Nachfolgend ein Beitrag vom 1.2.2017 von Busch, jurisPR-ArbR 5/2017 Anm. 2

Leitsätze

1. Die in § 33 Abs. 2 TV-L für den Fall einer vom Rentenversicherungsträger festgestellten vollen Erwerbsminderung auf unbestimmte Dauer geregelte auflösende Bedingung tritt nicht ein, wenn der Arbeitnehmer, dessen vertraglich vereinbarte Arbeitspflicht weniger als drei Stunden täglich beträgt, seine geschuldete Arbeitsleistung noch erbringen kann und er seine Weiterbeschäftigung – entsprechend den Frist- und Formerfordernissen des § 33 Abs. 3 TV-L – vom Arbeitgeber verlangt hat.
2. Für das Weiterbeschäftigungsverlangen gegenüber dem Arbeitgeber ist die Einhaltung der Textform nach § 126b BGB ausreichend.

A. Problemstellung

Die Entscheidung befasst sich mit der Frage, ob eine im Tarifvertrag vorgesehene Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente auch dann eintritt, wenn nur zwei Wochenstunden als Arbeitsleistung geschuldet sind.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

In der Sache ging es um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen der Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente. Dem Kläger war eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannt worden. Auf das Arbeitsverhältnis ist der TV-L anwendbar, dessen § 33 bestimmt:
„Das Arbeitsverhältnis endet ferner mit Ablauf des Monats, in dem der Bescheid eines Rentenversicherungsträgers (Rentenbescheid) zugestellt wird, wonach die/der Beschäftigte voll oder teilweise erwerbsgemindert ist.“
Erwerbsgeminderten wird mithin nicht etwa die Option der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingeräumt, dies soll nach dem Willen der Tarifvertragsparteien vielmehr einen Automatismus darstellen.
Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem Jahr 1980 geringfügig beschäftigt, zuletzt in einem Umfang von zwei Stunden pro Woche. Nachdem die Klägerin die Beklagte über die Rentenbewilligung informiert hatte, teilte die Beklagte der Klägerin mit, das Arbeitsverhältnis habe mit der Rentenbewilligung geendet.
Die Klägerin war hiermit nicht einverstanden und erhob Feststellungsklage. Sie vertrat die Ansicht, bei einem derart geringen Stundenumfang finde § 33 TV-L keine Anwendung. Die Tarifvertragsparteien hätten offenkundig nicht bedacht, dass eine volle Erwerbsminderungsrente schon dann gewährt wird, wenn dem Betroffenen keine Erwerbstätigkeit von mehr als drei Stunden täglich mehr zugemutet werden kann. Bei einem Arbeitsverhältnis von zwei Wochenstunden stelle die Zuerkennung einer Erwerbsminderungsrente keinen nachvollziehbaren Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar. Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen.
Die Revision war erfolgreich. Das BAG hat die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Es konnte nicht selbst entscheiden, da keine Feststellungen dazu vorlagen, ob die Klägerin nach dem festgestellten noch vorhandenen Leistungsvermögen ihre geschuldete Tätigkeit von zwei Wochenstunden noch erbringen konnte. Das BAG führt im Wesentlichen Folgendes aus:
I. Bei der tariflichen Vorschrift handele es sich um eine auflösende Bedingung im Sinne des TzBfG, so dass für die Feststellungsklage die Drei-Wochen-Frist der §§ 17 i.V.m. 21 TzBfG gelte. Diese sei eingehalten.
II. Der TV-L sei auch auf Beschäftigte mit lediglich zwei Wochenstunden anwendbar, wenn diese so wie die Klägerin regelmäßig beschäftigt werden. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei auch § 33 TV-L auf das Arbeitsverhältnis anwendbar. Dieser gelte auch für Beschäftigungsverhältnisse mit einem Umfang von weniger als drei Stunden täglich. Die Vorinstanzen hätten jedoch rechtsfehlerhaft angenommen, die automatische Beendigung eines Arbeitsverhältnisses trete in jedem Fall auch dann ein, wenn eine Arbeitsleistung von weniger als drei Stunden täglich geschuldet ist.
