Nachfolgend ein Beitrag vom 16.8.2017 von Boigs, jurisPR-ArbR 33/2017 Anm. 1

Leitsatz

Die Annahme eines Gemeinschaftsbetriebs setzt einen einheitlichen Leitungsapparat voraus. Eine lediglich unternehmerische Zusammenarbeit genügt nicht. Konzernrechtliche Verflechtungen und Vorgaben, die die konzernangehörigen Unternehmen in ihren Betrieben einzuhalten und umzusetzen haben, sind keine hinreichenden Indizien dafür, dass die konzernangehörigen Unternehmen einen Gemeinschaftsbetrieb führen.

A. Problemstellung

Führen mehrere Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb, sind die in diesem Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer der Unternehmen bei der Ermittlung der Arbeitnehmerzahl für die Schwellenwerte des § 23 Abs. 1 KSchG zusammenzurechnen (BAG, Urt. v. 09.10.1997 – 2 AZR 64/97 Rn. 15 – NZA 1998, 141). Insbesondere bei Kleinbetrieben kann es für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes darauf ankommen, ob die Voraussetzungen für einen Gemeinschaftsbetrieb vorliegen. Mit dieser Frage hatte sich das LArbG Kiel zu befassen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers, der als Regional Sales Manager im Homeoffice an seinem Wohnort beschäftigt war, ordentlich zum 30.06.2016. Die Beklagte führt einen Kleinbetrieb mit Büros in D., dessen Arbeitnehmerzahl den einschlägigen Schwellenwert des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG nicht erreicht. Sie ist in eine Konzernstruktur eingebunden.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die Kündigung gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam gewesen sei. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Das Kündigungsschutzgesetz sei anwendbar. Die Beklagte führe nämlich mit der C. Deutschland GmbH einen gemeinsamen Betrieb. Beide Unternehmen hätten denselben im Handelsregister eingetragenen Sitz in K. Einer von jeweils drei Geschäftsführern der beiden Unternehmen sei Herr A.C. Muttergesellschaft der Beklagten sei die B. Services GmbH & Co. KG, die auch die C. Deutschland GmbH aufgrund eines Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrages beherrsche. Es gebe nur eine einheitliche IT-Abteilung in K. und eine gemeinsame Internetseite der beiden Unternehmen, auf der auf die C. als ein B.-Unternehmen hingewiesen werde, das mehr als 14.000 Mitarbeiter in 50 Ländern, davon ca. 300 in Deutschland beschäftige und weltweit ca. 1.340 Service-Center, davon 30 in Deutschland unterhalte. Ein einheitliches Beurteilungssystem gelte für alle Arbeitnehmer. Eine Unterscheidung der einzelnen Unternehmen sei gerade nicht gewollt. Hinzu komme ein einheitlicher Leitungsapparat über die B. Ltd. Der Gruppenpräsident, Mr. J.R., steuere weltweit die Geschäftsführer der einzelnen Unternehmen der C.-Gruppe, mithin auch die der Beklagten und die der C. Deutschland GmbH. Er, der Kläger, selbst berichte an Mrs. N. als Sales Director, die wiederum an Mr. M. als Managing Director und der an den Gruppenpräsidenten berichte.
Ergänzend hat der Kläger behauptet, dass die Beklagte mit der vor kurzem gekauften T.-P. (mit mehr als zehn Arbeitnehmern) mit Sitz in H. einen gemeinsamen Betrieb führe. Die Beklagte erledige für dieses Unternehmen den gesamten Vertrieb. Die Mitarbeiter der T.-P. nähmen Anrufe bei der Beklagten an und meldeten sich unter dem Namen der Beklagten. Die Telefonzentrale der Beklagten liege daher inzwischen in H. Bewerbungsgespräche für Neueinstellungen bei der Beklagten fänden bei der T.-P. in H. statt.
Das LArbG Kiel hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen.
Das Landesarbeitsgericht hat die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes verneint. Die Beklagte habe weder mit der C. Deutschland GmbH noch mit der T.-P. einen Gemeinschaftsbetrieb unterhalten. Die wesentliche Voraussetzung eines Gemeinschaftsbetriebs – nämlich der einheitliche betriebsbezogene Leitungsapparat – habe sich aus dem Vortrag des Klägers gerade nicht ergeben.
Die Personenidentität eines von jeweils drei Geschäftsführern der Beklagten und der C. Deutschland GmbH sage hierzu nichts aus, zumal offen bleibe, welche Funktionen dieser Geschäftsführer überhaupt ausgeübt habe. Nach eigenem Bekunden habe der Kläger selbst vom Geschäftsführer A.C. keine Weisungen erhalten. Allein der Umstand, dass beide Unternehmen unter der gleichen Firmenanschrift im Handelsregister von K. eingetragen sind, sei ebenfalls kein taugliches Indiz für das Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebs, zumal beide Unternehmen ihre betriebliche Tätigkeit an unterschiedlichen Orten ausübten. Der gemeinsame Internetauftritt diene der Außendarstellung der Unternehmen und enthalte keinerlei Angaben zu einzelnen betrieblichen Strukturen. Schließlich gebe auch die angesprochene Führung der weltweit etablierten Unternehmen durch den Gruppenpräsidenten, Mr. J.R., keine Erkenntnis für eine wie auch immer praktizierte einheitliche Leitung auf der betrieblichen Ebene der Beklagten und der C. Deutschland GmbH. Auch Abhängigkeits- und Beherrschungsverhältnisse innerhalb eines Konzerns berührten zunächst einmal nicht die betriebliche Ebene.
Hinsichtlich der T.-P. beschränke sich der klägerische Vortrag auf die Darstellung einer Zusammenarbeit auf Unternehmensebene ohne eine Angabe darüber, ob und ggf. wie materielle und personelle Ressourcen auf Betriebsebene einheitlich eingesetzt würden.

