Nachfolgend ein Beitrag vom 19.9.2018 von Walter, jurisPR-ArbR 38/2018 Anm. 6

Leitsätze

1. Die Erhebung/Erfassung der privaten Mobiltelefonnummer eines Arbeitnehmers gegen seinen Willen ist wegen des darin liegenden äußerst schwerwiegenden Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn der Arbeitgeber ohne Kenntnis der Mobiltelefonnummer im Einzelfall eine legitime Aufgabe, für die der Arbeitnehmer eingestellt ist, nicht, nicht vollständig oder nicht in rechtmäßiger Weise erfüllen kann und ihm eine andere Organisation der Aufgabenerfüllung nicht möglich oder nicht zumutbar ist.
2. Schafft ein kommunaler Arbeitgeber die Rufbereitschaft für Notfälle im Gesundheitsamt für die Dauer der Nachtzeit von 19:01 bis 5:59 Uhr aus Kostengründen ab, um im Notfall einen der Beschäftigten nach dem Zufallsprinzip ggf. auch über das Mobiltelefon aus seiner Freizeit heraus zur Arbeitsleistung heranzuziehen, wählt er damit eine risikobehaftete Arbeitsorganisation. Diese rechtfertigt nicht den in der Herausgabe der Mobiltelefonnummer liegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten, denn grundsätzlich entscheidet jeder Arbeitnehmer selbst, für wen, wann und wo er durch Bekanntgabe der Mobiltelefonnummer erreichbar sein will.
3. Verweigert ein Arbeitnehmer die datenschutzrechtlich unzulässige Erfassung der Mobiltelefonnummer, hat er einen Anspruch auf Rücknahme und Entfernung einer deshalb erteilten Abmahnung aus der Personalakte.

A. Problemstellung

Vordergründig ging es um eine Abmahnung. Die dahinterstehende Frage ist: Muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Handynummer geben? Denn die Abmahnung war erteilt worden, weil der betroffene Arbeitnehmer eben dies verweigert hatte (vgl. auch die Parallelentscheidung LArbG Erfurt, Urt. v. 16.05.2018 – 6 Sa 444/17 m. Anm. Spitz, jurisPR-ITR 17/2018 Anm. 4).

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger war beim beklagten Landkreis im Bereich Hygiene/Infektionsschutz tätig. Dieses Sachgebiet erfordert es, dass ein Tätigwerden außerhalb von Dienstzeiten möglich ist. Das wurde bis zum 31.12.2016 durch Rufbereitschaft abgesichert. Ab diesem Datum wurden „unter Berufung auf die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“ die Zeiten der Rufbereitschaft, für welche den betroffenen Arbeitnehmern ein Diensthandy zur Verfügung stand, stark eingeschränkt. Statt dessen sollte im Notfall nach dem Zufalls- bzw. Willkürprinzip versucht werden, Kontakt mit einem der sieben zuständigen Mitarbeiter außerhalb jeder Dienstzeit und Rufbereitschaft aufzunehmen. Zu diesem Zweck wurden die betroffenen Arbeitnehmer aufgefordert, dem Arbeitgeber ihre Privathandynummer zu geben. Der Kläger verweigerte dies, erhielt daraufhin eine Abmahnung, klagte dagegen und bekam vom ArbG Gera und nun auch vom LArbG Erfurt Recht.
Die Abmahnung ist nach Auffassung des LArbG Erfurt nach den §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog zu entfernen. Dieser Anspruch besteht unter anderem, wenn die Abmahnung auf einer unzutreffenden rechtlichen Beurteilung des Arbeitnehmerverhaltens beruht. Die Fehlbeurteilung des Verhaltens des Arbeitnehmers ist hier die Annahme, dieser sei zur Herausgabe seiner Handynummer verpflichtet. Dass er dies nicht ist, leitet das Landesarbeitsgericht aus § 33 Abs. 1 i.V.m. § 79 Abs. 1 ThürBG ab (beide Gesetze in der zur Zeit des Urteils geltenden Fassung in der Gültigkeit vom 01.05.2017 bis 14.06.2018). Die Erhebung der Handynummer ist Verarbeitung personenbezogener Daten (vgl. § 3 ThürDSG). Die Herausgabe der Handynummer ist weder zur Durchführung des Arbeitsverhältnisses noch zu Zwecken des Personaleinsatzes erforderlich.
An dieser Stelle folgt eine ausführliche Abwägung: Einerseits dürfe der Arbeitgeber wegen seiner unternehmerischen Freiheit (bzw. im Falle kommunaler Gebietskörperschaften der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie) Arbeitsablauf und Arbeitsorganisation und damit den Zweck der Datenerhebung grundsätzlich vorformen. Andererseits müsse der mit einer Datenerhebung verbundene Eingriff dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen. Das sei hier nicht der Fall. Die Erfassung der Handynummer sei ein erheblicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht. Er liege bereits darin, dass der Arbeitgeber damit die Möglichkeit habe, den Arbeitnehmer immer und überall zu kontaktieren. Die Möglichkeit des Abschaltens des Handys ändere daran nichts, denn damit müsse der Arbeitnehmer auch allen anderen jegliche Kontaktmöglichkeit entziehen und könne beispielsweise nicht eine sportliche Betätigung tracken, ohne für den Arbeitgeber erreichbar zu sein.
Auch dass es im Jahre 2017 zu keinem Versuch einer Kontaktaufnahme gekommen sei und laut Beklagtenvortrag auch in Zukunft die Versuche einer Kontaktaufnahme auf ganz wenige Ausnahmefälle beschränkt seien, nützte dem Beklagten nichts. Einerseits spreche das umso mehr für Unverhältnismäßigkeit, andererseits sei gerade wegen des angewandten Zufallsprinzips keineswegs ausgeschlossen, dass es zu einer erheblich höheren Zahl von Kontaktaufnahmeversuchen komme als es der 1,56prozentigen Wahrscheinlichkeit entspreche, die sich laut Berechnungen des Beklagten aus den 40 Einsätzen im Jahre 2016, noch zu Zeiten der umfassenden Rufbereitschaft, ergeben hätte.
Es könne auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Beklagte mit der Forderung nach Herausgabe der Handynummer gerade jenem Problem abhelfen wolle, das er durch Abschaffung der umfassenden Rufbereitschaft selbst geschaffen habe.

