Nachfolgend ein Beitrag vom 1.2.2017 von Tiedemann, jurisPR-ArbR 5/2017 Anm. 3
Orientierungssatz
Eine Anwesenheitsprämie kann auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden.
A. Problemstellung
Die Parteien streiten über die Anrechnung einer Anwesenheitsprämie auf den gesetzlichen Mindestlohn.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem Jahre 1999 als geringfügig Beschäftigte beschäftigt.
Die Beklagte zahlte an die Klägerin bis Ende 2014 eine sog. „Anwesenheitsprämie“, die auf einem Anschreiben an alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus dem Mai 1996 basiert. Hiernach erhält jeder Mitarbeiter pro Monat eine Prämie von 100 DM, wenn er jeden Arbeitstag anwesend ist. Bei 1 bis 3 Krankheitstagen reduziert sich die Prämie auf 25 DM. Bei mehr als drei Tagen Krankheit entfällt die Prämie. Der Betriebsrat und die Beklagte haben in einer Betriebsvereinbarung vom April 2007 geregelt, dass die bestehenden Regelungen zur Gewährung einer Anwesenheitsprämie bestehen bleiben.
Ausweislich des letzten schriftlichen Arbeitsvertrages vom 31.10.2014 erhielt die Klägerin seit dem 01.01.2015 „in Anlehnung an das Mindestlohngesetz“ eine Stundenvergütung von 8,50 Euro brutto.
Seit Februar 2015 rechnete die Beklagte die Anwesenheitsprämie bis zur Erreichung des Mindestlohns im Rahmen des Pauschallohns – garantiert – ab und zahlte entsprechend der Abrechnung aus. Im Übrigen zahlte sie den darüber hinausgehenden Betrag der Anwesenheitsprämie bei entsprechender Anwesenheit aus. Die Beklagte behauptet insofern, dass sie entschieden habe, insoweit auf die bisherigen Voraussetzungen für die Gewährung der Anwesenheitsprämie zu verzichten. Die Gewährung der Anwesenheitsprämie bis zur Höhe des Mindestlohns sei daher an keinerlei Voraussetzungen gebunden. Ein solcher Verzicht auf die Voraussetzungen für die Zahlung der Anwesenheitsprämie sei rechtswirksam erfolgt. Dieser Verzicht sei für die betroffenen Arbeitnehmer ausschließlich vorteilhaft.
Die Klägerin begehrt Differenzvergütung für die Monate Februar bis Mai 2015 in unterschiedlicher Höhe. Dem Tatbestand der vorliegenden Entscheidung lässt sich leider nicht entnehmen, ob und in welchem Umfang die Klägerin im Streitzeitraum die Voraussetzungen für die Anwesenheitsprämie erfüllt hat, wie viele Stunden die Klägerin in den Monaten gearbeitet hat und welche (Teil-)Beträge einer Anwesenheitsprämie zur Auszahlung gelangten. Das Arbeitsgericht hatte der Klage stattgegeben.
II. Das LArbG Bremen hat der Berufung der Beklagten stattgegeben und die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat den ihr von der Beklagten als Arbeitgeberin geschuldeten gesetzlichen Mindestlohn für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde gemäß § 1 Abs. 1 MiLoG erhalten, wobei vorliegend die Anwesenheitsprämie anzurechnen ist.
1. Bei der Anrechnung von Leistungen auf den Mindestlohn ist nach der Rechtsprechung des BAG dem erkennbaren Zweck des Mindestlohns, den der Arbeitnehmer als unmittelbare Leistung für die verrichtete Tätigkeit begehrt, der zu ermittelnde Zweck der jeweiligen Leistung des Arbeitgebers, die dieser aufgrund anderer (individual- oder kollektivrechtlicher) Regelungen erbracht hat, gegenüberzustellen. Besteht danach eine funktionale Gleichwertigkeit der zu vergleichenden Leistungen, ist die erbrachte Leistung auf den zu erfüllenden Anspruch anzurechnen (BAG, Urt. v. 16.04.2014 – 4 AZR 802/11 Rn. 39 – BAGE 148, 68).