Grundsätzlich stelle die Feststellung einer vollen Erwerbsminderung auf unbestimmte Dauer einen sachlichen Grund dar, der eine auflösende Bedingung wie § 33 TV-L rechtfertige. Auch tarifliche Bestimmungen seien insoweit an den Grundsätzen des TzBfG zu messen. Die auflösende Bedingung beruhe auf der Annahme, die geschuldete Arbeitsleistung könne nicht mehr erbracht werden, wenn eine volle Erwerbsminderung festgestellt sei. Dies könne einen sachlichen Grund darstellen.
Die Vorschrift des § 33 TV-L sei jedoch wegen der in Art. 12 GG geschützten Berufsfreiheit verfassungskonform in der Weise auszulegen, dass sie bei Beschäftigungsverhältnissen von weniger als drei Stunden täglich eingeschränkt ist, sofern die Beschäftigten ihre geschuldete Leistung noch erbringen können und ihre Weiterbeschäftigung verlangt haben.
Zur Begründung führt das BAG aus, bei derartigen Arbeitsverhältnissen könne aus der Rentenbewilligung nicht geschlossen werden, dass die Beschäftigten ihre geschuldeten Leistungen nicht mehr erbringen können. Dies ist offenkundig; die Rentenbewilligung setzt ja an dem Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich an.
Eine verfassungskonforme Auslegung der Tarifbestimmung verlange deshalb, dass dem Beschäftigten die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung eingeräumt wird, wenn er „trotz der Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach den Feststellungen des Rentenversicherungsträgers dazu in der Lage ist, im arbeitsvertraglich geschuldeten Umfang seine Arbeitsleistung zu erbringen und er – entsprechend den Frist- und Formerfordernissen des § 33 Abs. 3 TV-L – seine Weiterbeschäftigung vom Arbeitgeber verlangt.“
Verlange der rentenberechtigte Arbeitnehmer seine Weiterbeschäftigung, habe der Arbeitgeber zu prüfen, ob das vom Rentenversicherungsträger festgestellte Leistungsvermögen für eine Beschäftigung ausreiche. Nur wenn dies nicht der Fall sei, liege ein sachlicher Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor.
Das Landesarbeitsgericht habe insoweit nach der Zurückverweisung zu prüfen, ob der Rentenversicherungsträger festgestellt habe, inwieweit der Klägerin ein Einsatz im Umfang von zwei Wochenstunden noch möglich sei.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung ist im Ergebnis zu begrüßen, die Ausführungen des BAG werfen jedoch einige Fragen auf.
I. Das BAG führt aus, die auflösende Bedingung solle dann nicht eintreten, wenn der Rentenversicherungsträger festgestellt habe, dass das Restleistungsvermögen die geschuldete Tätigkeit noch ermöglicht. Dies wäre nur dann praktikabel, wenn derartige Feststellungen im Rentenverfahren getroffen werden würden. Tatsächlich befassen sich die ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten im Rentenverfahren häufig nur mit der Frage, ob ein Restleistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt von mehr oder weniger als drei Stunden vorliegt. Ob eine Tätigkeit im Umfang von zwei Wochenstunden auf einem bestimmten Arbeitsplatz ausgeübt werden kann, ist keine Frage, die bei der Rentenbewilligung eine Rolle spielt.
II. Es bestehen grundsätzliche Zweifel an der Zulässigkeit von Bestimmungen, nach denen ein Arbeitsverhältnis automatisch endet, wenn eine unbefristete volle Erwerbsminderung festgestellt wurde.
Was die geschuldete Tätigkeit ist, bestimmt sich nicht nur aus dem jeweiligen Arbeitsvertrag, sondern auch danach, welche Modifizierungen dieses Vertrags das Gesetz dem Arbeitgeber zumutet, um die Beschäftigung des jeweils Betroffenen zu erhalten.
