Nachfolgend ein Beitrag vom 26.9.2018 von Boemke, jurisPR-ArbR 39/2018 Anm. 2
Orientierungssätze zur Anmerkung
1. Leitet ein Arbeitnehmer Firmeninterna an seine private E-Mail-Adresse weiter, dann verstößt er gegen seine Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB und macht sich dem Grunde nach schadensersatzpflichtig (§ 280 Abs. 1 BGB).
2. Ersatzfähig sind sämtliche Schäden, die auf dieser Pflichtverletzung beruhen.
3. Wirbt der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses seinem früheren Arbeitgeber Kunden ab, kann dieser nach § 252 BGB entgangenen Gewinn ersetzt verlangen, wenn der Verlust der Kunden auf dem Verstoß gegen § 241 Abs. 2 BGB beruht.
4. Hierfür muss der Arbeitgeber darlegen und ggf. beweisen, dass der (frühere) Arbeitnehmer ohne die pflichtwidrig erlangten Unterlagen die Kunden nicht hätte abwerben können.
A. Problemstellung
Arbeitnehmer müssen nach § 241 Abs. 2 BGB Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Arbeitgebers nehmen. Sie dürfen sich daher ohne Einverständnis des Arbeitgebers keine betriebliche Unterlagen und Daten aneignen oder diese für betriebsfremde Zwecke vervielfältigen (BAG, Urt. v. 08.05.2014 – 2 AZR 249/13). Verletzen sie diese Pflicht, sind sie zum Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB (dem Grunde nach) verpflichtet. Sie müssen allerdings nur die Schäden des Arbeitgebers ersetzen, die auf der Pflichtverletzung beruhen.
Vorliegend hatte sich ein Arbeitnehmer nach Eigenkündigung als IT-Berater selbstständig gemacht und seiner Arbeitgeberin zwei Kunden abgeworben. Das LArbG Mainz musste vorliegend darüber entscheiden, ob hierfür kausal war, dass sich der Arbeitnehmer vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses wichtige und schützenswerte Firmeninterna an seine private E-Mail-Adresse gesandt hatte.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin erbringt IT-Dienstleistungen für ihre Kunden. Der Beklagte war bei ihr seit 2012 als „Junior Consultant“ tätig und wurde ausschließlich bei zwei Großbanken eingesetzt. Er kündigte sein Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.12.2014. Nach Ausspruch seiner Kündigung am 20.11.2014 übersandte er am 06.12.2014 eine E-Mail vom Server der Klägerin mit mehreren Anhängen an seinen privaten E-Mail Account. Angehängt waren Dateien, die Arbeitsanleitungen, Skripten und Übersichtsgrafiken enthielten. Seit dem 05.01.2015 arbeitete er weiterhin für die beiden Großbanken, nun aber als selbstständiger IT-Experte. Die Klägerin verlangte Schadensersatz i.H.v. 400.000 Euro. Dies entspreche dem entgangenen Gewinn durch den Auftragsverlust. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.
Die Berufung hatte vor dem LArbG Mainz keinen Erfolg.
Zur Begründetheit des Anspruchs muss die Klägerin darlegen und beweisen, dass ihr durch eine Pflichtverletzung des Beklagten ein Schaden entstanden ist. Indem der Beklagte nun als Selbstständiger bei den beiden Großbanken arbeitet, hat sie beide Aufträge verloren. Die fehlenden Einnahmen stellen für sie einen entgangenen Gewinn dar. Für diesen Schaden muss eine Pflichtverletzung des Beklagten ursächlich gewesen sein.
Anknüpfungspunkt für die Pflichtverletzung könnte zunächst die Aufnahme der Tätigkeit für die ehemaligen Kunden der Klägerin sein. Die Pflicht zur Wettbewerbsenthaltung erlösche aber grundsätzlich mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses (vgl. nur BAG, Urt. v. 19.05.1998 – 9 AZR 394/97 Rn. 51 f.; BGH, Urt. v. 14.01.1999 – I ZR 2/97 Rn. 26; Müller-Glöge in: MünchKomm BGB, 7. Aufl. 2016, § 611 Rn. 1220). Eine Vereinbarung über ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nach den §§ 74 ff. HGB wurde nicht getroffen. Somit war der Arbeitnehmer nicht gehindert, nach Beendigung seiner Tätigkeit bei der Beklagten in Konkurrenz zu ihr zu treten. Dabei könne er zudem sein erworbenes Wissen einschließlich etwaiger Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einsetzen. Einschränkungen dieser grundsätzlich bestehenden Wettbewerbsfreiheit finden sich nur durch gesetzliche Regelungen zum Schutz vor unlauterem Wettbewerb gemäß § 3 UWG und den §§ 823, 826 BGB (BAG, Urt. v. 15.06.1993 – 9 AZR 558/91 Rn. 42; BAG, Urt. v. 19.05.1998 – 9 AZR 394/97 Rn. 51 f.), welche hier nicht einschlägig seien. Somit sei in der Konkurrenztätigkeit keine Pflichtverletzung des Beklagten zu sehen.
