Nachfolgend ein Beitrag vom 21.6.2017 von Nebe, jurisPR-ArbR 25/2017 Anm. 1

I. Einleitung

Am 30.03.2017 ist das Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechtes beschlossen worden. Es handelt sich um eine umfassende Neustrukturierung des seit 1952 fast unveränderten Mutterschutzgesetzes. Die Reform zielt auf die Anpassung an die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, d.h. insbesondere an die gewachsene Erwerbsbeteiligung von Frauen, aber auch an die gewandelten Arbeitswelten.1 Die zuvor schon weitreichende Modernisierung infolge der Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG fand außerhalb des MuSchG statt und war Gegenstand der bislang kaum rezipierten Mutterschutzarbeitsverordnung (MuSchArbV). Die jetzige Reform übernimmt die Regelungen der MuSchArbV in das MuSchG 2018. Der Gesetzgebungsprozess2 war kontrovers und langwierig. Das gestufte Inkrafttreten ist Ausdruck der bis zuletzt nicht gänzlich aufgelösten Unschärfen.

Die Reform verdient ungeachtet diverser Detailkritik und verschiedener offener Problemfragen grundlegende Zustimmung. Das MuSchG 2018 verfolgt das Ziel, einen benachteiligungsfreien Gesundheitsschutz, d.h. die mutterschutzgerechte Fortsetzung der Beschäftigung für Frauen während der Schwangerschaft, nach der Geburt und während der Stillzeit zu ermöglichen. Der hierfür sowohl normativ als auch praktisch erforderliche Leitbildwechsel war längst überfällig.3

Zur Neuregelung wurde ein Artikelgesetz verabschiedet.4 Den Schwerpunkt bildet mit Art. 1 das völlig neu gefasste und gegenüber dem bisherigen Mutterschutzgesetz erweiterte neue „Gesetz zum Schutz von Müttern bei der Arbeit, in der Ausbildung und im Studium“ (MuSchG 2018). Die Art. 2 bis 4 betreffen Änderungen im Recht der Beamtinnen und Soldatinnen, die wie bisher vom MuSchG 2018 nicht erfasst werden. Art. 5 und 7 formulieren wichtige Änderungen im SGB V (Gesetzliche Krankenversicherung), wo seit der Überführung der letzten Regelungen aus der Reichsversicherungsordnung die Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft geregelt sind (vgl. die §§ 24c ff. SGB V). In Art. 6 ist eine lange Reihe von Folgeänderungen für andere Gesetze enthalten. Art. 8 bestimmt einzelne vorgezogene Änderungen im noch bis 31.12.2017 geltenden MuSchG. Art. 9 regelt Änderungen zur Anlage 1 der ebenfalls noch bis Jahresende geltenden MuSchArbV. Mit dem gestuften In- und Außerkrafttreten befasst sich schließlich Art. 10.

II. Gestuftes Inkrafttreten

Das MuSchG und die MuSchArbV gelten noch bis zum 31.12.2017. Am 01.01.2018 tritt das MuSchG 2018 in Kraft. Wenige Detailregelungen (Art. 7, 8 und 9) sind am Tag nach der Verkündung, d.h. am 30.05.2017 wirksam geworden. Hierbei handelt es sich um den erweiterten Kündigungsschutz nach einer Fehlgeburt und um die verlängerte Schutzfrist nach der Geburt eines behinderten Kindes sowie um eine EU-rechtlich5 begründete Aktualisierung zur Beschäftigung mit Gefahrstoffen und biologischen Arbeitsstoffen. Das Inkrafttreten der Bußgeldvorschriften im Zusammenhang mit § 32 Abs. 1 Nr. 6 MuSchG 2018 ist bis zum 01.01.2019 aufgeschoben.

III. Unionsrechtlicher Hintergrund

Das MuSchG 2018 steht in engem Zusammenhang mit dem allgemeinen Arbeitsschutz und mit dem Antidiskriminierungsschutz. Das MuSchG 2018 muss daher nicht nur der Mutterschutz-RL 92/85/EWG, sondern zudem den Vorgaben hinsichtlich des europäischen Arbeitsschutz- und des Antidiskriminierungsrechts entsprechen.

1. Maßgebliche europäische Richtlinien

Die Mutterschutzrichtlinie (RL 92/85/EWG) ist als zehnte Einzelrichtlinie der Arbeitsschutzrahmenrichtlinie (RL 89/391/EWG) erlassen worden und daher eng mit dieser verknüpft. Der Mutterschutz ist damit Teil des betrieblichen Arbeitsschutzes. Entsprechend den allgemeinen Prinzipien des europäischen Arbeitsschutzes basiert damit auch der betriebliche Mutterschutz auf kommunikativ-partizipativen Instrumenten. Gefährdungsbeurteilung, Unterweisung, Information und Beteiligung haben einen hohen Stellenwert. Der Mutterschutz steht zugleich in enger Wechselwirkung mit der Geschlechtergleichbehandlungsrichtlinie (RL 2006/54/EG). Gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. c RL 2006/54/EG ist die Diskriminierung wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft ausdrücklich verboten. Der EuGH stärkt den Schutz vor Benachteiligungen und tritt diesen gerade auch im Zusammenhang mit frauenspezifischen Schutzbestimmungen im Erwerbsleben immer wieder deutlich entgegen.6 Wiederum darf die Ambivalenz von spezifischen Schutznormen nicht dazu führen, den spezifischen Gefährdungsschutz zu minimieren. Vielmehr ist Mutterschutz Ausdruck materieller Gleichstellung.7 Die materielle Gleichheit soll auch bei hohem Schutzniveau durch Organisationspflichten und Rechtspositionen abgesichert werden. Ein teilhabesichernder Mutterschutz ist heute Bestandteil der europäischen Regelungen zur Verbesserung der Work-Life-Balance und wird durch verschiedene Grundrechte, insbesondere Art. 21, 23, 33 EU-GrdRCh, gestärkt.8

2. Das mutterschutzrechtliche Leitbild des EU-Rechts

Vor dem skizzierten Regelungshintergrund ist folgendes europäisches mutterschutzrechtliches Leitbild9 abzuleiten.

