Nachfolgend ein Beitrag vom 29.3.2017 von Schulze, jurisPR-ArbR 13/2017 Anm. 5

Leitsatz

Eine Anrechenbarkeit von Sonderzahlungen auf den Mindestlohnanspruch kommt nur in Betracht, wenn diese sich als unmittelbare Gegenleistung für die verrichtete Tätigkeit darstellen. Dies ist nicht der Fall, wenn die Sonderzahlungen zumindest auch die Betriebstreue honorieren sollen.
Arbeitsvertraglich vereinbarte Zuschläge errechnen sich jedenfalls dann auf der Grundlage des Mindestlohnes, wenn der Arbeitsvertrag nur eine prozentuale Regelung enthält. Der Mindestlohn ist dann der „Normallohn“.

A. Problemstellung

Leistet der Arbeitgeber neben dem eigentlichen Arbeitslohn noch Sonderzahlungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld und sonstige Zuschläge, stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber diese Zahlungen zu seinem Vorteil bei der Berechnung des Mindestlohns in Abzug bringen darf.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Vertraglich war ein Stundenlohn von 6,90 Euro festgesetzt. Darüber hinaus wurde ein Urlaubsgeld und ein Weihnachtsgeld zugesagt, das bei Ausscheiden aufgrund der Kündigung des Arbeitnehmers innerhalb bestimmter Fristen zurückzuzahlen war.
Mit Wirkung zum 01.01.2015 änderte der Arbeitgeber die Zahlung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes dahingehend, dass diese nunmehr anteilig mit der jeweiligen monatlichen Vergütung zur Auszahlung gebracht wurden.
Den ab dem 01.01.2015 fälligen Mindestlohn errechnete er unter Berücksichtigung der obigen Sonderzahlungen sowie unter Anrechnung von ebenfalls vertraglich geregelten Zuschlägen für Mehrarbeit, Arbeit an Samstagen, Sonntagen und Nachtarbeit.
Die hiergegen gerichtete Klage des Arbeitnehmers war vor dem ArbG Dresden erfolgreich.
Urlaubs- und Weihnachtsgeld seien zumindest auch eine Honorierung der Betriebstreue des Arbeitnehmers und damit kein Arbeitslohn. Dies ergebe sich aus der Verpflichtung zur Zurückzahlung bei Ausscheiden. Sonderzahlungen könnten beim Mindestlohn nur dann berücksichtigt werden, wenn diese zum maßgeblichen Fälligkeitsdatum tatsächlich und unwiderruflich ausbezahlt werden. Auch die weiteren Zuschläge könnten nicht angerechnet werden, da sie einen Ausgleich für besondere, über die üblichen Arbeiten hinausgehende Belastungen darstellen sollten. Auch die Berechnungsgrundlage der prozentual zu zahlenden Zuschläge richtet sich nach dem gesetzlichen Mindestlohn und nicht nach dem arbeitsvertraglich vereinbarten Lohn. Nach der arbeitsvertraglichen Regelung wollten die Vertragsparteien einen Zuschlag zu dem dem Kläger zustehenden Normallohn vereinbaren. Dies sei bei Unterschreiten der gesetzlichen Mindestlohnbestimmungen der Mindestlohn.

C. Kontext der Entscheidung

Nach Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes ist die Frage, inwieweit Sonderzahlungen und Zuschläge zulasten des Arbeitnehmers angerechnet werden können, im Einzelnen noch klärungsbedürftig. Grundlegende Aussagen können bereits dem Urteil des BAG vom 25.05.2016 (5 AZR 135/16) entnommen werden.

D. Auswirkungen für die Praxis

Werden Urlaubs- und Weihnachtsgeld auf vertraglicher Grundlage gezahlt und sind sie nicht mit einem Erfordernis einer Betriebstreue verbunden, können sie angerechnet werden, wenn sie in zulässiger Weise in monatlichen Teilbeträgen ausgezahlt werden. Werden sie hingegen mit dem Erfordernis einer Betriebstreue (etwa bestimmte Betriebszugehörigkeit oder eventuelle Rückzahlungsverpflichtungen bei Ausscheiden) verbunden, können sie nicht angerechnet werden.
Eine ausdrückliche Regelung, dass Mehrarbeit „mit dem vereinbarten Stundensatz zuzüglich des nachstehenden Zuschlags“ berechnet wird, bietet keinen Ansatzpunkt dafür, den Zuschlag auf der Basis des Mindestlohns zu berechnen, solange das Einkommen den Betrag, der sich errechnen würde, wenn man Regelarbeitszeit und Mehrarbeit unter Zugrundlegen des Mindestlohns zugrunde legt, übersteigt (BAG, Urt. v. 25.05.2016 – 5 AZR 135/16).
Die Argumentation des ArbG Dresden zu Überstunden-, Mehrarbeit-, Schmutz- oder Leistungszulagen ist überzeugend. Die Zuschläge sind weiterzuzahlen. Der Arbeitgeber hat zu erkennen gegeben, dass er bestimmte, zeitweise auftretende Belastungen besonders honorieren will. Im Wege ergänzender Vertragsauslegung ist davon auszugehen, dass sich an diesem Willen nichts ändert, wenn der Lohn aufgrund gesetzlicher Regelung steigt. Nachtarbeitszuschläge beruhen auf gesetzlicher Verpflichtung und sind deshalb nicht anrechenbar.
Möchte der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat vereinbaren, dass Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld künftig monatlich gezahlt werden sollen, empfiehlt sich ein Zusatz in der Betriebsvereinbarung, dass eine Anrechnung der Sonderzahlungen auf den Mindestlohn unterbleibt.