Nachfolgend ein Beitrag vom 6.2.2019 von Gravenhorst, jurisPR-ArbR 5/2019 Anm. 7
Orientierungssatz zur Anmerkung
Eine ordentliche Kündigung ist nach Auffassung des LArbG Mainz ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer entgegen einer dienstlichen Weisung „völlig wertlose“ Gegenstände für sich verwendet, die sonst im Müll entsorgt worden wären (hier: nicht verzehrte Donuts).
A. Problemstellung
Kann es eine fristlose, wenigstens aber eine ordentliche Kündigung rechtfertigen, wenn eine Küchenhilfe Küchenabfall weisungswidrig nicht entsorgt, sondern für sich verwendet?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
K war seit über 13 Jahren als Küchenhilfe im Seniorenpflegeheim B beschäftigt, und zwar zu einem Monatsentgelt von ca. 1.000 Euro brutto. Das Arbeitsverhältnis unterstand dem Kündigungsschutz. B hatte generell die dienstliche Weisung erteilt, von den Heimbewohnern nicht verzehrte Lebensmittel dürften vom Personal nicht für sich verwendet werden. Trotzdem nahm K eines Tages zwei von den Bewohnern nicht gegessene Donuts zum privaten Verzehr an sich, die als Müll entsorgen worden wären. B reagierte mit einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung. Das ArbG Koblenz hat der Kündigungsschutzklage in vollem Umfange stattgegeben.
Das LArbG Mainz dagegen hat zwar die fristlose Kündigung ebenfalls als unwirksam, die ordentliche Kündigung trotz fehlender Abmahnung jedoch als wirksam beurteilt, und zwar ohne Zulassung der Revision.
Das Landesarbeitsgericht sieht in dem Verhalten der K „schwere Pflichtverletzungen“ (Rn. 28), die „zweifellos“ einen an sich wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB abgäben (Rn. 27). Auch wenn es sich um „wirtschaftliche völlig wertlose Sachen“ handele (Rn. 29; 32), habe K durch ihr „erhebliches Fehlverhalten“ das „Vertrauen in ihre Redlichkeit zerstört“. Auch einer vorherigen Abmahnung habe es deshalb nicht bedurft (Rn. 32).
C. Kontext der Entscheidung
Es muss verwundern, dass die Besprechungsentscheidung in der Öffentlichkeit nicht einen ähnlichen Sturm der Entrüstung ausgelöst hat wie zehn Jahre zuvor der Fall „Emmely“ (ArbG Berlin, Urt. v. 21.08.2008 – 2 Ca 3632/08; LArbG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.02.2009 – 7 Sa 2017/08). Wohl nicht zuletzt aufgrund dieser öffentlichen Empörung hatte das BAG die Sache seinerzeit schließlich „geradegerückt“ und nicht nur der fristlosen, sondern auch der fristgerechten Kündigung mangels Abmahnung die Wirksamkeit abgesprochen (vgl. BAG, Urt. v. 10.06.2010 – 2 AZR 541/09). Das Besprechungsurteil hätte einen öffentlichen Aufschrei deutlich mehr verdient als seinerzeit die Urteile der Tatsacheninstanzen im Emmely-Fall, und zwar aus folgenden Gründen:
I. Im Besprechungsfall ging es nicht um geringwertige Sachen, sondern um unstreitig „völlig wertlose“ Gegenstände, nämlich um nicht verzehrte Lebensmittel, die entsorgt worden wären.
II. Unstreitig hatte der Arbeitgeber allerdings ausdrücklich eine dienstliche Weisung erlassen, wonach Mitarbeiter derartige Lebensmittel-Rückläufer nicht für private Zwecke an sich nehmen dürften. Gänzlich unverständlicherweise hat das LArbG Mainz jedoch augenscheinlich keinen Gedanken, jedenfalls aber kein Wort daran verschwendet, ob denn diese Weisung vielleicht rechtsunwirksam sein könnte. Zu derartigen Überlegungen hätte aller Anlass bestanden.
III. Bekanntlich bindet § 106 Satz 1 GewO das Weisungsrecht des Arbeitgebers ausdrücklich an die Grenzen „billigen Ermessens“. Die Weisung, zur Entsorgung als Müll vorgesehene Lebensmittel-Rückläufer, auch soweit sie noch ohne weiteres verwertbar sind, nicht für private Zwecke entnehmen zu dürfen, ist in keiner Weise schützenswert und daher auch nicht ermessensgerecht. Im Gegenteil ist eine solche Weisung sogar unethisch und möglicherweise sogar sittenwidrig. Insbesondere wer einmal in seinem Leben längere Zeit echten Hunger gelitten hat, kann kein Verständnis für eine derartige Anweisung aufbringen, sondern sieht sich geradezu verpflichtet, sich darüber hinwegzusetzen.
IV. Bezeichnenderweise hat B im Prozess jedenfalls nach dem Inhalt des Besprechungsurteils keinerlei Sachargumente zur Rechtfertigung ihrer Anweisung vorgetragen. Der bloße Herrschaftswille (sic volo, sic iubeo!) ist für eine abwägende Ermessensentscheidung keinesfalls ausreichend.
V. Man fragt sich unwillkürlich, wie das LArbG Mainz wohl entschieden hätte, wenn K nicht die beiden Donuts-Rückläufer an sich genommen hätte, sondern in der Küche angefallene Kartoffelschalen zwecks Verfütterung an ihre Kaninchen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Das Besprechungsurteil könnte auf Richtertagungen sowohl wegen seines Spruchergebnisses als auch wegen seiner empathiearmen Argumentation und Sprache als Beispiel dafür dienen, wie Rechtsprechung nicht sein sollte. Die Nichtzulassung der Revision setzt dem allen noch die Krone auf (insbesondere wegen Divergenz z.B. zu LArbG Rostock, Urt. v. 27.01.2015 – 2 Sa 170/14, aber auch zum Emmely-Urteil des BAG betreffend das Erfordernis einer Abmahnung).
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