Nachfolgend ein Beitrag vom 29.3.2017 von Ulrici, jurisPR-ArbR 13/2017 Anm. 3
Leitsatz
Maßgeblich für das Vergleichsentgelt nach § 10 Abs. 4 AÜG ist die Tätigkeit, die der Entleiher dem Leiharbeitnehmer ausdrücklich oder konkludent durch Billigung oder Duldung zugewiesen hat.
A. Problemstellung
Der Einsatz von Leiharbeitnehmern zeichnet sich durch eine aufgespaltene Arbeitgeberstellung aus. Einerseits untersteht der Leiharbeitnehmer dem Weisungsrecht des Entleihers und wird für diesen in dessen Interesse tätig. Andererseits empfängt der Leiharbeitnehmer seine Vergütung nicht vom Entleiher, sondern vom Verleiher. Dabei schuldet der Verleiher im Grundsatz dem Leiharbeitnehmer während des Einsatzes beim Entleiher ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des vom Entleiher an einen vergleichbaren Stammarbeitnehmer gezahlten Arbeitsentgelts (§ 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG n.F., ausführlich dazu Ulrici in: HK-AÜG, 2017, § 8 Rn. 21 ff., 25, 87 ff.). Auf welcher Grundlage dieses zu bestimmen ist, wenn die vom Leiharbeitnehmer beim Entleiher tatsächlich erbrachten Dienste von den seitens des Arbeitnehmers aufgrund des Arbeitsverhältnisses (gegenüber dem Verleiher) geschuldeten Diensten abweichen, hatte das BAG bislang für den Fall entschieden, dass der Leiharbeitnehmer beim Entleiher eine geringerwertige Tätigkeit erbringt (BAG, Urt. v. 21.10.2015 – 5 AZR 604/14 Rn. 24 ff. – NZA 2016, 422). Nunmehr musste es über den vermeintlich umgekehrten Fall entscheiden, welcher allerdings zusätzlich dadurch gekennzeichnet war, dass zugleich der Entleiher mit der Zuweisung einer höherwertigen Tätigkeit die ihm aufgrund des Überlassungsverhältnisses zukommenden Befugnisse überschreitet.
Zu beantworten war die Frage, auf welcher Grundlage das Vergleichsentgelt zu bestimmen ist, wenn der Leiharbeitnehmer beim Entleiher höherwertige, dem Entleiher durch den Verleiher aber nicht verschaffte („verkaufte“) Dienste erbringt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Die Parteien streiten um ergänzende Vergütungsansprüche unter dem Gesichtspunkt des equal pay.
Die Klägerin war vom 03.11.2008 bis zum 30.06.2010 bei der Beklagten, welche erlaubnispflichtige Arbeitnehmerüberlassung betreibt, als Leiharbeitnehmerin beschäftigt und während des gesamten Zeitraums der S.-AG (Entleiherin und Streitverkündete) überlassen. In § 3 ihres Arbeitsvertrags war als Tätigkeit vereinbart: „Frau K wird als: Administratorin eingestellt.“
Sie erhielt von der Beklagten bei einer vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit von mindestens 35 Wochenstunden einen Bruttostundenlohn von zunächst 14 Euro und ab dem 02.03.2009 von 15 Euro. Nach § 6 des Arbeitsvertrags war das Arbeitsentgelt jeweils zum 20. des Folgemonats fällig. Am 31.12.2012 machte die Klägerin ein Mahnverfahren gegen die Beklagte anhängig und forderte von dieser für den Zeitraum vom 01.12.2008 bis zum 30.06.2010 zuletzt die Zahlung von 16.922,64 Euro weitere Vergütung. Der Mahnbescheid konnte der Beklagten aufgrund einer unrichtigen Adressangabe zunächst nicht zugestellt werden. Nachdem die Klägerin die Adressangabe auf gerichtlichen Hinweis vom 11.01.2012 mit Schreiben vom 11.02.2012 nachgebessert hat und der Mahnbescheid dann am 15.02.2012 zugestellt wurde, legte die Beklagte Widerspruch ein.
Nach Abgabe ins streitige Verfahren begründete die Klägerin ihre Ansprüche. Sie machte zuletzt geltend, dass sie während ihres Einsatzes bei der Streitverkündeten mit dem als „Junior Consultant“ beschäftigten Stammarbeitnehmer S. vergleichbar gewesen sei, weil sie vergleichbare Tätigkeiten wie dieser verrichtet habe.