2. Eine solche funktionale Gleichwertigkeit ist gegeben, da die Anwesenheitsprämie nicht losgelöst von der Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung erzielt werden kann. Die bloße Anwesenheit des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz losgelöst von der Erbringung der Arbeitsleistung stellt keinen Selbstzweck dar und ist für den Arbeitgeber ohne wirtschaftlichen Wert. Die Anwesenheitsprämie zielt damit nicht auf einen von der mit der Anwesenheit verbundenen Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung losgelösten eigenständigen Zweck, da für die vorliegende Fallkonstellation ein solcher besonderer Zweck nicht ersichtlich ist.
3. Der Mindestlohn ist grundsätzlich neutral im Hinblick auf Inhalt und Ort der Arbeitsleistung sowie die Lage der Arbeitszeit. Der Mindestlohn sieht grundsätzlich jede Arbeitstätigkeit als eine Normaltätigkeit an (so auch LArbG Chemnitz, Urt. v. 24.09.2015 – 8 Sa 153/15, Revision eingelegt unter 10 AZR 667/15). Die Anwesenheit am Arbeitsplatz zählt regelmäßig zur „Normalleistung“ des Arbeitnehmers (Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, § 1 Rn. 137). An dieser Bewertung ändert sich nichts dadurch, dass statistisch gesehen eine gewisse Krankheitsquote als durchschnittlich bzw. „normal“ angesehen werden kann. Ist ein Arbeitnehmer in einer bestimmten Zeitperiode nicht arbeitsunfähig erkrankt, so erfüllt er mit der Erbringung der Arbeitsleistung in diesem Zeitraum die vertraglich vereinbarte Verpflichtung, die im Sinne des Mindestlohngesetzes als Normalarbeitsleistung anzusehen ist. Eine Sonderleistung ist hiermit nicht verbunden.
4. Etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung des BAG dann, wenn andere Gesetze dem Zuschlag oder der Zulage einen besonderen Zweck verleihen, welcher der Anrechnung auf den Mindestlohn entgegensteht, z.B. Nachtzuschläge nach § 6 Abs. 5 ArbZG. Ein solcher besonderer Zweck lässt sich im Hinblick auf die Anwesenheitsprämie vorliegend nicht aus § 4 lit. a EFZG herleiten. Diese Regelung gehört zu dem Konzept des Gesetzgebers, durch Entlastung des Arbeitgebers von beschäftigungsfeindlichen hohen Lohnzusatzkosten die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen zu ermöglichen (BT-Drs. 13/4612, S. 2 und 11; Reinhard in: ErfKomm,16. Aufl. 2016, § 4 Buchst. a EFZG Rn. 1). Dieser gesetzlich verfolgte wirtschaftliche Zweck kann nur dann erreicht werden, wenn der Arbeitgeber anstelle der Entgeltfortzahlung für seine Vergütungszahlung das wirtschaftliche Äquivalent in Form der vertraglich geschuldeten Leistung durch den Arbeitnehmer erhält. Eine bloße Anwesenheit des Arbeitnehmers ohne Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung vermag den gesetzlichen Zweck nicht zu erreichen.
5. Ein besonderer, von der Normalarbeitsleistung losgelöster Zweck könnte bei einer Anwesenheitsprämie z.B. darin bestehen, dass Arbeitnehmer die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung gerade im Betrieb und nicht z.B. an einem Heimarbeitsplatz erbringen sollen. Dann ginge es bei dem Zweck der Prämie nicht um das „Ob“ der Erbringung der Arbeitsleistung, sondern darum, „wo“ die Arbeitsleistung zu erbringen ist. Um einen solchen Zweck geht es jedoch vorliegend ersichtlich nicht. Die mit der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verbundenen organisatorischen und wirtschaftlichen Nachteile für den Arbeitgeber lassen sich nicht allein durch eine Anwesenheit des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz losgelöst von der Erbringung der Arbeitsleistung vermeiden. Dem Arbeitgeber geht es mit der Gewährung der Anwesenheitsprämie somit um die mit der Anwesenheit verbundene Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer. Wirtschaftlich betrachtet geht es bei der Vermeidung von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall darum, dass der Arbeitgeber für seine Vergütungszahlung das wirtschaftliche Äquivalent in Form der vertraglich vereinbarten Arbeitsleistung erhält.
