Nachfolgend ein Beitrag vom 31.8.2016 von Boemke, jurisPR-ArbR 35/2016 Anm. 4

Leitsatz

Der Einsatz von Bundesfreiwilligendienstleistenden unterliegt nicht der Mitbestimmung des Betriebsrates nach § 99 BetrVG.

A. Problemstellung

Der Bundesfreiwilligendienst wurde als Reaktion auf die Aussetzung der Wehrpflicht 2011 und damit auch des Zivildienstes geschaffen. Die Freiwilligen werden aufgrund einer Vereinbarung mit der BRD tätig (§ 8 BFDG) und bei dafür anerkannten Einsatzstellen eingesetzt (§ 6 BFDG).
Das ArbG Magdeburg hatte darüber zu entscheiden, ob die Tätigkeitsaufnahme in der Einsatzstelle der Zustimmung des dort gebildeten Betriebsrats nach § 99 BetrVG bedarf.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Antragstellerin unterhält ein Krankenhaus, in dem auch Freiwillige nach dem BFDG eingesetzt werden. Nachdem der Antragsgegner, der bei der Antragstellerin gebildete Betriebsrat, die Zustimmung zum Einsatz zweier Freiwilliger verweigert hatte, beschäftigte die Antragstellerin die Freiwilligen vorläufig i.S.v. § 100 BetrVG. Im vorliegenden Verfahren wollte die Antragstellerin in erster Linie festgestellt wissen, dass bei der Besetzung von Stellen des Bundesfreiwilligendiensts, die durch das zuständige Bundesamt genehmigt worden sind, kein Mitbestimmungsrecht des Antragsgegners nach § 99 BetrVG besteht, weil die eingesetzten Freiwilligen keine Arbeitnehmer seien. Der Antrag hatte erstinstanzlich Erfolg.
Die 6. Kammer des ArbG Magdeburg legt dar, dass nach § 99 BetrVG der Einsatz von Arbeitnehmern der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt. Dabei sei vom allgemeinen arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff auszugehen (BAG, Beschl. v. 12.02.1992 – 7 ABR 42/91 Rn. 13; Fitting, BetrVG, 26. Aufl., § 5 Rn. 15; Koch in: ErfKomm, 16. Aufl., § 5 BetrVG Rn. 2). Danach sei Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener Arbeit verpflichtet ist (BAG, Urt. v. 14.03.2007 – 5 AZR 499/06 Rn. 13; Preis in: ErfKomm, § 611 BGB Rn. 35; Fitting, BetrVG, § 5 Rn. 16). Freiwillige im Bundesfreiwilligendienst stünden weder zu dem Inhaber ihrer Einsatzstelle noch zu der BRD in einem Arbeitsverhältnis. Sie würden im Rahmen eines öffentlichen Dienstverhältnisses eigener Art tätig (Walker in: Schwab/Weth, ArbGG, 4. Aufl., § 2 Rn. 175a; Dörner in: GK-ArbGG, § 2a Rn. 76a; Matthes/Schlewing in: Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 8. Aufl., § 2a Rn. 33; Koch in: ErfKomm, § 5 BetrVG Rn. 3). Auf dieses sind nach § 13 Abs. 1 BFDG nur die Arbeitsschutzbestimmungen, das JArbSchG und das BUrlG, nicht aber das BetrVG entsprechend anzuwenden. Vielmehr habe der Gesetzgeber in § 10 BFDG eine eigenständige Regelung zur Mitwirkung der Freiwilligen getroffen; diese wählen Sprecherinnen, welche die Interessen der Freiwilligen gegenüber den Einsatzstellen, Trägern, Zentralstellen und der zuständigen Bundesbehörde vertreten. Zwar könne der Betriebsrat nach § 99 BetrVG ggf. auch hinsichtlich der Eingliederung von Personen in den Betrieb mitbestimmen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zu dem Betriebsinhaber stehen (vgl. BAG, Beschl. v. 23.06.2010 – 7 ABR 1/09 Rn. 13; BAG, Beschl. v. 09.03.2011 – 7 ABR 137/09 Rn. 13); dies komme aber, wie § 5 Abs. 1 Satz 3 BetrVG zeige, nicht für Personen in Betracht, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen. Daher hatte der Antrag Erfolg.

