Nachfolgend ein Beitrag vom 16.11.2016 von Klocke, jurisPR-ArbR 46/2016 Anm. 5

Leitsatz

Nach § 5 Abs. 2 ArbStättV hat der Arbeitgeber nicht rauchende Beschäftigte in Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr nur insoweit vor den Gesundheitsgefahren durch Passivrauchen zu schützen, als die Natur des Betriebs und die Art der Beschäftigung es zulassen. Dies kann dazu führen, dass er nur verpflichtet ist, die Belastung durch Passivrauchen zu minimieren, nicht aber sie gänzlich auszuschließen.

A. Problemstellung

Rauchen im Betrieb ist trotz bestehender Spezialregelungen immer noch ein Streitthema im individuellen und kollektiven Arbeitsrecht. Besteht kein gesetzliches Rauchverbot und übt ein Arbeitgeber sein Gewerbe in zulässiger Weise aus, umfasst die Unternehmerfreiheit grundsätzlich auch die Befugnis, seinen Betrieb einem Publikum zu öffnen, welches während des Besuchs raucht.
Für Arbeitnehmer ist dies misslich. Einerseits sind sie auf den Arbeitsplatz angewiesen, andererseits darf mit der Aufnahme einer Tätigkeit kein pauschales Einverständnis in die Gefährdung hochwertiger Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit angenommen werden. Dem Erfordernis der Auflösung dieses Interessengegensatzes hat der Gesetzgeber die Regelung des § 5 ArbStättV folgen lassen. Die Norm, insbesondere § 5 Abs. 2 ArbStättV, konnte bislang wegen einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe nicht die erforderliche Rechtssicherheit herstellen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger war seit 1993 als Croupier bei einer Spielbank beschäftigt. Die Spielbank verfügt über drei Räume: In einem kleineren Raum darf geraucht werden (Raucherraum), im größeren Raum ist das Rauchen verboten (Nichtraucherraum). Als Besucher gelangt man zunächst in den Nichtraucherraum und von dort aus in den Barbereich, von dem aus man in den Raucherbereich gelangt. Im Barbereich ist das Rauchen gestattet. Diese Räume sind mit Durchgängen ohne Türen verbunden. Vom Nichtraucher- zum Raucherraum gelangt man unmittelbar nur über eine elektronische Tür.
Beide Räume verfügen über eine Klimaanlage und eine Entlüftungsanlage. Im Raucherraum herrscht Unterdruck, so dass Rauch nicht in den Nichtraucherbereich weiterzieht. Im Nichtraucherraum ist der Personalbedarf größer: an Wochenenden etwa 20 Croupiers, gegenüber 16 Croupiers im Raucherraum.
Der Kläger verlangte, im Nichtraucherbereich eingesetzt zu werden und blieb mit dieser Forderung erfolglos. In der Sache betonte das BAG den Schutzauftrag des § 5 ArbStättV. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass Tabakrauch und insbesondere das Passivrauchen zwangsläufig die Gesundheit gefährde. Nach § 5 Abs. 1 ArbStättV ist daher grundsätzlich erforderlich, dass keinerlei Tabakrauch wahrnehmbar sein darf.
Nach § 5 Abs. 2 ArbStättV werde dieser Anspruch jedoch eingeschränkt. Hier kritisierte das Gericht, dass das Landesarbeitsgericht zu hohe Anforderungen an den Sachvortrag des Klägers gestellt hat. Die Frage, welche Schutzmaßnahmen erforderlich und zumutbar sind, sei eine Abwägungsfrage zwischen der Unternehmerfreiheit nach Art. 12 GG und der Schutzpflicht aus Art. 2, 1 GG. Diese Abwägung sei nicht auf eine Missbrauchskontrolle beschränkt.
Ein umfangreiches Rauchverbot könne, so das Gericht, nicht verlangt werden. § 5 Abs. 2 ArbStättV enthalte ein Minimierungsgebot. Dass der Arbeitgeber Arbeitnehmer im Raucherbereich einsetzen könne, die sich hierzu bereit erklärten, sei mit § 5 ArbStättV nicht vereinbar, weil die Norm alle Arbeitnehmer ungeachtet ihrer Einwilligung schützen will. Der Kläger hatte genau hiermit argumentiert. Allerdings unterfallen allein die rauchenden Beschäftigten nicht dem Schutzbereich des § 5 ArbStättV.

