Nachfolgend ein Beitrag vom 15.11.2017 von Busch, jurisPR-ArbR 46/2017 Anm. 4

Orientierungssatz zur Anmerkung

Bei Diensten höherer Art besteht kein Rechtsgrundsatz, nach dem jede Mehrarbeit zusätzlich zu vergüten wäre.

A. Problemstellung

Bei der Vergütung von Mehrarbeit stellen sich vor Gericht regelmäßig zwei Fragen: Ist die Mehrarbeit hinreichend dargelegt, und muss diese überhaupt zusätzlich vergütet werden? Letzteres ist vorwiegend bei besser bezahlten Tätigkeiten häufig fraglich.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

In der Sache ging es um die Vergütung von Überstunden für den Zeitraum April 2014 bis Juli 2016. Der Kläger war angestellter Rechtsanwalt und verlangte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Vergütung von Überstunden aus dem ehemaligen Arbeitsverhältnis im Umfang von knapp 30.000 Euro.
Der Kläger war für einen Monatslohn von 4.200 Euro brutto tätig. Im Arbeitsvertrag fand sich eine Klausel, der zufolge die „Kernarbeitszeit“ Montag bis Freitag jeweils von 09.00 bis 20.00 Uhr lag. Weiterhin gab es einen von beiden Parteien unterzeichneten Personalfragebogen, der die wöchentliche Arbeitszeit mit 40 Stunden angab. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hatte die Beklagte gegenüber der Agentur für Arbeit die Arbeitszeit mit 48 Wochenstunden angegeben. Über den Monatslohn hinaus erhielt der Kläger Sonderzahlungen, etwa ein Weihnachtsgeld von 2.000 Euro und eine weitere Jahresprämie von 3.500 Euro; ab Februar 2016 war das Gehalt dann auf 5.000 Euro brutto erhöht worden.
Überstundenvergütungen machte der Kläger erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend; zuvor war das Thema nicht angesprochen worden. Zum Nachweis reichte der Kläger eine Stundenaufstellung ein und behauptete, er habe in den mehr als zwei Jahren des Arbeitsverhältnisses täglich eine Pause von jeweils 45 Minuten gemacht und habe an den allermeisten Tagen von 09.00 morgens bis 20.00 abends gearbeitet. Die Beklagte meinte, weder habe sie Überstunden angeordnet noch seien solche notwendig gewesen. Die Ableistung der dargelegten Überstunden wurde bestritten. Weiter bezog sich die Beklagte auf Arbeitszeit-Einträge, die der Kläger selbst vorgenommen habe und die eine wesentlich geringere als die vom Kläger behauptete Arbeitszeit auswiesen. Das Arbeitsgericht hatte der Klage weitgehend stattgegeben.
Auf die Berufung hin hat das LArbG Berlin-Brandenburg die Klage abgewiesen.
1. Ein Anspruch auf Vergütung der Überstunden ergibt sich nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht aus § 611 Abs. 1 BGB. Hierfür brauche es eine vertragliche Regelung zur Vergütung von Überstunden, die vorliegend nicht gegeben sei. Ein Anspruch könne sich deshalb nur aus § 612 Abs. 1 BGB ergeben. Hiernach gelte eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, sofern die Dienstleistung nur gegen eine Vergütung zu erwarten sei. Das Landesarbeitsgericht führt aus, es gebe jedenfalls bei Diensten höherer Art keinen Grundsatz, nachdem jede Mehrarbeit zu vergüten sei. Darlegungs- und Beweispflichtig für die Vergütungserwartung sei der Kläger, der die Leistung begehre. Der Kläger habe jede Darlegung unterlassen, nach der üblicherweise angestellte Rechtsanwälte mit einem vergleichbaren Gehalt Überstunden nur gegen zusätzliche Vergütung leisten würden. Auch spreche objektiv Einiges gegen eine Erwartung der Vergütung von Mehrarbeit. So habe man das Grundgehalt tatsächlich ausgehandelt, dieses sei nicht einseitig vom Arbeitgeber vorgegeben worden und dennoch habe man keine Regelung zu einer Überstundenvergütung aufgenommen. Auch habe die Beklagte einen besonderen Einsatz des Klägers durchaus anerkannt, dies jedoch gerade nicht durch die Vergütung von Überstunden, sondern durch die im Vertrag nicht vorgesehene Leistung von Einmalzahlungen sowie die spätere Erhöhung des Grundgehalts. Weiterhin habe auch der Kläger selbst dargelegt, auch andere angestellte Anwälte bei der Beklagten hätten Überstunden geleistet, die nicht vergütet worden seien.
2. Auch aus § 612 Abs. 1 BGB analog ergebe sich vorliegend kein Anspruch auf Vergütung von Überstunden. Ein solcher Anspruch könne aufgrund einer fehlgeschlagenen subjektiven Vergütungserwartung bestehen. Hierfür müsse eine dem Auftraggeber erkennbare Erwartung des Dienstleistenden bestehen, für die zusätzlichen Leistungen später im Gegenzug eine Vermögensübertragung zu erhalten. Weiterhin müsse für die Dienstleistung gar keine oder jedenfalls eine deutlich unterwertige Bezahlung erfolgen und ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dieser unterwertigen Bezahlung und der Erwartung des Leistenden bestehen. Vorliegend habe der Kläger in keiner Weise vorgetragen, welche Art der Vermögensübertragung er als Gegenleistung erwartet hätte. Auch eine Hoffnung auf eine spätere Partnerschaft in der Kanzlei habe er nicht vorgetragen.
Das Landesarbeitsgericht führt weiter aus, mangels Anspruchsgrundlage komme es nicht darauf an, ob der Kläger die behaupteten Überstunden tatsächlich geleistet habe. Auch hier jedoch habe der Kläger seiner Darlegungslast nicht entsprochen. Hierzu hätte er schlüssig vortragen müssen, an welchen Tagen er jeweils von wann bis wann Überstunden leistete. Es sei unglaubhaft und damit unschlüssig, dass der Kläger vortrage, er habe über zwei Jahre täglich eine Pause von exakt 45 Minuten gemacht. Auch sei es unglaubhaft, dass der Kläger monatelang exakt um 09.00 Uhr mit der Arbeit begonnen haben und diese exakt um 20.00 Uhr beendet haben wolle. Weshalb diese Angaben von vornherein unglaubhaft sein sollen, begründet das Landesarbeitsgericht nicht.