• Wie im allgemeinen Arbeitsschutz verpflichtet auch der Mutterschutz den Arbeitgeber zur Prävention und Kommunikation. Im Wege der frühzeitigen und vorbeugenden Gefährdungsbeurteilung, der Unterrichtung und Unterweisung über mögliche Gefährdungen und mögliche Schutzmaßnahmen sollen Risiken möglichst weit im Vorfeld eruiert und minimiert werden. Besonders bedeutsam ist die Präventionspflicht gerade auch für die sensible Phase der noch unbekannten Schwangerschaft. Die Initiativlast liegt beim Arbeitgeber.
• Die Anpassung der Arbeitsbedingungen an den Menschen und nicht umgekehrt ist Ausdruck eines menschengerechten Arbeitsschutzes. Die Vielfalt menschlichen Lebens zeigt sich besonders in den unterschiedlichen Phasen von Schwangerschaften/Stillzeiten und früher Mutterschaft. Gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse als Grundlagen des gestaltenden Arbeitsschutzes müssen die besonderen gynäkologischen Erkenntnisse einschließen.
• Bei den zu ergreifenden Schutzmaßnahmen hat der Arbeitgeber der Prämisse zu folgen, möglichst jegliche Schlechterbehandlung der Frau zu vermeiden. Um trotz Schwangerschaft eine weitest mögliche berufliche Teilhabe zu gewähren, haben gestufte Anpassungsmaßnahmen Vorrang vor Freistellungen. Die gleichberechtigte Teilhabe auch und gerade in Verbindung mit Mutterschutz ist ein normiertes Recht.
• Flankierende Schutzmaßnahmen, wie z.B. der Kündigungsschutz, effektivieren den mutterschutzbedingten Gefährdungsschutz. Aber auch der Erhalt der mit dem Arbeitsvertrag verbundenen Rechte und das gesicherte Rückkehrrecht nach einem Mutterschaftsurlaub sind Ausdruck materieller Gleichstellung in einer Phase, in der Frau und Kind des besonderen Schutzes bedürfen.

IV. Wesentliche Änderungen im Überblick

Das MuSchG 2018 enthält wesentliche Änderungen.

Die Zielsetzung, Gesundheit und berufliche Teilhabe während Schwangerschaft, nach der Geburt und während der Stillzeit gleichermaßen zu schützen, ist normativ verankert (§ 1 Abs. 1 MuSchG 2018).

Der Anwendungsbereich (§ 1 MuSchG 2018) ist deutlich über die bisher allein erfassten Arbeitnehmerinnen und in Heimarbeit Beschäftigte erweitert. Das Gesetz gilt u.a. auch für Schülerinnen, Studentinnen und arbeitnehmerähnliche Personen.

Der betriebliche Gesundheitsschutz mit den Elementen der Gefährdungsbeurteilung, der Unterrichtung und der Anpassung ist aus der MuSchArbV herausgelöst und in einem eigenständigen Unterabschnitt im MuSchG 2018 normiert worden (§§ 9 bis 15). Besonders kontrovers wurde und wird die „unverantwortbare Gefährdung“ (§ 9 Abs. 2 Satz 2 MuSchG 2018) diskutiert, die für die Organisationspflicht des Arbeitgebers maßgeblich ist. Die zwingende Reihenfolge der Anpassungsmaßnahmen mit der Freistellung als letztes Mittel ist nun ausdrücklich im MuSchG 2018 verankert (§ 13).

Für Frauen, die ein behindertes Kind gebären, ist die nachgeburtliche Schutzfrist von acht auf zwölf Wochen verlängert (§ 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 MuSchG 2018, der ab sofort gilt).

Erweitert ist der Kündigungsschutz für Frauen, die nach der zwölften Schwangerschaftswoche von einer Fehlgeburt betroffen sind (§ 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MuSchG 2018, der ebenfalls ab sofort gilt).

Nachtarbeit ist künftig unabhängig von der Tätigkeit zwischen 20 und 6 Uhr verboten (§ 5 Abs. 1 Satz 1 MuSchG 2018). Unter bestimmten Voraussetzungen (§ 28 MuSchG 2018) kann die Frau mit ihrem Einverständnis auch bis 22 Uhr beschäftigt werden.

Vom Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit kann künftig auch mit dem Einverständnis der Frau abgewichen werden, allerdings nur, soweit eine allgemeine Ausnahme gemäß § 10 ArbZG vorliegt (§ 6 Abs. 1 MuSchG 2018).

Vergleichbar anderen Arbeitsschutzausschüssen ist die Bildung des Ausschusses für Mutterschutz, allerdings mit Federführung des BMFSFJ vorgesehen (§ 30 MuSchG 2018).

V. Struktur des MuSchG 2018

Das MuSchG 2018 verteilt 34 Paragrafen auf sieben Abschnitte.

• Abschnitt 1 (Allgemeine Vorschriften) enthält Vorgaben zum Anwendungsbereich, zur Zielbestimmung und zahlreiche Begriffsbestimmungen (§§ 1, 2).
• Abschnitt 2 (Gesundheitsschutz) differenziert zwischen arbeitszeitlichem Gesundheitsschutz (§§ 3 bis 8), betrieblichem Gesundheitsschutz (§§ 9 bis 15) und ärztlichem Gesundheitsschutz (§ 16).
• Abschnitt 3 (Kündigungsschutz) regelt das Kündigungsverbot (§ 17).
• In Abschnitt 4 (Leistungen) werden Mutterschutzlohn, Mutterschaftsgeld und Zuschuss zu selbigem, Erholungsurlaub u.a. geregelt (§§ 18 bis 25).
• Abschnitt 5 (Durchführung des Gesetzes) umfasst besondere Pflichten und Verfahren (z.B. Ausschuss für Mutterschutz) zur Durchführung des Gesetzes für alle maßgeblichen Akteure (§§ 26 bis 31).
• Im Abschnitt 6 (Bußgeld- und Strafvorschriften) werden Verstöße sanktioniert (§§ 32, 33).
• In Abschnitt 7 (Schlussvorschriften) ist eine Evaluationspflicht verankert (§ 34).

Die neue Struktur verdeutlicht die Abkehr vom bisherigen Verständnis des MuSchG, dessen mit beruflicher Teilhabe unvereinbares Programm schon durch die Überschrift „Beschäftigungsverbote“ für den zentralen zweiten Abschnitt (§§ 3 bis 8 MuSchG) deutlich wurde. Dem setzt der neue zweite Abschnitt „Gesundheitsschutz“ mit seinen drei Unterabschnitten nicht nur programmatisch, sondern auch inhaltlich ein deutlich gewandeltes und mit dem europäischen Recht zumindest grundlegend übereinstimmendes Mutterschutzrecht entgegen.

