Nachfolgend ein Beitrag vom 7.11.2018 von Düwell, jurisPR-ArbR 45/2018 Anm. 3

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Die Zeit des Elternurlaubs mindert den Anspruch auf den unionsrechtlichen Mindesturlaub nach Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG.
2. Die Kürzungsbefugnis des Arbeitgebers in § 17 Abs. 1 BEEG ist mit dem Unionsrecht vereinbar.

A. Problemstellung

Im § 17 BEEG ist geregelt: Der Arbeitgeber kann den Erholungsurlaub, der dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin für das Urlaubsjahr zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen. Ob diese auf die Zeit der Nichttätigkeit abstellende Kürzungsbefugnis unionsrechtsmäßig ist, wird kontrovers beurteilt (unionswidrig: Boecken in: Festschrift Düwell, 2011, S. 53; Kamanabrou, RdA 2014, 321, 327; Ricken/Zibolka, EuZA 2014, 504, 513; unionsrechtskonform: Rancke in: NK-MuSchG/BEEG, 3. Aufl. 2014, § 17 BEEG Rn. 1; Othmer in: Roos/Bieresborn, MuSchG/BEEG, 2014, § 17 BEEG Rn. 3). Zur Klärung der Grundsatzfrage, ob die Zeit eines Elternurlaubs zur Kürzung der Dauer des Erholungsurlaubs führen darf, ist dem EuGH von einem rumänischen Gericht vorgelegt worden.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl 2003, Nr. L 299, S. 9), die sog. Arbeitszeitrichtlinie. Ausgangsfall ist ein Rechtsstreit zwischen dem Tribunalul Botoșani (Landgericht Botoșani, Rumänien) und dem Ministerul Justiției (Justizministerium, Rumänien) auf der einen sowie der Richterin Maria D. auf der anderen Seite wegen der Berechnung ihrer Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub für das Jahr 2015.
Die gegen ihren Dienstgeber klagende Richterin nahm vom 01.10.2014 bis 03.02.2015 Mutterschaftsurlaub. Vom 04.02. bis 16.09.2015 nahm sie Elternurlaub für die Erziehung eines Kindes im Alter von unter zwei Jahren. Während dieses Zeitraums war ihr Arbeitsverhältnis ausgesetzt. Vom 17.09. bis 17.10.2015 nahm sie 30 Tage bezahlten Jahresurlaub.
Auf der Grundlage des rumänischen Rechts, das einen Anspruch auf 35 Tage bezahlten Jahresurlaub vorsieht, beantragte die Klägerin bei ihrer Dienststelle, dem Landgericht, ihr den Restanspruch von fünf Tagen bezahltem Jahresurlaub für 2015 zu gewähren. Die Dienststelle lehnte mit der Begründung ab, nach rumänischem Recht sei die Dauer des bezahlten Jahresurlaubs an die Zeit tatsächlicher Arbeitsleistung innerhalb des laufenden Jahres gebunden. Die Dauer des Elternurlaubs, der ihr 2015 gewährt wurde, sei bei der Berechnung der Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nicht als Zeitraum tatsächlicher Arbeitsleistung anzusehen.
Die dagegen erhobene Klage ist erstinstanzlich abgewiesen worden. Das Berufungsgericht hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die Arbeitszeitrichtlinie einer Bestimmung des nationalen Rechts entgegensteht, nach der bei der Festsetzung der Dauer des Jahresurlaubs die Zeit, in der sich der Arbeitnehmer im Elternurlaub befunden hat, nicht als Zeitraum tatsächlicher Arbeitsleistung berücksichtigt wird.
Der EuGH hat im Rahmen der Vorabentscheidung geantwortet: Eine nationale Bestimmung, wonach bei der Berechnung der Dauer des einem Arbeitnehmer gewährleisteten bezahlten Jahresurlaubs die Dauer eines von dem Arbeitnehmer genommenen Elternurlaubs nicht berücksichtigt wird, sei mit dem Unionsrecht vereinbar. Der Zeitraum eines Elternurlaubs sei einem Zeitraum tatsächlicher Arbeitsleistung nicht gleichgestellt. Zwar dürfe in bestimmten besonderen Situationen, in denen Arbeitnehmer nicht in der Lage seien, ihre Aufgaben zu erfüllen, der Urlaub nicht von der Arbeitsleistung abhängig gemacht werden. Das sie z.B. dann der Fall, wenn Arbeitnehmerinnen wegen einer ordnungsgemäß mit ärztlichen Bescheinigungen belegter Arbeitsunfähigkeit infolge Erkrankung oder eines Beschäftigungsverbots während der vor- und nachgeburtlichen Schutzfristen (vom Gerichtshof als Mutterschaftsurlaub bezeichneter Zeitraum) fehlten. Während eines außerhalb der Schutzfristen liegenden Elternurlaubs befinde sich jedoch die Richterin, die als Arbeitnehmerin im Sinne der Arbeitszeitrichtlinie anzusehen sei, nicht in einer solchen besonderen Lage.