Die Beklagte bestreitet die Verrichtung von mit einem „Junior Consultant“ vergleichbaren Tätigkeiten und verteidigt sich insbesondere unter Hinweis darauf, dass die Klägerin als Administratorin und nicht als „Junior Consultant“ eingestellt worden sei. Ihre Tätigkeit sei daher nicht mit der des benannten Stammarbeitnehmers S. vergleichbar. Abgesehen davon dürfe es aber auch nicht zulasten der Beklagten gehen, sollte die Streitverkündete (Entleiherin) die Klägerin tatsächlich unter Verletzung des Überlassungsvertrags mit höherwertigen Tätigkeiten betraut haben.
Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen und namentlich darauf abgehoben, dass die Beklagte nicht dafür einzustehen habe, sollte die Streitverkündete die Klägerin tatsächlich höherwertig beschäftigt haben.
II. Die Revision der Klägerin war vor dem BAG erfolgreich.
1. Der geltend gemachte Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt könne nicht mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts verneint werden
a) Mangels wirksamer (tariflicher) Abweichung vom Gleichstellungsgebot war die Beklagte nach § 10 Abs. 4 AÜG a.F. (§ 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG n.F.) verpflichtet, der Klägerin für die streitgegenständliche Zeit der Überlassung das gleiche Arbeitsentgelt zu zahlen, wie es die Entleiherin (Streitverkündete) vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährte.
b) Der Anspruch des Leiharbeitnehmers auf gleiches Arbeitsentgelt sei ein die vertragliche Vergütungsabrede korrigierender gesetzlicher Entgeltanspruch, dessen Höhe sich aus einem Gesamtvergleich der Entgelte im Überlassungszeitraum ermittelt. Dabei richte sich das maßgebliche Vergleichsentgelt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht nach den zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer vereinbarten Vertragsbedingungen, sondern nach den beim Entleiher geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen. Art. 5 Abs. 1 Leiharbeits-RL 2008/104/EG gebiete, das Vergleichsentgelt stets tätigkeitsbezogen zu bestimmen: Es ist das Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, das ein vergleichbarer Stammarbeitnehmer erhalten hat oder – gibt es einen solchen nicht – der Leiharbeitnehmer erhalten hätte, wenn er für die gleiche Tätigkeit beim Entleiher eingestellt worden wäre.
c) Dem stehe die Erwägung des Landesarbeitsgerichts, es dürfe nicht zulasten des Verleihers gehen, wenn der Entleiher den Leiharbeitnehmer anders als im Überlassungsvertrag vereinbart einsetzt, nicht entgegen. Verletzt der Entleiher den Überlassungsvertrag schuldhaft, indem er dem Leiharbeitnehmer eine höherwertige Tätigkeit zuweist, könne der Verleiher Ersatz des ihm dadurch entstehenden Schadens verlangen (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB; ebenso Bissels, jurisPR-ArbR 18/2016 Anm. 3, unter D.).
2. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweise sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Insbesondere seien die Ansprüche nicht – auch nicht teilweise – verjährt.
a) Der mit der Überlassung entstehende Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt werde mit dem arbeitsvertraglich für die Vergütung bestimmten Zeitpunkt zeitabschnittsweise fällig und unterliege der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB). Für deren Beginn komme es – neben dem Entstehen des Anspruchs – nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB darauf an, dass der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Die danach erforderliche Kenntnis sei vorhanden, wenn der Leiharbeitnehmer Kenntnis von der Tatsache hat, dass vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers mehr verdienen als er.
b) Der älteste Teil des streitgegenständlichen Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt (Lohn für Dezember 2008) war nach § 6 des Arbeitsvertrags am 20.01.2009 fällig. Für ihn begann die Verjährungsfrist am 31.12.2009 und endete am 31.12.2012. Durch den an diesem Tag beim Arbeitsgericht eingegangen Mahnantrag sei der Ablauf der Verjährungsfrist gehemmt worden (§ 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB, § 167 ZPO). Dem stehe die Verzögerung der Zustellung des Mahnbescheids durch die Angabe einer nicht mehr zustellfähigen Anschrift der Beklagten nicht entgegen. Die Klägerin habe den Mangel so rechtzeitig behoben, dass der Mahnbescheid innerhalb der Frist des § 691 Abs. 2 ZPO und damit „demnächst“ zugestellt wurde (vgl. BGH, Urt. v. 21.03.2002 – VII ZR 230/01 – NJW 2002, 2794).