C. Kontext der Entscheidung

Das vorliegende Urteil ist die jüngste Entscheidung des BAG zum Problemfeld Rauchen am Arbeitsplatz. Bereits 2009 hat das Gericht eine wichtige Grundsatzentscheidung zugunsten eines tabakfreien Arbeitsplatzes in solchen Betrieben gefällt, für die ein gesetzliches Rauchverbot besteht (BAG, Urt. v. 19.05.2009 – 9 AZR 241/08, m. Anm. Kohte/Bernhard, jurisPR-ArbR 12/2010 Anm. 4). 1999 betonte das Gericht die Bedeutung einer Lösung über eine Betriebsvereinbarung, die die Interessen aller Betroffenen berücksichtigt (BAG, Urt. v. 19.01.1999 – 1 AZR 499/98; zur Bedeutung der Abwägung: Wank in: ErfKomm, 16. Aufl. 2016, Rn. 19). Gleichwohl sind insbesondere die älteren Entscheidungen des BAG (z.B. BAG, Urt. v. 08.05.1996 – 5 AZR 971/94) nur noch eingeschränkt nutzbar, weil sich die rechtlichen Rahmenbedingungen geändert haben (hierzu: Kohte in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2009, § 293 Rn. 22). Das macht auch den Stellenwert des vorliegenden Urteils deutlich.
Grundlage der zu besprechenden Entscheidung war ein Urteil des LArbG Frankfurt (Urt. v. 13.03.2015 – 3 Sa 1792/12, m. Anm. Klocke, jurisPR-ArbR 7/2016 Anm. 44). Insofern bestätigte das Gericht die Kritik an einigen Entscheidungen, zu hohe Anforderungen an den Sachvortrag des klagenden Arbeitnehmers zu stellen. Geht es um die Gefährlichkeit des Passivrauchens, sind die Gerichte bereits völkerrechtlich verpflichtet, diese anzuerkennen und dürfen keinen Nachweis für die Gefährlichkeit verlangen (Wank, in: ErfKomm, § 618 Rn. 16; Reichold, in : Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 85 Rn. 11; zum Problem ausführlich: Oetker in: Staudinger, BGB, 2016, § 618 Rn. 177).
Gegenstand des Verfahrens war der sog. Anspruch auf einen rauchfreien Arbeitsplatz. Das BAG leitet diesen Anspruch aus den §§ 611, 613, 242 BGB i.V.m. Art. 1, 2 GG sowie § 618 BGB, § 5 Abs. 1 ArbStättV ab (BAG, Urt. v. 19.05.2009 – 9 AZR 241/08 – NZA 2009, 775). Im vorliegenden Fall hat das Gericht allein auf § 618 Abs. 1 BGB i.V.m. § 5 ArbStättV abgestellt.
Von der Zuweisung eines rauchfreien Arbeitsplatzes unterscheidet sich die rauchfreie Ausgestaltung eines konkreten Arbeitsplatzes. Gleichwohl kann der einheitlichen Prüfung des BAG gefolgt werden. Nach § 1 Abs. 1 ArbStättV dient die Norm der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Beschäftigten beim Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten. Dieses Begriffspaar verdeutlicht, dass sichere und gesunde Arbeitsstättengestaltung eine Daueraufgabe des Arbeitgebers ist (Kohte in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 293 Rn. 4). Insofern kann der Betrieb der Arbeitsstätte auch darauf hinauslaufen, Arbeitnehmer aus der Arbeitsstätte herauszuhalten.
Was das Rauchen von Arbeitgeber und Kollegen angeht, so verlangt § 5 Abs. 1 ArbStättV alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der nicht rauchenden Belegschaft. Im vorliegenden Urteil konkretisierte das BAG seine strenge Rechtsprechung zu § 5 Abs. 1 ArbStättV: Erforderlich sind Maßnahmen, die eine tabakrauchfreie Atemluft in der Arbeitsstätte gewährleisten. Dazu darf keinerlei Tabakrauch wahrnehmbar sein (vgl. auch BAG, Urt. v. 19.05.2009 – 9 AZR 241/08). Nichtraucher dürfen nicht mit Tabakrauch ihrer Kollegen in Kontakt kommen (Kohte in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 293 Rn. 21).
Von seinem Wortlaut her erfasst § 5 Abs. 1 ArbStättV jedoch auch solche Fälle, in denen nicht nur die Kollegen rauchen, sondern auch das die Geschäftsräume aufsuchende Publikum. Daher überzeugt es im Ansatz, dass das BAG § 5 Abs. 2 ArbStättV als Schranke des Anspruchs auf einen tabakfreien Arbeitsplatz auffasst.
