Der EuGH hat in einem Grundsatzurteil zum kirchlichen Arbeitsrecht entschieden, dass die Kündigung eines katholischen Chefarztes durch ein katholisches Krankenhaus wegen erneuter Eheschließung nach Scheidung eine verbotene Diskriminierung wegen der Religion darstellen kann.
Die Anforderung an einen katholischen Chefarzt, den heiligen und unauflöslichen Charakter der Ehe nach dem Verständnis der katholischen Kirche zu beachten, erscheine nicht als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung, worüber im vorliegenden Fall jedoch das deutsche BAG zu befinden habe, so der EuGH.
Der Chefarzt Q. der Abteilung „Innere Medizin“ eines Krankenhauses, das von IR, einer der Aufsicht des katholischen Erzbischofs von Köln unterliegenden deutschen Gesellschaft mit beschränkter Haftung betrieben wird, ist katholischer Konfession. Als IR erfuhr, dass er nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau, mit der er nach katholischem Ritus verheiratet war, erneut standesamtlich geheiratet hatte, ohne dass seine erste Ehe für nichtig erklärt worden wäre, kündigte sie ihm. Ihrer Ansicht nach hat er durch Eingehung einer nach kanonischem Recht ungültigen Ehe in erheblicher Weise gegen seine Loyalitätsobliegenheiten aus seinem Dienstvertrag verstoßen.
Der Dienstvertrag verweist auf die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22.09.1993 (Amtsblatt des Erzbistums Köln, S. 222 – GrO 1993), die vorsieht, dass die Eingehung einer nach kanonischem Recht ungültigen Ehe durch einen leitend tätigen katholischen Beschäftigten einen schwerwiegenden Verstoß gegen seine Loyalitätsobliegenheiten darstellt und seine Kündigung rechtfertigt. Nach dem Ethos der katholischen Kirche hat die kirchliche Eheschließung einen heiligen und unauflöslichen Charakter. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass das deutsche Grundgesetz Kirchen und alle ihnen zugeordneten Einrichtungen ein Selbstbestimmungsrecht verleiht, das es ihnen erlaubt, ihre Angelegenheiten innerhalb bestimmter Grenzen selbstständig zu verwalten.
Der Arzt rief hiergegen die deutschen Arbeitsgerichte an und machte geltend, dass seine erneute Eheschließung kein gültiger Kündigungsgrund sei. Die Kündigung verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da nach der GrO 1993 die Wiederheirat eines evangelischen oder konfessionslosen Chefarztes der Abteilung keine Folgen für dessen Arbeitsverhältnis mit IR gehabt hätte.
In diesem Kontext ersucht das BAG den EuGH um Auslegung der Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16), nach der es grundsätzlich verboten ist, einen Arbeitnehmer wegen seiner Religion oder seiner Weltanschauung zu diskriminieren, es Kirchen und anderen Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, aber unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist, von ihren Beschäftigten zu verlangen, dass sie sich loyal und aufrichtig im Sinne dieses Ethos verhalten.
Der EuGH hat festgestellt, dass der Beschluss einer Kirche oder einer anderen Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht und die eine (in Form einer privatrechtlichen Kapitalgesellschaft gegründete) Klinik betreibt, an ihre leitend tätigen Beschäftigten je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit unterschiedliche Anforderungen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne dieses Ethos zu stellen, Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können muss (der EuGH bezieht sich insoweit auf sein Urteil vom 17.04.2018 – C-414/16 „Egenberger“ über die Anforderung der Religionszugehörigkeit für eine Stelle innerhalb der Kirche).
Nach Auffassung des EuGH muss das nationale Gericht bei dieser Kontrolle sicherstellen, dass die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des fraglichen Ethos ist.
Im vorliegenden Fall habe das BAG zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt seien. Gleichwohl scheine die Akzeptanz des von der katholischen Kirche befürworteten Eheverständnisses wegen der Bedeutung der von Q. ausgeübten beruflichen Tätigkeiten, nämlich Beratung und medizinische Pflege in einem Krankenhaus und Leitung der Abteilung „Innere Medizin“ als Chefarzt, für die Bekundung des Ethos von IR nicht notwendig zu sein. Sie scheine somit keine wesentliche Anforderung der beruflichen Tätigkeit zu sein, was dadurch erhärtet werde, dass ähnliche Stellen Beschäftigten anvertraut wurden, die nicht katholischer Konfession seien und folglich nicht derselben Anforderung, sich loyal und aufrichtig im Sinne des Ethos von IR zu verhalten, unterworfen waren.
In Anbetracht der ihm vorgelegten Akte erscheine die in Rede stehende Anforderung nicht als gerechtfertigt. Das BAG habe jedoch zu prüfen, ob in Anbetracht der Umstände des vorliegenden Falls IR dargetan habe, dass die Gefahr einer Beeinträchtigung ihres Ethos oder ihres Rechts auf Autonomie wahrscheinlich und erheblich sei.
Zu der Problematik, dass eine Unionsrichtlinie grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung zwischen Privatpersonen habe, sondern einer Umsetzung in nationales Recht bedürfe, sei darauf hinzuweisen, dass die nationalen Gerichte das nationale Recht zur Umsetzung der Richtlinie so weit wie möglich richtlinienkonform auszulegen haben.
Falls es nicht möglich sein sollte, das anwendbare nationale Recht (hier das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz) im Einklang mit der Gleichbehandlungsrichtlinie in der Auslegung des EuGH in seinem heutigen Urteil auszulegen, dann habe ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreits zwischen Privatpersonen anhängig ist, das nationale Recht unangewendet zu lassen.
Das nunmehr in der Charta der Grundrechte der EU niedergelegte Verbot jeder Art von Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung habe als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts zwingenden Charakter und verleihe schon für sich allein dem Einzelnen ein Recht, das er in einem Rechtsstreit, der einen vom Unionsrecht erfassten Bereich betreffe, als solches geltend machen könne.
Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 127/2018 v. 11.09.2018
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