Nachfolgend ein Beitrag vom 9.8.2017 von Düwell, jurisPR-ArbR 32/2017 Anm. 1

A. Ermächtigungsgrundlage

Die Leiharbeitsrichtlinie1 verpflichtet in Art. 5 Abs. 3 die Mitgliedstaaten, auf den Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer zu achten. Dazu gehört u.a. eine Mindestlohnregelung. Im Zuge der parlamentarischen Ausschussberatungen ist in das Erste AÜGÄndG die Ermächtigung in § 3a AÜG eingefügt worden, per Rechtsverordnung einen Mindestlohn für die Leiharbeit festzusetzen. Zur Vermeidung des Wortes Mindestlohn wurde die Bezeichnung Lohnuntergrenze gewählt. Hauptanlass war, dass mit der Verwirklichung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit für acht östliche EU-Mitgliedstaaten zum 01.05.2011 Lohndumping durch grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung befürchtet wurde.2

Die Regelung war und ist notwendig; denn sonst konnte damals das in § 9 Nr. 2 AÜG und kann heute das (seit 01.04.2017) in § 8 AÜG geregelte „equal-pay-Gebot“ (Gleichstellungsgrundsatz) unterlaufen werden. Heute wie damals ist eine Abweichung im Sinne einer Verschlechterung durch die in der Regelung enthaltene Tariföffnungsklausel zugelassen. Wenn keine Lohnuntergrenze gezogen ist, kann ein Leiharbeitstarifvertrag zu einem „Dumpinglohn“ führen.3

Nach der Neufassung des AÜG mit Wirkung vom 01.04.2017 kann der Verleiher gemäß § 8 Abs. 2 AÜG in Anwendung eines verschlechternden Tarifvertrags vom Gleichstellungsgrundsatz abweichen, soweit er nicht die in einer Rechtsverordnung nach § 3a Abs. 2 AÜG festgesetzten Mindeststundenentgelte unterschreitet. Soweit ein solcher Tarifvertrag vom Gleichstellungsgrundsatz abweicht, hat der Verleiher dem Leiharbeitnehmer die nach diesem Tarifvertrag geschuldeten Arbeitsbedingungen zu gewähren.

B. Lohnuntergrenzen von 2011 bis 2016

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) erließ am 21.12.2011 die Erste Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung aufgrund des § 3a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1, 3 und 5 AÜG.4 Sie regelte das Mindestentgelt bis zum 31.10.2013. Danach trat eine Unterbrechung ein. Mehre Monate galt keine Lohnuntergrenze. Die Zweite Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung ist am 21.03.2014 erlassen worden.5 Sie trat am 01.04.2014 in Kraft und ist am 31.12.2016 außer Kraft getreten. Danach galt erneut einige Monate lang keine Lohnuntergrenze. Diese lohnuntergrenzenfreien Zeiten sind mit der unionsrechtlichen Verpflichtung zum Gesamtschutz schwer vereinbar.

C. Neue Lohnuntergrenze ab 01.06.2017

Die Dritte Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung (LohnUGAÜV 3) vom 26.05.20176 hat folgenden Wortlaut:

„Eingangsformel

Auf Grund des § 3a Absatz 2 in Verbindung mit den Absätzen 1, 3 und 5 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, dessen Absätze 1, 2 und 3 zuletzt durch Artikel 7 Nummer 1 des Gesetzes vom 11. August 2014 (BGBl. I S. 1348) geändert worden sind, verordnet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, nachdem es Verleihern und Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern sowie den Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern, die im Geltungsbereich der Verordnung zumindest teilweise tarifzuständig sind, Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gegeben hat und der in § 5 Absatz 1 Satz 1 des Tarifvertragsgesetzes genannte Ausschuss befasst war:

§ 1 Geltungsbereich

Diese Verordnung findet Anwendung auf alle Arbeitgeber, die als Verleiher Dritten (Entleiher) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer) im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zur Arbeitsleistung überlassen. Diese Verordnung findet auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem im Ausland ansässigen Verleiher und seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Anwendung.