3. In welchem Umfang die Klage begründet ist, könne aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht entschieden werden. Deshalb sei der Rechtsstreit zurückzuverweisen.
a) Zur Ermittlung der Höhe des Anspruchs aus § 10 Abs. 4 AÜG a.F. (§ 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG n.F.) sei ein Gesamtvergleich der Entgelte im Überlassungszeitraum anzustellen. Es sei das im Betrieb des Entleihers einem vergleichbaren Stammarbeitnehmer gewährte Vergleichsentgelt mit dem dem Leiharbeitnehmer vom Verleiher gezahlten Entgelt zu saldieren. Das Vergleichsentgelt lasse sich derzeit nicht bestimmen. Maßgeblich seien nicht Funktionsbezeichnungen, sondern die erbrachten Tätigkeiten. Diesbezüglich habe die Klägerin im Berufungsverfahren eingeräumt, auch andere als die für ihre Berechnung zugrunde gelegten Tätigkeiten verrichtet zu haben. Andererseits habe die Entleiherin (Streitverkündete) in ihrer Auskunft nach § 13 AÜG deutlich gemacht, das sie die Klägerin nicht daran gehindert hat, überobligatorische Aufgaben zu verrichten. Dies spreche dafür, dass die Klägerin jedenfalls im Laufe der Überlassung eine höherwertige Tätigkeit als in ihrem Arbeitsvertrag vereinbart verrichtet habe. Diese sei für die tätigkeitsbezogene Bestimmung des Vergleichsentgelts ab dem Zeitpunkt maßgeblich, ab dem die Entleiherin sie veranlasst, also aufgrund des ihr überlassenen Weisungsrechts zugewiesen hat, sei es ausdrücklich, sei es konkludent durch Billigung oder Duldung. Da das Landesarbeitsgericht nicht auf eine Ergänzung des diesbezüglichen Vortrags der Klägerin hingewirkt (§ 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO) hat, sei im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG geboten, der Klägerin in einem erneuten Berufungsverfahren Gelegenheit zu ergänzendem Sachvortrag und ergänzenden Beweisantritten zu geben.
b) Für das erneute Berufungsverfahren werde zudem Folgendes zu beachten sein:
(1) Zur substanziierten Darlegung des Gesamtvergleichs gehöre die schriftsätzliche Erläuterung, in welchem Umfang im Überlassungszeitraum Differenzvergütung etwa für geleistete Arbeit, aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, gewährten Urlaubs, Freizeitausgleichs oder Abgeltung von Stunden aus einem Arbeitszeitkonto oder eines sonstigen Tatbestands, der eine Vergütungspflicht ohne Arbeit regelt, begehrt wird. Daran mangele es bislang.
(2) Haben Stammarbeitnehmer ein Monatsgehalt bezogen, richte sich der Anspruch aus § 10 Abs. 4 AÜG a.F. (§ 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG n.F.) auf ein Monatsgehalt und verbiete sich ein „Herunterrechnen“ auf einen fiktiven Stundenlohn. Ausgangspunkt für die Berechnung der Differenzvergütung sei vielmehr das – ggf. anteilige – Monatsgehalt, welches die Klägerin im Überlassungszeitraum erzielt hätte, wenn sie unmittelbar bei der Entleiherin beschäftigt gewesen wäre.
(3) Ob, wie die Beklagte meint, beim Gesamtvergleich auch gewährte Verpflegungskostenzuschüsse zu berücksichtigen sind, bemesse sich danach, ob damit ein der Klägerin tatsächlich entstandener Aufwand erstattet werde (nicht zu berücksichtigender echter Aufwendungsersatz) oder die Leistung sich als „verschleiertes“ (zu berücksichtigendes) Arbeitsentgelt darstellt.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung kann nicht in allen Aussagen überzeugen. Sie ist entgegen der Annahme des erkennenden Senats in entscheidenden Punkten keine Ableitung bereits gefestigter Rechtsprechung.
