Nachfolgend ein Beitrag vom 22.3.2017 von Klostermann-Schneider, jurisPR-ArbR 12/2017 Anm. 3
Leitsatz
Ergibt die Auslegung einer zu einem rechtlich unzulässigen Zeitpunkt ausgesprochenen Kündigung, dass sie zugleich auch zum rechtlich zulässigen Zeitpunkt ausgesprochen worden ist, so kann der Arbeitnehmer die Einhaltung der Kündigungsfrist außerhalb der Klagefrist nach § 4 KSchG geltend machen.
A. Problemstellung
Der Entscheidung liegt die Frage zugrunde, ob die Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG auch dann einzuhalten ist, wenn sich die „Kündigungsschutzklage“ gegen die Kündigungsfrist wendet, die Kündigung im Übrigen aber nicht angreift.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien streiten u.a. über den Zeitpunkt der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses. Die Klägerin war seit dem 01.07.2015 beim Beklagten beschäftigt. Für die ersten sechs Monate war eine Probezeit vereinbart, in welcher das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden konnte.
Der Beklagte kündigte mit Schreiben vom 16.09.2015 „fristgerecht“ zum 30.09.2015 und vorsorglich zum nächstmöglichen Termin. Außerdem übermittelte er der Klägerin eine vorgefertigte Empfangsbestätigung mit Datum vom 16.09.2015. Die Klägerin bestätigte den Empfang der Kündigung zum 22.09.2015. Sie bat den Beklagten um Ausstellung einer neuen Kündigung mit Austrittsdatum vom 06.10.2015.
Am 10.03.2016 ging die Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht ein. Das Arbeitsgericht ging davon aus, dass die Kündigung am 22.09.2015 zugegangen ist. Damit sei die Kündigung infolge des Versäumens der Probezeit-Kündigungsfrist unwirksam. Da die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigung jedoch nicht innerhalb der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG geltend gemacht habe, sei die Fiktion des § 7 HS. 1 KSchG eingetreten. Das Arbeitsverhältnis sei somit mit Ablauf des 30.09.2015 beendet worden.
Das LArbG Berlin-Brandenburg ist zu der Auffassung gelangt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 16.09.2015 erst mit Ablauf des 06.10.2015 beendet worden sei.
Das Schreiben des Beklagten vom 16.09.2016 enthalte eine ordentliche Kündigung, die zum 30.09.2015, aber zugleich auch zu einem auf diesen Tag folgenden und rechtlich zulässigen Zeitpunkt wirksam werden sollte. Es enthalte nicht zwei Kündigungserklärungen, von denen eine ausschließlich zum 30.09.2015 ausgesprochen und von der Klägerin nicht gemäß § 4 Satz 1 KSchG rechtzeitig angegriffen worden sei. Dies ergebe die Auslegung des Kündigungsschreibens. Da die Kündigung der Klägerin am 22.09.2015 zugegangen sei, wurde die Kündigung mit dem 06.10.2015 wirksam. Den richtigen Beendigungszeitpunkt habe die Klägerin außerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG geltend machen können.
Zur Begründung führte das Landesarbeitsgericht aus: Nach Satz 1 des Kündigungsschreibens sollte das Arbeitsverhältnis „fristgerecht zum 30.09.2015“ gekündigt werden. Der Zusatz „fristgerecht“ sei geeignet, auch aus Sicht des Arbeitnehmers erkennbar zu machen, dass es dem Arbeitgeber auf die Einhaltung der Kündigungsfrist ankomme und nicht entscheidend auf das genannte Datum. Satz 1 enthalte daher bereits eine ordentliche Kündigung, die, wenn nicht bereits zum 30.09.2015, dann zu dem Tag wirksam werden sollte, mit welchem nach objektiver Rechtslage die einschlägige Kündigungsfrist ablief.
Nach Auffassung der Kammer wurde dieser Wille des Arbeitgebers durch die vorsorgliche Kündigung zum nächstmöglichen Termin bekräftigt. Der Wortlaut von Satz 1 und Satz 2 des Kündigungsschreibens habe keinen hinreichenden Anlass für die Annahme geboten, der Beklagte habe zwei rechtlich voneinander zu trennende Kündigungserklärungen abgeben wollen. Soweit es in Satz 1 heißt: „hiermit kündige ich …“ und in Satz 2: „… kündige ich hiermit vorsorglich …“, beziehe sich dies nicht auf jeweils eine von zwei Kündigungen, sondern auf dieselbe Kündigungserklärung, die mit dem Schreiben ausgesprochen wurde.