C. Kontext der Entscheidung

Das LArbG Berlin-Brandenburg folgt mit seiner Entscheidung Leitlinien, die das BAG mit einer Entscheidung vom 17.08.2011 (5 AZR 406/10) verdeutlicht hatte. Das BAG hatte dort, ebenfalls aufgrund der Klage eines angestellten Rechtsanwalts, bereits dargestellt, eine Vergütungserwartung für Überstunden bestehe bei besser bezahlten Diensten höherer Art nicht ohne weiteres. Bei derartigen Dienstleistungen gebe es keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, demzufolge jede Mehrarbeitszeit oder Anwesenheit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu vergüten wäre. Auch handle ein angestellter Anwalt, der sich für seine Überstunden eine Aufnahme in die Partnerschaft erhoffe, auf eigenes Risiko.

D. Auswirkungen für die Praxis

Da das LArbG Berlin-Brandenburg der bisherigen Auffassung des BAG folgt, sind keine grundsätzlich neuen Anstöße durch die Entscheidung zu erwarten. Bereits für „normale“ Arbeitnehmer sind Überstunden mit einem erheblichen Risiko verbunden, wenn diese nicht exakt dokumentiert und zeitnah vergütet werden. Die Darlegungslast im Überstundenprozess, nach der der Beschäftigte jede Stunde nach Zeit und Veranlassung darzulegen und zu beweisen hat, stellt anderenfalls erhebliche Hürden auf. Bei Diensten höherer Art muss zusätzlich darauf geachtet werden, eine klare Vereinbarung zu treffen, wenn denn die Mehrarbeit zusätzlich vergütet werden soll.

Keine Rechtsgrundlage für Überstundenvergütung eines angestellten Rechtsanwalts
Matthias FrankRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht
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