Nachfolgend ein Beitrag vom 30.11.2016 von Wolmerath, jurisPR-ArbR 48/2016 Anm. 2

Orientierungssatz zur Anmerkung

Zur Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben erforderliche Fahrtzeiten lösen keinen Anspruch auf Freizeitausgleich gemäß § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG und keinen Vergütungsanspruch nach § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG aus, sofern entsprechende Fahrtzeiten von Arbeitnehmern im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer Arbeitspflicht nicht vergütungspflichtig sind.

A. Problemstellung

Zur Entscheidung des erkennenden Siebten Senats des BAG steht die Frage, ob ein Betriebsratsmitglied einen Anspruch auf Vergütung der Zeit hat, die es aufwendet, um außerhalb der individuellen Arbeitszeit von zu Hause aus zu einer im Betrieb des Arbeitgebers stattfindenden Betriebsratssitzung und im Anschluss daran wieder zurück zur eigenen Wohnung zu fahren.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Streitig ist die Verpflichtung des Beklagten, Fahrtzeiten der Klägerin zu den Sitzungen des Betriebsrats als Arbeitszeit zu vergüten.
Bei dem Beklagten handelt es sich um einen gemeinnützigen Verein für Menschen mit Behinderungen. In seinem Bereich „Assistenz in Schulen“ werden „persönliche Assistenten“ beschäftigt, um behinderte Schüler während der Schulzeit unterrichtsbegleitend und unterstützend zu betreuen. Je nach Art und Umfang der Behinderung erfolgt dies auch auf dem Weg von und zur Schule. Die Assistenzleistung wird ausschließlich während der Schulzeit erbracht. Ausgenommen sind mithin die Schulferien, die einen Zeitraum von zwölf Wochen pro Jahr ausmachen. In dieser Zeit werden die „persönlichen Assistenten“ zu keiner Arbeitsleistung herangezogen. In ihr fällt zunächst der jährliche Erholungsurlaub von sechs Wochen. Weiter erfolgt für die Dauer von drei Wochen ein Freizeitausgleich für die Stunden, welche während der Schulzeit durch Vor- und Nacharbeit aufgebaut worden sind. Die als Lücke verbleibenden drei Wochen werden weder vor- bzw. nachgearbeitet noch vergütet. Zur Gewährleistung einer stetigen monatlichen Vergütung wird das Gehalt über das Jahr verteilt gekürzt. Die Berechnung der stetigen Vergütung erfolgt dergestalt, dass die Gesamtvergütung für 49 Kalenderwochen durch zwölf Monate geteilt wird. Auf der Grundlage eines Stundensatzes von 13,45 Euro kommt hiernach ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe von 1.566,00 Euro zur Auszahlung.
Die Klägerin gehört dem bei dem Beklagten eingerichteten Betriebsrat an. Ebenso wie die meisten Mitglieder ihres Gremiums ist sie in dem Bereich der persönlichen Assistenz tätig, unterfällt daher der aufgezeigten Verfahrensweise.
Am 04.04., 25.07. und 01.08.2012 nahm die Klägerin während der Schulferien, aber außerhalb ihres Urlaubs, an den Sitzungen des Betriebsrats teil. Zu diesem Zweck wandte die Klägerin drei Stunden für die Fahrten von ihrer Wohnung zum Betrieb und zurück auf, für die sie eine Vergütung in Höhe von 40,25 Euro/brutto begehrt. Das jedoch lehnt der Beklagte ab.
Dem ist das BAG im Ergebnis gefolgt. Die Voraussetzungen für einen Abgeltungsanspruch nach § 37 Abs. 3 Satz 3 HS. 2 BetrVG seien nicht gegeben.
Wege-, Fahrt- und Reisezeiten, die ein Betriebsratsmitglied zur Erfüllung erforderlicher betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben außerhalb seiner Arbeitszeit aufwendet, könnten einen Anspruch auf Freizeitausgleich gemäß § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG oder – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen – einen Vergütungsanspruch nach § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG auslösen, soweit derartige Zeiten mit der Durchführung der ihnen zugrunde liegenden Betriebsratstätigkeit in einem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang stehen. Allerdings dürften Betriebsratsmitglieder nach § 78 Satz 2 BetrVG wegen ihrer Betriebsratstätigkeit weder benachteiligt noch begünstigt werden. Für die Bewertung von Fahrt- und Reisezeiten, die ein Betriebsratsmitglied zur Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben aufwendet, könnten danach keine anderen Maßstäbe gelten als für Fahrtzeiten, die ein Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Erfüllung seiner Arbeitspflicht aufwendet. Zur Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeit erforderliche Fahrtzeiten könnten mithin, sofern entsprechende Fahrtzeiten von Arbeitnehmern im Zusammenhang mit der Erfüllung der Arbeitspflicht nicht vergütungspflichtig sind, keinen Anspruch auf Freizeitausgleich gemäß § 37 Abs. 3 Abs. 1 BetrVG und keinen Vergütungsanspruch nach § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG auslösen.
Wegezeiten von Arbeitnehmern – ohne Betriebsratsmandat – von der Wohnung zu Betrieb seien in der Regel nicht als Arbeitszeit zu vergüten. Diese seien regelmäßig der Privatsphäre des Arbeitnehmers zugeordnet. Ob überhaupt und in welchem Umfang sie anfallen, hänge maßgeblich davon ab, welchen Wohnort ein Arbeitnehmer wählt. Dementsprechend seien auch Fahrtzeiten zwischen der Wohnung und dem Betrieb, die ein Betriebsratsmitglied zur Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeit aufwendet, nicht nach § 37 Abs. 3 BetrVG ausgleichs- bzw. vergütungspflichtig. Dies stelle keine Benachteiligung wegen des Betriebsratsamtes dar. § 37 Abs. 3 BetrVG schaffe einen Ausgleich dafür, dass das Betriebsratsmitglied, welches aus betriebsbedingten Gründen während seiner Freizeit betriebsverfassungsrechtliche Aufgaben wahrnehmen muss, keinen Vergütungsanspruch nach § 37 Abs. 2 BetrVG für die dazu aufzuwendende Zeit hat. Bei den Ansprüchen nach § 37 Abs. 3 BetrVG handele es sich im Ergebnis um ein zeitlich verschobenes Arbeitsentgelt für eine sonst in der persönlichen Arbeitszeit anfallende Betriebsratstätigkeit, die nur infolge eines dem Arbeitgeber zuzurechnenden Umstands in die Freizeit verlegt worden ist. Dieser zeitlich verschobene Vergütungsanspruch nach § 37 Abs. 2 BetrVG umfasse die Wegezeiten von der Wohnung zur Betriebsstätte nicht.
Dies stehe nicht im Widerspruch dazu, dass nach der Rechtsprechung des Senats der Arbeitgeber nach § 40 Abs. 1 BetrVG zur Erstattung der Reisekosten verpflichtet ist, die dem Betriebsratsmitglied für die Fahrten von seiner Wohnung zum Betrieb deshalb entstehen, weil es außerhalb seiner Arbeitszeit Betriebsratstätigkeit ausübt und den Betrieb ausschließlich aus diesem Grund aufsuchen muss. Das beruhe darauf, dass der Arbeitgeber aufgrund der besonderen Anordnung in § 40 Abs. 1 BetrVG grundsätzlich alle durch die Betriebsratstätigkeit entstehenden Kosten zu tragen habe. Wegen des Benachteiligungsverbots des § 78 Satz 2 BetrVG dürften dem Betriebsratsmitglied durch die Erfüllung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben keine wirtschaftlichen Nachteile entstehen. Dementsprechend sei ihm ein durch die Erfüllung seiner Pflicht entstehendes Vermögensopfer durch den Arbeitgeber zu ersetzen.
Nach der Gesamtkonzeption des BetrVG bestehe grundsätzlich kein Entgeltanspruch für die von Betriebsratsmitgliedern erbrachten Freizeitopfer. Dies folge insbesondere aus dem in § 37 Abs. 1 BetrVG normierten Ehrenamtsprinzip, den Regelungen in § 37 Abs. 2 und Abs. 3 BetrVG sowie dem in § 78 Satz 2 BetrVG geregelten Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot. Mit dem Ehrenamtsprinzip sei es nicht vereinbar, dass Betriebsratsmitglieder durch ihre Betriebsratstätigkeit zusätzliche Vergütungsansprüche erwerben. Das wäre aber der Fall, wenn das Betriebsratsmitglied für Zeiten der Fahrten zwischen der Wohnung und dem Betrieb, die grundsätzlich nicht vergütungspflichtig sind, einen Anspruch auf Freizeitausgleich oder Vergütung erlangt.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung fußt auf der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Siebten Senats. Insoweit bildet er diese fort. Den betrieblichen Akteuren vermittelt der Beschluss Rechtsklarheit und -sicherheit.

