Nachfolgend ein Beitrag vom 11.4.2018 von Rüschenbaum, jurisPR-ArbR 15/2018 Anm. 1

Orientierungssätze

1. Sieht ein tarifliche Regelung vor, dass Zeiten nach der Vollendung des 60. Lebensjahres bei der Berechnung einer Betriebsrente nicht mehr berücksichtigt werden, ist die hierdurch bewirkte unmittelbare Ungleichbehandlung nach § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG gerechtfertigt.
2. § 6 Abs. 2 Tarifvertrag Nr. 15 über die Betriebliche Altersversorgung der Deutschen Post AG vom 29.10.1996 führt nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung von Frauen.

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Die Festlegung einer Altersgrenze in einer Versorgungsordnung, bis zu der berücksichtigungsfähige Beschäftigungszeiten erbracht werden können, dient der besseren Begrenzung und Kalkulierbarkeit der wirtschaftlichen Belastungen des Arbeitgebers. Dies hält sich im Rahmen eines legitimen Ziels i.S.v. § 10 Satz 1 AGG.
2. Die Regelung in einer Versorgungsordnung, dass nach Vollendung des 60. Lebensjahres erbrachte Beschäftigungszeiten nicht berücksichtigungsfähig sind, kann angemessen i.S.v. § 10 Satz 2 AGG sein.

A. Problemstellung

Die betriebliche Altersversorgung gewinnt als zusätzliche wirtschaftliche Absicherung im Alter neben der gesetzlichen Rentenversicherung zunehmend an Bedeutung. Derzeit sind jedoch – nicht zuletzt aufgrund aktueller gesetzlicher Neuregelungen wie der Einführung der reinen Beitragszusage – noch viele Rechtsfragen offen. In einer aktuellen Entscheidung hat das BAG nun dazu Stellung genommen, ob in einer Versorgungsordnung Altersgrenzen festgelegt werden dürfen, bei deren Überschreitung die Beschäftigungszeiten nicht mehr zur Berechnung der Betriebsrente herangezogen werden.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien streiten über die Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten nach Vollendung des 60. Lebensjahres bei der Berechnung einer Betriebsrente.
Die 1948 geborene Klägerin war von Oktober 1988 bis Ende Juni 2013 bei der Beklagten beschäftigt. Seit dem 01.07.2013 bezieht die Klägerin eine Betriebsrente nach dem anwendbaren Tarifvertrag. Gemäß § 6 dieses Tarifvertrags gelten als anrechenbare Beschäftigungsmonate die Monate, in denen ein Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis mit Anspruch auf Entgelt zur Beklagten stand. Beschäftigungsmonate nach Vollendung des 60. Lebensjahres sollen unberücksichtigt bleiben. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass § 6 des Tarifvertrags eine nicht gerechtfertigte unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters bewirke. Sie verlangt Zahlung von 342,96 Euro und hat beantragt festzustellen, dass Beschäftigungsmonate nach Vollendung des 60. Lebensjahres grundsätzlich bei Berechnung der Betriebsrente zu berücksichtigen seien. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben; das Landesarbeitsgericht hat das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (LArbG München, Urt. v. 10.02.2016 – 11 Sa 924/15).
Das BAG hat die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen.
Die Beklagte sei nicht verpflichtet, bei der Berechnung der Betriebsrente der Klägerin deren Beschäftigungszeiten nach Vollendung des 60. Lebensjahres zu berücksichtigen. Die Regelung in § 6 des Tarifvertrags sei wirksam, da sie u.a. keine Diskriminierung wegen des Alters bewirke. Zwar sei eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters i.S.v. § 3 Abs. 1 AGG gegeben, da die Regelung unmittelbar an die Vollendung des 60. Lebensjahres anknüpfe und dazu führe, dass Arbeitnehmer, die bei Beginn ihres Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten ein höheres Lebensalter hatten, wegen ihres Alters eine ungünstigere Behandlung erfahren als Arbeitnehmer, die zu diesem Zeitpunkt jünger waren. Denn sie erleiden bezogen auf ihre gesamte Beschäftigungszeit durch die Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Beschäftigungsmonate auf den Zeitpunkt bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres eine unverhältnismäßig stärkere Einbuße bei der Rentensteigerung als jüngere Arbeitnehmer.
Diese Ungleichbehandlung sei aber jedenfalls gemäß § 10 Sätze 1 und 2 AGG sachlich gerechtfertigt; unerheblich sei, ob § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG anwendbar sei. Die in § 6 des Tarifvertrags geregelte Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Beschäftigungsmonate auf den Zeitpunkt der Vollendung des 60. Lebensjahres sei insbesondere durch ein legitimes Ziel gedeckt, da eine solche Altersgrenze bewirke, dass der Arbeitgeber den aus der Versorgungszusage resultierenden Versorgungsaufwand verlässlich kalkulieren und seine wirtschaftlichen Belastungen besser einschätzen und begrenzen könne. Die Altersgrenze sei auch erforderlich und angemessen. Zwar stehe dem Arbeitgeber bei freiwilligen zusätzlichen Leistungen wie der betrieblichen Altersversorgung ein Gestaltungs- und Ermessensspielraum zu. Dabei dürften jedoch berechtigte Belange der Arbeitnehmer nicht außer Acht gelassen werden. Die betriebliche Altersversorgung habe nicht nur Versorgungs-, sondern auch Entgeltcharakter. Eine altersabhängige Begrenzung der anrechenbaren Beschäftigungszeiten führe daher dazu, dass die hiervon betroffenen Arbeitnehmer für die ab dem Erreichen der Altersgrenze von ihnen geleistete Betriebszugehörigkeit keine betriebliche Altersversorgung mehr erhalten. Im konkreten Fall sei das legitime Interesse der Arbeitnehmer aber nicht beeinträchtigt. Ausgehend davon, dass ein Erwerbsleben bei typisierender Betrachtung mindestens 40 Jahre umfasse, verbleibe den von § 6 des Tarifvertrags betroffenen Arbeitnehmern durch die Begrenzung immer noch der weitaus größere Teil ihres Erwerbslebens, um Versorgungsanwartschaften bei der Beklagten zu erwerben oder anderweitig für ihre Altersversorgung vorzusorgen.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung des BAG entspricht in ihrer Begründung im Wesentlichen einem kurz vorher ergangenen Urteil des BAG zur Zulässigkeit eines Mindestalters in einer Versorgungsordnung (BAG, Urt. v. 26.09.2017 – 3 AZR 72/16 – NZA 2018, 315). Auch dieses wurde für zulässig gehalten, da der Ausschluss von Dienstzeiten vor Vollendung des 17. Lebensjahres keine unzulässige Benachteiligung wegen des Alters darstelle. Hier bejahte das BAG zudem ausdrücklich die Anwendbarkeit von § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG. Eine unterbliebene Anrechnung von Beschäftigungszeiten vor Vollendung des 18. Lebensjahres hielt auch der EuGH für zulässig (EuGH, Urt. v. 16.06.2016 – C-159/15 – NZA 2016, 879). Als unzulässig hat das BAG dagegen eine Regelung angesehen, nach der ein Anspruch auf eine betriebliche Altersrente nicht besteht, wenn der Arbeitnehmer bei Erfüllung der nach der Versorgungsordnung vorgesehenen zehnjährigen Wartezeit das 55. Lebensjahr bereits vollendet hat (BAG, Urt. v. 18.03.2014 – 3 AZR 69/12 – NZA 2014, 606).

D. Auswirkungen für die Praxis

Insgesamt ist die Rechtsprechung des BAG zu diesem Themenkomplex zu begrüßen, da sie einen Ausgleich schafft zwischen dem Interesse des Arbeitgebers, seine Leistungspflichten zu begrenzen und so eine verlässliche und überschaubare Kalkulationsgrundlage zu schaffen, und dem Interesse des Arbeitnehmers, dass seine geleisteten Dienstzeiten auch zu einer entsprechend hohen Versorgung im Alter führen.
In der Praxis ist zu beachten, dass, selbst wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG erfüllt sind, dies nicht zwangsläufig zu einer Zulässigkeit der Altersgrenze führt. Zwar hat der Gesetzgeber mit dieser Regelung zum Ausdruck gebracht, dass die Festsetzung von Altersgrenzen für den Anspruch auf Leistungen aus den dort aufgeführten betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit grundsätzlich objektiv, angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Da allerdings eine solche Altersgrenze in der konkreten Versorgungsregelung festzusetzen ist, muss die gewählte Altersgrenze ebenfalls angemessen und erforderlich sein. Soweit die Voraussetzungen von § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG erfüllt sind, ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters danach zwar grundsätzlich, aber nicht immer zulässig. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen von § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG nicht erfüllt, muss eine Prüfung der fraglichen Regelung nach § 10 Satz 1 und 2 AGG erfolgen.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Das BAG hat – obwohl dies nicht entscheidungserheblich war – auch zu der Frage Stellung genommen, ob die konkrete Regelung eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts darstellt und dies verneint. Es ließe sich schon nicht erkennen, dass Frauen häufiger als Männer anrechenbare Beschäftigungszeiten nach Vollendung des 60. Lebensjahres erwerben müssen, um die Anzahl ihrer insgesamt bis zur Höchstbegrenzung anrechenbaren Beschäftigungsmonate und damit ihre Betriebsrente zu steigern. Denn § 6 des Tarifvertrags wirke sich nicht nur bei Elternzeit und anderen typischerweise von Frauen geleisteten familiäre Betreuungszeiten aus, sondern auch bei anderen Zeiten, in denen das Arbeitsentgelt nicht fortgezahlt wird. Auch der Umstand, dass Frauen häufiger in Teilzeit beschäftigt seien, rechtfertige keine andere Bewertung, da der Tarifvertrag keine entsprechende proportionale Kürzung der erbrachten Dienstzeiten vorsehe, sondern nur eine zeitratierliche Kürzung des ruhegehaltsfähigen Entgelts.

Betriebliche Altersversorgung: Zulässigkeit einer Altersgrenze bei Berechnung der Betriebsrente
Andrea KahleRechtsanwältin

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