6. Die Anwesenheitsprämie lässt sich auch nicht im Sinne einer „Qualitätsprämie“ verstehen, da sie allein auf die Quantität der Erbringung der Arbeitsleistung und nicht auf die Qualität abstellt. Derjenige Arbeitnehmer, der weniger Arbeitsunfähigkeitszeiten aufweist und daher seine Arbeitsleistung öfter bzw. länger erbringt, erfüllt damit allein die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsverpflichtung als Äquivalent für die vereinbarte Vergütung. Eine besondere Qualität, die über die Normalleistung hinausgeht, besteht darin nicht.
C. Kontext der Entscheidung
Die vorliegende Entscheidung steht im Zusammenhang mit der Einführung eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland zum 01.01.2015, der seit dem 01.01.2017 von 8,50 Euro auf 8,84 Euro brutto je Zeitstunde erhöht wurde. Wie in der einschlägigen Literatur zutreffend vorhergesagt, ergeben sich in der (gerichtlichen) Praxis die meisten Schwierigkeiten bei der Frage, ob einzelne Entgeltbestandteile (insbesondere Zulagen und Prämien) auf den gesetzlichen Mindestlohn anzurechnen sind. Der Gesetzgeber hat leider eine Klarstellung unterlassen, ob und inwieweit eine Anrechnung von Geld- und/oder Sachleistungen auf den Mindestlohn erfolgen darf (vgl. Schweibert/Leßmann, DB 2014, 1866, 1868f. ; Bayreuther, NZA 2014, 865, 867 f.). Insofern gibt die vorliegende Entscheidung eine gewisse Orientierung, ob und inwieweit Anwesenheitsprämien auf den Mindestlohn angerechnet werden können.
Das LArbG Bremen nimmt in seiner Entscheidung bezüglich der Frage der Anrechenbarkeit von Leistungen auf den Mindestlohn einen Rückgriff auf die Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (sog. Entsenderichtlinie, vgl. deren Art. 3 Abs. 1 lit. c.) bzw. des BAG zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz vor (vgl. BT-Drs. 18/1558, S. 84 f., wobei hier begrifflich der Mindestlohn mit dem Mindestentgelt nach dem AEntG gleichgesetzt wird bzw. als ein solches verstanden wird; dem zustimmend: Sittard, NZA 2014, 951, 952; Franzen in: ErfKomm, 17. Aufl. 2017, § 1 MiLoG Rn. 12; Lembke, NZA 2015, 70, 74; a.A. Bayreuther, NZA 2014, 865, 867 f.; Moll/Päßler/Reich, MDR 2015, 125, 127). Insofern wird auf eine sog. funktionale Gleichwertigkeit abgestellt. Geldleistungen des Arbeitgebers sind hiernach auf den Anspruch des Arbeitnehmers auf den (tariflichen) Mindestlohn anzurechnen, d.h. sie sind mindestlohnrelevant, wenn die Funktion der vom Arbeitgeber erbrachten Leistung dem Zweck des Mindestlohns funktional gleichwertig ist (BAG, Urt. v. 18.04.2012 – 4 AZR 139/10 Rn. 28 – BAGE 141, 163; BAG, Urt. v. 16.04.2014 – 4 AZR 802/11 Rn. 39 – BAGE 148, 68).
Der Fünfte Senat des BAG verfolgt in seinen bisherigen Entscheidungen zum MiLoG einen geringfügig anderen Ansatz, ohne sich bislang mit der funktionalen Gleichwertigkeit und der dem zustimmenden Literatur zu beschäftigen. Nach dem Fünften Senat des BAG gilt im Rahmen des MiLoG ein umfassender Entgeltbegriff, wonach alle im Synallagma stehenden Geldleistungen des Arbeitgebers geeignet sind, den Mindestlohnanspruch des Arbeitnehmers zu erfüllen. Von den im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachten Entgeltzahlungen des Arbeitgebers (vgl. Bayreuther, NZA 2014, 865, 869; Lembke, NZA 2015, 70, 76) fehlt folglich nur solchen Zahlungen die Erfüllungswirkung, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung (z.B. § 6 Abs. 5 ArbZG, der einen Zuschlag auf das dem Arbeitnehmer zustehende Bruttoarbeitsentgelt vorsieht) beruhen (BAG, Urt. v. 25.05.2016 – 5 AZR 135/16 Rn. 32; LArbG Rostock, Urt. v. 22.11.2016 – 5 Sa 298/15 Rn. 34; Revision unter 5 AZR 864/16 anhängig). Das gilt beispielsweise für vermögenswirksame Leistungen, die nicht dazu bestimmt sind, den laufenden Lebensunterhalt zu bestreiten (BAG, Urt. v. 16.04.2014 – 4 AZR 802/11 Rn. 61 – BAGE 148, 68; LArbG Hamm, Urt. v. 22.04.2016 – 16 Sa 1627/15 Rn. 48).
