Nachfolgend ein Beitrag vom 27.07.2016 von Fischer, jurisPR-ArbR 30/2016 Anm. 4

Leitsätze

1. Haben die Betriebsparteien das Rauchen am Arbeitsplatz wirksam untersagt, stellt das Verbot, die Arbeitszeit zusätzlich zu den regelmäßigen Pausen (Frühstücks- und Mittagspause) zum Zwecke des Rauchens in den eingerichteten Raucherzonen zu unterbrechen, keinen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der Arbeitnehmer dar, der besonders zu rechtfertigen wäre.
2. Aus der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG folgt kein Anspruch, die Arbeitszeit außerhalb der gesetzlich, tariflich oder betrieblich vereinbarten Pausen zum Zwecke des Rauchens zu unterbrechen, der eine Verpflichtung der Betriebsparteien i.S.d. § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG begründen würde, zusätzliche Raucherpausen zu vereinbaren.

A. Problemstellung

„Mach mal Pause… .“ so lockte vor ewigen Zeiten ein nicht ganz unbekannter Getränkekonzern. In Zeiten des Nichtraucherschutzes könnte es der Hilferuf der Zigarettenindustrie sein, denn die Zahl der Betriebe, in denen grenzenlos geraucht werden darf, ist übersichtlich geworden. Das LArbG Düsseldorf hatte sich mit der Frage zu befassen, ob im Rahmen zweier durch Spruch der Einigungsstelle zustande gekommener Betriebsvereinbarungen zum Thema „Gleitzeit“ und „Rauchen im Betrieb“, die in ihrer Systematik und Diktion alles andere als vorbildlich gestaltet waren, den Arbeitnehmern rechtswirksam untersagt werden konnte, außerhalb der arbeitszeitrechtlich festgelegten Pausen eine (zusätzliche) Raucherpause an zuvor festgelegten Raucherplätzen einzulegen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Betriebsverfassungsparteien hatten sich in einem gerichtlichen Vergleich auf eine Einigungsstelle geeinigt, die in getrennten Regelungen die oben genannten Komplexe durch einen gegen die Beisitzer des Betriebsrates verabschiedeten Spruch einer Einigung zuführten. Während in § 8 der Betriebsvereinbarung „Gleitzeit“ eine Frühstückspause von 15 Minuten festgelegt wurde, die der Mitarbeiter, wenn er sie in Anspruch nehmen will, im Zeiterfassungssystem ausbuchen muss, gilt für die Mittagspause eine automatische Verbuchung „aus systemtechnischen Gründen“. In § 3 der Betriebsvereinbarung „Rauchverbot“ heißt es: „Alle Mitarbeiterinnen, die während der Arbeitszeit ihren Arbeitsplatz verlassen, um die Raucherzonen aufzusuchen, haben das durch Bedienen des für sie zuständigen Zeiterfassungsterminals anzuzeigen… . Das Rauchen ist nur in den Pausen an den dafür vorgesehenen Raucherplätzen (…) gestattet“.
In Anwendung und unter Berücksichtigung der Betriebsvereinbarungen versandte der Arbeitgeber eine E-Mail an alle Mitarbeiter, in der er den „Hinweis“ gab, dass „nur noch in den Pausen (Frühstücks- bzw. Mittagspause) geraucht werden darf. Natürlich können Sie in ihren Pausen tun, was sie möchten, auch das Rauchen gehört dazu. Eine Extra-Stempelung ist zwar nach wie vor möglich, aber nicht erforderlich.“ Der Betriebsrat vertrat die Auffassung, diese Veröffentlichung des Arbeitgebers sei rechtswidrig und verletze die zitierten Betriebsvereinbarungen und materielles Betriebsverfassungsrecht.
Nachdem das Arbeitsgericht, nicht nur im einstweiligen Verfügungsverfahren, einen betriebsratlichen Antrag dahingehend, der Arbeitgeberin zu untersagen, das Rauchen außerhalb der Pausenzeiten innerhalb der Raucherzonen zu verbieten, abgewiesen hatte, hat das LArbG Düsseldorf, das zuvor auch die Beschwerde des Betriebsrates im einstweiligen Verfügungsverfahren zurückgewiesen hatte, die Entscheidung bestätigt. Die Revision wurde zugelassen.