C. Kontext der Entscheidung

Der Beschluss ist sehr sorgfältig begründet, steht er doch in Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung und h.M., die dem Betriebsrat des Einsatzbetriebs bei der Beschäftigung von Freiwilligen auf Grundlage des BFDG ein Zustimmungsrecht nach § 99 BetrVG zuerkannt hatte (ArbG Ulm, Beschl. v. 18.07.2012 – 7 BV 10/11; ArbG Ulm, Beschl. v. 07.03.2016 – 4 BV 10/15 und 19/15; Düwell, jurisPR-ArbR 16/2016 Anm. 1, unter IV.3; Klenter, AiB 2012, 610; Richardi/Fischinger in: Staudinger, BGB, 2016 § 611 Rn. 344).
Gleichwohl möchte ich im Ergebnis dem ArbG Magdeburg nicht folgen, weil es die Rechtsprechung des BAG zur vergleichbaren Beschäftigung Zivildienstleistender vollständig ausblendet. Hier hat das BAG entschieden, dass der Umstand, dass Zivildienstleistende in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 BetrVG nicht ausschließt. „Die Zivildienstleistenden sind, was auch zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert. Sie erhalten von diesem die zur Ausführung ihrer Arbeit erforderlichen Weisungen. Dabei spielt es – entgegen der Auffassung des Arbeitgebers – keine Rolle, ob sie Tätigkeiten erledigen, die über den normalen Arbeitsbedarf des Jugendgästehauses hinausgehen. Die Zivildienstleistenden werden mit Aufgaben in der Verwaltung sowie der Rezeption, im Versorgungsbereich und in der Gartenpflege beschäftigt und dienen damit dem Betriebszweck. Allerdings beruht die Eingliederung in den Betrieb auf einem Verwaltungsakt, der Zuweisung durch das Bundesamt für den Zivildienst. Insoweit kommt eine Mitbestimmung des Betriebsrats nicht in Betracht, da nicht der Arbeitgeber handelt, sondern eine Behörde. Das behördliche Handeln folgt indessen einer tatsächlichen Auswahlentscheidung des Arbeitgebers. Danach stellt sich der Zivildienstleistende zunächst bei dem Herbergsleiter vor. Falls dieser ihn als geeignet ansieht, reicht der Arbeitgeber einen Antrag auf Einberufung gerade dieses Zivildienstleistenden bei dem Bundesamt für den Zivildienst ein. Das Bundesamt weist den Zivildienstleistenden sodann ohne eigene Auswahlentscheidung zu. Auf Grund dieser ständig geübten Praxis bei der Besetzung der Zivildienstarbeitsplätze wird die eigentliche Arbeitgeberentscheidung im Hinblick auf die vorzunehmende Anstellung als Eingliederung in die Belegschaft bereits vor der Zuweisung, und zwar von dem späteren Arbeitgeber selbst, getroffen. Diese vom Arbeitgeber vorgenommene Personalauswahl betrifft die Interessen der im Betrieb vorhandenen Arbeitnehmer, deren Schutz das Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG dient, wie sich aus § 99 Abs. 2 Nr. 3 und 6 BetrVG ergibt. Mit dem Antrag auf Zuweisung eines bestimmten Zivildienstleistenden nimmt der Arbeitgeber den für die Einstellung maßgeblichen Entscheidungsspielraum in Anspruch, der für die Einstellungsentscheidung typisch ist und dessen Ausübung der Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 BetrVG überwachen soll“ (BAG, Beschl. v. 19.06.2001 – 1 ABR 25/00 Rn. 30 f.).
Dementsprechend bestand ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 BetrVG, wenn der Arbeitgeber beim Bundesamt für den Zivildienst die Zuweisung bestimmter Zivildienstleistender beantragte (BAG, Beschl. v. 19.06.2001 – 1 ABR 25/00 Rn. 27; LArbG Frankfurt, Beschl. v. 02.06.2009 – 4 TaBV 219/08 Rn. 27; Richardi/Thüsing, BetrVG, 15. Aufl. 2016, § 99 Rn. 63).