VI. Die Neuregelungen im Detail

1. Präventionspflichten als Herzstück des reformierten Mutterschutzes

Wie im allgemeinen betrieblichen Arbeitsschutz, hier aber in besonders sensibler Weise, hat der Arbeitgeber den Risiken präventiv und aktiv zu begegnen, indem er

• für jede Tätigkeit die Risiken beurteilt (§ 10 MuSchG 2018),
• Schutzmaßnahmen rechtzeitig ergreift bzw. plant (§ 9 und § 13 MuSchG 2018) und
• nur in den seltenen Fällen, in denen weder die Umgestaltung der Arbeitsbedingungen noch ein Arbeitsplatzwechsel eine verantwortbare Weiterbeschäftigung ermöglichen, die Frau von der Beschäftigung freistellt (§ 13 Abs. 1 Nr. 3 MuSchG).

Ausführlich werden Einzelheiten sogleich unter „Betrieblicher Gesundheitsschutz“ dargestellt.

2. Wesentliche (Neu-)Regelungen des MuSchG 2018 im Detail

Nicht alle (Neu-)Regelungen können hier detailliert analysiert werden. Wiederum sollen aber auch die Regelungen herausgehoben werden, die nicht neu, sondern durch Überführung aus der MuSchArbV in das MuSchG 2018 nur transparent werden und damit in der Rechtswirklichkeit zumindest als neu erscheinen.

a) Zielbestimmung, § 1 Abs. 1 MuSchG 2018 – diskriminierungsfreier Mutterschutz

Die Zielbestimmung fasst die o.g. ambivalenten Schutzzwecke eines gleichstellungssensiblen Mutterschutzes klar und deutlich zusammen. In § 1 Abs. 1 Sätze 1 und 2 MuSchG 2018 heißt es:

„Dieses Gesetz schützt die Gesundheit der Frau und ihres Kindes am Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplatz während der Schwangerschaft, nach der Entbindung und in der Stillzeit. Das Gesetz ermöglicht es der Frau, ihre Beschäftigung oder sonstige Tätigkeit in dieser Zeit ohne Gefährdung ihrer Gesundheit oder der ihres Kindes fortzusetzen und wirkt Benachteiligungen während der Schwangerschaft, nach der Entbindung und in der Stillzeit entgegen.“

Angesichts des jahrelangen Stillstandes in der Anpassung des Mutterschutzrechtes ist es umso wichtiger, dass der mit der Reform verfolgte deutliche Leitbildwechsel auch normativ transparent gemacht worden ist. So sind die mehrfachen Schutzzwecke für Auslegungsfragen verbindlich vorgegeben.

b) Persönlicher Anwendungsbereich

Der persönliche Anwendungsbereich ist deutlich erweitert. Das MuSchG 2018 gilt gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 für Beschäftigte i.S.v. § 7 Abs. 1 SGB IV.10 Zudem werden in Satz 2 explizit verschiedene Personengruppen aufgeführt, die dem MuSchG 2018 unterfallen, wobei für einzelne wiederum bestimmte Bereichsausnahmen formuliert sind.

Uneingeschränkt gilt das MuSchG 2018 danach für:

• Beschäftigte i.S.v. § 7 Abs. 1 SGB IV,
• Frauen in betrieblicher Berufsbildung und Praktikantinnen i.S.v. § 26 BBiG,
• in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigte Frauen,
• als Freiwillige beschäftigte Frauen während eines Jugendfreiwilligendienstes bzw. Bundesfreiwilligendienstes und
• Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Diakonissen oder einer ähnlichen Gemeinschaft.

Darüber hinaus nennt § 1 Abs. 2 Satz 2 MuSchG 2018 weitere Personengruppen, für die das MuSchG 2018 nur mit Einschränkungen11 gelten soll, so:

• Entwicklungshelferinnen (ausgenommen für sie die §§ 18 bis 22),
• in Heimarbeit beschäftigte Frauen (ausgenommen für sie die §§ 10 und 14; § 9 Abs. 1 bis 5 für sie nur entsprechend),
• arbeitnehmerähnliche Personen (§§ 18, 19 Abs. 2 und § 20 für sie ausgenommen) sowie
• Schülerinnen und Studentinnen (ausgenommen für sie die §§ 17 bis 24).

Der systematische Zusammenhang des MuSchG 2018 zum allgemeinen betrieblichen Arbeitsschutz wird durch den klarstellenden Hinweis in § 1 Abs. 1 Satz 3 MuSchG 2018 deutlich. Allerdings werden anders als im allgemeinen Arbeitsschutz Beamtinnen, Richterinnen und Soldatinnen aus dem Geltungsbereich des MuSchG 2018 weiterhin herausgenommen. Die mit dem Arbeitsschutzgesetz seit 1996 überwundene Trennung von Arbeitsschutz der Privatwirtschaft und der öffentlichen Dienstherren bleibt hier also manifest.

Eine wichtige Regelung enthält § 1 Abs. 4 MuSchG 2018. Danach gilt das Gesetz für jede Person, die schwanger ist, ein Kind geboren hat oder stillt. Dies ist deshalb zu unterstreichen, weil auch die europäische Mutterschutzrichtlinie gem. Art. 1 Abs. 1 ausdrücklich die Frauen kurz nach Geburt in ihren Schutzbereich einbezieht. Trotz der allgemeinen Bestimmung in § 1 Abs. 4 MuSchG 2018 fehlen in verschiedenen Detailregelung in den dort aufgezählten Personengruppen die Frauen nach der Geburt, wie z.B. für die Pflichten zur Gefährdungsbeurteilung gemäß § 10 MuSchG 2018 oder zur Gestaltung der Arbeitsbedingungen gemäß § 9 MuSchG 2018. Auch wenn wegen der nachgeburtlichen Schutzfrist gemäß § 3 Abs. 2 MuSchG 2018 Frauen grundsätzlich in den ersten acht Wochen nicht beschäftigt werden dürfen, muss ihr Gesundheitsschutz auch in der Folgezeit im Rahmen der allgemeinen Pflichten berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für jene Frauen, die ausnahmsweise auch schon zwei Wochen nach der Geburt wieder arbeiten, vgl. § 3 Abs. 4 MuSchG 2018, aber auch für Frauen nach einer Fehlgeburt.

c) Arbeitszeitlicher Gesundheitsschutz

Unter der neuen Überschrift „Arbeitszeitlicher Gesundheitsschutz“ finden sich in den §§ 3 bis 8 MuSchG 2018 zahlreiche bekannte Regelungen, teilweise aber doch deutlich modifiziert. Die sechswöchige vor- und die acht-, ggf. zwölfwöchige nachgeburtliche Schutzfrist finden sich in § 3 Abs. 1 und 2 MuSchG 2018. Wird vor Ablauf von acht Wochen nach der Geburt festgestellt, dass das Kind behindert ist, so verlängert sich, allerdings nur auf Antrag der Frau, die nachgeburtliche Schutzfrist ebenfalls auf zwölf Wochen. Diese Regelung ist am 30.05.2017 in Kraft getreten.