C. Kontext der Entscheidung

Der EuGH knüpft an seine bisherige Rechtsprechung zur Voraussetzung einer tatsächlich im Bezugszeitraum ausgeübten Tätigkeit an. Zwar dürfen die Mitgliedstaaten die Entstehung des sich unmittelbar aus Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie ergebenden Anspruchs auf einen bezahlten „unionsrechtlichen“ Jahresurlaub nicht von irgendeiner Voraussetzung abhängig machen (vgl. EuGH, Urt. v. 26.06.2001 – C-173/99 Rn. 53 „BECTU“; EuGH, Urt. v. 20.01.2009 – C-350/06 und C-520/06 Rn. 28 „Schultz-Hoff u.a“, und EuGH, Urt. v. 29.11.2017 – C-214/16 Rn. 34 „King“). Der Gerichtshof stellt aber selbst eine „unionsrechtliche“ Voraussetzung auf. Diese leitet er aus dem Zweck des in Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten Anspruchs ab. Der Zweck bestehe darin, es jedem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen (vgl. EuGH, Urt. v. 20.01.2009 – C-350/06 und C-520/06 Rn. 25 „Schultz-Hoff u.a.“; EuGH, Urt. v. 22.11.2011 – C-214/10 Rn. 31 „KHS“, und EuGH, Urt. v. 30.06.2016 – C-178/15 Rn. 25 „Sobczyszyn“). Dieser Zweck beruhe auf der Prämisse, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet habe. Das Ziel, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen, setze folglich voraus, dass dieser Arbeitnehmer vorher eine Tätigkeit tatsächlich ausgeübt habe. Nur eine tatsächlich ausgeübte Tätigkeit rechtfertige es, über einen Zeitraum der Erholung, der Entspannung und der Freizeit zu verfügen, der dem in der Richtlinie vorgesehenen Gesundheitsschutz diene. Hier bezieht sich der Gerichtshof auf einen Gedanken, den er in seinem Urteil vom 11.11.2015 (C-219/14 Rn. 29 „Greenfield“) herausgearbeitet hat.
Der EuGH entwickelt seine Rechtsprechung zu den Fällen weiter, in denen das Erfordernis der tatsächlichen Tätigkeit ausnahmsweise entfallen kann. Zunächst stellt er klar, dass er daran festhält, in den Fällen dürfe der Anspruch nicht von der Voraussetzung abhängig gemacht werden, dass der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, wenn dieser „nicht in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen, z.B. weil er wegen einer ordnungsgemäß belegten Krankheit fehlt“ (Bezugnahme auf EuGH, Urt. v. 24.01.2012 – C-282/10 Rn. 20 „Dominguez“). Ausdrücklich führt der Gerichtshof aus: „Arbeitnehmer, die wegen einer Krankschreibung während des Bezugszeitraums der Arbeit ferngeblieben sind, und solche, die während dieses Zeitraums tatsächlich gearbeitet haben, (sind) somit gleichgestellt (vgl. u.a. EuGH, Urt. v. 20.01.2009 – C-350/06 und C-520/06 Rn. 40 ‚Schultz-Hoff u.a.‘).“
Davon grenzt der Gerichtshof jetzt Arbeitnehmer im Elternurlaub ab. Da die Elternurlauber unter keinen durch eine Erkrankung hervorgerufenen physischen oder psychischen Beschwerden leiden, sieht er sie „in einer anderen Lage“. Zudem unterscheide sich deren Lage auch von derjenigen der Frauen, die sich in Mutterschaftsurlaub befinden; denn deren Mutterschaftsurlaub diene dem Schutz der körperlichen Verfassung der Frau während und nach ihrer Schwangerschaft und zum anderen dem Schutz der besonderen Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind während der an Schwangerschaft und Entbindung anschließenden Zeit, damit diese Beziehung nicht durch die Doppelbelastung infolge der gleichzeitigen Ausübung eines Berufs gestört werde (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 18.03.2004 – C-342/01 Rn. 32 „Merino Gómez“, und EuGH, Urt. v. 20.09.2007 – C-116/06 Rn. 46 „Kiiski“).

