Nachfolgend ein Beitrag vom 24.2.2016 von Temming, jurisPR-ArbR 8/2016 Anm. 6

Orientierungssätze

1. Will das angerufene Gericht die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit vorab bindend feststellen, hat es im Wege eines Zwischenurteils gemäß § 280 ZPO, nicht aber durch Beschluss nach § 17a GVG zu entscheiden.
2. Der Begriff des „individuellen Arbeitsvertrags“ ist nicht nach nationalen Kriterien zu bestimmen, sondern als genuiner Begriff der EGV 44/2001 unter Berücksichtigung von Art. 45 AEUV autonom auszulegen. Ein „individueller Arbeitsvertrag“ ist eine Vereinbarung, mittels deren sich eine Person verpflichtet, während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen zu erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält.
3. Kann die vertraglich vereinbarte Tätigkeit typologisch sowohl in einem Arbeitsverhältnis als auch selbstständig erbracht werden, ist die Entscheidung der Vertragsparteien für einen bestimmten Vertragstypus im Rahmen der bei jeder Statusbeurteilung erforderlichen Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

A. Problemstellung

Wenngleich die Klage materiell-rechtlich vom Urlaubsrecht handelt – es geht um Urlaubsabgeltung von 20 Tagen aus dem Jahre 2011, die der Kläger von der Beklagten verlangt –, so liegt der Schwerpunkt dieser wichtigen Entscheidung des BAG indes im internationalen Prozessrecht. Sie behandelt nämlich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Einfirmenhandelsvertreter Arbeitnehmer i.S.d. Art. 18 bis 21 RL 44/2001/EG (nachfolgend EuGVVO) sind, wobei für Streitigkeiten seit dem 10.01.2015 die Art. 20 bis 23 VO 1215/2012/EU einschlägig sind (nachfolgend Brüssel Ia-VO). Diese Frage ist aus international-verfahrensrechtlicher Sicht deshalb so bedeutsam, weil von ihr abhängt, inwieweit die Vertragsparteien von ihrer Parteiautonomie Gebrauch machen können und sollen (vgl. a. Mankowski, IHR 2014, 247). Das offenbart sich im konkreten Rechtsstreit dadurch, dass die Wirksamkeit der bei Vertragsschluss vereinbarten Gerichtsstandsklausel nur dann zu bejahen ist, wenn es sich bei dem Einfirmenhandelsvertreter um keinen Arbeitnehmer handelt und somit ein Vertrag über selbstständige Dienstleistungen abgeschlossen wurde, vgl. Art. 21, 23 Abs. 5 EuGVVO. Die derogative Wirkung der Gerichtsstandsvereinbarung würde dann insbesondere auch Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO (= Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO) umfassen.
Ist der Einfirmenhandelsvertreter hingegen abhängig beschäftigt und damit Arbeitnehmer, kann der Prinzipal in internationalen Sachverhalten zum einen das Risiko einer ausländischen Gerichtspflichtigkeit außerhalb seines eigenen Forums insbesondere wegen Art. 19 Nr. 2 lit. a EuGVVO (= Art. 21 Abs. 1 lit. b (i) Brüssel Ia-VO) auch bei einem mobilen Handelsvertreter nicht mit Hilfe einer Gerichtsstandsvereinbarung ausschalten. Zum anderen stehen ihm für eigene Klagen nur die Gerichte desjenigen Mitgliedstaats zur Verfügung, in dessen Hoheitsgebiet der Einfirmenhandelsvertreter seinen Wohnsitz hat (Art. 20 EuGVVO = Art. 22 Brüssel Ia-VO). Grund für diese Konsequenzen, die konträr zu den Geschäftsinteressen des Prinzipals liegen können, ist der Umstand, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung im Regelfall nicht die engen Voraussetzungen des Art. 21 EuGVVO (= Art. 23 Brüssel Ia-VO) erfüllen wird. Da sie im Zweifel weder nach der Entstehung der Streitigkeit vereinbart worden ist noch dem Arbeitnehmer die Befugnis einräumt, andere als die in Art. 18 bis 21 EuGVVO (= Art. 20 bis 23 Brüssel Ia-VO) angeführten Gerichte anzurufen, ist eine derartige Gerichtsstandsvereinbarung gem. Art. 23 Abs. 5 EuGVVO (= Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO) unwirksam.