C. Kontext der Entscheidung

Der betriebsratliche Unterlassungsantrag, der seine erste Begründung darin fand, die arbeitgeberseitige Anordnung verstoße gegen die zitierten Betriebsvereinbarungen, führte zu einer intensiven Auseinandersetzung des Landesarbeitsgerichts mit Wortlaut sowie Sinn und Zweck der beiden Betriebsvereinbarungen und ihrem Verhältnis zueinander. Im Rahmen der absolut herrschenden Meinung zur Auslegung der normativen Teile von Betriebsvereinbarungen, die keinen anderen Regeln folgt, als die, die für die Auslegung von Tarifverträgen und Gesetzen gilt, führte bereits der objektive Wortlaut der Betriebsvereinbarung „Rauchverbot“ zu dem Ergebnis, dass den Arbeitnehmern des Betriebes in zeitlicher Hinsicht nur die Pausen zur Verfügung stehen und in räumlicher Hinsicht die ausgewiesenen Raucherplätze, wenn es um die Erfüllung ihres Rauchbedürfnisses geht. Eine funktionale Betrachtung des Begriffs „Arbeitszeit“, bei Entgegensetzung des Begriffs „Pause“, führt, so zutreffend das Landesarbeitsgericht, zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Betriebsverfassungsparteien, bzw. an deren Stelle die Einigungsstelle durch ihren Mehrheitsspruch, haben unter dem Begriff „Arbeitszeit“, wenn auch nicht überzeugend exakt, den Zeitraum angesprochen und definiert, der von Beginn bis Ende der Arbeitszeit i.S.v. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG reicht. In diesem Zeitraum sind dann natürlich auch (gesetzlich vorgeschriebene bzw. freiwillige) Pausen enthalten. Völlig zu Recht weist das Landesarbeitsgericht aber darauf hin, dass dieser Ansatzpunkt auch dazu führt, dass den Arbeitnehmern auch vor Beginn und nach Ende der Arbeitszeit, wenn sie sich schon im Betrieb aufhalten, das Rauchen gestattet ist, allerdings nicht räumlich unbegrenzt, sondern wiederum nur im Bereich der Raucherplätze. Denn aus der Betriebsvereinbarung zur Gleitzeit lasse sich nicht entnehmen, dass Arbeitnehmer verpflichtet sein könnten, vor Beginn bzw. nach Ende der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung, bei seiner früheren Anwesenheit im Betrieb, bzw. längerem Verweilen im Betrieb die Zeiterfassungssysteme zu benutzen. Da es sich nicht um ein Anwesenheits-, sondern Zeiterfassungssystem handele, beziehe es sich nur auf den Zeitraum von Beginn bis Ende der Arbeitszeit und den jeweiligen Zeitraum von Beginn bis Ende der Pause. Das Landesarbeitsgericht kommt also zutreffend zu dem Auslegungsergebnis, dass Arbeitnehmer während ihrer „Arbeitszeit“, die hier die Zeit meint, die jeweils zwischen den gegenläufigen Betätigungen des Zeiterfassungssystems liegt, auch dann nicht rauchen dürfen, wenn sie die Raucherplätze aufsuchen. Mit anderen Worten, die Betriebsvereinbarung im Gewande des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG stellt, wie auch ihr Titel „Rauchverbot“ zum Ausdruck bringt, ein modifiziertes betriebliches Rauchverbot im erläuterten Sinne dar. Da das Landesarbeitsgericht völlig zu Recht darauf hinweist, dass ein Verstoß von Betriebsvereinbarungen gegen das Gebot der Normenklarheit, die hier sicherlich nicht hundertprozentig optimal gelungen war, erst dann in Betracht kommt, wenn durch Auslegung ein bestimmter Regelungsinhalt nicht erzielt werden kann, war der vom Landesarbeitsgericht durchgeführte Auslegungsprozess erforderlich. Da hier die Auslegung aber nach allen in Betracht kommenden Kriterien der objektiven Auslegungsmethode zu einem eindeutigen Ergebnis führte, konnte und musste das Landesarbeitsgericht die vom Betriebsrat erhobene Rüge des Verstoßes gegen das Gebot der Normenklarheit zurückweisen.