Diese Grundsätze lassen sich 1:1 auf den Einsatz von Freiwilligen im Rahmen des BFDG übertragen (Preuss in: NOMOS-GA, 1. Aufl. 2016, § 99 BetrVG Rn. 59). Soweit dies in der Literatur mit der Begründung bestritten wird, dass „zwischen Bundesfreiwilligen- und Zivildienst erhebliche konzeptionelle Unterschiede bestehen“ (Becker, NZA 2016, 923, 924; soweit Becker bei Fn. 17 seine Behauptung, „die Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes auf Freiwillige nach dem BFDG <sei> in Gänze abzulehnen“ auf Walker in: Schwab/Weth, ArbGG, § 2 a Rn. 105 a, sowie Matthes/Schlewing in Germelmann, ArbGG, 8. Aufl. 2013, § 2 a Rn. 33, stützen will, handelt es sich um eine sog. Leseschwäche. Die in Bezug Genommenen lehnen die Anwendung des BetrVG auf die Rechtsbeziehung zwischen Bund und Freiwilligen ab; zur Anwendung des § 99 BetrVG im Einsatzbetrieb ist damit nichts besagt), überzeugt dies nicht. Es wird insoweit nämlich darauf abgehoben, dass der Zivildienst ein Wahlpflichtdienst war, während der Dienst auf Grundlage des BFDG freiwillig geleistet werde; überdies sei der Bundesfreiwilligendienst geschlechtsneutral ausgestaltet und verfolge das Ziel, persönliche und soziale Kompetenzen zu vermitteln bzw. zu vertiefen (Becker, NZA 2016, 923). Das mag zwar alles zutreffen, hat aber nichts mit der Art und Weise des Tätigwerdens im Einsatzbetrieb zu tun. Freiwillige im Rahmen des Bundesfreiwilligendiensts werden wie Zivildienstleistende unter Weisung des Leiters des Einsatzbetriebs dort tätig, sind also in diesen eingegliedert. Dies rechtfertigt nach der Rechtsprechung des BAG die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG. Dementsprechend hat der Erste Senat auch den Einsatz sog. Ein-Euro-Jobber von der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG abhängig gemacht (BAG, Beschl. v. 02.10.2007 – 1 ABR 60/06). Keine Bedeutung für die Mitbestimmung nach § 99 BetrVG hat das Geschlecht der Arbeitnehmerin oder die Motive, aus denen heraus der Dienst geleistet werden soll. Auch § 10 BFDG, der eine spezielle Interessenvertretung der Freiwilligen regelt, sperrt die Mitbestimmung nach § 99 BetrVG nicht. Diese Interessenvertretung soll die Interessen der Freiwilligen wahrnehmen, während der Betriebsrat im Rahmen des § 99 BetrVG die Interessen der im Betrieb tätigen Mitarbeiter repräsentiert. Unstreitig unterfällt die Einstellung einer Auszubildenden der Mitbestimmung nach § 99 BetrVG, obwohl deren Interessen durch die Jugend- und Auszubildendenvertretung (§§ 60 ff. BetrVG) wahrgenommen werden (BAG, Beschl. v. 08.05.1990 – 1 ABR 7/89 Rn. 28).

D. Auswirkungen für die Praxis

Die 6. Kammer des ArbG Magdeburg ist zwar um eine sorgfältige Begründung bemüht gewesen, hat aber leider die Rechtsprechung des BAG zur Mitbestimmung des Betriebsrats zur Einstellung Zivildienstleistender schlichtweg ignoriert. Das Rad muss nicht immer wieder neu erfunden werden, sondern es kann durchaus sinnvoll sein, auf Bewährtes zurückzugreifen. Arbeitgeber, die Freiwillige auf Grundlage des BFDG einsetzen wollen, sollten rechtzeitig, nämlich vor dem Antrag auf Zuweisung eines bestimmten Freiwilligen, ihren Betriebsrat nach § 99 BetrVG beteiligen.