D. Auswirkungen für die Praxis

Dem EuGH ist uneingeschränkt zuzustimmen. Sowohl die Ableitung des Erfordernisses einer tatsächlich ausgeübten Tätigkeit im Bezugszeitraum als auch die Gleichsetzung von Arbeitsunfähigkeit und Mutterschaftsurlaub mit geleisteter Arbeit sind stimmig, wenn auch bisweilen der laienhafte Sprachgebrauch, u.a. „ordnungsgemäß belegte Krankheit“ verwundert. Zutreffend ist auch ist die Abgrenzung von Arbeitsunfähigkeit und Mutterschaftsurlaub einerseits gegenüber Elternurlaub andererseits.
Das bedeutet für die deutsche Regelung in § 17 Abs. 1 BEEG: Die Vorabentscheidung wirkt sich auch auf die Antwort zu der unter A dargestellten Rechtsfrage aus. Es können keine durchgreifenden Bedenken an der Kürzung des Erholungsanspruchs für die Dauer der in den Bezugszeitraum fallenden Elternzeit bestehen. Unerheblich ist, dass der deutsche Gesetzgeber den Begriff Elternurlaub abgeschafft und durch Elternzeit ersetzt hat. Die Änderung der Bezeichnung war nur ein semantisches Manöver. Die die Gesetzgebung betreibende Bundesregierung wollte damit nur dem Zeitgeist Rechnung tragen, der Urlaub nicht entsprechend seiner neutralen Aussage als Befreiung von der Arbeitspflicht versteht, sondern mit Müßiggang assoziiert. Sie wollte positiv verdeutlichen, dass Elternzeit mit der Erfüllung von Elternpflichten gegenüber kleinen Kindern verbunden ist.
Zu beachten ist, dass der EuGH nur befugt ist, die Voraussetzungen des Anspruchs auf den unionsrechtlichen Mindesturlaub in Auslegung des Unionsrechts zu bestimmen. Er ist nicht zuständig, Rechtsfragen des deutschen Erholungsurlaubs zu beantworten, soweit dieser im BUrlG richtlinienüberschreitend geregelt ist. Die Mitgliedstaaten sind nämlich nicht gehindert, den Arbeitnehmern mehr Rechte einzuräumen, als die Richtlinie gewährleistet. So ist in § 1 i.V.m. § 4 BUrlG der volle Erholungsurlaub nicht von einer tatsächlichen Arbeitsleistung abhängig, sondern er setzt nur die Ableistung der Wartezeit in Form eines sechsmonatigen Bestands des Arbeitsverhältnisses voraus. Daraus folgt, dass in Deutschland der Anspruch auf Erholungsurlaub nach Ablauf der Wartezeit bereits bei Beginn des Urlaubsjahres entsteht, ohne dass auch nur ein Tag im Bezugszeitraum tatsächlich gearbeitet worden ist. Folgerichtig ist deshalb in § 17 Abs. 1 BEEG eine Befugnis des Arbeitsgebers auf Kürzung des Erholungsurlaubs geregelt; denn der Anspruch ist dann bereits am ersten Tag des Bezugszeitraums in vollem Umfang entstanden. Wird nach Unionsrecht der Mindesturlaub nur nach Maßgabe von tatsächlich erbrachter Arbeitszeit oder ihr ausnahmsweise gleichgestellter Zeit der Unfähigkeit zur Arbeit geschuldet, so darf der deutsche Gesetzgeber eine Regelung treffen, nach der er den Arbeitgeber berechtigt, den Mindesturlaub auf das Maß zu kürzen, das dem des Unionsrechts entspricht.

Elternzeit und Dauer des Erholungsurlaubs
Danuta EisenhardtRechtsanwältin
  • Fachanwältin für Familienrecht
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