Nachfolgend ein Beitrag vom 9.5.2018 von Boemke, jurisPR-ArbR 19/2018 Anm. 3

Orientierungssatz

Die Gewährung einer tariflichen Anwesenheitsprämie ist eine im Synallagma stehende Geldleistung, die zur Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohns geeignet ist.

A. Problemstellung

Weniger als 18 Monate nach dem Inkrafttreten des MiLoG hatte das BAG (Urt. v. 25.05.2016 – 5 AZR 135/16) mit zahlreichen Irrlehren aufgeräumt und die wesentlichen Grundlinien zur Anrechnung von Zahlungen auf den gesetzlichen Mindestlohn aufgezeigt. Auch nach dem Ausscheiden des alten Vizepräsidenten setzt der Fünfte Senat unter dem neuen Vizepräsidenten des BAG seine Rechtsprechung fort, vorliegend zur Anrechnung einer Anwesenheitsprämie auf den gesetzlichen Mindestlohn.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der klagende Arbeitnehmer verlangt von der beklagten Arbeitgeberin ausstehende Vergütung für Januar 2015 i.H.v. 28,96 Euro und für Februar 2015 i.H.v. 27,68 Euro. Auf das Arbeitsverhältnis findet ein Tarifvertrag Anwendung, der betreffend die streitgegenständliche Vergütung 2013 geschlossen wurde und vorsah, dass ab 01.01.2015 ein Stundenlohn von 8,34 Euro und eine Anwesenheitsprämie von 0,37 Euro/Std. gezahlt wird. Nach dem Inkrafttreten des MiLoG teilte die Beklagte mit, dass die Anwesenheitsprämie „auf die Berechnung des Mindestlohnes anrechenbar“ sei. Der Kläger leistete im Januar 2015 insgesamt 181 Arbeitsstunden und im Februar 2015 insgesamt 173 Arbeitsstunden. Die Beklagte zahlte 8,50 Euro Stundenlohn und jeweils insgesamt 36,33 Euro/Monat Anwesenheitsprämie. Der Kläger meint, er könne die Anwesenheitsprämie zusätzlich zum Mindestlohn verlangen und hat daher für Januar 2015 zusätzlich 28,96 Euro brutto und für Februar 2015 zusätzlich 27,68 Euro brutto eingeklagt. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht ihr nur i.H.v. 1,68 Euro brutto stattgegeben (vgl. LArbG Rostock, Urt. v. 22.11.2016 – 5 Sa 298/15).
Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg.
1. Der Fünfte Senat des BAG legt zunächst dar, dass dem Kläger für jede geleistete Arbeitsstunde die Anwesenheitsprämie von 0,37 Euro zusteht. Daraus errechne sich für Januar 2015 ein Betrag von 66,97 Euro (181 Stunden x 0,37 Euro/Std.) und für Februar ein Betrag von 64,01 Euro (173 Stunden x 0,37 Euro/Std.). Bis auf die in zweiter Instanz zugesprochenen 1,68 Euro brutto habe die Beklagte den Anspruch auch erfüllt. Zwar weise die Lohnabrechnung einen Stundenlohn von 8,50 Euro aus, damit habe die Beklagte aber nicht zusätzlich zum tariflichen Stundelohn eine weitere übertarifliche Zulage von 0,16 Euro gewähren wollen. Vielmehr sei von der Beklagten klargestellt worden, dass mit der Auszahlung des Betrages auch der tarifliche Anspruch auf die Anwesenheitsprämie erfüllt werde.
2. Die Anwesenheitsprämie müsse auch nicht zusätzlich zum Mindestlohn gezahlt werden. Mindestlohnwirksam seien alle im Synallagma stehenden Geldleistungen des Arbeitgebers. Nur Zahlungen, die ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung oder aufgrund einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung erbracht werden (z.B. § 6 Abs. 5 ArbZG), haben in Bezug auf den Mindestlohnanspruch keine Erfüllungswirkung (st. Rspr. BAG, Urt. v. 25.05.2016 – 5 AZR 135/16 Rn. 32; zuletzt BAG, Urt. v. 08.11.2017 – 5 AZR 692/16 Rn. 16 m.w.N.). Die tarifliche Anwesenheitsprämie stehe im Synallagma und werde nicht – wie der Kläger meint – für die bloße Anwesenheit im Betrieb gezahlt. Vielmehr solle die Prämie einen finanziellen Anreiz geben, auch bei (geringfügigen) gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu arbeiten, und werde somit für die Arbeitsleistung erbracht (vgl. zur Mindestlohnwirksamkeit einer Anwesenheitsprämie bereits BAG, Urt. v. 11.10.2017 – 5 AZR 622/16 Rn. 20 sowie zuletzt BAG, Urt. v. 08.11.2017 – 5 AZR 692/16 Rn. 18).

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung fügt sich nahtlos in die im Mai 2016 begründete Rechtsprechungslinie ein. Bereits im Oktober (BAG, Urt. v. 11.10.2017 – 5 AZR 622/16) und im November (BAG, Urt. v. 08.11.2017 – 5 AZR 692/16) letzten Jahres hatte das BAG zur Anwesenheitsprämie entsprechend entschieden. Während vor der Grundsatzentscheidung des BAG vom 25.05.2016 (5 AZR 135/16) maßgeblich für die Anrechnung sein sollte, ob damit die Normalleistung (Anrechnung) oder aber zusätzliche Leistungen (keine Anrechnung) vergütet werden, betont das BAG ausdrücklich und zutreffend, dass der Begriff der Normalleistung in das MiLoG keinen Eingang gefunden habe.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung knüpft an die bisherige Rechtsprechung des Fünften Senats an und schafft damit Rechtssicherheit.

Anrechnung einer Anwesenheitsprämie auf den Mindestlohn
Andrea KahleRechtsanwältin

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