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger ist Einfirmenhandelsvertreter für die polnische Beklagte, die Sportlernahrung und Nahrungsergänzungsmittel vertreibt. Er hat seinen Wohnsitz in Deutschland, übte seine Tätigkeit für die Beklagte fast ausschließlich in Deutschland aus und verfügte auch über kein eigenes Personal. Vertragliche Beziehungen bestanden vom 01.11.2010 bis zum 30.09.2011 auf der Grundlage von vier befristeten, sich unmittelbar aneinander anschließenden Verträgen (sog. „Consulting Agreements“). Inhalt der gegen eine monatliche Gesamtvergütung in Höhe von 6.150 Euro geschuldeten Tätigkeit war die Vermittlung der Produkte der Beklagten an deutsche Kunden, die Marktanalyse und Kundenwerbung. Die in englischer Sprache abgefassten Verträge enthalten eine Gerichtsstandsvereinbarung. Danach ist für Streitigkeiten das Gericht am Sitz des Auftraggebers zuständig. Die Verträge sehen darüber hinaus die Geltung polnischen Rechts vor und belegen den Kläger mit einem Wettbewerbsverbot.
Die für das internationale Verfahrensrecht wesentlichen Passagen der Entscheidung des BAG kreisen um die Frage, ob der klagende Einfirmenhandelsvertreter Arbeitnehmer nach den Art. 18 ff. EuGVVO war und die Parteien somit einen „individuellen Arbeitsvertrag“ im Sinne dieser Vorschriften geschlossen haben. Aus Sicht des Klägers war dies am Ende seiner „Beschäftigungskarriere“ der Fall (anders offensichtlich noch seine eigene Einschätzung Anfang November 2010 bei der Beantwortung des Fragebogens der Deutschen Rentenversicherung im Hinblick auf die Versicherungspflicht Selbstständiger nach § 2 SGB VI). Die polnische Beklagte sah dies naturgemäß anders und beharrte auf einem selbstständigen Dienstvertrag, um die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung und damit ihre eigene prozessuale Position nicht zu gefährden.
Das LArbG Düsseldorf bestätigte in einem ausführlich begründeten Urteil diesen Standpunkt (LArbG Düsseldorf, Urt. v. 28.05.2014 – 12 Sa 1423/13 – IPRax 2015, 551, m. Anm. Mankowski, IHR 2014, 247; Raif, GWR 2014, 444; Temming, IPRax 2015, 509). Dem hat sich jetzt das BAG vollumfänglich angeschlossen.
Das BAG weist dabei zunächst darauf hin, dass die Frage der möglichen Arbeitnehmereigenschaft des Klägers nicht nach nationalen Kriterien zu bestimmen sei, sondern sich – völlig zu Recht – nach dem Unionsrecht zu richten habe. Bei dem „Arbeitnehmer“ handele es sich um einen genuinen Begriff der EuGVVO, der unter Berücksichtigung der in Art. 45 AEUV geregelten Arbeitnehmerfreizügigkeit autonom auszulegen sei (Rn. 18 des Besprechungsurteils, m.w.N. aus der Rechtsprechung des EuGH). Danach sei ein „individueller Arbeitsvertrag“ für die Zwecke der EuGVVO eine Vereinbarung, mittels derer sich eine Person verpflichtet, während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen zu erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Ob eine solche Vereinbarung und damit ein Unterordnungsverhältnis vorlägen, ergebe sich aus einer Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung aller Umstände (Rn. 18 des Besprechungsurteils).