Sodann stellt das Landesarbeitsgericht fest, dass das Transferieren der Dateien durch den Beklagten an seinen privaten E-Mail-Account unstreitig eine Pflichtverletzung darstellt. Die Dokumente wurden ihm nur für die Zeit seines Arbeitsverhältnisses bei der Klägerin zur Verfügung gestellt. Dabei sei unerheblich, ob er sie nur vervielfältigte und sie daher weiterhin im Bestand der Klägerin seien oder er sie zukünftig nur als Gedächtnisstütze verwenden wollte. Aus dem Arbeitsvertrag treffe ihn eine Rücksichtnahmepflicht, die ihm die Aneignung oder Vervielfältigung betrieblicher Dokumente ohne Zustimmung des Arbeitgebers verbiete. Der Beklagte könne im Wettbewerb mit der Klägerin zwar sein erworbenes Wissen nutzen; er dürfe aber nur die Kenntnisse verwenden, die er gedanklich gespeichert habe. Er sei nicht befugt, Schriftstücke und Dateien mitzunehmen, um so verkörperte Gedankenstützen zu besitzen. Gegen diese Pflicht habe er jedoch mit seiner Handlung verstoßen.
Trotz Vorliegens einer Pflichtverletzung könne die Klägerin den von ihr geltend gemachten Schaden jedoch nicht ersetzt verlangen. Es könne zwar unterstellt werden, dass sie die beiden Aufträge deshalb verloren habe, weil der Beklagte nun als Selbstständiger für die Großbanken arbeite. Allerdings müsse sie darlegen, dass die Pflichtverletzung des Beklagten – die Weiterleitung der Unterlagen – ursächlich für den Auftragsverlust war. Dies sei ihr nicht gelungen. Der Beklagte verfüge nicht nur über einen Hochschulabschluss B.A. in Informatik, er war auch über zwei Jahre lang bereits bei den beiden Großbanken tätig und führe seine bisherige Arbeit dort fort – jetzt nur als Selbstständiger. Es sei daher nicht ersichtlich, weshalb der Beklagte nicht in der Lage sein sollte, auch ohne die weitergeleiteten Dokumente seiner Tätigkeit nachzugehen. Eine Schadensschätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO sei ebenfalls nicht möglich, denn es seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, den Schaden zumindest teilweise auf die pflichtwidrige Handlung zurückzuführen. Eine Schätzung der Billigkeit nach gestatte die Norm nicht.
C. Kontext der Entscheidung
Es entspricht herrschender Ansicht, dass nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Arbeitnehmer nicht daran gehindert sind, zu ihrem ehemaligen Arbeitgeber in Konkurrenz zu treten und dabei das Wissen einzusetzen, welches sie während ihrer bisherigen Tätigkeit erworben haben. Die widerstreitenden Interessen zwischen der grundrechtlich geschützten freien Wahl des Arbeitsplatzes sowie der Wettbewerbsfreiheit des Arbeitnehmers einerseits und dem Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung seiner Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sowie an möglichst geringer Konkurrenz andererseits wollen die §§ 74 ff. HGB, §§ 826, 823 BGB, §§ 1, 17 UWG ausgleichen (BAG, Urt. v. 15.06.1993 – 9 AZR 558/91 Rn. 42; BAG, Urt. v. 19.05.1998 – 9 AZR 394/97 Rn. 51 f.). Solange der Arbeitnehmer diese Grenzen beachtet, kann er sein Wissen über bestimmte Betriebsinterna nutzen, um Kunden seines ehemaligen Arbeitgebers abzuwerben und für sich zu gewinnen.
Dies ist allerdings nach ständiger Rechtsprechung nur zulässig, solange der Arbeitnehmer diese Kenntnisse gedanklich gespeichert hat (BGH, Urt. v. 14.01.1999 – I ZR 2/97 Rn. 26; BGH, Urt. v. 27.04.2006 – I ZR 126/03 Rn. 13; BAG, Urt. v. 08.05.2014 – 2 AZR 249/13 Rn. 32). Es ist ihm nicht gestattet, auf Informationen aus Schriftstücken zuzugreifen, die er während der Tätigkeit bei dem Arbeitgeber angefertigt hat oder ihm zur Verfügung gestellt wurden. Aus dem Arbeitsvertrag folgt die Verpflichtung, auf berechtigte Interessen, Rechte und Rechtsgüter des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Diese Nebenpflicht ist dann verletzt, wenn sich der Arbeitnehmer ohne Zustimmung Geschäftsunterlagen aneignet oder für betriebsfremde Zwecke verwendet (BAG, Urt. v. 08.05.2014 – 2 AZR 249/13 Rn. 32; Bergwitz, NZA 2018, 333, 334).