I. Bedenken bestehen zunächst gegen die durch den Senat nicht weiter begründete (begründungslos auch Bissels, jurisPR-ArbR 18/2016 Anm. 3 unter D.), den Kern der Entscheidung bildende Annahme, dass sich das Vergleichsentgelt auch dann nach den tatsächlich vom Leiharbeitnehmer beim Entleiher auf dessen Weisung hin geleisteten Diensten richtet, wenn der Entleiher unter Verstoß gegen den Überlassungsvertrag höherwertige Dienste zuweist.
1. Entgegen der Annahme des Senats folgt das von diesem befürwortete Ergebnis nicht bereits daraus, dass das Vergleichsentgelt ohne Rücksicht auf Abreden zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher tätigkeitsbezogen (und nicht z.B. fähigkeitsbezogen) zu bestimmen ist (a.A. auch Bissels jurisPR-ArbR 18/2016 Anm. 3 unter D.), weil hierdurch nur festgelegt wird, anhand welcher Kriterien die Vergleichbarkeit des Leiharbeitnehmers mit einem Stammarbeitnehmer des Entleihers zu bestimmen ist. Dagegen wird hierdurch nicht notwendig die davon zu unterscheidende Frage mitentschieden, ob die in den Vergleich einzustellende Tätigkeit des Leiharbeitnehmers nach den tatsächlich erbrachten Diensten oder (zugleich) anhand der aufgrund der Beziehung des Verleihers zum Entleiher vom Leiharbeitnehmer dem Entleiher geschuldeten Dienste zu bestimmen ist.
2. Gegen das vom erkennenden Senat und von Bissels befürwortete Ergebnis spricht, dass das Gleichstellungsgebot (§ 10 Abs. 4 AÜG a.F. i.V.m. § 9 Nr. 2 AÜG a.F. i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG a.F; vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG n.F.) das Arbeitsentgelt „während der Überlassung“, d.h. die Vergütung der von einem Leiharbeitnehmer als solchem erbrachten Dienste bestimmt. Soweit der Entleiher dem Leiharbeitnehmer aber unter Überschreitung des ihm durch den Verleiher verschafften Direktionsrechts Dienste zuweist, wird der Arbeitnehmer nicht mehr als Leiharbeitnehmer tätig (Ulrici in: HK-AÜG, § 8 Rn. 32). So ist im Zusammenhang mit der Abgrenzung von Leiharbeit zum Fremdpersonaleinsatz bei Erfüllung von Dienst- und Werkverträgen anerkannt, dass durch einen Dritten eigenmächtig erteilte Weisungen einen sonstigen Fremdpersonaleinsatz nicht zur Arbeitnehmerüberlassung machen (vgl. BAG, Urt. v. 30.01.1991 – 7 AZR 497/89 – NZA 1992, 19, 23; Ulrici in: HK-AÜG, § 12 Rn. 19). Ebenso wenig liegt aber (partiell) eine Arbeitnehmerüberlassung vor, wenn der Entleiher dem Leiharbeitnehmer Tätigkeiten zuweist, welche er – mangels eines ihm insoweit vom Verleiher verschafften Weisungsrechts – nicht wirksam zuweisen kann. Dies übergeht der erkennende Senat, wenn er davon spricht, dass der Entleiher „aufgrund des ihm überlassenen Weisungsrechts“ Tätigkeiten zugewiesen hat (Rn. 27 des Urteils). Dem Entleiher kommt ein Weisungsrecht nicht in weiterem Umfang zu, als ihm dieses durch den Verleiher eingeräumt wurde. Erbringt der Leiharbeitnehmer seine höherwertigen Dienste mithin nicht auf der Grundlage der dem Entleiher vom Verleiher verschafften Dienstberechtigung, ist das Gleichstellungsgebot insoweit nicht anwendbar.
3. Unbewusst liegt der abweichenden Ansicht des erkennenden Senats das Bild zugrunde, dass der Verleiher dem Entleiher die Person des Arbeitnehmers überlässt und der Entleiher dem Leiharbeitnehmer daher nach eigenen Vorstellungen Dienste zuweisen und den Nutzen aus diesen ziehen kann. Dieses Bild trifft indes nicht zu. Leistungsgegenstand einer Arbeitnehmerüberlassung ist nicht die Person des Leiharbeitnehmers – im Zusammenhang mit dem Begriff Leiharbeit wird dies allgemein betont (Cellier, BT-Drs. 18(11)761, 6 in Fn. 1; Fischer, RdA 2013, 326, 327; iGZ, BT-Drs. 18(11)761, 115, 120.). Leistungsgegenstand der Arbeitnehmerüberlassung sind vielmehr die von einem Arbeitnehmer zu erbringenden Dienste (Ulrici in: HK-AÜG, Einl. Rn. 3). Und nur soweit der Entleiher über die ihm vom Verleiher verschafften Dienste verfügt und diese auswertet oder auswerten kann, greift das Gleichstellungsgebot. Vergleichsmaßstab sind somit die dem Entleiher im Rahmen eines Überlassungsverhältnisses durch den Verleiher verschafften Dienste.
4. Seit dem 01.04.2017 kommt hinzu, dass das nunmehr geltende Verbot der Kettenüberlassung (§ 1 Abs. 1 Satz 3 AÜG n.F.) sowohl verfassungsrechtlich als auch im Hinblick auf die Leiharbeits-RL 2008/104/EG nur dadurch zu rechtfertigen ist, dass es absichert, dass einerseits der Leiharbeitnehmer vom Vertragsarbeitgeber (Verleiher) stets das vergleichbare Arbeitsentgelt wie die Stammarbeitnehmer im Betrieb des tatsächlichen Arbeitseinsatzes erhält und andererseits der Verleiher nicht ohne seine Mitwirkung gebunden wird (Ulrici in: HK-AÜG, § 1 Rn. 18, 24). Auf der Grundlage der Rechtsansicht des erkennenden Senats ließe sich § 1 Abs. 1 Satz 3 AÜG n.F. nicht mehr hierdurch rechtfertigen und wäre verfassungs- und richtlinienwidrig (für Richtlinienwidrigkeit ohnehin Boemke in: Giesen/Junker/Rieble, Systembildung im Europäischen Arbeitsrecht, 2016, S. 122 f.).
II. Bedenken bestehen außerdem hinsichtlich der Ausführungen zur Verjährung der Vergütungsansprüche.
1. Nicht überzeugen kann die Annahme des erkennenden Senats, dass sich die Fälligkeit des durch das Gleichstellungsgebot mitbestimmten Anspruchs auf Arbeitsentgelt nach der Fälligkeitsabrede im Leiharbeitsvertrag richtet. Der erkennende Senat berücksichtigt insoweit nicht ausreichend, dass das Arbeitsentgelt dem durch die Leiharbeits-RL 2008/104/EG vorgegebenen Gleichstellungsgebot unterliegt, d.h. der Leiharbeitnehmer nicht schlechter als Stammarbeitnehmer stehen darf. Als Arbeitsentgelt i.S.v. Art. 3 Abs. 1 Buchst. f. ii. Leiharbeits-RL 2008/104/EG angesprochen wird allerdings nicht allein die Höhe des Arbeitsentgelts, sondern auch dessen Fälligkeit (zur verwandten Frage von Verfallfristen vgl. Ulrici in: HK-AÜG, § 8 Rn. 26). Deren wesentliche Bedeutung wird bestätigt durch § 3a Abs. 1 Satz 1 HS. 2 AÜG. Sie wird in aller Schärfe ersichtlich, wenn ein Leiharbeitnehmer sein Arbeitsentgelt z.B. erst zum 20. des Folgemonats, die vergleichbaren Stammarbeitnehmer ihrerseits das Arbeitsentgelt aber als Vorauszahlung bereits zum 1. des Vergütungszeitraums erhalten würden. Ausgehend von Art. 5 Abs. 1 Leiharbeits-RL 2008/104/EG dürfen Leiharbeitnehmer mithin auch im Hinblick auf den Zahlungszeitpunkt nicht schlechter als vergleichbare Stammarbeitnehmer stehen. Für eine einschränkende Auslegung enthält die Leiharbeits-RL 2008/104/EG keinen Anhaltspunkt. Der erkennende Senat zeigt auch nicht auf, warum seine abweichende Auslegung sich so klar aus der Leiharbeits-RL 2008/104/EG ergibt, dass er ohne Anrufung des EuGH entscheiden konnte. Ausgehend von der hier vertretenen Auslegung richtete sich die für die Verjährung maßgebliche Fälligkeit nicht nach der Abrede im Leiharbeitsvertrag, sondern nach der für einen vergleichbaren Stammarbeitnehmer geltenden Fälligkeit. Läge diese im jeweiligen Vergütungszeitraum (hier z.B. 15.12.2008), käme in der Konsequenz für einen (kleinen) Teil der Klageforderung ein zwölf Monate früherer Anlauf der Verjährungsfrist in Betracht.
