Nachfolgend ein Beitrag vom 23.8.2017 von Sievers, jurisPR-ArbR 34/2017 Anm. 4

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Der Arbeitnehmer ist gemäß § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG gegenüber dem Arbeitgeber verpflichtet, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an seine Krankenkasse zu übersenden.
2. Durch die Nichtvorlage bzw. Nicht-Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an die Krankenkasse verletzt der Arbeitnehmer eine arbeitsvertragliche Pflicht (Nebenpflicht), die den Arbeitgeber zu einer Abmahnung berechtigt.

A. Problemstellung

§ 5 Abs. 1 Sätze 1-4 EFZG begründen für den Fall der Arbeitsunfähigkeit Anzeige- und Nachweispflichten des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber. § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG ist zu entnehmen, dass darüber hinaus eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit mit den dort vorgesehenen Angaben an die Krankenkasse zu übermitteln ist. Die Entscheidung befasst sich mit der Frage, ob der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber zur Übersendung der Bescheinigung an die Krankenkasse verpflichtet ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die beklagte Arbeitgeberin hat den Arbeitnehmer abgemahnt, weil sie davon Kenntnis erhalten hatte, dass der Krankenkasse des Arbeitnehmers in mehreren Fällen eine Bescheinigung nach § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG nicht zugegangen war.
Das ArbG Erfurt hat angenommen, die Abmahnung sei wirksam. Der behandelnde Arzt habe dem Arbeitnehmer den Teil der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, der für die Krankenkasse bestimmt gewesen sei, übergeben. Daher sei der Arbeitnehmer (auch gegenüber der Arbeitgeberin) zu der ordnungsgemäßen Übersendung an die Krankenkasse verpflichtet gewesen. Die Übersendung an die Krankenkasse stelle eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis dar, die der Arbeitnehmer vorliegend auch verletzt habe.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung vermag nicht zu überzeugen. § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG begründet keine arbeitsvertragliche Verpflichtung des Arbeitnehmers. Die Verpflichtung aus § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG trifft vielmehr den behandelnden Arzt. Er ist – selbstverständlich – nur gegenüber der Krankenkasse und nicht gegenüber dem Arbeitgeber verpflichtet. Aus der Pflicht des Arztes gegenüber der Krankenkasse wird auch nicht dadurch, dass der Arzt dem Arbeitnehmer eine Bescheinigung aushändigt, eine Pflicht des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber.
Die Verpflichtung des Arztes (und nicht des Arbeitnehmers) lässt sich bereits dem Wortlaut der Vorschrift entnehmen. Sie sieht vor, dass der behandelnde Arzt den Vermerk erstellen soll, dass der Krankenkasse unverzüglich die Bescheinigung übersandt wird. Dies impliziert, dass er sich selbst um den Zugang zu kümmern hat. Wenn er zur Übersendung den Patienten einschaltet, setzt er einen Boten ein. Dies ist zulässig, ändert jedoch nichts an der ihn treffenden Verpflichtung. Systematisch ist darauf zu verweisen, dass sich bereits aus § 5 Abs. 1 Sätze 1-4 EFZG ausdrücklich die Verpflichtungen ergeben, die den Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber im Falle einer Arbeitsunfähigkeit treffen.
Der Arbeitgeber wird durch die hier vertretene Auffassung nicht schutzlos gestellt. Sein berechtigtes Interesse daran, zu erfahren, ob eine Fortsetzungserkrankung vorliegt, wird dadurch gewahrt, dass er gemäß § 69 Abs. 4 SGB X bei der Krankenkasse eine Anfrage stellen kann. Zudem muss der Arbeitnehmer in einem Prozess darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt (vgl. BAG, Urt. v. 13.07.2005 – 5 AZR 389/04; Sievers in: NK-Gesamtes Arbeitsrecht, § 3 EFZG Rn. 151 ff.).
Sozialrechtlich ergibt sich für den Arbeitnehmer, der Krankengeld beziehen möchte, aus § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V eine Obliegenheit gegenüber der Krankenkasse, die Arbeitsunfähigkeit zu melden. Somit lässt sich auch aus dieser Vorschrift keine arbeitsvertragliche Pflicht ableiten. In der sozialgerichtlichen Rechtsprechung ist umstritten, ob diese Obliegenheit nicht besteht, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG gegeben sind, weil die Krankenkasse die benötigten Informationen bereits von ihrem Vertragspartner, dem Kassenarzt, zu erhalten hat. Vielfach wird angenommen, § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG stelle eine § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V verdrängende Spezialregelung mit der Folge dar, dass nur der Kassenarzt Meldung gegenüber der Krankenkasse zu erstatten habe (LSG Essen, Urt. v. 26.08.2004 – L 16 KR 324/03; SG Aachen, Urt. v. 31.01.2017 – S 13 KR 318/16; SG Saarbrücken, Urt. v. 23.10.2015 – S 15 KR 509/15; a.A. LSG Stuttgart, Urt. v. 21.10.2015 – L 5 KR 5457/13). Diese Auffassung kann sich auf ein älteres Urteil des BSG vom 28.10.1981 (3 RK 59/80) berufen, das in diesem Sinne zu dem § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG entsprechenden § 3 Abs. 1 Satz 3 LFZG a.F. ergangen ist. Sie setzt im Übrigen voraus, dass der Arzt und nicht der Arbeitnehmer durch § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG verpflichtet wird.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Auswirkungen des Urteils auf die Praxis werden gering bleiben. § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG ist keine weitere arbeitsvertragliche Pflicht des arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers zu entnehmen. Ob sozialrechtlich eine Obliegenheit zur Meldung gegenüber der Krankenkasse besteht, ist durch die sozialgerichtliche Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt.