Nachfolgend ein Beitrag vom 5.7.2017 von Sixtus, jurisPR-ArbR 27/2017 Anm. 5

Leitsatz

Die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung von personenbezogenen Daten zur Aufdeckung von Straftaten gemäß § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG setzt lediglich einen „einfachen“ Verdacht im Sinne eines Anfangsverdachts voraus, der über vage Anhaltspunkte und bloße Mutmaßungen hinausreichen muss.

A. Problemstellung

Das BAG hatte zu entscheiden, ob im Rahmen eines Kündigungsrechtsstreits verdeckt durch den Arbeitgeber angefertigte Videoaufnahmen eines Arbeitnehmers verwertet werden dürfen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem Jahr 1979 als Kraftfahrzeugmechaniker tätig. Im Betrieb der Beklagten war ein Betriebsrat gebildet. Nachdem die Beklagte bei Inventuren im November 2013 und Februar 2014 jeweils einen erheblichen Fehlbestand von Ersatzteilen festgestellt hatte, untersagte sie im Februar 2014 per Aushang allen Mitarbeitern – mit Ausnahme der Lageristen – den Zutritt zum Lager und verbot ihnen, Teile aus den Regalen zu nehmen. Da auch in der Folgezeit Lagerfehlbestände festgestellt wurden, ließ die Beklagt im März 2014 im Lager eine Videokamera installieren. Hierüber informierte sie ausschließlich die Lageristen und den Betriebsleiter. Der Betriebsrat wurde nicht beteiligt.
Bei Auswertung der Videoaufzeichnungen vom 15.07.2014 war zu sehen, dass der Kläger das Lager betrat, aus einem Regal ein Paket Bremsklötze entnahm und es in seiner Hosentasche verstaute. Nach einem Personalgespräch mit dem Kläger kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos und mit weiterem Schreiben vorsorglich ordentlich. Der Kläger machte im Rahmen seiner Kündigungsschutzklage u.a. geltend, die Beklagte habe die Videoaufzeichnungen unter Verletzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen und von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates erlangt. Beides führe dazu, dass die Mitschnitte als Beweismittel sowie das hierauf gestützte Vorbringen der Beklagten prozessual nicht verwertbar seien. Das ArbG Bonn und das LArbG Köln hatten der Klage jeweils stattgegeben.
Das BAG hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