Somit kam es auf die Frage an, ob die vom Landesarbeitsgericht als partielles „Rauchverbot außerhalb der Pausen“ ausgelegte Betriebsvereinbarung auch am Prüfungsmaßstab des § 75 Abs. 2 BetrVG „überlebensfähig“ war. Die „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ ist jedoch im Kontext eines Arbeitsvertrages eine schon im Ansatz problematische Kategorie. Denn der Arbeitsvertrag hat zu seinem wesentlichen Inhalt ja gerade, dass der Arbeitnehmer sich ohne Wenn und Aber für die Dauer des Zeitraums der Arbeitsleistung dem Weisungsrecht des Arbeitgebers, das überhaupt erst den Arbeitsvertrag konstituiert, unterwirft. Und aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ergibt sich darüber hinaus, dass der in den Betrieb eingegliederte Arbeitnehmer sich einer kollektiven betrieblichen Ordnung zu unterwerfen hat. Da es in der Betriebsvereinbarung, wie dargestellt, nur um den Zeitraum der Erbringung der Arbeitsleistung geht, in dem der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei, so die ständige Rechtsprechung des BAG, Anordnungen treffen darf, kann die freie Entfaltung der Persönlichkeit i.S.d. § 75 Abs. 2 BetrVG nur dann in Stellung gebracht werden, wenn die arbeitsbezogenen Weisungen des Arbeitgebers schon für sich genommen dem Persönlichkeitsrecht feindlich wären. Allerdings, darauf weist das Landesarbeitsgericht nicht hin, beinhaltet das arbeitgeberseitige Direktionsrecht nach § 106 GewO keine subjektive Spielwiese des Arbeitgebers. Es darf vielmehr nur „nach billigem Ermessen“ ausgeübt werden. Davon kann z.B. dann keine Rede sein, wie auch das Landesarbeitsgericht zutreffend ausführt, wenn der Arbeitgeber, der natürlich ein Interesse daran hat, dass eine optimale, durch keinerlei Unterbrechungen beeinträchtigte Arbeitsleistung erbracht wird, den Arbeitnehmern untersagt, während der Arbeitszeit die Toilette aufzusuchen (ja, aus den USA werden solche Fälle berichtet, die Windelindustrie jubiliert!).
Der Ansatz des Landesarbeitsgerichts, dies folge daraus, weil die „Toilettenpause“ einem „allenfalls bedingt steuerbaren und aus gesundheitlichen Gründen auch nicht aufschiebbaren menschlichen Grundbedürfnis geschuldet ist“, ist meines Erachtens aber zu eng. Der Ausgangspunkt ist allerdings vollkommen richtig. In diese Kategorie fallen z.B. auch Phänomene wie Durst oder Hunger, wegen der hier vorhandenen deutlich höheren Steuerungsmöglichkeiten jedoch nicht ungeregelt, sondern im Rahmen der sich aus der Arbeitsleistung, der Arbeitsumgebung und der persönlichen Konstitution des Arbeitnehmers ergebenden Erforderlichkeit. Zu den menschlichen Grundbedürfnissen, die in diesem Zusammenhang jedoch auch berücksichtigt werden können und müssen, gehören aber zum Beispiel Phänomene wie verbale und nonverbale Kommunikation. Auch hier handelt es sich um ein „menschliches Grundbedürfnis“, auch wenn man nicht so weit gehen sollte, hier die Steuerungsfähigkeit völlig zu verneinen. Diese Kommunikation zu untersagen, dürfte der Arbeitgeber nur bei Vorliegen zwingender Gründe berechtigt sein. Gleiches gilt natürlich für die Betriebsverfassungsparteien und im Rahmen des § 76 Abs. 5 Satz 2 BetrVG für die Einigungsstelle.
Auch wenn die Tabakindustrie das anders sehen mag, das Rauchen scheint mir ein deutlich anderer Fall zu sein. Dabei geht es unter Gesichtspunkten der Erbringung der Arbeitsleistung, die durch das Aufsuchen von Raucherplätzen unterbrochen wird, obwohl der Arbeitgeber berechtigterweise Anweisung geben kann, im Rahmen des oben Dargestellten, dass die Arbeitsleistung unterbrochen erfolgt, nicht um den Selbstschutz der Raucher, für den der Arbeitgeber zweifelsfrei nicht zuständig ist. Es geht auch nicht um den Nichtraucherschutz der Beschäftigten. Es geht schlicht und ergreifend darum, dass eine menschliche Leidenschaft, die keine allgemeine, keine „Grundkonstitution“ des Menschen ist, nicht in der Lage ist, die durch die Akzeptanz des Weisungsrechts des Arbeitgebers eingetretene Lage zugunsten des Arbeitnehmers und sei es auch nur punktuell, zu verschieben. Da der Arbeitgeber, wie sich aus § 106 GewO eindeutig ergibt, insbesondere auch „Ort und Zeit der Arbeitsleistung“ bestimmen kann, ergibt sich zwingend, dass eine arbeitnehmerseitige Berechtigung, sich für den Zeitraum und den Ort einer Raucherpause darüber hinwegzusetzen, nicht besteht. Daran etwas zu ändern steht den Betriebsverfassungsparteien nicht zu, es sei denn, der Arbeitgeber wäre freiwillig bereit, eine andere Regelung zu akzeptieren.