Sodann subsumiert das BAG den vom LArbG Düsseldorf festgestellten Sachverhalt unter diesen flexiblen, unionsrechtlich vorgegebenen Obersatz und kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl der von den Parteien festgelegte Vertragsinhalt als auch dessen tatsächliche Durchführung nicht mit hinreichender Sicherheit auf ein Arbeitsverhältnis schließen ließen (Rn. 19 bis 29 des Besprechungsurteils). Folglich liegt nach Auffassung des BAG ein Handelsvertretervertrag in Form eines freien Dienstverhältnisses vor. Dabei kann die Stoßrichtung der Argumentationsführung des BAG in diesem Zusammenhang grob dahingehend zusammengefasst werden, dass es alles versucht, um zu verhindern, die auf Grundlage des Vertragsinhalts und der tatsächlichen Vertragsdurchführung verwendbaren Hinweise auch nur irgendwie in den belastbaren Bereich zu rücken, der die Bejahung eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen könnte (allgemein zur Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft ausf. Preis in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, ErfKomm, 16. Aufl. 2016, § 611 BGB Rn. 63 bis 75, m.w.N.). So würden einige Vertragspflichten auf typische Nebenpflichten hinweisen, die eine Vielzahl von Vertragsverhältnissen kennzeichnen (Informations- und Rechenschaftspflichten), wiederum andere wären vertragstypenneutral, weil sie sowohl in einem Dienst- als auch in einem Arbeitsverhältnis vorkommen könnten (die vom Kläger geschuldeten Tätigkeiten, das vereinbarte Wettbewerbsverbot, Zurverfügungstellung von Dienstwagen und Laptop mit Firmenlogo, Einrichtung eines E-Mail-Kontos, Überlassung eines Laptops, einer Kredit- und Tankkarte sowie die Modalitäten der Entgeltzahlung). Und sollte es Hinweise auf ein Weisungsrecht geben, so würden, führt das BAG aus, diese nicht ausreichen, für sich genommen ein Unterordnungsverhältnis anzunehmen (so bzgl. der faktischen Zwänge bei der Einsatzplanung). Erschwerend kommt für den Kläger in diesem Kontext hinzu, dass er es entgegen der gerichtlichen Aufforderung des LArbG Düsseldorf nach § 142 Abs. 3 ZPO unterlassen hatte, maßgebliche Unterlagen, die zu seinen Gunsten zu sprechen schienen, vom Englischen ins Deutsche übersetzen zu lassen (Rn. 27 des Besprechungsurteils; hierzu LArbG Düsseldorf, Urt. v. 28.05.2014 – 12 Sa 1423/13 – IPRax 2015, 551, 555). Dieser prozessuale Schuss des Klägers in sein eigenes Genick ist – mangels umfassender Kenntnis des Rechtsstreits – nicht nachzuvollziehen und in der Tat ein seltsames Kuriosum dieses rechtlich spannenden Verfahrens.
Abschließend befasst sich das BAG mit der zwangsläufig abzuhandelnden Frage einer etwaigen Vorlagepflicht des Rechtsstreits gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV an den EuGH. Es verneint wenig verwunderlich eine solche, da die Voraussetzungen durch den EuGH hinreichend geklärt seien, unter denen von einem individuellen Arbeitsvertrag i.S.d. Art. 18 Abs. 1 EuGVVO auszugehen ist (Rn. 30 des Besprechungsurteils, m.w.N. zur Judikatur des EuGH).
C. Kontext der Entscheidung
Auch wenn der erkennende Neunte Senat des BAG seine Entscheidung nicht für die amtliche Sammlung vorgesehen hat, ist sie von größter Bedeutung – bezüglich ihres Inhalts und ihrer Wirkung. Das betrifft namentlich die Einordnung des klagenden Einfirmenhandelsvertreter in das System des geltenden Arbeitsrechts unter Berücksichtigung seiner unionsrechtlichen Bezüge. Kritikwürdig an der Entscheidung des BAG ist die strikt, ja fast sture dichotome Herangehensweise, die den Blick für die Statusqualifizierung des Klägers allein zwischen echter Selbstständigkeit (Dienstvertrag) und echter Abhängigkeit (Arbeitsvertrag) hin und her pendeln lässt und dabei die wichtige Kategorie der arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen schlicht ausblendet. Mit anderen Worten wird die sich geradezu aufdrängende Frage, ob der klagende Einfirmenhandelsvertreter nicht arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger ist, vollständig ausgespart. Alle Umstände des Sachverhalts zusammengenommen lassen die Auffassung sehr vertretbar erscheinen. Das LArbG Düsseldorf hatte, wenngleich es die Frage dann sofort verneinte, wenigstens darüber nachgedacht, ob die Art. 18 ff. EuGVVO nicht analog auf arbeitnehmerähnliche Selbstständige angewendet werden könnten (LArbG Düsseldorf, Urt. v. 28.05.2014 – 12 Sa 1423/13 – IPRax 2015, 551, 554, Rn. 37; für eine Analogie z.B. Birk in: Richardi/Wlotzke, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2000, § 23 Rn. 18). Allein diese Gedankenrichtung weist zum inhaltlichen Kern des Rechtsproblems, welches in diesem Verfahren entscheidend ist.
Da sich das BAG – ebenso wie zuvor das LArbG Düsseldorf – für die Qualifizierung des Klägers als selbstständig tätiger Handelsvertreter entscheidet, suggeriert es, dass es formal und materiell mit den Grundsätzen zum europäischen Arbeitnehmerbegriff im Einklang steht. Dieser Eindruck wird durch die Verneinung der Vorlagepflicht gem. Art. 267 Abs. 1 AEUV mit Blick auf den „individuellen Arbeitsvertrag i.S.d. Art. 18 Abs. 1 EuGVVO“ – so das BAG wörtlich – mit Hilfe von zwei Sätzen und der Zitierung von drei EuGH-Entscheidungen sogar noch verstärkt. Wer von diesen drei genannten EuGH-Urteilen (die sich übrigens allesamt gar nicht zur EuGVVO verhalten) insbesondere die Entscheidungen „Danosa“ und „Balkaya“ kennt und aufgrund ihrer präjudiziellen Wirkung nun auch den Fremdgeschäftsführer einer GmbH regelmäßig als Arbeitnehmer im unionsrechtlichen Sinne zu qualifizieren hat (EuGH, Urt. v. 09.07.2015 – C-229/14 – NZA 2015, 861 „Balkaya“; EuGH, Urt. v. 11.11.2010 – C-232/09 – EuGHE 2010, I-11405 „Danosa“; zur bisherigen gegenteiligen Praxis vgl. Preis in: ErfKomm, § 611 BGB Rn. 137 bis 140), muss zwangsläufig zu dem Schluss gelangen, dass dann auch arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffes erfüllen kann (auch selbstständige Handelsvertreter unterliegen einem Weisungsrecht, vgl. nur Hopt in: Baumbach/Hopt, HGB, 36. Aufl. 2014, § 85 Rn. 12, 15 f.). Die Urteile „Balkaya“ und „Danosa“ sind Bestandteil einer Urteilsserie, auf deren Grundlage der EuGH seit einiger Zeit bedeutende Systemverschiebungen im unionsrechtlichen Arbeitsrecht verursacht, die sich bereits jetzt gravierend auf das nationale Arbeitsrecht auswirken (vgl. a. Temming, IPRax 2015, 509). Das BAG scheint dies nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen, weil es sich darauf beschränkt, die Rn. 46 der „Danosa“-Entscheidung des EuGH zu zitieren („Die Frage, ob ein Unterordnungsverhältnis im Sinne der oben angeführten Definition des Arbeitnehmerbegriffs vorliegt, ist in jedem Einzelfall nach Maßgabe aller Gesichtspunkte und aller Umstände zu beantworten, die die Beziehungen zwischen den Beteiligten kennzeichnen.“; hierzu Rn. 18, 30 des Besprechungsurteils), ohne das konkrete Ergebnis dieser bahnbrechenden Entscheidung mit in den Blick zu nehmen.
