Nachfolgend ein Beitrag vom 6.7.2016 von Boemke, jurisPR-ArbR 27/2016 Anm. 1

Leitsatz

Nach § 615 Satz 2 BGB ist Zwischenverdienst auf den Vergütungsanspruch wegen Annahmeverzugs in dem Umfang anzurechnen, wie er dem Verhältnis der beim Arbeitgeber ausgefallenen Arbeitszeit zu der im neuen Dienstverhältnis geleisteten entspricht.

A. Problemstellung

Kommt der Arbeitgeber mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug, so kann der Arbeitnehmer gemäß § 615 Satz 1 BGB die vereinbarte Vergütung weiterhin verlangen, ohne die ausgefallene Arbeit nachleisten zu müssen. Auf den Vergütungsanspruch ist nach § 615 Satz 2 BGB jedoch dasjenige anzurechnen, was der Arbeitnehmer infolge des Annahmeverzugs durch eine anderweitige Tätigkeit verdient hat.
Das BAG hatte sich im vorliegenden Fall mit der Frage zu beschäftigen, ob ein solcher Zwischenverdienst aus einer Tätigkeit, deren zeitlicher Umfang die gegenüber dem ersten Arbeitgeber geschuldete Arbeitszeit übersteigt, in vollem Umfang auf den Annahmeverzugslohnanspruch anzurechnen ist. Außerdem war in diesem Fall ein weiteres Mal zu entscheiden, auf welchen Zeitraum bei der Anrechnung des Zwischenverdienstes abzustellen ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien streiten um die Anrechnung von Zwischenverdienst auf Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs. Die Klägerin war bei der Beklagten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von zwölf Stunden beschäftigt. Nach der Schließung der Beklagten am 31.12.2011 einigten sich die Parteien in einem Vergleich darüber, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis zum 31.12.2013 beendet worden und die Beklagte verpflichtet ist, bis zu diesem Zeitpunkt die aus dem Arbeitsverhältnis resultierenden Vergütungsansprüche der Klägerin zu erfüllen. Seit dem 01.01.2012 ist die Klägerin in einem anderen Arbeitsverhältnis mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 17 Stunden beschäftigt. Da ihr dort erzielter Verdienst in den Jahren 2012 und 2013 insgesamt die Höhe der von der Beklagten auf Grund des Annahmeverzugs zu zahlenden Vergütung überschritt, lehnte die Beklagte jegliche Zahlung unter Hinweis auf die Anrechnung des anderweitigen Verdienstes ab. Die Klägerin meint, eine Anrechnung müsse ausscheiden, soweit sie die Vergütung für Arbeitsleistungen erhalten habe, die über zwölf Wochenstunden hinausgehen.
Die Vorinstanzen hatten der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.
Das BAG hält die Revision für unbegründet. Auf den Vergütungsanspruch wegen Annahmeverzugs sei gemäß § 615 Satz 2 BGB nur derjenige Zwischenverdienst anzurechnen, den die Klägerin während der Arbeitszeit erzielt hat, in der sie im Annahmeverzugszeitraum bei der Beklagten hätte Arbeitsleistungen erbringen müssen. Auch wenn eine Gesamtberechnung für den gesamten Zeitraum des Annahmeverzugs zu erfolgen habe, sei hierbei die gegenüber der Beklagten geschuldete Arbeitszeit zu berücksichtigen. Anzurechnen sei ausschließlich das, was der Arbeitnehmer durch anderweitige Verwendung desjenigen Teils seiner Arbeitskraft erwirbt, die er dem Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen verpflichtet war. Gegenüberzustellen ist damit der Vergütungsanspruch für die Zeit, für welche Arbeitsleistungen zu erbringen waren, und der Verdienst, den der Arbeitnehmer in dieser Zeit anderweitig erworben hat (RG v. 12.07.1904 – III 146/04 – RGZ 58, 402). Zwischenverdienst kann auf den Vergütungsanspruch wegen Annahmeverzugs nur in dem Umfang angerechnet werden, wie er dem Verhältnis der beim Arbeitgeber ausgefallenen Arbeitszeit zu der im neuen Dienstverhältnis geleisteten entspricht. Demnach musste sich die Klägerin auf ihre Vergütungsansprüche aus dem gesamten Zeitraum des Annahmeverzugs nur ihren Verdienst von zwölf Wochenstunden anrechnen lassen. Die Verdienste aus den darüber hinausgehenden fünf Wochenstunden waren nicht anrechenbar. Von daher verblieb der von Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht zuerkannte Vergütungsanspruch in Höhe von 6.127,61 Euro brutto.