Das LArbG Bremen prüft hingegen eine „funktionale Gleichwertigkeit“ der Anwesenheitsprämie. Es stellt hierbei den vom Arbeitgeber mit der Zahlung der Anwesenheitsprämie verfolgten Zweck dar. Sein Kernargument ist insofern, dass die Anwesenheit am Arbeitsplatz regelmäßig zur „Normalleistung“ des Arbeitnehmers zählt (Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, § 1 Rn. 137), woraus sich die Anrechenbarkeit ergeben soll. Nach der Rechtsprechung des Zehnten Senats des BAG soll eine Anwesenheitsprämie den Anreiz erzeugen, die Zahl der berechtigten oder unberechtigten Fehltage im Bezugszeitraum möglichst gering zu halten (BAG, Urt. v. 21.01.2009 – 10 AZR 216/08 Rn. 36 – AP Nr. 283 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG, Urt. v. 25.07.2001 – 10 AZR 502/00 Rn. 15 – BAGE 98, 245). Sie soll somit persönliche Fehlzeiten verringern und die damit verbundenen betrieblichen Ablaufstörungen minimieren (LArbG Rostock, Urt. v. 14.09.2010 – 5 Sa 19/10 Rn. 47). Unerheblich ist dabei, ob die Prämie – positiv formuliert – an die Tage der Anwesenheit anknüpft, oder – negativ formuliert – Kürzungen bei Fehltagen vorsieht (vgl. LArbG Rostock, Urt. v. 22.11.2016 – 5 Sa 298/15 Rn. 36).
Eine Anwesenheitsprämie verfolgt in der Regel keinen anderen Zweck als die Entlohnung der Tätigkeit. Sie honoriert keine Sonderleistung des Arbeitnehmers. Die Vermeidung von Fehlzeiten durch den Arbeitnehmer ist keine eigenständige Leistung, die neben der herkömmlichen Arbeitsleistung erbracht wird. Eine Anwesenheitsprämie dient allein dazu, die tatsächliche Erbringung der Arbeitsleistung zu fördern. Sie honoriert nichts anderes als die tatsächlich geleistete Arbeit. Das Tätigwerden am Arbeitsplatz ist allerdings kein werterhöhender Faktor, der eine zusätzliche Vergütung über den Mindestlohn hinaus rechtfertigen könnte. Die Anwesenheit am Arbeitsplatz verändert nicht das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung, wie es beispielsweise bei Arbeit in der Nachtzeit der Fall ist, für die nach § 6 Abs. 5 ArbZG ein angemessener Ausgleich zu gewähren ist (vgl. LArbG Rostock, Urt. v. 22.11.2016 – 5 Sa 298/15 Rn. 38 f.). Dem wird jedoch entgegengehalten, dass eine Anwesenheitsprämie die durchgängige Anwesenheit des Arbeitnehmers gewährleisten soll, um dazu beizutragen, dass Arbeitnehmer bei leichteren Unpässlichkeiten nicht zu Hause bleiben und sich krank melden. Leichtfertige Krankmeldungen sollen somit vermieden werden. Wenn den Regelungen zur Anwesenheitsprämie aber entnommen werden kann, dass – neben der Vermeidung lediglich leichtfertiger Erkrankungen – auch bezweckt ist, eine Anwesenheit am Arbeitsplatz zu bewirken, selbst wenn der Arbeitnehmer objektiv erkrankt ist, erfasst sie nicht mehr ausschließlich die Normalleistung des Arbeitnehmers. Es gehört nicht zur Normalleistung, dass der Arbeitnehmer auch bei objektiver Erkrankung zur Arbeit kommt (vgl. LArbG Halle, Urt. v. 23.08.2016 – 2 Sa 109/16 Rn. 58, Revision unter 5 AZR 692/16 anhängig), so dass in einem solchen Falle eine Anrechnung auf den Mindestlohn ausscheiden würde.