Die Entscheidung des BAG wirft somit die praxisrelevante Frage auf, ob der klagende Einfirmenhandelsvertreter als Arbeitnehmer im Lichte der neueren Rechtsprechung des EuGH anzusehen ist. Der enge Maßstab des deutschen Arbeitnehmerbegriffes – das bezieht sich vor allem auf die persönliche Abhängigkeit gegenüber dem Vertragspartner – ist hierfür nicht anzulegen und auch nicht unbewusst in den unionsrechtlichen, weitaus offeneren Gegenpart hinzuprojizieren. Genau dies hat das BAG aber getan – unter Ausblendung der nun in das Zentrum des Interesses rückenden Gruppe der arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen. Für die Zwecke der Art. 18 ff. EuGVVO und natürlich die Brüssel Ia-VO kommt es darauf an, ob der EuGH auch diese Sekundärrechtsakte im Grundsatz auf den Arbeitnehmerbegriff des Art. 45 AEUV ausrichten will. Dieser Vorschrift kommt zunehmend eine Schlüsselfunktion für die Zwecke des europäischen Arbeitnehmerbegriffes zu (EuGH, Urt. v. 07.04.2011 – C-519/09 – EuGHE 2011, I-2761 Rn. 22 „Dieter May“). Einschlägige Rechtsprechung des EuGH zur EuGVVO bzw. Brüssel Ia-VO gibt es noch nicht und daher – wie das BAG – von einer hinreichenden Klärung i.R.d. der EuGVVO bzw. der Brüssel Ia-VO zu sprechen, ist deshalb nicht vertretbar (so aber Rn. 30 des Besprechungsurteils). Seine Apodiktik ist auch gemessen am Maßstab des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht überzeugend (vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 10.12.2014 – 2 BvR 1549/07 – NZA 2015, 375; BAG, Urt. v. 01.02.2007 – 2 AZR 15/06).
Im Bereich des internationalen Prozessrechts geht es konkret um die Weiterentwicklung der Entscheidung „Shenavai“ aus dem Jahre 1987 (EuGH, Urt. v. 15.01.1987 – C-266/85 – EuGHE 1987, 239 Rn. 16 „Shenavai“). Sie ist die einzige Entscheidung i.R.d. EuGVÜ und EuGVVO, die bereits das Vorliegen eines Arbeitsvertrages thematisieren musste. Es ging um die Frage, ob die in der grundlegenden EuGH-Entscheidung „Ivenel/Schwab“ begründete Regel, dass für arbeitsvertragsrechtliche Streitigkeiten das Gericht am Erfüllungsort zuständig sei (EuGH, Urt. v. 26.05.1982 – C-133/81 – EuGHE 1982, 1891 Rn. 15 „Ivenel/Schwab“), auch auf Architektenverträge und damit auf selbstständige Tätigkeiten zu übertragen ist. Ohne auf mitgliedstaatliche Maßstäbe zu rekurrieren, entschied der EuGH nun in Shenavai, dass „Arbeitsverträge ebenso wie andere Verträge über eine unselbstständige Tätigkeit im Vergleich zu sonstigen Verträgen auch dann, wenn es sich bei diesen um Verträge über Dienstleistungen handelt, bestimmte Besonderheiten insofern aufweisen, als sie eine dauerhafte Beziehung begründen, durch die der Arbeitnehmer in einer bestimmten Weise in den Betrieb des Unternehmens oder des Arbeitgebers eingegliedert wird, und als ihr räumlicher Bezugspunkt der Ort der Tätigkeit als der für die Anwendung von Vorschriften zwingenden Rechts und von Tarifverträgen maßgebliche Ort ist“ (EuGH, Urt. v. 15.01.1987 – C-266/85 Rn. 16 „Shenavai“). Wie das Zitat belegt, hat der EuGH damals Gesichtspunkte des Weisungsrechts nicht thematisiert. Der Schwerpunkt des Urteils lag bei der Bestimmung des Erfüllungsorts der Arbeitsleistung mit Hilfe des Kriteriums der Eingliederung. Darin gleicht sie im Ergebnis der Folgejudikatur zum internationalen Arbeitsprozessrecht. Und genau darin liegt zugleich der Grund, in diesem Zusammenhang von einer unvollständigen EuGH-Judikatur zu sprechen, deren Weiterentwicklung für die Zwecke des europäischen Arbeitnehmerbegriffs äußerst nützlich sein würde.
