Nachfolgend ein Beitrag vom 25.1.2017 von Hoffmann, jurisPR-ArbR 4/2017 Anm. 5

Leitsätze

1. Die nicht vertragsgerechte Beschäftigung infolge eines Auftragsverlustes bzw. des Wegfalls des Arbeitsplatzes ist ebenso wenig eine Versetzung i.S.v. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG wie die schlichte Freistellung eines Arbeitnehmers von der Arbeitsleistung. Eine mitbestimmungspflichtige Versetzung liegt erst dann vor, wenn neben dem Entzug des bisherigen Arbeitsbereichs dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber ein anderer Arbeitsbereich zugewiesen wird.
2. Die Zuweisung von allgemeinen Fortbildungs- und Schulungsmaßnahmen erweist sich nicht als Versetzung im Sinne einer Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs.

A. Problemstellung

Das LArbG Kiel hatte über die Frage zu entscheiden, ob ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht, wenn Arbeitnehmer von der Arbeit vollständig freigestellt und ihnen stattdessen Fortbildungs- und Schulungsmaßnahmen zugewiesen werden.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Beteiligten des Rechtsstreits waren die LGBS GmbH sowie die LJS GmbH, beides Nachfolgegesellschaften der LRS GmbH, sowie der Betriebsrat der Nachfolgegesellschaften. Die LRS nahm hauptsächlich Aufgaben für den L-Konzern wahr, dessen Tochter sie war. Diese Aufgaben wurden von dem L-Konzern zur Kosteneinsparung an dritte Unternehmen ausgelagert und der LRS entzogen. Die sodann neugegründete LGBS übernahm die in Deutschland fortzuführenden Tätigkeiten der LRS und die LJS die ins Ausland zu verlagernden Tätigkeiten. Diese Aufspaltung war Gegenstand eines Interessenausgleichs, der auch eine Namensliste der Mitarbeiter enthielt, deren Arbeitsverhältnisse auf die LJS übergehen sollten. Nach der Zielsetzung des Interessenausgleichs sollte die LJS die übernommenen Mitarbeiter durch Weiterbildung und Schulung auf die Weitervermittlung an konzernangehörige Drittunternehmen vorbereiten.
Zu den von der LJS übernommenen und von der Namensliste des Interessenausgleichs umfassten Mitarbeitern gehörten auch fünf Mitarbeiter des Bereichs „Revenue Accounting“. Diese wurde ab dem Zeitpunkt der Beschäftigung bei der LJS ausschließlich mit Weiterbildungsmaßnahmen betraut, da die LJS kein „Revenue Accounting“ betrieb. Der Betriebsrat wurde bezüglich der ausschließlichen Zuweisung von Weiterbildungsmaßnahmen nicht erneut beteiligt. Daher hat der Betriebsrat beantragt, diese „Versetzung“ wegen Verletzung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats aufzuheben. Das Arbeitsgericht wies den Antrag ab (ArbG Neumünster, Beschl. v. 03.09.2015 – 4 BV 16 b/15).
Das LArbG Kiel hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen.
Das Landesarbeitsgericht berief sich zunächst darauf, dass die Zuordnung der Arbeitnehmer zur LJS vom Interessenausgleich gedeckt und daher unter Beteiligung des Betriebsrats vollzogen worden sei. Auch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 BetrVG sei nicht verletzt worden, da der Entzug von Tätigkeiten keine Versetzung i.S.d. § 95 Abs. 3 BetrVG sei. Die Zuweisung von Fortbildungsmaßnahmen sei auch keine dauerhafte Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs.

