Nachfolgend ein Beitrag vom 29.11.2017 von Kielkowski, jurisPR-ArbR 48/2017 Anm. 3

Leitsätze

1. Das Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit kann einen „wichtigen Grund an sich“ i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB zur Kündigung darstellen, wenn der Arbeitnehmer unter Vorlage eines Attests der Arbeit fernbleibt und sich Entgeltfortzahlung gewähren lässt, obwohl es sich in Wahrheit nur um eine vorgetäuschte Krankheit handelt (Anschluss an BAG, Urt. v. 26.08.1993 – 2 AZR 154/93 Rn. 32).
2. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Ihr kommt ein hoher Beweiswert zu. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt (Anschluss an BAG, Urt. v. 26.10.2016 – 5 AZR 167/16 Rn. 17).
3. Im Hinblick auf das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit müssen angesichts des hohen Beweiswertes einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zumindest begründete Zweifel an der Richtigkeit dieser ärztlichen Bescheinigung aufgezeigt werden, um den Beweiswert der Bescheinigung zu erschüttern (Anschluss an BAG, Urt. v. 19.02.2015 – 8 AZR 1007/13 Rn. 25).

A. Problemstellung

Die vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit stellt einen Klassiker einer Vertragspflichtverletzung des Arbeitnehmers dar, die nach ständiger Rechtsprechung zum Ausspruch einer außerordentlichen fristlosen Kündigung geeignet ist. Dessen ungeachtet sind die Hürden für eine solche Kündigung aufgrund der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast mitunter sehr hoch. Die vorliegende Entscheidung des LArbG Köln zeigt, dass eine solche Kündigung selbst dann gerechtfertigt sein kann, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachgewiesen wird.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin beantragte am 14.11.2013 bei der hierfür zuständigen Büroleiterin der Beklagten für den Zeitraum vom 07.01.2014 bis zum 10.01.2014 Erholungsurlaub. Dabei wollte sie am 09.01.2014 an einer Vernissage ihres damaligen Lebensgefährten teilnehmen. Nachdem die Klägerin bis zum 26.11.2013 keine Rückmeldung zu ihrem Urlaubsantrag erhalten hatte, wandte sie sich mit Schreiben vom 26.11.2013 erfolglos an eine Sachbearbeiterin der Beklagten. Auch ein Schreiben der Klägerin an die Geschäftsführung blieb unbeantwortet. Gegenüber einer Mitarbeiterin der Beklagten teilte sie mit, dass sie bei Ablehnung des Antrages auf „keinen Fall“ da sein werde. Auch eine weitere E-Mail an die Geschäftsführung der Beklagten am 18.12.2013 fruchtete nicht. Die Klägerin erhielt vielmehr am selben Tag ihren Urlaubsantrag sowie einen weiteren bis dato unbearbeiteten Urlaubsantrag vom 04.10.2013 unter Hinweis darauf zurück, dass Urlaub mangels einer Vertretungsregelung nicht genehmigt werde. Mit Schreiben vom 27.12.2013 wandte sich die Klägerin nochmals an die Geschäftsführung der Beklagten.
Am 02.01.2014 teilte die Klägerin dann der Beklagten mit, sie sei bis einschließlich 16.01.2014 arbeitsunfähig erkrankt. Der E-Mail war eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ihrer Hausärztin, Frau Dr. K, für den Zeitraum vom 02.01. bis 16.01.2014 angefügt. Die Beklagte beauftragte daraufhin einen Detektiv mit der Überwachung der Klägerin. Dieser führte am 07.01.2014 und 08.01.2014 zu diversen Tages- und Nachtzeiten Kontrollanrufe auf dem Festnetzanschluss der Klägerin durch. Diese wurden nicht beantwortet. Vielmehr stellte der Detektiv durch eigene Beobachtungen vielmehr fest, dass die Klägerin an der Vernissage ihres Lebensgefährten teilnahm. In einer am 22.01.2014 erfolgten Anhörung der Klägerin gab die Klägerin zunächst an, während ihrer Arbeitsunfähigkeit stets zu Hause gewesen zu sein und das Haus nur zu Arztterminen verlassen zu haben. Die Teilnahme an der Vernissage bestritt die Klägerin ausdrücklich.
Die Beklagte kündigte daraufhin das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise unter Einhaltung der Kündigungsfrist zum 31.05.2014. Hiergegen erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage. Sie behauptete, an der Vernissage nur teilgenommen zu haben, weil sie wegen der zu Tag- und Nachtzeiten eingehenden Anrufe nicht allein habe zu Hause bleiben wollte. Das ArbG Köln gab der Klage statt, da nicht feststünde, dass die Klägerin ihre Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht habe. Insbesondere stelle die Teilnahme der Klägerin kein geeignetes Verdachtsmoment dar, da sich daraus nicht der Schluss ziehen lasse, die Klägerin habe stattdessen auch arbeiten können. Soweit die Klägerin im Rahmen der Anhörung die Unwahrheit gesagt habe, sei dieses Verhalten menschlich nachvollziehbar.