C. Kontext der Entscheidung

Das BAG hat festgestellt, dass das Landesarbeitsgericht zu Unrecht angenommen hat, seiner Entscheidung die Inhalte der Videoaufnahmen vom 15.07.2014 nicht zugrunde legen zu können. Weder die Zivilprozessordnung noch das Arbeitsgerichtsgesetz enthielten Vorschriften zur prozessualen Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Erkenntnisse oder Beweise. Gleichermaßen begrenzten auch die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes nicht die Zulässigkeit von Parteivorbringen und dessen Verwertung. Ein Beweisverwertungsverbot komme deshalb nur in Betracht, wenn dies aufgrund einer verfassungsrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten sei. Greife die prozessuale Verwertung eines Beweismittels in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Prozesspartei ein, überwiege das Interesse an seiner Verwertung und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflichten das Interesse am Schutz dieses Grundrechts nur dann, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzuträten. Auf Grundlage der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen konnte dies vorliegend jedoch nicht beurteilt werden. Denn es war nicht auszuschließen, dass der Einsatz der verdeckten Videoaufzeichnung unter Berücksichtigung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen zulässig war. Gemäß § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG seien Eingriffe in das Recht der Arbeitnehmer am eigenen Bild durch verdeckte Videoüberwachung dann zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zulasten des Arbeitgebers bestehe, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft seien, die verdeckte Videoüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstelle und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig sei.
Einen solchen hinreichenden Verdacht erachtete das BAG aufgrund der Inventurdifferenzen für gegeben. Die Videoaufzeichnung habe sich nach dem erteilten Zutrittsverbot für die Lagerräume nur noch gegen die beiden Lagermitarbeiter gerichtet, die sich mit dieser Maßnahme grundsätzlich auch einverstanden erklärt hatten, und gegen solche Mitarbeiter, die sich dort unter Verstoß gegen dieses Verbot befanden. Hinsichtlich dieser Personen habe ein über bloße Mutmaßungen hinausgehender Verdacht bestanden. Dies habe das Landesarbeitsgericht nicht in Betracht gezogen.
Die Videoüberwachung erweise sich auch nicht aus anderen Gründen als unverhältnismäßig. Ein milderes Mittel mit vergleichbarer Erfolgsaussicht habe nicht zu Verfügung gestanden. Insbesondere habe die Beklagte nicht vorrangig durch Taschenkontrollen oder Visitation von Kleidung eine Aufklärung versuchen müssen. Denn im Rahmen solcher Maßnahmen wäre eine vergleichbare Eingrenzung des verdächtigen Personenkreises wie bei der lediglich auf das Lager ausgerichteten Videoüberwachung kaum möglich gewesen. Auch im Übrigen sei der mit der verdeckten Überwachung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers verbundene Eingriff nicht unangemessen, da die Überwachung leidglich das Lager und damit den räumlichen Bereich betraf, auf den sich der Verdacht bezog. Aber selbst wenn die Videoüberwachung als unverhältnismäßig zu werten gewesen wäre, hätte dies nicht zu einem Verwertungsverbot geführt. Denn jedenfalls dann, wenn – wie vorliegend – der Arbeitgeber den Verdacht von Straftaten durch konkrete Tatsachen im Rechtsstreit untermauern kann, könne ein Verwertungsverbot aus datenschutzrechtlich erlangten Informationen nicht abgeleitet werden. Gleichermaßen verhindere auch die fehlende Zustimmung des Betriebsrats zu der Videoüberwachung die Verwertbarkeit der Aufzeichnungen nicht. Denn wenn eine Informations- bzw. Beweisverwertung nach den allgemeinen Grundsätzen zulässig sei, bestehe grundsätzlich auch kein darüber hinausgehendes Verwertungsverbot bei Missachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates oder nicht ausreichenden Einhaltung eines betriebsverfassungsrechtlichen Verfahrens.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das BAG hat im Rahmen dieser Entscheidung nicht nur grundsätzlich zur Beweisverwertung im Rahmen arbeitsrechtlicher Verfahren ausgeführt, sondern auch noch einmal klargestellt, dass es für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG keines „dringenden“, sondern lediglich eines „einfachen“ Tatverdachtes bedarf. Es muss also gerade kein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit gegeben sein. Der Verdacht muss jedoch über vage Anhaltspunkte und bloße Mutmaßungen hinausreichen. Diese Klarstellung ist zu begrüßen – bleibt doch Arbeitgebern in der Praxis häufig kein anderes probates Mittel, um beständige Waren- oder Gelddifferenzen aufklären zu können.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Auch wenn es im vorliegenden Fall ein Beweisverwertungsverbot für nicht gegeben erachtete, stellte das BAG noch einmal klar, dass, wenn die prozessuale Verwertung eines Beweismittels in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Prozesspartei eingreift, das Interesse an der Verwertung nur überwiegen kann, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzutreten. Das Interesse, sich ein Beweismittel zu sichern, genüge insoweit nicht. Ein hieraus resultierendes Beweisverwertungsverbot würde dann nicht nur das unrechtmäßig erlangte Beweismittel selbst, sondern auch dessen mittelbare Verwertung z.B. durch Zeugenvernehmung erfassen. Insoweit könne das Beweisverwertungsverbot sogar der gerichtlichen Verwertung unstreitigen Sachvortrag entgegenstehen. Eine Partei im zivil- und arbeitsgerichtlichen Verfahren unterliege der Wahrheitspflicht und könne daher nicht gezwungen sein, grundrechtswidrig über sie erlangte Informationen bestreiten zu müssen, um ihre Rechte zu wahren.