D. Auswirkungen für die Praxis
Das BAG hat in einer wichtigen Frage des internationalen Arbeitsprozessrechts eine notwendige Vorlage an den EuGH unterbunden. Aufgrund aktueller Entwicklungen ist diese auch für das gesamte europäische Arbeitsrecht von Bedeutung. Denn es geht um die Reichweite des Schlüsselbegriffs des Arbeitsrechts: den Begriff des Arbeitnehmers. Die Entscheidung des BAG ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Einstellung des BAG, dem EuGH vorzulegen oder nicht vorzulegen, keinen rational oder rechtlich fassbaren Kriterien folgt. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Gerichten ist und bleibt ein spezielles. In casu lässt sich zudem nicht ausschließen, dass die mangelnde Kooperation des Klägers bezüglich der Übersetzung von Dokumenten eine Rolle gespielt haben könnte (vgl. o.). Freilich dürfte das BAG mit diesem Vorgehen nur Zeit gewonnen haben. Ewig verhindern lassen wird sich eine Befassung durch den EuGH in diesem Punkt nicht. Auch aus Gründen der Rechtssicherheit wäre eine Klärung begrüßenswert, weil schwelende Rechtsprobleme dieser abträglich sind. Die Notwendigkeit eines Vorabentscheidungsverfahrens bezüglich der Frage, ob arbeitnehmerähnliche Selbstständige von dem verfahrensrechtlichen Schutz der Art. 18 ff. EuGVVO bzw. Art. 20 ff. Brüssel Ia-VO profitieren sollen, ist schon vor zwölf Jahren bejaht worden (Junker in: Festschrift für Schlosser, 2005, S. 299, 302). Sie drängte sich in diesem Rechtsstreit geradezu auf und hätte dem EuGH erstmalig die Gelegenheit gegeben, seine „Shenavai“-Entscheidung weiterzuentwickeln, um zu dem Arbeitnehmerbegriff der EuGVVO und damit mittelbar auch zu denjenigen der Rom-Verordnungen Stellung zu beziehen. Zu fragen ist insbesondere nach der Notwendigkeit von Weisungsrechten (i.S.e. conditio-sine-qua-non) und ihrer Art und Intensität sowie nach weiteren Kriterien, mit denen darüber hinaus wirtschaftliche Abhängigkeit oder Fremdbestimmtheit identifiziert werden könnte, um den europäischen Arbeitnehmerbegriff zu bejahen.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Neben der Frage der Arbeitnehmereigenschaft des Klägers ist die Prozessgeschichte dieses Rechtsstreits von Interesse. In diesem Zusammenhang ist es widersprüchlich, dass das ArbG Krefeld und die 15. Kammer des LArbG Düsseldorf den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten vorab für gegeben erachteten, später aber die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte verneinten (zur Notwendigkeit eines Zwischenurteils gem. § 280 ZPO und nicht eines Beschlusses gem. § 17a GVG, wenn das angerufene Gericht die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit bindend feststellen möchte, vgl. Rn. 14 des Besprechungsurteils, m.w.N.). Das deutsche Arbeitsrecht differenziert auf der verfahrensrechtlichen Ebene nämlich zwischen arbeitnehmerähnlichen Personen und Handelsvertretern. Während bei arbeitnehmerähnlichen Personen i.R.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten generell gegeben ist, ist dies bei Handelsvertretern als arbeitnehmerähnliche Personen nur unter den engen Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 ArbGG i.V.m. § 92a HGB der Fall. § 5 Abs. 3 ArbGG ist lex specialis zu § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG (vgl. BAG, Urt. v. 15.07.1961 – 5 AZR 472/60 – AP Nr 1 zu § 92a HGB). Wenngleich der Kläger als Einfirmenhandelsvertreter zu dem in § 92a HGB genannten Personenkreis gehört, liegt er mit seinem Monatsverdienst in Höhe von 6.150 Euro weit über der in § 5 Abs. 3 ArbGG festgelegten Grenze von 1.000 Euro. Bejaht man also zugunsten dieses Klägers vorab den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten, bedeutet dies implizit, dass die Eingangsinstanz ihn eigentlich als Arbeitnehmer i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG ansehen müsste, weil sonst § 5 Abs. 3 ArbGG greifen würde (freilich hat das Rechtsmittelgericht später dann § 17a Abs. 5 GVG zu beachten). Damit lässt sich eigentlich schwer vereinbaren, die internationale Zuständigkeit im späteren Verlauf des Rechtsstreits mit dem Argument zu verneinen, er sei kein Arbeitnehmer i.S.d. Art. 18 EuGVVO. Der deutsche Arbeitnehmerbegriff erfüllt ja im Zweifel alle Voraussetzungen seines viel weiteren unionsrechtlichen Pendants.