C. Kontext der Entscheidung

Der Beschluss des LArbG Kiel beruht zu wesentlichen Teilen auf höchstrichterlicher arbeitsgerichtlicher Rechtsprechung.
Das BAG ist in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass der Entzug von Arbeitsaufgaben nicht als Versetzung i.S.d. § 95 Abs. 3 BetrVG zu sehen ist (so BAG, Urt. v. 22.01.1998 – 2 AZR 267/97 Rn. 29 – AP Nr. 11 zu § 174 BGB, BAG, Beschl. v. 28.03.2000 – 1 ABR 17/99 Rn. 21 – AP Nr. 39 zu § 95 BetrVG 1972, sowie LArbG Hamm, Beschl. v. 20.09.2002 – 10 TaBV 95/02 Rn. 36 und LArbG Frankfurt, Beschl. v. 19.08.2014 – 15 TaBV 155/13 Rn. 39 ff.) und daher kein Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG bestehe. Grund hierfür ist zum einen, dass eine Versetzung nach dem Gesetzeswortlaut durch die dauerhafte Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches indiziert wird. Der Entzug von Aufgaben sei gerade keine Zuweisung einer anderen Aufgabe. Zum anderen sei der Katalog der Mitbestimmungsrechte im BetrVG abschließend, so dass eine analoge Anwendung von § 99 BetrVG nicht in Betracht komme.
Das LArbG Kiel hat sich dieser Rechtsansicht angeschlossen und diese auf den streitgegenständlichen Sachverhalt angewendet. Indem den Arbeitnehmern der LRS/LJS betriebliche Tätigkeit entzogen und ihnen stattdessen allgemeinen Fortbildungs- und Schulungsmaßnahmen zugewiesen wurden, sei ihnen keine andere Tätigkeit i.S.d. § 95 Abs. 3 BetrVG dauerhaft zugewiesen, sondern die Arbeitnehmer seien vielmehr nur von der Arbeit freigestellt worden. Für die Wertung als Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs fehle es an der Übertragung einer Verantwortung i.S.d. § 81 Abs. 1 Satz 1 BetrVG und einer Einordnung der Tätigkeit in den Arbeitsablauf des Betriebes. Es handele sich vielmehr höchstens um Bildungsmaßnahmen i.S.d. § 98 Abs. 3 und 4 BetrVG.
Die Argumentation des LArbG Kiel ist insoweit nicht überzeugend. § 98 Abs. 3 und 4 BetrVG wurde für Berufsbildungsmaßnahmen geschaffen, die arbeitsbegleitend anfallen. Die im streitgegenständlichen Sachverhalt von den Fortbildungsmaßnahmen „betroffenen“ Arbeitnehmer werden hingegen keine Arbeitstätigkeit mehr aufnehmen, sondern, allenfalls, während der Beschäftigungszeit bei LJS noch Fortbildungen absolvieren. Es handelt sich im Gegensatz zu den in § 98 BetrVG genannten Fortbildungsmaßnahmen nicht um eine ausschließliche Maßnahme zur Förderung der Arbeitnehmer, sondern auch um einen ersten Schritt zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Arbeitnehmer. Der Entzug von in die Betriebsabläufe eingebundenen Tätigkeiten und die ausschließliche Zuweisung anderer Tätigkeiten sollen die Beendigung vorbereiten, idealerweise durch eine Eigenkündigung der Arbeitnehmer. Die Arbeitnehmer sollen dazu bewegt werden, freiwillig das Unternehmen zu verlassen. Der Arbeitgeber könnte daher, zumindest grundsätzlich (vgl. sogleich), eine Situation schaffen, in der Arbeitnehmer zur Kündigung angehalten werden, ohne dass der Betriebsrat – anders als bei Versetzung auf nachteilhafte Arbeitsplätze und Arbeitgeberkündigung – hierauf Einfluss nehmen könnte.
Einen solchen Fall hatte auch das BAG in seinen Entscheidungen nicht vor Augen. Das BAG (Beschl. v. 28.03.20000 – 1 ABR 17/99 Rn. 21 – AP Nr. 39 zu § 95 BetrVG 1972) stellt beispielsweise auch darauf ab, dass ein Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist freigestellt wird. In einem solchen Fall ist die Beendigungsentscheidung bereits getroffen und der Betriebsrat beteiligt worden. Ein Schutzbedürfnis wie in dem vor dem LArbG Kiel streitgegenständlichen Fall bestand daher gerade nicht.