Wer nur noch weniger als drei Stunden am Tag arbeiten kann, wird in aller Regel in seiner körperlichen Funktion, geistigen Fähigkeit oder seelischen Gesundheit von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen; die verminderte Leistungsfähigkeit führt auch zu einer Einschränkung für den Betroffenen am Leben in der Gesellschaft. Die Betroffenen von derartigen Vorschriften sind mithin regelmäßig Menschen, die i.S.d. § 2 SGB IX behindert sind.
Die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gegen den Willen des Beschäftigten stellt eine weniger günstige Behandlung i.S.d. § 3 AGG dar, und diese setzt exakt an denjenigen Umständen an (Leistungseinschränkung auf Dauer), welche auch die Behinderung definieren. Es handelt sich mithin um eine unmittelbare Benachteiligung wegen der Behinderung, die nur gerechtfertigt sein könnte, wenn sie angemessen und durch hinreichende Gründe notwendig wäre. Dies gilt auch für Bestimmungen in Tarifverträgen (§ 7 Abs. 2 AGG).
Das BAG (Urt. v. 14.01.2015 – 7 AZR 880/13) hält derartige Vorschriften für mit dem AGG vereinbar, hat jedoch bislang auf eine Vorlage an den EuGH hierzu verzichtet.
Das BAG hat bereits festgestellt, dass Arbeitgeber auch bei Behinderten, bei denen keine Schwerbehinderteneigenschaft festgestellt wurde, zu angemessenen Vorkehrungen i.S.d. Art. 5 RL 2000/78/EG i.V.m. Art. 27 Abs. 1 Satz 2 lit. i, Art. 2 Unterabs. 4 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verpflichtet sind (BAG, Urt. v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12). Zu derartigen angemessenen Vorkehrungen kann es auch gehören, die geschuldete Arbeitszeit auf das dem Beschäftigten mögliche Maß zu reduzieren, sofern dies dem Arbeitgeber nicht unzumutbar ist (EuGH, Urt. v. 11.04.2013 – C-335/11). Unabhängig von der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit kann mithin jederzeit ein Anspruch darauf bestehen, nur noch im Umfang des Restleistungsvermögens beschäftigt zu werden.
Dass derartige tarifliche Regelungen angemessen und notwendig sind, ist nicht recht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als durch die Tarifvertragsparteien keinerlei Bezug zur Höhe der Erwerbsminderungsrente hergestellt wird, diese muss also nicht existenzsichernd sein, um das Arbeitsverhältnis zu beenden. Der Beschäftigte kann nach einer Rentenbewilligung jederzeit kündigen oder einen Aufhebungsvertrag schließen, muss mithin nicht davor geschützt werden, sein Leistungsvermögen übersteigende Tätigkeiten verrichten zu müssen. Auch der Arbeitgeber kann kündigen, wenn er darlegen kann, dass der Beschäftigte seine vertraglich geschuldete Leistung nicht mehr erbringen kann und eine Umgestaltung der Arbeitsorganisation ihm nicht möglich oder nicht zumutbar ist.
Bei einer Beendigung durch Arbeitgeberkündigung ist der Arbeitnehmer durch die Beteiligung der Interessenvertretung und das KSchG jedenfalls im Ansatz geschützt. Bei einer automatischen Beendigung durch Tarifvertrag ist dies nicht der Fall. Es ist nicht ersichtlich, weshalb es zulässig sein könnte, Behinderten mit Rentenberechtigung den Erhalt des Arbeitsplatzes unnötig zu erschweren. Insbesondere die Gewerkschaften als Tarifvertragsparteien sollten derartige Regelungen vor dem Hintergrund des Diskriminierungsschutzes für Behinderte überdenken.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung wirkt sich nur auf tarifgebundene Arbeitsverhältnisse aus, die eine Arbeitsleistung von weniger als drei Stunden am Tag vorsehen. Die praktische Bedeutung dürfte überschaubar bleiben.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Die Entscheidung setzt sich recht umfangreich mit der Frage auseinander, inwieweit für das Verlangen nach Weiterbeschäftigung gegenüber dem Arbeitgeber das Schriftformerfordernis des § 126 BGB gilt und verneint diese Frage.