Neu geregelt ist das Verbot von Mehrarbeit (§ 4), Nachtarbeit (§ 5) und Sonn- und Feiertagsarbeit (§ 6). Statt der antiquierten und stereotypen Ausnahmen zahlreicher Branchen vom Nacht-, Sonn- und Feiertagsverbot für schwangere Frauen (vgl. § 8 Abs. 3 und 4 MuSchG) ist nun, unter Beachtung zusätzlicher Bedingungen (§ 28 MuSchG 2018), die Beschäftigung von Frauen erweitert bis 22 Uhr (§ 5 Abs. 1 Satz 2 MuSchG 2018) sowie an Sonn- und Feiertagen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 MuSchG 2018) zulässig. Die Befürchtung, Arbeitgeber könnten das jeweils erforderliche Einverständnis der Frau einfach und gegen deren tatsächliche Interessen erlangen, ist sicher nicht gänzlich unbegründet. Daher müssen sowohl die Aufsicht, aber auch die betrieblichen Interessenvertreter sowie sonstige Beratungsstellen informieren und zur Abwehr unfreiwilliger Verzichtserklärungen ermutigen. Im Rahmen der Evaluationspflicht gemäß § 34 MuSchG 2018 wird auf einen möglichen Missbrauch dieser Dispositionsmöglichkeiten besonders zu achten sein. Einer zu großen Skepsis kann wiederum entgegnet werden, dass der Verzicht auf Schutzrechte auch bisher schon zulässig war. So konnte auf die gesamte vorgeburtliche Schutzfrist ohne jegliche Einschränkung verzichtet werden, vgl. § 3 Abs. 2 HS. 2 MuSchG. Weder über Missbrauchsfälle noch über eine besondere Sensibilität der verantwortlichen Akteure, dies zumindest zu beobachten, ist jedenfalls bisher besonders wahrnehmbar diskutiert worden.

Die Freistellung für Stillzeiten wird auf das erste Lebensjahr des Kindes begrenzt (§ 7 Abs. 2 MuSchG 2018).

d) Betrieblicher Gesundheitsschutz

Zu den praktisch bedeutsamsten (Neu-)Regelungen im neuen Mutterschutzgesetz dürfen die Bestimmungen in Unterabschnitt 2 „Betrieblicher Mutterschutz“ mit den §§ 9 bis 15 MuSchG 2018 gezählt werden. Genau besehen handelt es sich hierbei allerdings um die in der bisherigen MuSchArbV verankerten präventiven und kommunikativen Elemente des Mutterschutzes, die ihre Wirkung mangels Transparenz und Abstimmung mit dem MuSchG selbst nicht entfalten konnten.

Der betriebliche Mutterschutz verlangt vom Arbeitgeber gegenüber der MuSchArbV kein nennenswert geändertes, aber ein für den diskriminierungsfreien und teilhabesichernden Mutterschutz unverzichtbares Pflichtenprogramm, das sich aus folgenden Instrumenten zusammensetzt:

(1) Gefährdungsbeurteilung (§ 10 MuSchG 2018, bisher § 1 MuSchArbV), und zwar zunächst anlassunabhängig, also unabhängig von einer konkreten oder bekannten Schwangerschaft (§ 10 Abs. 1 MuSchG 2018). Eine anlassbezogene Gefährdungsbeurteilung, d.h. sobald eine Schwangerschaft konkret bekannt wird, war im Referentenentwurf zunächst noch vorgesehen (vgl. § 9 Abs. 2 MuSchG-Referentenentwurf).12 Im Gesetzgebungsprozess hat sich hierzu eine besonders intensive Kontroverse13, begleitet von einem intensiven Literaturecho entsponnen14, infolge dessen der Gesetzgeber von der Differenzierung abgesehen hat. Nunmehr regelt § 10 MuSchG 2018 ausdrücklich in Abs. 1 eine anlassunabhängige Gefährdungsbeurteilung und in Abs. 2 die Pflicht, bei konkretem Anlass der schwangeren oder stillenden Frau ein Gespräch über weitere Anpassungen der Arbeitsbedingungen anzubieten.

Gleichwohl ist der Arbeitgeber auch ohne explizite Regelung im MuSchG 2018 – wie auch schon bisher – zur Aktualisierung der anlassunabhängigen Gefährdungsbeurteilung im konkreten Einzelfall verpflichtet. Diese Pflicht zur anlassbezogenen Gefährdungsbeurteilung ergibt sich unter Berücksichtigung des europäischen Arbeitsschutzrechts. Art. 6 Abs. 2 Buchst. d RL 89/391/EWG verlangt die arbeitsschutzgerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen unter Berücksichtigung auch der individuellen Fähigkeiten der einzelnen Beschäftigten; anders ließe sich der Grundsatz der Anpassung der Arbeitsumwelt an den Menschen statt umgekehrt nicht verwirklichen.15 Auch ein gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen (dazu § 4 Nr. 3 ArbSchG) entsprechendes Belastungs-Beanspruchungs-Modell verlangt, auf die individuellen Besonderheiten der einzelnen Beschäftigten zur Herstellung arbeitsschutzkonformer Beschäftigungsbedingungen Rücksicht zu nehmen.16 Diese Prämissen des allgemeinen Arbeitsschutzrechtes werden auch im besonderen mutterschutzrechtlichen Kontext durch die speziellen mutterschutzrechtlichen Regelungen nicht verdrängt, sondern nur ergänzt. § 1 Abs. 1 Satz 3 MuSchG 2018 besagt dies ausdrücklich. Wegen des gleichermaßen engen systematischen Zusammenhangs der MutterschutzRL mit der ArbeitsschutzrahmenRL wie des ArbSchG mit dem MuSchG muss auch das neue MuSchG 2018, welches die RL 92/85/EWG umsetzen will, unionsrechtskonform ausgelegt werden. Eine Außerachtlassung des Art. 6 Abs. 2 Buchst. d RL 89/391/EWG für das MuSchG 2018 wäre unionsrechtswidrig.

