres 2016 getroffene Entscheidung der Leitungsebene der Sparte „Global Technical Services“, der die Beklagte zugeordnet ist, zurückgehe. Diese habe beschlossen, die bisher von der Beklagten angebotenen Leistungen der Anwendungsentwicklung künftig ausschließlich durch andere Unternehmen innerhalb der Konzerngruppe oder durch Externe erbringen zu lassen. Die hieran anknüpfende Entscheidung, diesen Bereich gänzlich aufzugeben, habe sie sofort umgesetzt und allen betroffenen Mitarbeitern, sofern nicht Zustimmungserfordernisse bestanden, noch im September 2016 betriebsbedingt gekündigt. Für alle weiteren im Betrieb der Beklagten verbleibenden Tätigkeiten verfüge der Kläger nicht über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten. Der Kläger sei im Übrigen mit keinem Kollegen, der nicht von einer Kündigung betroffen ist, vergleichbar.
Das ArbG Düsseldorf hat die Kündigung für unwirksam erklärt. Es fehle an einem wichtigen Grund (§ 626 Abs. 1 BGB) für die außerordentliche Kündigung. Es sei weiter nicht deutlich geworden, dass tatsächlich kein Beschäftigungsbedarf mehr für den Kläger in seiner bisherigen Position oder zumindest an anderer Stelle im Unternehmen besteht.
Zwar könne sich ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers aus dem dauerhaften Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit aufgrund innerbetrieblicher Maßnahmen ergeben. Der Arbeitgeber müsse nicht von einer geplanten Betriebsänderung absehen, wenn dadurch einem ordentlich nicht mehr kündbaren Arbeitsverhältnis die Grundlage entzogen wird. Der tarifvertragliche Sonderkündigungsschutz schränke nicht die Freiheit des Arbeitgebers ein, Umstrukturierungen vorzunehmen, mit denen der Verlust von Arbeitsplätzen verbunden ist. Jedoch erhöhe der tarifliche Sonderkündigungsschutz die Anforderungen an die Bemühungen, die anderweitige Beschäftigung des Arbeitnehmers zu ermöglichen, erheblich.
Daher komme eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung in Betracht, wenn der Arbeitnehmer tariflich ordentlich unkündbar ist, und dies dazu führt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer andernfalls trotz Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit noch für Jahre vergüten müsste, ohne dass dem eine entsprechende Arbeitsleistung gegenüberstünde. Der Arbeitgeber sei aber in besonderem Maß verpflichtet, zu versuchen, die Kündigung durch geeignete andere Maßnahmen zu vermeiden. Bestehe irgendeine Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis sinnvoll fortzuführen, wird er den Arbeitnehmer in der Regel entsprechend einzusetzen haben. Erst wenn sämtliche denkbaren Alternativen ausscheiden würden, könne ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegen. Der Arbeitgeber habe von sich aus darzutun, dass keinerlei Möglichkeit besteht, das Arbeitsverhältnis – ggf. zu geänderten Bedingungen und nach entsprechender Umschulung – sinnvoll fortzusetzen. Das Fehlen jeglicher Beschäftigungsmöglichkeit zähle bei der außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung zum „wichtigen Grund“.
Auf den Fall bezogen führte das Arbeitsgericht aus: Aus dem Vortrag der Beklagten werde nicht hinreichend deutlich, dass der Beschäftigungsbedarf für den Kläger entfallen ist. Erschöpfe sich die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers im Wesentlichen darin, Personal einzusparen, so sei sie vom Kündigungsentschluss selbst kaum zu unterscheiden. Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, müsse der Arbeitgeber konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Er müsse die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose konkret darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen erledigt werden können.
In der Entscheidung der Beklagten, die Tätigkeit „Anwendungsentwicklung“ vollständig einzustellen, liege die Entscheidung, einer Gruppe von Mitarbeitern, die über eine bestimmte fachliche Ausrichtung verfügen, zu kündigen. Ob und warum sich diese Entscheidung überhaupt auf den Umfang des Beschäftigungsbedarfs bei der Beklagten auswirken würde, lasse sich aus ihrem Vortrag nicht ableiten. Die Beklagte nehme weiterhin an dem konzerninternen System zur Verteilung der einzelnen Tätigkeiten teil. Ihre Entscheidung, ein bestimmtes Know-how bzw. eine bestimmte fachliche Ausrichtung bei ihren Mitarbeitern nicht mehr vorhalten zu wollen, sei daher erst einmal ohne Einfluss auf die Möglichkeit, ob diese Mitarbeiter zukünftig weiterhin bei der internen Vergabe von Aufträgen Berücksichtigung finden können. Damit sei die Entscheidung als reine Personalabbaumaßnahme anzusehen, bezüglich der die Beklagte in ihrem Vortrag bereits offen lässt, wie viele Arbeitsplätze abgebaut werden sollen.
Die Beklagte habe auch nicht deutlich gemacht, warum keinerlei Möglichkeit besteht, den Kläger in irgendeiner Form sinnvoll weiter zu beschäftigen.
Ihr Vortrag, dass die vom Kläger bisher ausgeübte Tätigkeit bei der Beklagten nicht mehr anfalle und im Unternehmen keine Aufgaben zu erfüllen seien, für die der Kläger die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten aufweise, genüge nicht. Es fehle an Tatsachen, die erkennen ließen, dass die Beklagte überhaupt irgendwelche Anstrengungen oder Überlegungen angestellt hat, um den Arbeitsplatz des Klägers zu erhalten.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist konsequent und richtig. Sie reiht sich in die ständige Rechtsprechung des BAG ein.
I. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG ist eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit sozialer Auslauffrist nur ausnahmsweise möglich (BAG, Urt. v. 18.06.2015 – 2 AZR 480/14; BAG, Urt. v. 20.06.2013 – 2 AZR 379/12; BAG, Urt. v. 22.11.2012 – 2 AZR 673/11). Voraussetzung hierfür ist neben der ordentlichen Unkündbarkeit, dass die Fortführung des Arbeitsverhältnisses dazu führt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer noch für Jahre vergüten müsste, ohne dass dem eine entsprechende Arbeitsleistung gegenüberstünde (BAG, Urt. v. 18.06.2015 – 2 AZR 480/14; BAG, Urt. v. 20.06.2013 – 2 AZR 379/12) – also ein „sinnentleertes Arbeitsverhältnis“ besteht. Der Arbeitgeber ist in einem solchen Fall jedoch verpflichtet, alles zu unternehmen, um den Arbeitnehmer weiter beschäftigen zu können. Besteht irgendeine Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis sinnvoll fortzusetzen, wird er den Arbeitnehmer in der Regel entsprechend einzusetzen haben. Erst dann, wenn alle denkbaren Alternativen ausscheiden, kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegen (BAG, Urt. v. 18.06.2015 – 2 AZR 480/14; BAG, Urt. v. 20.06.2013 – 2 AZR 379/12; BAG, Urt. v. 22.11.2012 – 2 AZR 673/11). Dies führt jedoch nicht dazu, dass der Arbeitgeber innerbetriebliche Entscheidungen unterlassen bzw. von diesen absehen muss, wenn sich andernfalls Folgen seiner Entscheidung auf die Arbeitsverhältnisse ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer auswirken könnten bzw. würden. Seine unternehmerische Freiheit ist durch Art. 12, 14, 2 Abs. 1 GG abgesichert. Gerichtlicher Überprüfungsmaßstab ist daher die Rechtmäßigkeit der Umsetzung der jeweiligen Maßnahme. Die unternehmerische Entscheidung wird hingegen nur auf ihre offensichtliche Unsachlichlichkeit, Unvernünftigkeit und ihre Willkür hin überprüft (BAG, Urt. v. 18.06.2015 – 2 AZR 480/14; BAG, Urt. v. 22.11.2012 – 2 AZR 673/11).
Der Schluss des Arbeitsgerichts, dass der Arbeitgeber nicht von einer Betriebsänderung absehen muss, wenn durch die Betriebsänderung einem ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnis die Grundlage entzogen wird, ist daher folgerichtig.
II. Richtig erkennt das Arbeitsgericht weiter, dass die ordentliche Unkündbarkeit jedoch dazu führt, dass der Arbeitgeber seine Bemühungen, den betroffenen Arbeitnehmer anderweitig zu beschäftigen, intensivieren muss (BAG, Urt. v. 18.06.2015 – 2 AZR 480/14; BAG, Urt. v. 20.06.2013 – 2 AZR 379/12; BAG, Urt. v. 22.11.2012 – 2 AZR 673/11). Die Voraussetzung, dass keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht, ist dabei Teil des wichtigen Grundes der außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung (BAG, Urt. v. 26.03.2015 – 2 AZR 783/13; BAG, Urt. v. 22.11.2012 – 2 AZR 673/11; Linck: in Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 16. Aufl. 2015, § 128 Rn. 33). In prozessrechtlicher Hinsicht wird dem Arbeitgeber daher abverlangt, dass er von sich aus dartut, dass keinerlei Möglichkeit besteht, das Arbeitsverhältnis sinnvoll fortzusetzen. Auch dass etwaige Umschulungen oder geänderte Bedingungen keine Abhilfe schaffen, ist von seiner Darlegungslast erfasst (BAG, Urt. v. 18.06.2015 – 2 AZR 480/14; BAG, Urt. v. 26.03.2015 – 2 AZR 783/13). Der Arbeitgeber muss deutlich machen, dass er alles Zumutbare unternommen hat, um die Auswirkungen seiner unternehmerischen Entscheidung auf das erforderliche Maß zu beschränken (BAG, Urt. v. 23.01.2014 – 2 AZR 372/13). Überzeugend begründet das Arbeitsgericht, warum der Vortrag der Beklagten diesen Anforderungen nicht genügt. Es fehlt der klare Sachvortrag, warum sich die getroffene Entscheidung auf den Arbeitsplatz des Klägers auswirkt. Es ist nicht gesagt, dass der Kläger bei Ausschöpfung aller Möglichkeiten und Alternativen nicht sinnvoll weiter beschäftigt werden kann.

D. Auswirkungen für die Praxis

Für die Praxis hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts keine bisher unbekannten Auswirkungen. Das Arbeitsgericht hat die ständige Rechtsprechung des BAG richtig angewendet. Für die Praxis ist an dieser Rechtsprechung besonders bedeutsam, dass der Arbeitgeber anders als bei der ordentlichen betriebsbedingten Kündigung weitreichend von sich aus zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit und dem Fehlen anderer Beschäftigungsmöglichkeiten vortragen muss. Bei der ordentlichen betriebsbedingten Kündigung ist dies anders: Die Darlegungslast des Arbeitgebers hängt vom Vortrag des Arbeitnehmers ab. Bestreitet dieser etwa nur den Wegfall des Arbeitsplatzes, kann sich der Arbeitgeber in der Regel darauf zurückziehen, dass keine Weiterbeschäftigung wegen betrieblicher Notwendigkeit möglich sei. Erst wenn der Arbeitnehmer nun darstellt, wie er sich die anderweitige Weiterbeschäftigung vorstellt, ist der Arbeitgeber in der Vortragslast in Bezug auf „Unmöglichkeit“ der Weiterbeschäftigung (Kiel in: APS, 5 Aufl. 2017, Rn. 588 m.w.N.).