Auf Abs. 2 muss sich der Arbeitgeber nicht berufen, die Norm ist vielmehr von Amts wegen zu prüfen. Das Landesarbeitsgericht hatte dies noch anders gesehen, allerdings ohne weitere Begründung und Stütze in der Literatur. Die Annahme des BAG liegt hingegen ganz auf der Linie der Literatur, die eine Einschränkung der Norm vielmehr über eine restriktive Interpretation („Ausnahmevorschrift“) erreicht (Faber in: Kohte/Faber/Feldhoff, Gesamtes Arbeitsschutzrecht, ArbStättV Rn. 80 a.E.). In der Tat gibt der Wortlaut der Norm wenig für eine Einrede her. Die Lösung des BAG ist zudem geeignet, widersprüchliche gerichtliche Entscheidungen für einen Betrieb zu vermeiden. Überzeugender ist es daher, aus der Norm Anforderungen an den Sachvortrag auf Seiten des Arbeitgebers folgen zu lassen. Er muss vortragen, dass er die Voraussetzungen von Abs. 2 und insbesondere das Minimierungsverbot erfüllt.
Nicht zu folgen ist der Rechtsprechung in der Interpretation des Merkmals „mit Publikumsverkehr“. Das Gericht schloss sich hier einer Lösung in der Literatur (vgl. Kollmer, ArbStättV, 3. Aufl., § 5 Rn. 32) an, dass mit einer Arbeitsstätte mit Publikumsverkehr i.S.v. § 5 Abs. 2 ArbStättV Arbeitsstätten gemeint sind, zu denen Außenstehende (z.B. Kunden und Gäste) Zugang haben und in denen diese Personengruppen üblicherweise aufgrund der Verkehrsanschauung auch zu rauchen pflegen.
Der zweite Teil dieser Formel ist problematisch. Das BAG hat aus den Erlaubnistatbeständen des Hessischen Nichtrauchergesetzes auf ein Recht der Besucher geschlossen, dort rauchen zu dürfen. Das ist indes keinesfalls zwingend und genügt auch nicht, um eine Verkehrssitte zu begründen. Die Norm indiziert die Möglichkeit des Besuchs rauchenden Publikums. Aus ihr ein Recht des Publikums abzuleiten, geht zu weit. Wichtiger aber noch ist die Unsicherheit für die Praxis, die diese Begriffsfassung mit sich bringt.
Bei aller Kritik soll nicht übersehen werden, dass die Rechtsprechung hier eine teleologische Interpretation des Begriffs „Publikumsverkehr“ unternimmt. Das Ziel, das Tatbestandsmerkmal über die Verkehrssitte unmittelbar mit dem Rauchen zu verbinden, führt zu einer restriktiven Interpretation der Vorschrift und steht daher ganz auf der Linie des Nichtraucherschutzes. Zu überlegen ist freilich, ob dieser Schutzzweck nicht besser bei anderen Tatbestandsmerkmalen zur Geltung gebracht und über eine solche Konzentration ein mehr an Rechtssicherheit erreicht werden kann (vgl. auch Kohte in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 293 Rn. 22).
Geht man hiervon aus, so ist Nichtraucherschutz primär über die Tatbestandsmerkmale „nur insoweit“ und „Zulassung durch die Natur des Betriebs und die Art der Beschäftigung“ zu verwirklichen (Krause in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, 7. Aufl. 2016, § 618 BGB Rn. 26; Joussen in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Stand: 01.09.2016, § 618 BGB Rn. 28). Um die gesetzliche Formulierung handhabbar zu machen, ist die Ausrichtung des Betriebs, den er durch die unternehmerische Entscheidung erhalten hat, zugrunde zu legen und einer Minimierungsprüfung zu unterziehen.
Es geht darum, dass Publikumsverkehr ermöglicht wird und andererseits möglichst keinerlei Beeinträchtigung durch Rauch für die Arbeitnehmer entstehen zu lassen. Das kann es auch erforderlich machen, zu prüfen, ob ein Rauchverbot nicht doch erlassen werden muss und der Publikumsverkehr dabei nicht eingeschränkt wird. Wenn Abs. 2 von Schutzmaßnahmen nach Abs. 1 spricht, dann bezieht sich diese Verweisung auch auf Satz 2 und damit auch auf Rauchverbote (vgl. auch Krause in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, § 618 BGB Rn. 26).