C. Kontext der Entscheidung

Das BAG knüpft mit der Gesamtberechnung an seine ständige Rechtsprechung an und setzt diese fort (vgl. BAG v. 01.03.1958 – 2 AZR 533/55; BAG v. 20.01.1967 – 3 AZR 253/66; BAG v. 22.11.2005 – 1 AZR 407/04; BAG v. 16.05.2012 – 5 AZR 251/11; so schon RG v. 12.07.1904 – III 146/04 – RGZ 58, 402, 403 ff.). Der anderweitige Verdienst soll auf die Vergütung für die „gesamte Dauer des Annahmeverzugs“ anzurechnen sein. Mich überzeugt die Gegenauffassung mehr, wonach gesondert nach Zeitabschnitten, in welchen anderweitiger Verdienst erzielt wurde, eine Anrechnung pro rata temporis erfolgt (Boemke in: NK-ArbR, § 615 BGB Rn. 125; siehe auch Preis in: ErfKomm, § 615 BGB Rn. 92; Kühn, Zur Methode der Anrechnung anderweitigen Erwerbs- nach § 615 Satz 2 BGB – Gesamtberechnung oder pro rata temporis?, 2008). Der Arbeitnehmer soll aus dem Annahmeverzug keinen Vorteil ziehen und so stehen, als hätte er während des Verzugszeitraums Arbeit geleistet und Entgelt erhalten. Da es um den aufrechterhaltenen Lohnanspruch geht, sprechen die besseren Argumente für eine Anrechnung pro rata temporis. Zum einen soll der vertragswidrig handelnde Arbeitgeber keinen Vorteil daraus ziehen, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft zeitweise besser verkauft. Zum anderen ist nach der Gesamtberechnung der Umfang der Anrechnung von der Zufälligkeit abhängig, ob der Annahmeverzug zwischendurch wieder beendet wurde, z.B. weil der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt war (Boemke in: NK-ArbR, § 615 BGB Rn. 125).
Im Übrigen ist dem BAG darin zuzustimmen, dass derjenige Zwischenverdienst nicht anrechnungsfähig ist, der auf einer Arbeitsleistung beruht, welche die im ersten Arbeitsverhältnis geschuldete Arbeitszeit übersteigt. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 615 Satz 2 BGB selbst, wonach nur derjenige Erwerb anzurechnen ist, der „infolge des Unterbleibens der Dienstleistung“ eintritt. Ein Zusatzverdienst für außerhalb der ursprünglich geschuldeten Arbeitszeit liegende Tätigkeiten hätte auch ohne Annahmeverzug des ersten Arbeitgebers erzielt werden können, weil diese Zeit auch dann dem Arbeitnehmer zur freien Verfügung gestanden hätte. Ein solcher Zusatzverdienst beruht folglich nicht (kausal) auf dem Annahmeverzug, was aber Voraussetzung für die Anrechnung ist.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das BAG hat in seiner neuesten Entscheidung die Anwendbarkeit der Gesamtberechnung im Rahmen des § 615 Satz 2 BGB erneut bestätigt und damit auch für die Zukunft eine klare Grenze für Zusatzverdienste des Arbeitnehmers im Annahmeverzugszeitraum gesetzt. Arbeitnehmer dürfen auch weiterhin die ihnen im Annahmeverzugszeitraum zur Verfügung stehende zusätzliche Zeit dazu nutzen, ihre Tätigkeit zu besseren Konditionen zu verkaufen – den daraus erzielten Gewinn müssen sie sich jedoch vollständig auf ihren Annahmeverzugslohnanspruch anrechnen lassen. Etwas anderes gilt nur für Verdienste, die eine außerhalb der im ersten Arbeitsverhältnis geschuldeten Arbeitszeit liegende Tätigkeit vergüten und daher nicht in kausaler Verbindung zum Annahmeverzug stehen.