C. Kontext der Entscheidung

I. Recht und Pflicht
Eine interessante Frage, da zu verorten, wo § 79 ThürBG herangezogen wird, wäre gewesen, ob sich aus einer eventuellen Berechtigung zur Datenverarbeitung auch gleich eine Pflicht auf Herausgabe der Handynummer ergibt. Wenn man etwas darf, heißt das nicht, dass ein anderer aktiv dazu beitragen muss. Schließlich leitet sich aus dem Recht zu rauchen auch nicht ab, dass jemand anders einem die Zigaretten kaufen muss. Die Antwort auf diese Frage hätte aber möglicherweise dazu geführt, dass eine andere Frage offengeblieben wäre, die implizit mit dem Urteil auch beantwortet ist: Auch die Beschaffung der Handynummer mit anderen Mitteln, vielleicht durch Befragen eines befreundeten Kollegen, gegen den Willen des Arbeitnehmers wäre unzulässig gewesen.
II. Datenschutz und Privatautonomie
Die Lösung des Falles erfolgte über Datenschutzrecht. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es um mehr geht als Datenschutz. Der Arbeitgeber maßte sich hier – zum Zweck der Ersparnis von Kosten für Rufbereitschaft, also letzten Endes mit dem Ziel, seinen Arbeitnehmern weniger Geld zahlen zu müssen – an, über das Privatleben des Arbeitnehmers zu verfügen. Jedoch: Die arbeitsvertraglichen Pflichten des Arbeitnehmers enden dort, wo seine Freizeit beginnt. Diese kann er grundsätzlich frei gestalten (Kreuder in: HK-Arbeitsrecht, 3. Aufl., § 611 BGB Rn. 562).

D. Auswirkungen für die Praxis

Mit dem Urteil ist klargestellt: Der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber seine Privathandynummer nicht geben. Dieser darf sie sich ohne Einwilligung des Arbeitnehmers auch nicht anderweitig verschaffen. Das gilt auch nach der neuen Rechtslage, da § 27 Abs. 1 der aktuellen Fassung des ThürDSG ebenso wie § 33 Abs. 1 der für das vorliegende Verfahren zur Anwendung kommenden früheren Fassung des ThürDSG auf § 79 ThürBG verweist, welcher wiederum in der aktuellen Fassung des ThürBG unverändert gegenüber der für das vorliegende Verfahren zur Anwendung kommenden früheren Fassung des ThürBG ist.
Das gilt ferner über den öffentlichen Dienst hinaus, da § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG (in der aktuellen Fassung, nach dem Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung) und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz EU – DSAnpUG-EU) vom 30.06.2017) lautet: „Personenbezogene Daten von Beschäftigten dürfen für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses für dessen Durchführung oder Beendigung oder zur Ausübung oder Erfüllung der sich aus einem Gesetz oder einem Tarifvertrag, einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung (Kollektivvereinbarung) ergebenden Rechte und Pflichten der Interessenvertretung der Beschäftigten erforderlich ist.“ Er gibt damit keine für vergleichbare Konstellationen über die des § 79 ThürBG hinausgehenden Datenverarbeitungsrechte. Das gilt schließlich örtlich über Thüringen hinaus, da das BDSG ein Bundesgesetz ist – wenn andere Gerichte sich dem LArbG Erfurt inhaltlich anschließen.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Die Revision wurde nicht zugelassen. Die Ausführungen zur Begründung der Nichtzulassung überzeugen allerdings nicht, weder die Behauptung, bei der „Rechtssache, ob und in welchen Fällen eine Mobiltelefonnummer vom Arbeitgeber erfasst werden kann oder nicht“, handele es nicht um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, noch die Feststellung, es seien hier tatsächliche Besonderheiten und landesrechtliche Vorschriften mit ausschlaggebend. Wie dargelegt, gelten die gerichtlichen Erkenntnisse mutatis mutandis örtlich und zeitlich über den konkret entschiedenen Fall und das Landesrecht weit hinaus, und sie erfassen auch mehr Fallkonstellationen als die des konkret entschiedenen Falls. Zweifellos sind von der Frage nach der Pflicht zur Herausgabe der Privathandynummer mehr als zwanzig Arbeitsverhältnisse betroffen – alleine im Kollegium des Klägers waren es ja schon sieben.

Erfassung der privaten Handynummer des Arbeitnehmers nur ausnahmsweise statthaft
Andrea KahleRechtsanwältin

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