Das LArbG Köln hat die Klage dagegen vollumfänglich abgewiesen.
Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts bestand der dringende Verdacht, dass die Klägerin ihre Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum vom 02.01.2014 bis zum 16.01.2014 vorgetäuscht und damit eine schwerwiegende Vertragsverletzung begangen habe. Dies ergebe sich im Streitfall anhand einer Gesamtbetrachtung unterschiedlicher Indizien. So habe die Klägerin für den – vom späteren Zeitraum der ärztlich attestierten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vollständig umfassten – Zeitraum vom 07.01.2014 bis zum 10.01.2014 nicht lediglich am 14.11.2013 Urlaub beantragt und bereits am 26.11.2013 an die Bearbeitung ihres Urlaubsantrags erinnert, sondern sich im Zusammenhang mit der Beantragung des Urlaubs auch mehrfach an die Beklagte gewandt. Sie habe zudem auf die aus ihrer Sicht unbefriedigende Situation im Zusammenhang mit der Gewährung von Erholungsurlaub hingewiesen. Zudem habe sie sich auch nach der erfolgten Ablehnung ihres Urlaubsantrags noch an die Geschäftsführung der Beklagten gewandt und das Prozedere der Urlaubsgewährung bzw. -ablehnung kritisiert. Hintergrund des von der Klägerin begehrten Urlaubs sei ihr Wusch gewesen, ihren Lebensgefährten zu einer Vernissage zu begleiten, die am 09.01.2014 stattfinden sollte. Während der ärztlich attestierten (vermeintlichen) Arbeitsunfähigkeit habe sie sodann ihren Lebensgefährten zu der Vernissage begleitet und so den Kern oder jedenfalls einen wesentlichen Teil dessen erreicht, weshalb sie die Gewährung von Erholungsurlaub beantragt hatte.
Angesichts der Besonderheiten des vorliegend zu beurteilenden Geschehensablaufs in Gestalt eines mehrfach bekräftigten Urlaubsbegehrens, der während des beabsichtigten Urlaubs geplanten Teilnahme an einer Vernissage, der anschließenden Vorlage einer den Zeitraum des ursprünglich begehrten Urlaubs vollständig umfassenden (und sogar darüber hinausgehenden) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und der während des Zeitraums der attestierten Arbeitsunfähigkeit tatsächlich erfolgten Teilnahme an der Vernissage gehe das Landesarbeitsgericht davon aus, dass der Beweiswert der von der Klägerin beigebrachten, von Frau Dr. K ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sei.
Auch wenn im Hinblick auf das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit angesichts des hohen Beweiswertes einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zumindest begründete Zweifel an der Richtigkeit dieser ärztlichen Bescheinigung aufgezeigt werden müssten, lägen diese im Streitfall angesichts des zuvor geschilderten Geschehensablaufs vor. Zwar habe die Beklagte den Beweis des Nichtvorliegens von Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum vom 02.01.2014 bis zum 16.01.2014 durch ein durch das Gericht eingeholtes Sachverständigengutachten nicht erbracht. Doch sei das Sachverständigengutachten aber auch nicht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin im fraglichen Zeitraum tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war. Daher blieben Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin, die den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschütterten. Diese Zweifel seien durch die Vernehmung der behandelnden Hausärztin nicht beseitigt worden. Denn diese habe die Klägerin letztlich weitgehend aufgrund deren eigener Angaben für arbeitsunfähig gehalten, ohne eine objektive Diagnose zu stellen. Sie konnte insbesondere keine konkreten Angaben zu ihrer diagnostischen Vorgehensweise machen, sondern habe sich nur allgemein auf ihre Erfahrungen berufen. Verstärkt werde der dringende Verdacht schließlich durch die unwahre Bekundung der Klägerin in der Anhörung, sie habe an der Vernissage nicht teilgenommen.
Einer Abmahnung bedurfte es vorliegend nicht, da die Pflichtverletzung so schwer wiege, dass eine Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich – und auch für die Klägerin erkennbar – ausgeschlossen sei. Auch die Interessenabwägung ginge zulasten der Klägerin, da die Pflichtverletzung so schwerwiegend sei, dass das Beendigungsinteresse der Beklagten gegenüber dem Fortsetzungsinteresse überwiege.