C. Kontext der Entscheidung

Das Urteil des LArbG Kiel ist in folgendem Zusammenhang zu sehen:
I. Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen liegt ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen vor, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel mehrerer Unternehmen für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat betriebsbezogen gesteuert wird. Die einheitliche Leitung setzt eine Führungsvereinbarung der beteiligten Unternehmen voraus, die ausdrücklich, aber auch (zumindest) konkludent geschlossen werden kann. Der Kern der Arbeitgeberfunktionen in sozialen und personellen Angelegenheiten muss von derselben institutionellen Leitung ausgeübt werden (BAG, Urt. v. 15.12.2011 – 8 AZR 692/10 Rn. 27 – NZA-RR 2012, 570; BAG, Beschl. v. 13.08.2008 – 7 ABR 21/07 Rn. 19 – NZA-RR 2009, 255; BAG, Urt. v. 26.07.2007 – 8 AZR 769/06 Rn. 32 – NZA 2008, 112). Diese Rechtsprechung des BAG wird durch den Vermutungstatbestand des § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG im Ergebnis bestätigt.
II. Eine lediglich unternehmerische Zusammenarbeit genügt dagegen nicht (BAG, Beschl. v. 13.08.2008 – 7 ABR 21/07 Rn. 19; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 28. Aufl. 2016, § 1 Rn. 82). Gerade in Konzernstrukturen kann es typischerweise zu einer Zusammenarbeit auf der Unternehmensebene kommen. Ein Konzernunternehmen führt in zentraler Zuständigkeit Aufgaben für andere Konzernunternehmen mit aus. Als Beispiel sei die Konzentration der IT- oder Einkaufs- oder Vertriebs- oder Revisions-Aktivitäten in einem Betrieb eines Konzernunternehmens oder in einer Konzerngesellschaft genannt. Auch ist die unternehmensübergreifende Einrichtung von Shared-Service-Funktionen (wie z.B. das Recruiting) allgemein üblich. Dies führt jedoch nicht zwangsläufig zu Gemeinschaftsbetrieben. Erst wenn auf Betriebsebene durch eine einheitliche institutionelle Leitung ein arbeitgeberübergreifender Personaleinsatz praktiziert und gesteuert wird, der charakteristisch für den normalen Betriebsablauf ist, kommt die Annahme eines Gemeinschaftsbetriebs in Betracht.
III. Schließlich sei noch auf den Vermutungstatbestand des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG hingewiesen. Das Entstehen eines Gemeinschaftsbetriebs mehrerer Unternehmen kann die Folge der Spaltung eines Unternehmens sein. Eine Unternehmensspaltung kann, muss aber nicht zu einer Betriebsspaltung führen. Häufig bleibt die betriebliche Einheit erhalten. § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG stellt die Vermutung auf, dass der Betrieb von den an der Spaltung beteiligten Rechtsträgern gemeinsam geführt wird, sofern durch die Spaltung die Organisation des gespaltenen Betriebs nicht wesentlich geändert wird (Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 1 Rn. 85, 92).

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung des LArbG Kiel folgt der ständigen Rechtsprechung des BAG. Für die Zulassung der Revision gab es keine Veranlassung. Unabhängig davon ist der Praxis zu empfehlen in jedem Einzelfall, in dem sich die Frage des Führens eines Gemeinschaftsbetriebs stellt, genau die Vor- und Nachteile eines Gemeinschaftsbetriebs zu prüfen.