Sollte der Arbeitgeber nachweisen können, dass solche Unterlagen von dem Arbeitnehmer auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verwendet werden, steht er jedoch vor der Herausforderung, die Verbindung zur Abwerbung und dem damit einhergehenden Schaden in Form des entgangenen Gewinns herzustellen. Die Darlegungs- und Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden in Form der haftungsausfüllenden Kausalität trägt grundsätzlich der Gläubiger (vgl. nur BGH, Urt. v. 25.05.1964 – VII ZR 239/62 Rn. 25; BGH, Urt. v. 17.12.1968 – VI ZR 212/67 Rn. 26; Riehm in: BeckOGK, Stand: 01.06.2018, § 280 BGB Rn. 350; Ernst in: MünchKomm BGB, 7. Aufl. 2016, § 280 Rn. 145). Sofern die materielle Ersatzpflicht dem Grunde nach bewiesen ist, können dem Gläubiger insoweit aber Beweiserleichterungen zugute kommen. § 287 Abs. 1 ZPO reduziert die Anforderungen an die Beweiserbringung sowohl in Bezug auf die Entstehung des Schadens als auch auf die Höhe (Bacher in: BeckOK-ZPO, Stand: 01.07.2018, § 287 Rn. 14; Prütting in: MünchKomm ZPO, 5. Aufl. 2016, § 287 Rn. 1 ff.; Saenger, ZPO, 7. Aufl. 2017, § 287 Rn. 3 ff.). Dies gilt uneingeschränkt beim Eintritt von Personen- und Sachschäden. Hier gehört der Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und der Rechtsgutverletzung im Allgemeinen zum konkreten Haftungsgrund und ist nach § 286 Abs. 1 ZPO zu beweisen (vgl. BGH, Urt. v. 15.06.1993 – XI ZR 111/92 Rn. 24).
Im vorliegenden Fall machte die Klägerin allerdings einen Anspruch aus Vertragsverletzung geltend, der auf Ersatz eines reinen Vermögensschadens gerichtet ist. In derartigen Fällen findet § 286 ZPO nach der Rechtsprechung des BGH nur bis zu der Feststellung Anwendung, der Vertragspartner sei von dem Verstoß so betroffen worden, dass nachteilige Folgen für ihn eintreten konnten. Für den Nachweis der Ursächlichkeit der Vertragsverletzung für den eigentlichen Schadenseintritt ist dann aber die Beweiserleichterung des § 287 ZPO maßgebend (BGH, Urt. v. 20.02.1975 – VI ZR 129/73; BGH, Urt. v. 24.06.1986 – VI ZR 21/85 Rn. 23; BGH, Urt. v. 15.06.1993 – XI ZR 111/92 Rn. 24). Allerdings kann die Norm nicht in den Konstellationen weiterhelfen, in denen eine Kausalverbindung zwischen beiden Aspekten nicht zu erkennen ist. Dem Beklagten würde es nämlich andernfalls unmöglich gemacht werden, sich zu verteidigen, wenn ein Schadensersatzanspruch auf bloßen Billigkeitsgründen basiert und es keine Schätzungsgrundlagen gibt, gegen die er Einwände erheben könnte.
Allerdings muss die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und behauptetem Schaden nicht positiv festgestellt werden. Nach dem BGH erstreckt sich „der Bereich des nach § 286 ZPO zu beweisenden Haftungsgrundes nur bis zu der Feststellung, der Vertragspartner sei von dem Verstoß so betroffen worden, dass nachteilige Folgen für ihn eintreten konnten“ (BGH, Urt. v. 15.06.1993 – XI ZR 111/92 Rn. 24). Das Landesarbeitsgericht hatte hierzu ausgeführt, „es fehlen greifbare Anknüpfungstatsachen, die es ermöglichen, den behaupteten Schaden dem pflichtwidrigen Verhalten des Beklagten … zumindest zum Teil zuzuordnen“ (Rn. 61). Ob dies angesichts des diesbezüglich umfassenden und substantiierten Vortrags der Klägerin zutreffend ist, erscheint mindestens zweifelhaft. Der Sache nach liegt dann aber ein bloßer Subsumtionsfehler vor.
D. Auswirkungen für die Praxis
Der vorliegende Fall zeigt, trotz gegebener Pflichtverletzung des ehemaligen Arbeitnehmers kann es im Einzelfall schwierig sein, einen daraus entstehenden Schaden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen der Arbeitnehmer ehemalige Kunden abgeworben hat. Möchte man dies als Arbeitgeber verhindern, kommt man um ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot mit entsprechenden Zahlungspflichten nicht umhin.
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