C. Kontext der Entscheidung

Die vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit stellt grundsätzlich eine erhebliche und auch als Betrugstatbestand strafbare Pflichtverletzung dar, die geeignet ist, einen Kündigungsgrund i.S.d. § 626 BGB zu begründen (vgl. grundlegend BAG, Urt. v. 26.08.1993 – 2 AZR 154/93 Rn. 32). In der Praxis sehen sich Arbeitgeber aber regelmäßig mit der Schwierigkeit der bestehenden Verteilung der Darlegungs- und Beweislast konfrontiert. Hiernach muss der Arbeitgeber darlegen, dass der Arbeitnehmer unentschuldigt gefehlt hat und somit gerade nicht wegen Krankheit ferngeblieben ist. Dagegen muss der Arbeitnehmer nach § 138 Abs. 2 ZPO substantiiert vortragen, warum sein Fehlen als entschuldigt anzusehen ist. Erfolgt der Nachweis durch ein ärztliches Attest, sind die Hürden für den Arbeitgeber ungleich höher. Denn der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ist regelmäßig durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Aufgrund ihres hohen Beweiswerts kann der Tatrichter normalerweise den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt (st. Rspr., vgl. nur BAG, Urt. v. 26.02.2003 – 5 AZR 112/02 Rn. 33 – BAGE 105, 171; BAG, Urt. v. 25.05.2016 – 5 AZR 318/15 Rn. 21).
Etwas anderes gilt nur dann, wenn zumindest begründete Zweifel an der Richtigkeit dieser ärztlichen Bescheinigung aufgezeigt werden, um den Beweiswert der Bescheinigung zu erschüttern (vgl. etwa BAG, Urt. v. 19.02.2015 – 8 AZR 1007/13 Rn. 25). Eine solche Erschütterung der Beweiswirkung nahm das Landesarbeitsgericht vorliegend nachvollziehbar an. Anders wäre die Wertung wohl ausgefallen, wenn sich aus der Vernehmung der Ärztin eine objektiv nachvollziehbare Diagnose und eine Krankheitsursache ergeben hätten. Zwar kommt es grundsätzlich für die Wirksamkeit der Kündigung darauf an, dass die Tatsachen, die die Kündigung rechtfertigen, zum Zeitpunkt ihres Zugangs vorgelegen haben (BAG, Urt. v. 24.03.2011 – 2 AZR 790/09). Doch soll es nach der Rechtsprechung des BAG möglich sein, den Verdacht im Laufe des Kündigungsschutzprozesses bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz auszuräumen (BAG, Urt. v. 23.10.2014 – 2 AZR 644/13).
Auch der Umstand, dass die Beklagte zur Aufklärung des Verdachts einen Privatdetektiv einschaltete, war hier nicht zu beanstanden. Eine solche Überwachung kann nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG gerechtfertigt sein, wenn i) zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, ii) die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und iii) das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind. Im Hinblick auf die vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit müssen begründete Zweifel an der Richtigkeit einer ärztlichen Bescheinigung aufgezeigt werden, um den Beweiswert der Bescheinigung zu erschüttern (BAG, Urt. v. 19.02.2015 – 8 AZR 1007/13). Eine Beobachtung durch einen Detektiv ist daher erst dann zulässig, wenn zunächst aufgrund anderer Umstände konkrete Hinweise für eine Unregelmäßigkeit bestehen. Zwar genügt hierfür bereits ein „einfacher Verdacht“, um weitere Aufklärungsmaßnahmen zu rechtfertigen (vgl. BAG, Urt. v. 29.06.2017 – 2 AZR 597/16), doch wird stets zu prüfen sein, ob zunächst die Einschaltung des medizinischen Dienstes nach § 275 Abs. 1a Satz 3 SGB V (vgl. hierzu BAG, Urt. v. 28.05.2009 – 8 AZR 226/08) ein milderes, gleich wirksames Mittel darstellt, um die Arbeitsfähigkeit festzustellen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die vorliegende Entscheidung ist nach Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde durch das BAG zwischenzeitlich rechtkräftig geworden. Auch wenn sie einen Einzelfall darstellt, so zeigt sie doch, dass die Beweiswirkung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung grundsätzlich erschüttert werden kann. Voraussetzung für eine erfolgreiche Erschütterung ist aber eine umfassende gerichtsfeste Dokumentation der bestehenden Verdachtsmomente. Hierbei ist insbesondere der Grundsatz der Erforderlichkeit bei der Wahl der Aufklärungsmittel zu beachten, um die Gefahr einer datenschutzwidrigen Maßnahme und einem hieraus resultierenden Sachvortrags- bzw. Beweisverwertungsverbot (vgl. hierzu zuletzt etwa BAG, Urt. v. 29.06.2017 – 2 AZR 597/16) zu vermeiden.
Da die Erschleichung der Arbeitsunfähigkeit oftmals nicht abschließend nachgewiesen werden kann, sollte die Kündigung in Form einer Tat- sowie hilfsweisen Verdachtskündigung ausgesprochen werden.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Neben der Frage der Wirksamkeit der Kündigung hatte das LArbG Köln darüber zu befinden, ob die Klägerin zur Erstattung der angefallenen Detektivkosten verpflichtet war. Dies bejahte das Landesarbeitsgericht im Anschluss an die ständige Rechtsprechung des BAG. Hiernach sind die Detektivkosten nicht nur in Fällen, in denen der Arbeitnehmer durch die Observation positiv überführt wird, zu erstatten. Eine solche Verpflichtung besteht auch dann, wenn die ermittelten Tatsachen zu so einem schwerwiegenden Verdacht einer vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung führen, dass eine deswegen ausgesprochene Kündigung im Sinne einer Verdachtskündigung als begründet angesehen werden muss (BAG, Urt. v. 26.09.2013 – 8 AZR 1026/12 Rn. 21). Dies war vorliegend aufgrund der berechtigten Verdachtskündigung der Fall.

Außerordentliche Kündigung bei vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit
Matthias FrankRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht
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