Die Einhaltung der Kündigungsfrist habe die Klägerin mit der Klage geltend machen können. Die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG habe nicht gewahrt werden müssen. Die Arbeitnehmerin, die die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist rügt, verfolge nicht das Klageziel, die Feststellung zu erreichen, dass das Arbeitsverhältnis „nicht aufgelöst“ ist. Vielmehr sei sie im Gegenteil der Auffassung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung aufgelöst wurde. § 4 Satz 1 KSchG sei daher nicht anzuwenden.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des LArbG Berlin-Brandenburg reiht sich in die überwiegende Meinung ein.
I. Ausgangspunkt der Überlegungen ist zunächst die Auslegung der Kündigungserklärung selbst. Das Landesarbeitsgericht hat in Gemäßheit der Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 15.05.2013 – 5 AZR 130/12) die Kündigung so ausgelegt, dass es dem Arbeitgeber nicht auf den genannten Kündigungstermin, den 30.09.2015, sondern auf die fristgerechte Beendigung ankam. Dies ist im Kündigungsschreiben durch die Verwendung des Wortes „fristgerecht“ hinreichend deutlich geworden (vgl. zu der Auslegung der Kündigungserklärung v.a. Eisemann, NZA 2011, 601, 602). Auch das BAG geht davon aus, dass das Datum in einer Kündigungserklärung durch den Zusatz „fristgemäß zum“ relativiert wird. Damit lasse die Kündigungserklärung erkennen, dass auch Wert darauf gelegt werde, die maßgebliche Kündigungsfrist einzuhalten. Der Fünfte Senat des BAG fragt einschränkend jedoch auch danach, worauf es dem Arbeitgeber im Schwerpunkt ankommt, auf die Beendigung zum benannten (unrichtigen) Datum oder zum richtigen (fristgerechten) Datum. Hierfür sind nach der Rechtsprechung des Fünften Senats die Umstände des Falles maßgeblich (BAG, Urt. v. 15.05.2013 – 5 AZR 130/12).
II. Ob eine Kündigung mit objektiv unrichtiger Frist generell zur richtigen Frist hin ausgelegt werden kann, hat der Fünfte Senat bisher offengelassen, wenngleich er diese Möglichkeit in seiner Entscheidung vom 15.05.2013 als fernliegend erscheinen lässt.
Der Zweite Senat des BAG (Urt. v. 15.12.2005 – 2 AZR 148/05) vertritt die Auffassung, dass eine ordentliche Kündigung in der Regel dahin auszulegen ist, dass sie das Arbeitsverhältnis zum zutreffenden Termin beenden soll. Das gelte auch dann, wenn sie ihrem Wortlaut nach zu einem früheren Termin gelten soll. Nur dann, wenn sich aus der Kündigung und den im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigenden Umständen des Einzelfalls ein Wille des Arbeitgebers ergebe, die Kündigung nur zum erklärten Zeitpunkt gegen sich gelten zu lassen, scheide eine Auslegung aus. Dieser Sicht hat sich der Sechste Senat (BAG, Urt. v. 09.02.2006 – 6 AZR 283/05) angeschlossen. Der Fünfte Senat folgt dem Zweiten Senat bisher nicht.
Im zu entscheidenden Fall des LArbG Berlin-Brandenburg kam es auf diese Frage nicht an, da die fallbezogene Auslegung weiterhalf.
III. Mit der Frage der Auslegung der Kündigung zum richtigen Kündigungstermin eng verbunden ist die Frage, ob zur Geltendmachung der unrichtigen Kündigungsfrist § 4 Satz 1 KSchG zu beachten ist. Die Beantwortung der Frage hängt davon ab, ob die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist zur Unwirksamkeit der Kündigungserklärung führt oder nicht.