§ 2 Lohnuntergrenze

(1) Verleiher sind verpflichtet, ihren Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern mindestens das in Absatz 2 genannte Bruttoentgelt als Mindeststundenentgelt im Sinne von § 3a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zu zahlen (Mindeststundenentgelt).

(2) Das Mindeststundenentgelt beträgt

a) in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen:

vom 1. Juni 2017 bis zum 31. März 2018 8,91 Euro,

vom 1. April 2018 bis zum 31. Dezember 2018 9,27 Euro,

vom 1. Januar 2019 bis zum 30. September 2019 9,49 Euro,

vom 1. Oktober 2019 bis zum 31. Dezember 2019 9,66 Euro,

b) in den übrigen Bundesländern:

vom 1. Juni 2017 bis zum 31. März 2018 9,23 Euro,

vom 1. April 2018 bis zum 31. März 2019 9,49 Euro,

vom 1. April 2019 bis zum 30. September 2019 9,79 Euro,

vom 1. Oktober 2019 bis zum 31. Dezember 2019 9,96 Euro.

(3) Es gilt das Mindeststundenentgelt des Arbeitsortes. Auswärtig beschäftigte Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer behalten den Anspruch auf das Entgelt ihres Einstellungsortes, soweit dieses höher ist.

(4) Der Anspruch auf das Mindeststundenentgelt wird spätestens am 15. Bankarbeitstag (Referenzort ist Frankfurt am Main) des Monats fällig, der auf den Monat folgt, für den das Mindestentgelt zu zahlen ist. Satz 1 gilt nicht für die über die regelmäßige monatliche Arbeitszeit hinaus entstandenen Arbeitsstunden, wenn eine tarifvertragliche Regelung zur Arbeitszeitflexibilisierung mit einem Arbeitszeitkonto besteht. Das Arbeitszeitkonto darf höchstens 200 Plusstunden umfassen. Zur Beschäftigungssicherung kann das Arbeitszeitkonto bei saisonalen Schwankungen im Einzelfall bis zu 230 Plusstunden umfassen. Beträgt das Arbeitszeitguthaben mehr als 150 Plusstunden, ist der Verleiher verpflichtet, die über 150 Stunden hinausgehenden Plusstunden einschließlich der darauf entfallenden Sozialversicherungsabgaben gegen Insolvenz zu sichern und die Insolvenzsicherung dem Leiharbeitnehmer oder der Leiharbeitnehmerin nachzuweisen. Ohne diesen Nachweis darf das Arbeitszeitguthaben höchstens 150 Plusstunden umfassen. Bei Teilzeitbeschäftigten wird die Obergrenze der Arbeitszeitkonten im Verhältnis zur arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit angepasst. Teilzeitbeschäftigung liegt vor, wenn die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit weniger als 35 Wochenstunden beträgt. Auf Verlangen der Leiharbeitnehmerin oder des Leiharbeitnehmers werden Stunden aus dem Arbeitszeitkonto, die über 105 Plusstunden hinausgehen, ausbezahlt. Bei Teilzeitbeschäftigten richtet sich die Anzahl der Plusstunden anteilig nach der jeweils arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit.

§ 3 Inkrafttreten, Außerkrafttreten

Diese Verordnung tritt am 1. Juni 2017 in Kraft und am 31. Dezember 2019 außer Kraft.“

D. Welches Entgelt ist vom Verleiher zu zahlen?

Nach § 8 Abs. 5 AÜG ist der Verleiher verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer mindestens das in einer Rechtsverordnung nach § 3a Abs. 2 AÜG für die Zeit der Überlassung und für Zeiten ohne Überlassung festgesetzte Mindeststundenentgelt zu zahlen. Hat der Verleiher einen Tarifvertrag in Bezug genommen, der die in der Rechtsverordnung nach § 3a Abs. 2 AÜG festgesetzten Mindeststundenentgelte unterschreitet, so hat der Verleiher nach § 8 Abs. 2 Satz 4 AÜG dem Leiharbeitnehmer für jede Arbeitsstunde das im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers für eine Arbeitsstunde zu zahlende Arbeitsentgelt zu gewähren. Das heißt: in diesem Fall gilt das „equal-pay-Gebot” (Gleichstellungsgrundsatz).

