Nachfolgend ein Beitrag vom 16.5.2018 von Bissels/Falter, jurisPR-ArbR 20/2018 Anm. 6

Leitsatz

Wird ein Leiharbeitnehmer „fest“ an einen Entleiher überlassen, ohne dass die Möglichkeit zu einem anderweitigen Einsatz besteht, ist der Verleiher berechtigt, das für den Leiharbeitnehmer eingerichtete tarifliche Arbeitszeitskonto mit Minusstunden zu belasten, wenn der Arbeitnehmer vom Entleiher mangels Bedarf nicht eingesetzt wird. Etwas anderes gilt nur für sog. verleihfreie Zeiten, da das Arbeitszeitkonto nicht dazu eingesetzt werden darf, unter Umgehung von § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG das vom Verleiher zu tragende Beschäftigungsrisiko auf den Leiharbeitnehmer abzuwälzen (BAG, Urt. v. 16.04.2014 – 5 AZR 483/12).

A. Problemstellung

Die Errichtung eines Arbeitszeitkontos zum Ausgleich von Plus- und Minusstunden ist ein in der Praxis anerkanntes Vehikel, um seitens des Arbeitgebers auf Schwankungen im Arbeitsvolumen reagieren zu können; für den Arbeitnehmer ist dies in der Regel nicht nachteilig, da dieser – unabhängig von den (nicht) geleisteten Arbeitsstunden – ein verstetigtes Entgelt erhält. Auch in der Zeitarbeitsbranche sind Arbeitszeitkonten weit verbreitet. Sie finden aufgrund der in nahezu sämtlichen mit Zeitarbeitnehmern abgeschlossenen Arbeitsverträgen durch die Inbezugnahme der Tarifwerke der Zeitarbeit – zur Abbedingung des Equal Pay- und Equal Treatment-Grundsatzes gemäß § 8 Abs. 2, 4 Satz 1 AÜG – Anwendung (konkret geregelt in § 4 MTV BAP/DGB bzw. § 3 MTV iGZ/DGB). Mit einer gewissen Beständigkeit sind die Arbeitsgerichte dabei immer wieder mit der Frage befasst, ob der Personaldienstleister berechtigt ist, überlassungsfreie Zeiten als Minusstunden in das Arbeitszeitkonto des Zeitarbeitnehmers einzustellen; dies wird teilweise wegen des Verstoßes gegen § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG als unzulässig angesehen (vgl. die Nachweise bei: Bissels, jurisPR-ArbR 39/2016 Anm. 5). Das LArbG Köln musste sich in diesem Zusammenhang mit der besonderen Konstellation beschäftigen, ob Minusstunden in das Arbeitszeitkonto gebucht werden können, wenn die zwischen Zeitarbeitnehmer und Personaldienstleister vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit aufgrund erheblicher Arbeitszeitschwankungen beim Kunden, von denen die Stammbelegschaft gleichermaßen betroffen ist, nicht erreicht wird. Wie auch das ArbG Köln in der ersten Instanz (Urt. v. 03.08.2016 – 3 Ca 82/16 m. Anm. Bissels, jurisPR-ArbR 39/2016 Anm. 5), sah das LArbG Köln zu Recht keinen Anspruch des Zeitarbeitnehmers auf die Gutschrift der entsprechenden Minusstunden.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der klagende Zeitarbeitnehmer wurde seit Beginn des Arbeitsverhältnisses ab dem 05.01.2015 durchgehend an eine Flughafengesellschaft (nachfolgend: Kunde) überlassen. In dem Arbeitsvertrag ist eine Verweisung auf die Tarifverträge BAP/DGB vorgesehen. Für den Kläger ist nach Maßgabe der tariflichen Bestimmungen ein Arbeitszeitkonto eingerichtet worden.
Nach § 4.2 MTV BAP/DGB wird zum Ausgleich der monatlichen Abweichungen zwischen der vereinbarten individuellen regelmäßigen (hier: 130 Stunden/Monat) und der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit ein Arbeitszeitkonto geführt, in das Plus- und Minusstunden eingestellt werden. Das Arbeitszeitkonto darf gemäß § 4.3 MTV BAP/DGB maximal 200 Plusstunden umfassen; eine vergleichbare Untergrenze für Minusstunden existiert nicht. Nach § 4.4 MTV BAP/DGB findet spätestens nach 12 Monaten ein sog. Nulldurchgang mit einem entsprechenden Ausgleich des Arbeitszeitkontos statt. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgt dieser nach Maßgabe von § 4.6 MTV BAP.
In der ersten Jahreshälfte 2015 zeigten sich bei den vom Kunden geforderten Arbeitszeiten sowohl für dessen Stammbelegschaft als auch für das Drittpersonal, wie dem Kläger, erhebliche Schwankungen. Dies lag an massiv rückläufigen Fluggastzahlen. Der Kläger war in dieser Zeit durchgängig an den Kunden überlassen worden. Die vereinbarte Mindestarbeitszeit des Klägers konnte zumindest in zwei Monaten nicht erreicht werden. Die Beklagte buchte daraufhin entsprechende Minusstunden in das Arbeitszeitkonto ein, deren Gutschrift der Kläger (insgesamt: 88,33 Stunden) nunmehr durchzusetzen versucht. Das Arbeitsgericht wies die Klage in diesem Zusammenhang ab (ArbG Köln, Urt. v. 03.08.2016 – 3 Ca 82/16 m. Anm. Bissels, jurisPR-ArbR 39/2016 Anm. 5).