2. Nicht zu folgen ist aber auch den für die Hemmung der Verjährung zentralen Ausführungen zu den Anforderungen an eine i.S.v. § 167 ZPO noch demnächst erfolgte Zustellung. Soweit sich diese auf die Entscheidung des BGH vom 21.03.2002 (VII ZR 230/01) stützen, lassen sie die Auswirkungen der Reform des Zustellrechts zum 01.07.2002 unberücksichtigt. Der BGH hatte in der vom BAG zitierten Entscheidung zu § 693 Abs. 2 ZPO a.F., wo sich eine Parallelregelung zu § 270 Abs. 3 ZPO a.F. befand, angenommen, dass das Merkmal „demnächst“ i.S.v. § 693 Abs. 2 ZPO a.F. in Anlehnung an die vorliegend nicht einschlägige Regelung in § 691 Abs. 2 ZPO dahingehend auszulegen ist, dass ein Zeitraum von einem Monat unschädlich ist. Hierdurch sollte innerhalb des Mahnverfahrens eine Ungleichbehandlung zwischen den Fällen von § 691 Abs. 2 ZPO und § 693 Abs. 2 ZPO a.F. vermieden werden. Nachdem allerdings § 693 Abs. 2 ZPO a.F. ebenso wie § 270 Abs. 3 ZPO a.F. zugunsten der einheitlichen Regelung in § 167 ZPO entfallen ist, bedarf es einer Neubewertung, nunmehr zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung zwischen Klage- und Mahnverfahren, welche in Ansehung der für beide einheitlich geltenden Regelung (§ 167 ZPO) in besonderer Weise rechtfertigungsbedürftig ist. Eine solche Rechtfertigung ist nicht ersichtlich. Es ist nicht erkennbar, warum bei Angabe einer zur Zustellung ungeeigneten Adresse hinsichtlich des noch unschädlichen Verzögerungszeitraums im Klageverfahren ein nicht unerheblich strengerer Maßstab (vgl. BGH, Urt. v. 10.09.2015 – IX ZR 255/14 – NJW 2016, 151 Rn. 15: 14 Tage) als im Mahnverfahren gelten soll. § 691 Abs. 2 ZPO vermag dies nicht zu rechtfertigen, erfasst er doch nur Mängel, welche allein im Mahn-, nicht aber auch im Klageverfahren denkbar sind.
D. Auswirkungen für die Praxis
I. Die Entscheidung gibt der Rechtspraxis Orientierung bei der Ermittlung des dem Gleichstellungsanspruch des Leiharbeitnehmers zugrunde zu legenden Vergleichsentgelts. In der Folge von einer gesicherten Rechtslage auszugehen, könnte sich aber als trügerisch erweisen. Wie gezeigt, lässt die Entscheidung einige Gesichtspunkte unberücksichtigt. Auch gibt das ab 01.04.2017 geltende Recht Anlass, den eingenommenen Standpunkt nochmals zu überprüfen. Deshalb ist nicht auszuschließen, dass das BAG für zukünftige Sachverhalte von seiner eingeschlagenen Linie abweicht.
II. Zu warnen ist außerdem davor, die vom BAG bekräftigte Rechtsprechung des BGH zur Auslegung des Merkmals „demnächst“ im Mahnverfahren zum Maßstab einer sorgfältigen Behandlung eines wegen einer unrichtigen Adressangabe stockenden Mahnverfahrens zu machen. Aus den vorstehend dargelegten Gründen greift ein Verweis auf die frühere Rechtsprechung des BGH zu kurz. Dass die Rechtsprechung dies in einem zukünftigen Fall ebenso sieht, ist nicht ausgeschlossen.