1. Nach der Rechtsprechung des BAG ist § 4 Satz 1 KSchG dann zu beachten, wenn sich die mit zu kurzer Frist ausgesprochene Kündigung nicht als eine solche mit der rechtlich gebotenen Frist auslegen lässt (BAG, Urt. v. 15.05.2013 – 5 AZR 130/12; BAG, Urt. v. 01.09.2010 – 5 AZR 700/09; vgl. auch BAG, Urt. v. 15.12.2005 – 2 AZR 148/05; BAG, Urt. v. 06.07.2006 – 2 AZR 215/05; BAG, Urt. v. 09.09.2010 – 2 AZR 714/08), der Kündigungstermin also „integraler Bestandteil“ der Kündigungserklärung ist (BAG, Urt. v. 06.07.2006 – 2 AZR 215/05). Wendet sich der Arbeitnehmer gegen eine Kündigung mit „unrichtiger“ Kündigungsfrist und kann die Kündigung nicht anders ausgelegt werden, wendet sich der Arbeitnehmer gegen die Wirksamkeit der Kündigung selbst.
Ist die Kündigung hingegen zum objektiv richtigen Zeitpunkt hin auszulegen, kann die fehlerhafte Kündigungsfrist auch außerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG geltend gemacht werden (vgl. etwa BAG, Urt. v. 15.05.2013 – 5 AZR 130/12).
Das Landesarbeitsgericht konnte die Kündigung zum „richtigen“ Termin hin auslegen. Daher war nach den o.g. Grundsätzen des BAG (und zwar aller Senate) § 4 Satz 1 KSchG nicht anwendbar.
2. In der Literatur ist die Frage der Anwendbarkeit des § 4 Satz 1 KSchG auf die Kündigung mit objektiv falscher Frist umstritten:
Ein Teil der Literatur ist der Ansicht, dass kein Unwirksamkeitsgrund i.S.d. § 4 Satz 1 KSchG vorliege, wenn der Arbeitnehmer mit seiner Klage lediglich die Einhaltung der zur Anwendung kommenden gesetzlichen, tariflichen oder vertraglichen Kündigungsfrist geltend mache. Streitgegenstand sei dann nicht die Unwirksamkeit der Kündigung, sondern lediglich der Beendigungszeitpunkt (Hesse in: APS, 5. Aufl. 2017, § 4 KSchG Rn. 10b; Kiel in: ErfKomm, 17. Aufl. 2017, § 4 KSchG Rn. 5). Anders sei dies, wenn der Arbeitgeber zum Ausdruck bringe, dass es ihm auf das Datum entscheidend ankomme. Dann sei die Frist des § 4 Satz 1 KSchG zu wahren (Hesse in: APS, § 4 KSchG Rn. 10b).
Daneben wird die Auffassung vertreten, dass beim Streit über den Beendigungstermin die §§ 4, 7 KSchG (generell) nicht anwendbar sind (Eisemann, NZA 2011, 601, 608).
Schließlich wird von Teilen der Literatur der Akzent verschoben und damit das Regel-Ausnahme-Verhältnis anders gewertet. So geht Linck (in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 15. Aufl. 2015, § 138 Rn. 20) davon aus, dass die Frist des § 4 Satz 1 KSchG einzuhalten ist, wenn der Arbeitnehmer geltend machen will, der Arbeitgeber habe die zutreffende Kündigungsfrist nicht eingehalten. Etwas anderes gelte nur dann, wenn im Wege der Auslegung der richtige Kündigungstermin ermittelt werden kann.
Dieser andere Akzent wird erklärlich, wenn man sich die Denkweise des Fünften Senats und auch von Linck genauer vergegenwärtigt:
„Nach Auffassung des 2. Senats des BAG ist (…) im Regelfall davon auszugehen, dass der Arbeitgeber zum richtigen Kündigungstermin kündigen will. Dagegen spricht allerdings, dass es viele Fälle gibt, (…), in denen über die richtige Kündigungsfrist Streit herrscht. Ist deshalb eine ordentliche Kündigung ohne weiteren Zusatz zu einem bestimmten Datum erklärt worden, steht schon das Bestimmtheitsgebot der Auslegung der Kündigungserklärung zu einem anderen Termin entgegen. In einem solchen Fall hat der Arbeitnehmer die Nichteinhaltung der objektiv richtigen Kündigungsfrist mit der fristgebundenen Klage nach § 4 Satz 1 KSchG geltend zu machen“ (Linck in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 126 Rn. 15).