Die hiergegen vom Kläger eingelegte Berufung blieb vor dem LArbG Köln ohne Erfolg.
Aufgrund der arbeitsvertraglichen Bezugnahme finde der MTV BAP/DGB Anwendung. Der ausschließlich und verbindlich an den Kunden der Beklagten überlassene Kläger habe in den Monaten Mai und Juni 2015 lediglich 68,25 bzw. 103,42 Stunden gearbeitet. Hieraus errechne sich gegenüber der vereinbarten regelmäßigen monatlichen Arbeitszeit eine Differenz von 88,33 Stunden. Diese habe die Beklagte berechtigterweise gemäß § 4.2 MTV BAP in das Arbeitszeitkonto des Klägers als Minusstunden eingestellt.
Die Berücksichtigung der Minusstunden des Klägers verstoße nicht gegen § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG i.V.m. § 615 BGB. Danach könne das Recht des Zeitarbeitnehmers auf Vergütung bei Annahmeverzug des Personaldienstleisters durch Vertrag nicht aufgehoben oder beschränkt werden. Es solle sichergestellt werden, dass das Zeitarbeitsunternehmen das von ihm zu tragende Beschäftigungsrisiko nicht auf den Arbeitnehmer abwälze. Dabei dürfe insbesondere die Einführung eines Arbeitszeitkontos nicht dazu genutzt werden, § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG zu umgehen. Dementsprechend seien Regelungen unwirksam, die es dem Personaldienstleister ermöglichten, in verleihfreien Zeiten einseitig das Arbeitszeitkonto abzubauen (BAG, Urt. v. 16.04.2014 – 5 AZR 483/12; LArbG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 17.12.2014 – 15 Sa 982/14). Dieser Rechtsprechung schließt sich das LArbG Köln an.
Bei Anwendung dieser Grundsätze auf vorliegenden Fall sei ein Verstoß gegen § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG allerdings nicht feststellbar. Anders als in dem vom BAG entschiedenen Sachverhalt habe die Beklagte gerade keine verleihfreien Zeiten zulasten des Klägers auf dessen Arbeitszeitkonto berücksichtigt. Dieser sei vielmehr in den streitbefangenen Monaten unstreitig „fest“ an den Flughafen überlassen worden. Nach den vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Beklagten und ihrem Kunden konnte Letztgenannter über den Kläger jedenfalls im Umfang seiner vertraglich geschuldeten Mindestarbeitszeit uneingeschränkt verfügen. Seitens der Beklagten habe keine Möglichkeit bestanden, den Kläger in Zeiten, in denen er von dem Kunden nicht eingesetzt worden sei, anderweitig zu überlassen. Damit handele es sich bei den streitbefangenen Minusstunden gerade nicht um verleihfreie Zeiten. Die Beklagte verlagere durch die Einstellung solcher Minusstunden in das Arbeitszeitkonto nicht unzulässigerweise das ihr grundsätzlich zukommende Beschäftigungsrisiko auf den Kläger, sondern es realisiere sich vielmehr lediglich das allgemeine Beschäftigungsrisiko im Betrieb des Kunden, das gerade durch die Regelungen des Arbeitszeitkontos aufgefangen werden solle. Der Kläger sei demgemäß bei diesen Minusstunden in gleicher Weise wie die Stammbelegschaft der Flughafenbetreibergesellschaft betroffen, für die bei entsprechender Vereinbarung eine Einstellung solcher Minusstunden in ein Arbeitszeitkonto rechtlich unbedenklich wäre (ebenso: Bissels, jurisPR-ArbR 39/2016 Anm. 5).
Schließlich entstehe durch die Regelung zum Arbeitszeitkonto in § 4 MTV BAP/DGB keine unverhältnismäßige Belastung des Klägers insoweit, als dass dort keine Begrenzung für Minusstunden vorgesehen sei. Zwar könne danach bei einem „fest“ überlassenen Arbeitnehmer und bei dessen entsprechend geringem Einsatz durch den Kunden über einen längeren Zeitraum ein erheblicher Saldo auf dem Arbeitszeitkonto entstehen. Dies erscheine allerdings unbedenklich, da dieses im fortbestehenden Arbeitsverhältnis nach § 4.4 MTV BAP/DGB spätestens nach 12 Monaten auf Null gesetzt werde bzw. aufgelaufene Minusstunden bei einem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis nur bei einer Eigenkündigung sowie bei einer außerordentlichen Kündigung im begrenzten Umfang von 35 Stunden berücksichtigt würden.