Das MuSchG 2018 gibt an zahlreichen Stellen Gelegenheit, das nationale Recht unionsrechtskonform auszulegen (vgl. z.B. § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG 2018: „… nach § 10 erforderlichen Maßnahmen für den Schutz ihrer physischen und psychischen Gesundheit…“ oder in § 9 Abs. 1 Satz 2 MuSchG 2018: „… auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls den sich ändernden Gegebenheiten anzupassen“). Nicht nur die Gerichte, auch die staatlichen Vollzugsbehörden sind aufgrund ihrer unionsrechtlichen Loyalitätspflicht, vgl. Art. 4 Abs. 3 EUV, zur weitestgehend unionsrechtskonformen Auslegung und Anwendung des MuSchG 2018 verpflichtet. Die von verschiedenen Stimmen ausweislich der Gesetzesmaterialien beabsichtigte Ausblendung individueller Belange aus den mutterschutzrechtlichen Schutzpflichten17 hat keinerlei Niederschlag im Normtext gefunden, so dass eine unionsrechtskonforme Auslegung auch unter keinem Gesichtspunkt contra legem wäre.18 Vor diesem Hintergrund ergibt sich also die Pflicht, die Gefährdungen sowohl losgelöst vom Einzelfall im Hinblick auf eine zu erwartende Schwangerschaft gemäß § 10 MuSchG 2018, § 5 ArbSchG vorzunehmen (anlassunabhängig) und diese, soweit eine konkrete Schwangerschaft bekannt wird, dann aus konkretem Anlass zu präzisieren und hierbei auch die individuellen Besonderheiten zu berücksichtigen (anlassbezogen)19. § 11 Abs. 2 MuSchG 2018 spricht zwar nur von einem „Gespräch“, welches der Arbeitgeber der Frau über die weitere Anpassung ihrer Arbeitsbedingungen anzubieten hat. Dies ist als Teil des notwendigerweise kommunikativen Prozesses über die mutterschutzgerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen gemäß § 13 MuSchG 2018 richtig. Es würde aber zu kurz greifen, sollte das „Gesprächsangebot“ die zwingend bei geänderten Umständen vorzunehmende Aktualisierung der Beurteilung gemäß den §§ 5, 3 ArbSchG ersetzen. Auch wenn im Gesetzgebungsprozess die ausdrückliche Regelung zur Zweispurigkeit der mutterschutzspezifischen Gefährdungsbeurteilung wieder aufgegeben worden ist, so gibt der letztlich normierte Gesetzeswortlaut den Spielraum zur unionsrechtskonformen Auslegung, zumindest kann bzw. muss auf die allgemeinen Pflichten im ArbSchG zurückgegriffen werden.

Ein ohne Rücksicht auf die individuellen Besonderheiten fixierter Mutterschutz fiele zudem deutlich hinter das Niveau des allgemeinen Arbeitsschutzes zurück; dies im Zusammenhang mit dem besonders sensiblen Mutterschutz wäre dann zudem eine geschlechtsspezifische Diskriminierung, vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG. Die individuellen Belange der schwangeren Frau fallen auch aus einem weiteren Grund in den Verantwortungsbereich des Arbeitgebers: Mutterschutz ist Teil des betriebsbezogenen Arbeitsschutzes, d.h. die Gestaltungsverantwortung liegt beim Arbeitgeber, vgl. § 3 ArbSchG.20 Dies ist auch erklärtes Ziel der Mutterschutzrichtlinie.21 Sollten die individuellen Besonderheiten während einer Schwangerschaft allein über das ärztliche Beschäftigungsverbot gemäß § 16 MuSchG 2018 berücksichtigt werden, wäre der mutterschutzspezifische Gesundheitsschutz von vornherein Arbeitsschutz „zweiter Klasse“ und der mit der Reform des Mutterschutzrechtes beabsichtigte integrative Ansatz, d.h. Mutterschutz ganz selbstverständlich als Teil des betrieblichen Gesundheitsschutzes anzusehen, von vornherein torpediert. Eine solche Restriktion in der Gesetzesanwendung liefe daher nicht nur dem Unionsrecht und dem allgemeinen Arbeitsschutzrecht, sondern selbst dem erklärten Ziel des MuSchG 2018 (vgl. § 1 MuSchG 2018) zuwider.

(2) Auf der Pflichtdes Arbeitgebers zur Gefährdungsbeurteilung bauen alle weiteren Pflichten, sowohl im allgemeinen Arbeitsschutz, vgl. die §§ 3, 12 ArbSchG, wie auch im Mutterschutz auf. So bestimmt sich schon die Pflicht zur mutterschutzgerechten Gestaltung gemäß § 9 Abs. 1 MuSchG 2018 nach den Ergebnissen der Gefährdungsbeurteilung gemäß § 10 MuSchG 2018, vgl. bisher § 3 MuSchArbV.22 Die einzelnen Gestaltungspflichten im MuSchG 2018 können auf den ersten Blick den Eindruck vermitteln, der Arbeitgeber müsse jeweils erst im Fall einer tatsächlich eingetretenen Schwangerschaft die sich aus der Gefährdungsbeurteilung ergebenden Maßnahmen ergreifen, vgl. § 10 Abs. 2 MuSchG 2018. Eine solche Restriktion liefe den elementaren Präventionspflichten des Arbeitgebers jedoch diametral zuwider und dies gerade in der besonders schutzwürdigen Situation einer möglicherweise bestehenden, aber noch nicht sicher bekannten Schwangerschaft.

Die Diskussion um das die mutterschutzspezifischen Schutzmaßnahmen auslösende Ereignis ist nicht neu.23 Lässt sich die Lösung nicht im Mutterschutzrecht finden, dann muss wiederum der systematische Zusammenhang zur grundsätzlichen Präventionsverantwortung und den dazu normierten allgemeinen Arbeitsschutzpflichten gesehen werden.24 Die §§ 5, 12 ArbSchG gelten unabhängig von verschiedenen Spezialregelungen. Danach muss der Arbeitgeber vor der Beschäftigung eine Gefährdungsbeurteilung vornehmen und die Beschäftigten hiernach vor Aufnahme der Beschäftigung unterweisen.25 Dies gilt umso mehr für besondere, im Detail geregelte Pflichten, wie z.B. Gefährdungsbeurteilung und Grenzwertmessung beim Umgang mit Gefahrstoffen, bei Exposition gegenüber Strahlen oder sonstigen Reproduktionsrisiken.