D. Auswirkungen für die Praxis

Dem Beschluss des Siebten Senats kommt für die betriebliche Praxis eine recht große Bedeutung zu. Schließlich ist es nicht ungewöhnlich, dass Betriebsratsmitglieder in ihrer arbeitsfreien Zeit in den Betrieb fahren, um an Sitzungen des Betriebsrats teilzunehmen. Stets stellt sich in solchen Fällen die Frage, wie dieser Umstand in finanzieller Hinsicht zu bewerten ist. In Folge der vom Siebten Senat aufgestellten Grundsätze gilt:

• Die Kosten, die dem Betriebsratsmitglied infolge der Fahrt in den Betrieb und zurück zu seiner Wohnung entstehen, sind ihm gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG zu erstatten.
• Die Zeit, in der das Betriebsratsmitglied sein Amt ausübt, sind nach § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG durch eine entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts auszugleichen – und bei Vorliegen der in Satz 3 der Vorschrift vorliegenden Gründen zu vergüten.
• Zu der Zeit der Amtsausübung zählt grundsätzlich nicht die Fahrt von der Wohnung zum Betrieb (und zurück), so dass es mithin auch keinen Ausgleichs- bzw. Vergütungsanspruch im Rahmen des § 37 Abs. 3 BetrVG gibt.

Die einzelnen Ansprüche in der betrieblichen Praxis auseinanderzuhalten fällt nicht immer leicht. Das gilt sowohl für die Betriebsratsmitglieder als auch für die Arbeitgeberseite. Insoweit ist es wichtig, sich mit der Problematik des § 37 Abs. 3 BetrVG bei Bedarf näher zu befassen. Dies gilt vor allem für seinen Satz 3, dessen Voraussetzungen immer wieder übersehen bzw. nicht vollständig erkannt werden. Danach kommt eine Vergütung der aufgewendeten Zeit – und zwar wie Mehrarbeit – nur dann in Betracht, wenn die Arbeitsbefreiung nach Satz 1 vor Ablauf eines Monats aus betriebsbedingten Gründen nicht möglich ist bzw. war.