C. Kontext der Entscheidung

Das LArbG Köln hat die Berufung des Zeitarbeitnehmers hinsichtlich der begehrten Gutschrift der Minusstunden auf dessen Arbeitszeitkonto mit überzeugenden Erwägungen zurückgewiesen. Dabei geht das Landesarbeitsgericht zu Recht davon aus, dass die mitunter von der Rechtsprechung vertretene Ansicht, nach der es eine unzulässige Umgehung von § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG sei, in verleihfreien Zeiten Minusstunden in das Arbeitszeitkonto zu buchen (vgl. die Nachweise bei Bissels, jurisPR-ArbR 39/2016 Anm. 5), vorliegend nicht einschlägig ist. Der Kläger war in dem streitbefangenen Zeitraum durchgängig an den Kunden überlassen, er konnte dort aber aufgrund der bei diesem auftretenden Arbeitszeitschwankungen nicht bis zur Ausschöpfung seiner vertraglich vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit eingesetzt werden. Diese betrafen gleichermaßen die Stammbelegschaft. Zudem konnte der Kunde – wohl aufgrund der mit dem Personaldienstleister getroffenen Vereinbarung – bis zu 130 Stunden im Monat über die Arbeitskraft des Zeitarbeitnehmers verfügen, ohne dass für den Dienstleister die Möglichkeit bestanden hätte, dem Kläger – ohne Zustimmung des Kunden – überhaupt einen anderweitigen Einsatz zuzuweisen. Der Zeitarbeitnehmer befand sich daher durchgängig im Einsatz bei dem Kunden und gerade nicht in einer verleih- bzw. überlassungsfreien Zeit. Es handelt sich daher nicht um Minusstunden, die dadurch entstehen, dass der Personaldienstleister den Kläger nicht überlassen kann, und damit auch nicht um eine typische Gefahrenlage der Zeitarbeit. Der Kläger konnte vielmehr – wie bereits das ArbG Köln zu Recht feststellte – aufgrund einen schwankenden Auftragslage wie jeder andere Mitarbeiter des Flughafens nicht kontinuierlich eingesetzt werden. Die arbeitszeitrechtliche Situation des Klägers unterscheidet sich in diesem Fall nicht von der der gleichermaßen betroffenen Stammbelegschaft des Kunden. Zudem ist zu berücksichtigen, dass dem Kläger durch die Einbuchung der Minusstunden – zumindest wirtschaftlich – kein Nachteil entstanden ist, hat er doch in den streitbefangenen Monaten sehr wohl das Entgelt für die vereinbarten 130 Stunden/Monat erhalten.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Problematik der Anwendung von Arbeitszeitkonten in der Zeitarbeit wird voraussichtlich bald wieder das BAG befassen. Das LArbG Köln hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Revision zugelassen, die seitens des Klägers inzwischen eingelegt worden ist. Diese wird beim BAG unter dem Az. 5 AZR 212/18 geführt. Der insoweit zuständige Fünfte Senat hat sich im Jahr 2014 bereits mit der Frage der Einbuchung von Minusstunden in das Arbeitszeitkonto eines Zeitarbeitnehmer befassen müssen (BAG, Urt. v. 16.04.2014 – 5 AZR 483/12 m. Anm. Bissels, jurisPR-ArbR 34/2014 Anm. 1) und dort den allgemeinen, in dem entschiedenen Fall aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls aber nicht zum Tragen kommenden Grundsatz geprägt, dass „das Arbeitszeitkonto im Leihverhältnis allerdings nicht dazu eingesetzt werden darf, § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG zu umgehen und das vom Verleiher zu tragende Beschäftigungsrisiko auf den Leiharbeitnehmer abzuwälzen. Regelungen, die es dem Verleiher ermöglichen, in verleihfreien Zeiten einseitig das Arbeitszeitkonto abzubauen, sind unwirksam.“ In dem hiesigen, vom LArbG Köln entschiedenen Sachverhalt sind die tatsächlichen Umstände jedoch – wie bereits dargestellt – so gelagert, dass bei dem Kläger gerade keine verleihfreien Zeiten vorgelegen haben. Insoweit ist davon auszugehen, dass auch die vom Zeitarbeitnehmer eingelegte Revision keinen Erfolg haben wird.

Belastung des Arbeitszeitkontos eines Zeitarbeitnehmers mit Minusstunden bei andauerndem Einsatz zulässig
Andrea KahleRechtsanwältin

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