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält auch den Anforderungen der Literatur stand. Die Kammer kam zu dem zutreffenden Ergebnis, dass die Kündigung auslegungsfähig war und mit ihr die Kündigung zum richtigen Termin gemeint war.
D. Auswirkungen für die Praxis
Für die Praxis stellt diese Entscheidung erneut Folgendes klar:
Wird die Kündigung ausschließlich wegen einer objektiv zu kurzen Frist angegriffen, kommt es für die Einhaltung der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG darauf an, ob die Kündigung dahingehend auszulegen ist, dass sie nur zu dem in der Kündigung genannten Zeitpunkt gelten soll. Soll die Kündigung hingegen zum richtigen Zeitpunkt gelten und ist der Termin nur Folge einer fehlerhaften Fristberechnung (es kommt also nicht auf den Tag an), ist § 4 Satz 1 KSchG nicht zu beachten. Der Arbeitnehmer kann die Kündigung dann außerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG angreifen.
Für die Arbeitgeber führt die Rechtsprechung zu einem gewissen Dilemma. Formuliert der Arbeitgeber seine Kündigung so, dass diese zum richtigen Beendigungstermin auszulegen ist, ist die Kündigung nicht wegen der Benennung des falschen Termins unwirksam. Sie ist ja nach der Auslegung zum richtigen Beendigungszeitpunkt erklärt. Durch diese Gestaltung entgeht der Arbeitgeber in der Regel der Unwirksamkeit einer Kündigung wegen falscher Kündigungsfrist. Es wird bei Gestaltung der Kündigung neben der Nennung des konkreten Beendigungstermins daher die Verwendung eines Zusatzes wie „fristgerecht“ angeraten. Nach der o.g. Rechtsprechung des BAG muss in der Erklärung zum Ausdruck kommen, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis zum richtigen Zeitpunkt beenden soll, es dem Arbeitgeber also gerade nicht um die Beendigung zum benannten Tag geht. Ist die Kündigung so gestaltet, ist sie in der Regel selbst bei Nennung des falschen Datums wirksam.
Diese Vorgehensweise wird aber zum Bumerang, wenn der Arbeitnehmer die Kündigung außerhalb der Drei-Wochen-Frist angreift. Da die §§ 4, 7 KSchG nur dann gelten, wenn nach der Auslegung der Kündigung klar ist, dass es dem Arbeitgeber um den konkret benannten Beendigungstermin geht, führt die oben genannte Gestaltung der Kündigung im Regelfall dazu, dass die Kündigung auch außerhalb der Drei-Wochen-Frist angegriffen werden kann. Wäre sie nach Auslegung (ausschließlich) zum konkreten Datum gewollt gewesen, wäre wegen § 7 KSchG die Wirksamkeit der eigentlich unwirksamen Kündigung zum falschen Termin eingetreten. Dies ist bei der Beratung im Arbeitgebermandant zu beachten.
Für die Arbeitnehmerberatung wird empfohlen, auch eine Kündigung mit falscher Frist innerhalb der Drei-Wochen-Frist anzugreifen (vgl. auch Kiel in: ErfKomm, § 4 KSchG Rn. 5 m.w.N.). Wegen der Auslegungsunwägbarkeiten und der uneinheitlichen Rechtsprechung des Zweiten und des Fünften Senats des BAG ist nur ein solches Vorgehen rechtssicher. Neigt ein Instanzgericht der Auffassung des Fünften Senates zu, kann durch die Auslegung der Kündigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände ein nicht vorhergesehenes Auslegungsergebnis zu Tage treten, nämlich, dass es dem Arbeitgeber auf die Trennung zum Termin ankam, was dazu führen würde, dass die Kündigung nur innerhalb der Drei-Wochen-Frist wegen der falschen Kündigungsfrist angreifbar ist. Die Auslegung durch ein Gericht ist in der arbeitsrechtlichen Beratung schwer vorhersehbar, da der Arbeitnehmeranwalt innerhalb der Drei-Wochen-Frist in der Regel allein die Arbeitnehmerperspektive kennenlernt. Um den sichersten Weg zu gehen, ist die Geltendmachung innerhalb der Drei-Wochen-Frist daher dringend zu empfehlen.