Angesichts dieser Schutzlücke ist die Ersetzung in die Betriebsabläufe eingebundener Tätigkeiten durch Fortbildungs- und Schulungsmaßnahmen im wesentlichen Umfang, wie in diesem Fall, als Versetzung zu qualifizieren und dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG zuzugestehen.
Die Frage, ob tatsächlich ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht, ist allerdings in dem von LArbG Kiel entschiedenen Fall nicht entscheidend. Der Betriebsrat wurde in Bezug auf den Entzug der Tätigkeit und die Zuweisung von Fortbildungsmaßnahmen schon durch den Interessenausgleich mit Namensliste schon hinreichend beteiligt. Der Betriebsrat hat durch Zustimmung zum Interessenausgleich der Gründung der Qualifizierungsgesellschaft LJS und der Übernahme der in der Namensliste bestimmten Arbeitnehmer in diese Gesellschaft zugestimmt. Es war zudem von vornherein klar, dass die LJS keine Aufgaben wahrnehmen würde, die der bisherigen Tätigkeitsbeschreibung der betroffenen Arbeitnehmer entspricht und dass die Arbeitnehmer auf die Übernahme durch ein anderes Unternehmen durch Fortbildungsmaßnahmen vorbereitet werden sollen. Der Entzug der Tätigkeit und die Zuweisung der Fortbildungsmaßnahmen ist unbedingte und direkte Folge der Umsetzung des vom Betriebsrat angenommenen Interessenausgleichs. Es verbleibt kein Raum für eine erneute Beteiligung des Betriebsrats, welche keinen anderen Inhalt betreffen würde. Dass es sich bei dem Interessenausgleichsverfahren nicht ausdrücklich um ein Mitbestimmungsverfahren nach § 99 BetrVG handelte, kann hier keine Rolle spielen. Der Inhalt einer solchen Mitbestimmung ist bereits in der ersten Erklärung des Betriebsrats enthalten. Das Erfordernis einer erneuten Zustimmung wäre reiner Formalismus, der den Arbeitnehmern und der Belegschaft keinen zusätzlichen Schutz bieten würde.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung bestätigt die bisherige Rechtslage. Das LArbG Kiel betont zu Recht, dass Arbeitgeber grundsätzlich Mitarbeiter von ihren Aufgaben freistellen können, ohne den Betriebsrat an dieser Maßnahme zu beteiligen. Auch zukünftig besteht daher kein (rechtlicher) Anlass für Arbeitgeber von einer entsprechenden Praxis abzusehen.
Das Urteil des LArbG Kiel zeigt aber auch, dass die Rechtsprechung geneigt ist, nicht nur den Entzug von Arbeitsaufgaben während einer laufenden Kündigungsfrist von der Mitbestimmung auszunehmen, sondern auch Freistellungen, die nicht aus Anlass einer Kündigung vorgenommen werden. Selbst die ausschließliche Zuweisung von Fortbildungsmaßnahmen, um den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, sich anderweitig zu bewerben, soll ohne Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bleiben. Arbeitgebern bieten sich insoweit Gestaltungsmöglichkeiten.
Allerdings ist beim Entzug von Arbeitsaufgaben auch ohne Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu beachten, dass Arbeitnehmer einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Beschäftigung haben und so den Arbeitgeber zur Zuweisung einer Tätigkeit zwingen können. Möchte der Arbeitgeber die Beschäftigung auf dem alten Arbeitsplatz vermeiden und dem Arbeitnehmer stattdessen eine andere Tätigkeit zuweisen, liegt – auch bei zwischenzeitlicher vollständiger Freistellung von der Arbeit – wieder eine Versetzung nach § 95 Abs. 3 BetrVG vor, die ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auslöst.