Von dieser sich auch aus der europäischen Arbeitsschutzrahmenrichtlinie 89/391/EWG ergebenden grundsätzlichen Beurteilungs- und Unterrichtungspflicht (Art. 6 Abs. 3 RL 89/391/EWG), die rechtzeitig zu erfüllen ist,26 d.h. also angesichts einer möglichen Gefährdung der Reproduktionsfähigkeit oder des Embryos noch vor Aufnahme der Beschäftigung, machen weder die Einzelrichtlinien, wie z.B. die Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG, noch die einzelnen Arbeitsschutzverordnungen im nationalen Recht Abstriche. Die MutterschutzRL verweist in Art. 1 Abs. 2 RL 92/85/EWG ausdrücklich auf die daneben fortgeltende ArbeitsschutzrahmenRL. Deren Schutzniveau darf also in keinem Fall unterschritten werden.27 Festzuhalten ist daher, dass es dem Schutzgebot sowohl der RL 89/391/EWG als auch der §§ 5, 12 ArbSchG zuwiderliefe, würde die Verantwortung des Arbeitgebers zur Vermeidung von Reproduktionsrisiken durch einen Auslösezeitpunkt verspätet einsetzen. Insoweit dürfen all jene Formulierungen, die dem Wortlaut nach scheinbar die Arbeitgeberpflicht zur Gefährdungsbeurteilung, Unterweisung und zum Ergreifen von Schutzmaßnahmen erst vom Vorliegen einer Schwangerschaft oder möglicherweise auch erst von einer Mitteilung seitens der Frau über das Bestehen einer Schwangerschaft abhängig machen, nicht falsch interpretiert werden.28 Ein bei rein wörtlicher Auslegung annehmbarer Vorbehalt des Vorliegens einer Schwangerschaft bzw. der Mitteilung darüber ließe die sowohl in der RL 89/391/EWG als auch im Arbeitsschutzgesetz grundlegend normierten Arbeitgeberpflichten leerlaufen und würde das zu gewährleistende Schutzniveau mit gravierenden Risiken für die Gesundheit der Frauen und ungeborenen Kinder untergraben. Anderes lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass der Geltungsbereich des Mutterschutzgesetzes 2018 offensichtlich erst ab Beginn einer Schwangerschaft eröffnet sein soll (vgl. § 1 Abs. 1, Abs. 4 MuSchG 2018) und die Arbeitgeberpflichten jedenfalls dem Wortlaut nach frühestens mit Blick auf das Stadium einer Schwangerschaft konkret normiert sind, vgl. die §§ 9 ff. MuSchG 2018.

Insoweit muss zwingendauf die grundlegenden Präventionspflichten des allgemeinenArbeitsschutzrechtes und im Wege richtlinienkonformer Auslegung auf das europäische Arbeitsschutzrecht zurückgegriffen werden. Schon die MutterschutzRL erweitert die Arbeitgeberpflichten auch zugunsten nicht schwangerer Frauen (vgl. Art. 4 Abs. 2 RL 92/85/EWG, so bisher auch § 2 MuSchArbV, künftig § 14 Abs. 2 MuSchG 2018), indem alle Frauen vom Arbeitgeber unabhängig von einer Schwangerschaft/Geburt/Stillzeit über die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung zu unterrichten sind. Damit liefert auch das künftig geltende MuSchG 2018 einen klaren normativen Anhaltspunkt, dass Reproduktionsrisiken unabhängig von einer konkret vorliegenden Schwangerschaft zu ermitteln und Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind. Allein dieses Auslegungsergebnis ergibt sich bei unionsrechtskonformer Auslegung der §§ 5, 12 ArbSchG. Der Arbeitgeber muss im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung eventuelle Risiken am Arbeitsplatz auch für besonders gefährdete Beschäftigtengruppen (§ 4 Nr. 6 ArbSchG), d.h. gerade auch im Hinblick auf erst im Begriff schwanger zu werdende Frauen29 ermitteln, die Gefährdungen bewerten, dokumentieren und die Beschäftigten bei Aufnahme der Tätigkeiten darüber im Rahmen der Unterweisung unterrichten.30

Der reproduktionsspezifische Gefährdungsschutz darf auch nicht schematisch aufgeteilt werden, in Maßnahmen zum Fertilitätsschutz bis Schwangerschaftsbeginn nach allgemeinem Arbeitsschutzrecht und Maßnahmen zur Prävention von Fruchtschädigungen ab Beginn der Schwangerschaft nach dem MuSchG 2018. Eine solche rein formalistische Grenzziehung liefe den tatsächlichen Schutzbedarfen wie auch den bereits geltenden Schutzpflichten zuwider. Wann eine Schwangerschaft konkret beginnt, ist unter vielerlei Gesichtspunkten unsicher.31 Zudem liefe eine solche Aufteilung dem im Arbeitsschutz wesentlichen „STOP-Prinzip32“ zuwider. Danach müssen schon bei einer abstrakten Gefährdung substituierend alternative Stoffe, Verfahren, Abläufe gewählt werden, um die Gefährdungen möglichst von vornherein auszuschließen bzw. zu minimieren (so ausdrücklich auch § 9 Abs. 2 MuSchG 2018). Eine solche Zielrichtung würde verfehlt, wenn substituierende Maßnahmen mit Blick auf eine nur denkbare Schwangerschaft so lange unterlassen werden dürften, bis konkret eine Schwangerschaft besteht, was zudem naturgemäß erst rückwirkend bekannt werden kann. Einer zu engen Auslegung der §§ 9 ff. MuSchG 2018 muss daher entweder im Wege der unionsrechtskonformen Auslegung mit weiter und frühestmöglicher Präventionspflicht oder unter Rückgriff auf die allgemeinen Arbeitsschutzpflichten entgegengewirkt werden. Im Ergebnis müssen Arbeitgeber und Aufsicht sämtlichen Reproduktionsrisiken nach dem STOP-Prinzip vorbeugen, unabhängig von einer konkreten Schwangerschaft.33

(3) Bei sämtlichen Gestaltungspflichten hat der Arbeitgeber zum Schutz vor Benachteiligungen der Frau zwingend die in § 13 MuSchG 2018 verbindlich vorgesehene Rangfolge der Schutzmaßnahmen zu beachten. Danach sind die Beschäftigungsbedingungen möglichst so zu gestalten, dass die schwangere, stillende oder jüngst Mutter gewordene Frau möglichst an ihrem Arbeitsplatz beschäftigt werden kann. Ist dies unzumutbar, hat der Arbeitgeber der Frau einen anderen geeigneten Arbeitsplatz oder vorübergehend geänderte Arbeitsbedingungen anzubieten. Erst als ultima ratio kommt die teilweise oder vollständige Freistellung der Frau von der gefährdenden Beschäftigung in Betracht (§ 13 Abs. 1 Nr. 3 MuSchG 2018, bisher § 3 Abs. 3 MuSchArbV).