D. Auswirkungen für die Praxis

Da das Landesarbeitsgericht insbesondere auf die arbeitgeberseitige Weisungsbefugnis abstellt, hat sein Beschluss auch Bedeutung für Betriebe ohne Betriebsrat. Er kann entsprechend einseitige Anordnungen treffen. Für die Betriebsverfassungsparteien und für die Einigungsstelle bedeutet die Entscheidung eine deutliche Akzentuierung der arbeitgeberseitigen Weisungsrechte auch im kollektiven Mitbestimmungszusammenhang. Eine Unterbrechung der Arbeitsleistung ist aber immer nur dann zwingend, wenn wie im vorliegenden Fall durch Betriebsvereinbarung oder ansonsten nach Maßgabe des § 5 Abs. 1 ArbStättV durch den Arbeitgeber allein festgelegt wurde, dass das Rauchen im Betrieb ganz oder beschränkt auf einzelne Räumlichkeiten verboten ist, mit der Folge, dass ein vom Bedürfnis nach Nikotin überwältigter Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz verlassen und sich an einen zuvor bestimmten Ort begeben muss. Im entschiedenen Fall war das Rauchverbot nach Maßgabe der betrieblichen Arbeitsbedingungen aus Gründen des Nichtraucherschutzes (§ 5 Abs. 1 ArbStättV) zwingend. Es sind allerdings auch Konstellationen denkbar, in denen das nicht der Fall ist, weil es sich um einen isolierten Arbeitsplatz oder einen solchen unter freiem Himmel oder auf Reisen handelt, ohne Ausstrahlung in den Lebens- und Gesundheitsbereich anderer Arbeitnehmer. Hier könnte also dann ohne Unterbrechung der Arbeitsleistung geraucht werden, wenn, wie das beispielsweise bei rein geistiger Tätigkeit der Fall ist, das Rauchen die (gedankliche) Arbeitsleistung nicht beeinträchtigt. Ein so weitgehendes Weisungsrecht des Arbeitgebers, dass es auch die Befugnis beinhaltete, einzelne Hand-, Inhalations- und sonstige Bewegungen zu untersagen bzw. vorzuschreiben, dürfte unter der Einstrahlungswirkung des letztlich auf Art. 2 GG gestützten § 75 BetrVG nicht zu rechtfertigen sein. Allerdings, wenn zwar die Arbeitsleistung durch das arbeitnehmerseitige Verhalten, hier das Rauchen, nicht betroffen ist, stellt sich dieses als betriebliches Verhalten i.S.v. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG dar, das sich seinerseits wiederum in die betriebliche Ordnung einfügen muss. Ob die sich daraus ergebenden Aspekte allerdings so stark sind, dass sie bei der Billigkeitsberücksichtigung eine entscheidende Rolle spielen können, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls je nach den betrieblichen Umständen und arbeitsvertraglichen Pflichten.