E. Was ist neu?

Die LohnUGAÜV 3 enthält zwei Neuerungen:

1. Der Geltungsbereich der Verordnung ist geändert.

2. Die Verordnung enthält erstmalig Regeln für Teilzeitbeschäftigte.

In § 1 LohnUGAÜV 3 ist klargestellt, dass die Verordnung nur Anwendung findet, soweit Leiharbeitnehmer im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit zur Arbeitsleistung überlassen werden.

In § 3 LohnUGAÜV 3 wird der Begriffe des Teilzeitbeschäftigten mit weniger als 35 Wochenstunden definiert. Nach 3.1.1. des Manteltarifvertrags beträgt die individuelle regelmäßige monatliche Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte 151,67 Stunden. Das entspricht einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden. Für den Personenkreis, dessen vertragliche Arbeitszeit geringer ist, wird die Obergrenze des Arbeitszeitkontos entsprechend dem Wert für Vollzeitbeschäftigte auf 230 Stunden bei saisonalen Schwankungen bzw. 150 Stunden im Normalfall gedeckelt.

Beispiel: Der Leiharbeitnehmer A hat vertraglich mit Verleiher V eine Arbeitszeit von 30 Stunden vereinbart. Dann werden diese Höchstzahlen entsprechend angepasst: 230:35×39 = 197,15 bzw. 150:35×30 = 128,70.

F. Unterschiede zwischen Ost- und West

Die folgende Übersicht zeigt auf, dass die Unterschiede in den Stundenlöhnen zwischen Ost und West zwar abgebaut werden, der Unterschied aber nur langsam abnimmt:

Mindestentgelt Länder (Ost), Mindestentgelt Länder (West)

01/2012 bis 10/2012

7,89 Euro, 7,01 Euro

11/2012 bis 10/2013

8,19 Euro, 7,50 Euro

11/2013 bis 03/2014

Zeitabschnitt ohne Mindestlohnregelung

04/2014 bis 03/2015

8,50 Euro, 7,86 Euro

04/2015 bis 05/2016

8,80 Euro, 8,20 Euro

06/2016 bis 12/2016

9 Euro, 8,50 Euro

01/2017 bis 05/2017

Zeitabschnitt ohne Mindestlohnregelung

06/2017 bis 03/2018

9,23 Euro, 8,91 Euro

04/2018 bis 12/2018

9,49 Euro, 9,27 Euro

01/2019 bis 03/2019

9,49 Euro, 9,49 Euro

04/2019 bis 09/2019

9,79 Euro, 9,49 Euro

10/2019 bis 12/2019

9,96 Euro, 9,66 Euro

G. Kollisionsregeln

Da die Ost-/Westdifferenzierung noch fortbesteht, bedarf es einer regionalen Kollisionsregel. Diese ist in § 2 Abs. 3 LohnUGAÜV 3 getroffen. Danach gilt:

1. Zu zahlen ist das Mindeststundenentgelt des Arbeitsortes.

2. Auswärtig beschäftigte Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer behalten jedoch den Anspruch auf das Entgelt ihres Einstellungsortes, soweit dieses höher ist.


1) Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.11.2008 über Leiharbeit – ABl. L 327 v. 05.12.2008, 9.

2) BT-Drs. 17(11)446, S. 2.

3) BT-Drs. 17(11)446, S. 3.

4) BAnz 28.12.2011, Nr. 195, S. 4608.

5) BAnz AT 30.01.2014 B.

6) BAnz AT 31.05.2017 V1.