Das Wesen des Betriebs mit Publikumsverkehr liegt darin, aus dem Publikumsverkehr einen wirtschaftlichen Mehrwert zu generieren. Entscheidend muss also sein, ob das Publikum den Betrieb noch nutzen kann und der Unternehmer sein unternehmerisches Risiko gegenüber dem gesamten Publikum in einen unternehmerischen Erfolg umsetzen kann. Kohte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Natur des Betriebs von der unternehmerischen Entscheidung und damit auch von den Kundenerwartungen zu unterscheiden ist (Kohte in Münchener Handbuch des Arbeitsrechts, § 293 Rn. 22).
Ordnet man die Minimierungsprüfung dergestalt, lässt sich wiederum die Rechtsprechung des BAG als äußere Grenze auffassen. Wegen des Schutzes der Natur des Betriebs kann der Arbeitnehmer keine nichtraucherschützenden Maßnahmen verlangen, die zu einer Veränderung oder einem faktischen Verbot der rechtmäßigen unternehmerischen Betätigung führen würden (BAG, Urt. v. 08.05.1996 – 5 AZR 971/94 – BB 1996, 2095).
Bemerkenswert ist, dass das BAG seine Rechtsprechung zur Kontrolle der unternehmerischen Entscheidung korrigiert hat (vgl. zuvor BAG, Urt. v. 19.05.2009 – 9 AZR 241/08). Denn auch wenn die Entscheidung als solche zutreffend nur einer Missbrauchskontrolle unterliegt, ist die Entscheidung im Hinblick auf konkrete Umsetzungsmaßnahmen wegen des Schutzes der hochwertigen Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 GG umfassend zu überprüfen. In der Entscheidung aus dem Jahr 2009 hatte das Gericht dies noch anders gesehen. Nunmehr werden die betroffenen Grundrechte in den Grundsatz der praktischen Konkordanz eingestellt (BAG, Urt. v. 19.05.2009 – 9 AZR 241/08; Kohte/Bernhard, jurisPR-ArbR 12/2010 Anm. 4, auch zur Bedeutung der immer noch unterschätzten Gefährdungsbeurteilung).
Freilich macht das Gericht an dieser Stelle wiederum einen Schritt zurück. Bei der Wahl des Mittels zur Minimierung gewährt das BAG dem Arbeitgeber einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Gestaltungsspielraum. Damit bleibt die Disposition des Gesundheitsschutzes zugunsten der Unternehmerfreiheit faktisch zum Teil bestehen, sobald Publikumsverkehr besteht. Diese Aussage ist von hohem praktischen Wert, denn es kann oftmals schon schwierig und mit einem hohen unternehmerischen Risiko behaftet sein, die Anforderungen eines rauchenden Publikums korrekt einzuschätzen und in Einklang mit dem Nichtraucherschutz zu bringen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das Urteil enthält für die Praxis viele wichtige Aussagen: Die Instanzgerichte müssen in Zukunft von der Gefährlichkeit des Rauchens ausgehen und dürfen keine hohen Anforderungen an die Darlegung des Arbeitnehmers stellen. Des Weiteren legt die Rechtsprechung den Grundstein für eine Abwägung von Gesundheitsschutz bzw. Gefährdungspotenzial mit den unternehmerischen Freiheiten.
Die Entscheidung des BAG verdeutlicht weiterhin, dass § 5 ArbStättV als Einheit zu lesen ist. Abs. 2 enthält keine allgemeine Freistellung des Arbeitgebers, sobald Publikumsverkehr besteht. Vielmehr ermöglicht die Norm Abweichungen davon, dass keine Tabakrauchemissionen im Aufenthaltsbereich des nicht rauchenden Beschäftigten nachweisbar oder wahrnehmbar sind. Je stärker Tabakemissionen wahrnehmbar sind und der Publikumsverkehr nicht behindert wird, desto höher sind die Anforderungen, die das Minimierungsgebot des Abs. 2 an den Arbeitgeber stellt.
Durch die vorliegende Entscheidung wurde der Anspruch auf einen tabakfreien Arbeitsplatz weniger zu einem eigenen Recht des Arbeitnehmers, das die Interessen des einzelnen Arbeitnehmers durchsetzen soll, sondern vielmehr ein Teilhaberecht an den Pflichten des Arbeitsschutzes. Das leitet unmittelbar über zur Bedeutung des kollektiven Arbeitsrechts für einen tabakfreien Arbeitsplatz. Die entscheidende Rolle für den Nichtraucherschutz spielen die Betriebsparteien. § 5 ArbStättV formuliert einen Gestaltungsauftrag, den die Betriebsparteien gemeinsam auszufüllen haben (Kohte in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 293 Rn. 24; Oetker in: Staudinger, BGB, § 618 Rn. 182).