(4) Bestimmte Schadfaktoren gelten als besonders gefährdend.Der Gesetzgeber will dem durch die ausdrückliche Benennung von bestimmten Expositionsverboten, bei deren Vorliegen eine Beschäftigung für unverantwortbarund daher unzulässig gehalten wird (vgl. §§ 11, 12 MuSchG 2018, bisher §§ 4, 5 MuSchArbV bzw. § 4 MuSchG), gerecht werden. Damit greift das MuSchG 2018 die auch in der RL 92/85/EWG vorgegebenen Differenzierungen zwischen gefährdenden und besonders gefährdenden Agenzien, Verfahren und Arbeitsbedingungen auf.34 Aber auch in diesen explizit als unzulässig genannten Beschäftigungsbedingungen verlangt das Gesetz vom Arbeitgeber, nach dem gestuften Pflichtenprogramm die Risikovermeidung und -minimierung, die Umgestaltung der Arbeitsbedingungen, ggf. den Arbeitsplatzwechsel anzubieten und nur als letztes Mittel die Frau von dieser Tätigkeit freizustellen (§ 13 MuSchG 2018). Der im deutschen Arbeitsschutzrecht erstmals eingeführte Begriff der unverantwortbaren Gefährdung ist als überflüssig und systemfremd kritisiert worden.35 Trotz der in § 9 Abs. 2 Satz 2 MuSchG 2018 vorgegebenen gesetzlichen Definition bedarf er der praxistauglichen Ausgestaltung, die wiederum in erster Linie dem Ausschuss für Mutterschutz gemäß § 30 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 MuSchG 2018 obliegt. Das dialogische Verfahren36 zum Umgang mit in einem Beschäftigungsverhältnis nie gänzlich vermeidbaren Restrisiken ist bislang in der Praxis nicht ansatzweise erprobt worden (bisher § 3 MuSchArbV, jetzt § 10 Abs. 2 Satz 2, § 13 MuSchG 2018). Es ist dringend erforderlich, der schematischen Aussperrung junger Frauen entweder wegen bloßer Fürsorge oder aus Sorge der Arbeitgeber um eigene Haftungsrisiken einen vernünftigen Dialog zur Abstimmung über unvermeidbare, aber doch verantwortbare Gefährdungen entgegenzusetzen. Ansonsten bleibt es bei den zahllosen Grauzonen, in denen Frauen aus Sorge vor frühzeitigem Verlust ihrer Beschäftigungsmöglichkeit so lange wie möglich ihre Schwangerschaft unter Inkaufnahme nicht mehr verantwortbarer Risiken verschweigen.

(5) Abgerundet werden die Schutzpflichten durch Dokumentations- und Informationspflichten, die wie schon bisher (vgl. § 2 MuSchArbV) deutlich über das Maß im allgemeinen betrieblichen Arbeitsschutz hinausgehen (jetzt § 14 MuSchG 2018). Nicht neu und dennoch als Ausdruck des partizipativen Elementes des Mutterschutzes besonders hervorgehoben sei hier die Pflicht des Arbeitgebers, alle bei ihm beschäftigten Frauen über die Ergebnisse der mutterschutzspezifischen Gefährdungsbeurteilung einschließlich des Bedarfs an Schutzmaßnahmen zu unterrichten (vgl. § 14 Abs. 2 MuSchG 2018, bisher schon § 2 MuSchArbV).

(6) Die notwendigen Flankierungen des Gesundheitsschutzes, d.h. Kündigungs- und Entgeltschutz, regelt das MuSchG 2018 annähernd dem bisherigen Niveau. Hervorzuheben ist hier insbesondere die wichtige Erweiterung des Kündigungsverbotes im Falle einer Fehlgeburt. Der nachgeburtliche Kündigungsschutz greift nun gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MuSchG 2018 auch, wenn die Frau nach der zwölften Schwangerschaftswoche von einer Fehlgeburt betroffen ist. Bislang wurde der kündigungsschutzauslösende „Entbindungsbegriff“ in § 9 MuSchG von der Rechtsprechung nach personenstandsrechtlichen Maßstäben und damit letztlich an Geburtsgewichten bemessen, was zu untragbaren Differenzierungen geführt hat.37

VII. Kritik

Die Reform war angesichts der wirkungslos gebliebenen MuSchArbV überfällig. Sie zielt nicht nur grundsätzlich, sondern an vielen Stellen auch im Detail in die richtige Richtung.

Nachbesserungen sind vielfach vorgeschlagen.38 Hier soll nur eine angerissen werden:

Die Reform des MuSchG muss genutzt werden, die bislang versäumte Umsetzung der RL 2006/54/EG (Rückkehrrecht) sowie RL 2010/18/EU (Rückkehrrecht und Arbeitsplatzarrangement) nachzuholen. Der Vorschlag des Bundesrates39 zielt in die richtige Richtung, spart aber das Arbeitsplatzarrangement aus.40 Verstärkt wird die Diskussion durch den inzwischen vorliegenden noch weitergehenden Entwurf der Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der RL 2010/18/EU des Rates.41


1) BR-Drs. 230/16 = BT-Drs. 18/8963, S. 1 (Gesetzentwurf der Bundesregierung).

2) Zur Entstehung Nebe, jurisPR-ArbR 28/2016 Anm. 1; vgl. auch Hülsemann, ArbR 2016, 568.

3) Nebe, Beschäftigungsfördernder Mutterschutz – europäische Impulse für ein gleichstellungsgerechtes Mutterschutzgesetz, in: Festschrift für Eichenhofer, 2015, S. 472.

4) Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts, BGBl I v. 29.05.2017, 1228.

5) Vgl. RL 2014/27/EU.

6) Vgl. nur exemplarisch EuGH, Urt. v. 01.02.2005 – C-203/03 – Slg. 2005, I-935 (Österreich). Ausführlich zur Verzahnung von Mutterschutz und Diskriminierungsschutz GA Trstenjak, Schlussanträge v. 31.03.2009 – C-63/08 – Slg. 2009, I-10467 Rn. 46 ff. „Pontin“; zum Verhältnis im Sinne praktischer Konkordanz Nebe, Betrieblicher Mutterschutz ohne Diskriminierung, S. 113 ff.