D. Auswirkungen für die Praxis
Für die (gerichtliche) Praxis ist es schwerpunktmäßig wichtig, bei der Frage der Anrechenbarkeit von gesetzlichen, kollektivrechtlichen oder arbeitsvertraglichen Entgeltbestandteilen auf den Mindestlohn deren (erkennbaren) Zweck und Funktion im Einzelnen darzulegen. Hier ist u.U. die Historie bzw. die bisherige Praxis im Einzelnen darzustellen. Letztlich wird das BAG im Rahmen des anhängigen Revisionsverfahrens 5 AZR 621/16 abschließend die Frage der Anrechenbarkeit von Anwesenheitsprämien entscheiden.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Die vorliegende Entscheidung gibt ferner Anlass, unter Bezugnahme auf die bisherige Rechtsprechung des BAG zum MiLoG auf weitere Punkte hinzuweisen, die für eine sachgerechte instanzgerichtliche Bearbeitung von Mindestlohnfällen notwendig sind:
I. Ausgangspunkt jeder Entscheidung zum MiLoG ist die Darlegung, wie viele Stunden im maßgeblichen Entgeltzeitraum, zumeist ein Kalendermonat, der klagende Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat. Dann muss geprüft werden, inwieweit eine Erfüllung des Mindestlohnanspruchs eingetreten ist. Erfüllung i.S.v. § 362 Abs. 1 BGB tritt beim Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn – wie in jedem Schuldverhältnis – ein, wenn die geschuldete Leistung bewirkt wird (BAG, Urt. v. 29.06.2016 – 5 AZR 716/15 Rn. 23). Die arbeitgeberseitige Leistung liegt in der Zahlung des Bruttoarbeitsentgelts, denn der gesetzliche Mindestlohn ist das als Gegenleistung für die Arbeit (mindestens) zu erbringende Entgelt (BAG, Urt. v. 25.05.2016 – 5 AZR 135/16 Rn. 27). Bei einer Geldschuld wird die geschuldete Leistung mangels anderer Vereinbarung nur dann bewirkt, wenn der Gläubiger den Geldbetrag, den er beanspruchen kann, endgültig zur freien Verfügung übereignet oder überwiesen erhält. Darf er den Betrag nicht behalten, tritt der Leistungserfolg nicht ein. Daher erfüllt der Arbeitgeber den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn durch die im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachten Entgeltzahlungen nur, soweit diese dem Arbeitnehmer endgültig verbleiben (BAG, Urt. v. 25.05.2016 – 5 AZR 135/16 Rn. 31). Ist eine Zuordnung der Zahlungen erforderlich, finden die Regelungen des § 366 BGB Anwendung (BAG, Urt. v. 25.05.2016 – 5 AZR 135/16 Rn. 32). Insofern sind die monatlichen Gehaltsabrechnungen maßgebend (vgl. LArbG Rostock, Urt. v. 22.11.2016 – 5 Sa 298/15 Rn. 26). Hieran gemessen mangelt der Tatbestand der vorliegenden Entscheidung des LArbG Bremen daran, dass weder die von der Klägerin geleisteten Stunden pro Monat noch die von der Beklagten vorgenommenen Zahlungen noch etwaig vorgenommene Tilgungsbestimmungen bei Vornahme der Zahlung dargestellt sind.
II. Bezogen auf den konkreten Streitgegenstand und die geltenden (Differenz-)Vergütungsansprüche ist ferner zu klären, ob nicht beispielsweise auch kollektivrechtliche oder arbeitsvertragliche Ansprüche auf Zahlung der vom Arbeitgeber auf den Mindestlohn angerechneten Entgeltbestandteile vom klagenden Arbeitnehmer neben dem Anspruch aus § 1 MiLoG geltend gemacht werden. Insofern verwundert es zumindest, dass das LArbG Bremen derartige Ansprüche ungeprüft gelassen hat.