7) Vgl. nur Erwägungsgrund Nr. 24 der RL 2006/54/EG.

8) Vgl. schon Begründung zur Überarbeitung der RL 92/85/EWG, KOM (2008) 637 endg., sowie aktuell Entwurf der Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der RL 2010/18/EU des Rates, 2017/0085 (COD).

9) Ausführlich zum europäischen Mutterschutz Nebe in: Nebe/Kiesow, § 17 Mutterschutz und Elternzeit, in: Schlachter/Heinig, Enzyklopädie Europarecht, Band 7: Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, 1. Aufl. 2016, Rn. 13 ff.

10) Der Verweis auf den Beschäftigtenbegriff in § 7 SGB IV überzeugt angesichts der systematisch deutlich näher liegenden Bezugnahme auf § 2 ArbSchG nicht.

11) Wobei die Rechtmäßigkeit der nur teilweisen Anwendung gerade vor dem unionsrechtlichen Hintergrund zu klären bleibt, vgl. z.B. den Ausschluss einer Entgeltersatzregelung für arbeitnehmerähnliche Personen in § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 MuSchG 2018, obwohl die RL 92/85/EWG Mindestvorgaben zur sozialen Absicherung in Art. 11 enthält.

12) Referentenentwurf des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Stand: 03.03.2016), dazu Stellungnahme Arbeitskreis Frauengesundheit in: Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF), http://www.akf-info.de/portal/2016/04/09/stellungnahme-zum-entwurf-des-neuen-mutterschutzgesetzes/.

13) Vgl. Wortprotokoll, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 71. Sitzung vom 19.09.2016; BDA, Mutterschutz zeitgemäß regeln, Moderner Mutterschutz muss handhabbar sein, Juli 2016.

14) Aus den zahlreichen kritischen Stimmen gegen einen vermeintlich überbürokratischen Arbeitsschutz vgl. Wolf, BB 2016, Heft 23, I; Blattner, DB 2017, 1031; Blattner, DB 2016, 2120.

15) Dazu Blume/Faber in: Hk-ArbSchR, § 4 ArbSchG Rn. 8.

16) Dazu Blume/Faber in: Hk-ArbSchR, § 4 ArbSchG Rn. 19 ff.

17) Vgl. BT-Drs. 18/11782, S. 28 (gegen die Berücksichtigung individueller Belange die CDU/CSU-Fraktion), anders die SPD-Fraktion, a.a.O., S. 29.

18) Vgl. zur Grenze einer unionsrechtskonformen Auslegung BVerfG, Beschl. v. 23.05.2016 – 1 BvR 2230/15 – NJW-RR 2016, 1366.

19) So schon Beetz in: Hk-ArbSchR, MuSchG Rn. 15.

20) Ausführlich dazu Kohte in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 292 Rn. 10.

21) Dazu Nebe, Betrieblicher Mutterschutz ohne Diskriminierungen, S. 128 f. und S. 177 f.

22) Dazu ausführlich Nebe in: jurisPK-FuB, Kap. 5.6.

23) Vgl. exemplarisch EuGH, Urt. v. 20.09.2007 – C-116/06 – NZA 2007, 1274 „Kiiski“; dazu Nebe, Beschäftigungsfördernder Mutterschutz – europäische Impulse für ein gleichstellungsgerechtes Mutterschutzgesetz in: Festschrift für Eichenhofer, S. 472, 490 m.w.N.

24) Dazu schon nach MuSchArbV Nebe in: jurisPK-FuB, Kap. 5.6 Rn. 6.

25) Vgl. Blume/Faber in: Hk-ArbSchR, § 4 ArbSchG Rn. 17; zur zentralen Bedeutung der Gefährdungsbeurteilung BAG, Beschl. v. 11.02.2014 – 1 ABR 72/12 – DB 2014, 1498; BAG, Beschl. v. 08.11.2011 – 1 ABR 42/10 – DB 2012, 1213.

26) Ausführlich Kohte in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 292 Rn. 22.

27) Dazu Nebe, Betrieblicher Mutterschutz ohne Diskriminierungen, S. 124 ff.

28) Kritisch dazu Nebe, Beschäftigungsfördernder Mutterschutz – europäische Impulse für ein gleichstellungsgerechtes Mutterschutzgesetz in: Festschrift für Eichenhofer, S. 472, 490 m.w.N.

29) Anschaulich zu den schwierigen und für den effektiven Gesundheitsschutz wenig sachdienlichen Grenzfragen um den Beginn einer Schwangerschaft GA Colomer, Schlussanträge v. 27.11.2007 – C-506/06 „Mayr“.

30) Beetz in: Hk-ArbSchR, MuSchG Rn. 21 ff.

31) Vgl. GA Colomer, Schlussanträge v. 27.11.2007 – C-506/06 „Mayr“; anlässlich moderner Reproduktionsmedizin Brose, NZA 2016, 604.

32) Dazu Blume/Faber in: Hk-ArbSchR, § 4 ArbSchG Rn. 52 ff.

33) Nebe in: jurisPK-FuB, Kap. 5.6 Rn. 11.

34) Vgl. nur die unterschiedlichen Anhänge zur RL 92/85/EWG, dazu Nebe in: Nebe/Kiesow, § 17 Mutterschutz und Elternzeit in: Schlachter/Heinig, Enzyklopädie Europarecht, Band 7: Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, Rn. 33.

35) Vgl. nur Stellungnahmen von Müller-Knöß oder Roos, Wortprotokoll, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 71. Sitzung v. 19.09.2016, S. 41 bzw. 66.

36) Nebe, Betrieblicher Mutterschutz ohne Diskriminierungen, S. 251 ff.

37) Kritisch dazu Nebe, Beschäftigungsfördernder Mutterschutz – europäische Impulse für ein gleichstellungsgerechtes Mutterschutzgesetz in: Festschrift für Eichenhofer, S. 472, 487 m.w.N.

38) Ausführlich Nebe, jurisPR-ArbR 28/2016 Anm. 1.

39) BR-Drs. 230/16 (Beschluss), S. 8.

40) Ausführlich dazu Kiesow in: Nebe/Kiesow, § 17 Mutterschutz und Elternzeit, in: Schlachter/Heinig, Enzyklopädie Europarecht, Band 7: Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, Rn. 51 ff. sowie Kohte, „Return to work“ – europäische Impulse und deutsche Handlungsmöglichkeiten in: Festschrift für Pfarr, 2010, S. 489 ff.

41) 2017/0085(COD), http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+PV+20170515+ITEM-010+DOC+XML+V0//DE&language=DE.