Nachfolgend ein Beitrag vom 19.12.2018 von Nier, jurisPR-ArbR 51/2018 Anm. 4

Leitsätze

1. Durch ein in der Stellenausschreibung in Bezug genommenes Anforderungskriterium eines Hochschulabschlusses, der nicht länger als ein Jahr zurückliegt oder innerhalb der nächsten Monate erfolgt, macht der Arbeitgeber klar, lediglich Interesse an der Gewinnung jüngerer Mitarbeiter/-innen zu haben. Dies ist aber geeignet, ältere gegenüber jüngeren Personen wegen des Alters zu benachteiligen.
2. Ein Rechtsmissbrauch im Zusammenhang mit einer Bewerbung einer älteren Person ist dann anzunehmen, sofern die Bewerbung nicht erfolgt ist, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es dem Bewerber darum gegangen sein sollte, nur den formalen Status als Bewerber i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen, mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung oder Schadensersatz geltend zu machen.
3. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen, die den rechtshindernden Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen, trägt derjenige, der den Einwand geltend macht. Dabei geht es darum, ob es tatsächliche, objektive Umstände gibt, aus denen sicher angenommen werden kann, dass subjektiv nur der formale Status als Bewerber angestrebt worden ist.
4. Bleiben dann Zweifel, ist der Darlegungslast nicht genügt.

A. Problemstellung

Die Entscheidung beschäftigt sich u.a. damit, welche Anforderungen an Stellenausschreibungen und Bewerbungen sowie an den Grundsatz des Einwands des Rechtsmissbrauchs bei Ansprüchen nach dem AGG zu stellen sind und wen bei Zweifeln die Darlegungs- und Beweislast im Prozess trifft.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der 1973 geborene Kläger, ein Volljurist mit mehrjähriger Berufserfahrung, bewarb sich bei der Beklagten im März 2009 erfolglos auf eine Stelle für das Trainee-Programm 2009 Fachrichtung: Jura. Die Beklagte hatte mehrere Trainee-Stellen ausgeschrieben und darin u.a. als Anforderungskriterium einen Hochschulabschluss, der nicht länger als ein Jahr zurückliegt oder innerhalb der nächsten Monate erfolgt, angegeben. Unstreitig war der Kläger zum Zeitpunkt seiner Bewerbung bei der Beklagten arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld I. Außerdem hatte er sich davor und danach auch bei anderen Arbeitgebern beworben.
Der Kläger war der Auffassung, wegen der Anforderung in der Stellenausschreibung und seiner Nichtberücksichtigung sei er mittelbar wegen seines Alters und Geschlechts diskriminiert worden. Er sei zudem objektiv für die Stellenbesetzung geeignet gewesen. Die vier eingestellten Mitbewerber hätten keine besseren Examensnoten oder arbeitsrechtliche und medizinische Kenntnisse gehabt. Er begehrte Unterlassung, eine Entschädigung wegen Diskriminierung sowie Schadensersatz nach dem AGG. Die Beklagte war der Auffassung, der Kläger sei für die Trainee-Stelle überqualifiziert und seine Examensnote wäre nicht gut genug. Zudem habe er sich mehrfach auf andere Stellen beworben und u.a. früher vielfach Mandanten in Entschädigungsprozessen vertreten. Daher sei die Bewerbung des Klägers rechtsmissbräuchlich, da er sich so eine Einnahmequelle zu verschaffen versuche. Außerdem laufe auch ein Strafverfahren gegen den Kläger und seinen Bruder.
Das ArbG Wiesbaden hatte in der ersten Instanz die Ansprüche des Klägers abgelehnt. Auch die Berufungsinstanz entschied zunächst gegen den Kläger. Die Vorinstanzen verfolgten den Standpunkt, dass eine etwaige mittelbare Diskriminierung bei der Nichtbesetzung des Klägers auf die Trainee-Stelle gerechtfertigt sei. Die Beklagte habe hier als Trainee Nachwuchskräfte gesucht, die aufgebaut werden und denen der Berufseinstieg erleichtert werden sollte. Dies sei ein legitimes Ziel und daher habe die Beklagte in ihrer Stellenanzeige berechtigterweise unterstreichen können, einen Berufsanfänger zu suchen. Das BAG hatte seinerseits im Rahmen des Rechtsstreits wegen der Auslegung der Diskriminierungsrichtlinien dem EuGH u.a. die Frage vorgelegt, ob eine Situation, in der der Status als Bewerber nicht im Hinblick auf eine Einstellung und Beschäftigung, sondern zwecks Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen erreicht wurde, nach Unionsrecht als Rechtsmissbrauch zu bewerten ist (vgl. dazu EuGH, Urt. v. 28.07.2016 – C-423/15). Mit Urteil vom 26.01.2017 (8 AZR 848/13) hat das BAG den Rechtsstreit anschließend an das erkennende Gericht zurückverwiesen.
Das LArbG Frankfurt hat dem Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zugesprochen und außerdem einen Schadensersatzanspruch für sämtliche zukünftigen materiellen Schäden des Klägers im Zusammenhang mit seiner unterlassenen Einstellung festgestellt.

C. Kontext der Entscheidung

Gemäß § 11 AGG darf ein Arbeitsplatz nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG ausgeschrieben werden. Das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG untersagt im Anwendungsbereich des AGG eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, u.a. wegen des Alters. Dabei verbietet § 7 Abs. 1 AGG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen.
Die Vorinstanzen werteten die Stellenausschreibung der Beklagten zwar als mittelbar diskriminierend, denn das Anforderungskriterium eines Hochschulabschlusses, der „nicht länger als ein Jahr zurückliegt oder innerhalb der nächsten Monate erfolgt“, signalisiere, lediglich Interesse an der Gewinnung jüngerer Mitarbeiter/innen zu haben. Daher sei diese Anforderung geeignet, ältere gegenüber jüngeren Personen wegen des Alters in besonderer Weise zu benachteiligen. Hierdurch würden ältere Personen allein wegen dieser Anforderung häufig von vornherein von einer Bewerbung absehen bzw. abgehalten. Allerdings nahm die Berufungsinstanz eine Rechtfertigung dieser mittelbaren Diskriminierung durch ein legitimes Ziel i.S.d. § 3 Abs. 2 AGG an.
Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 26.01.2017 (8 AZR 848/13) jedoch eine abweichende rechtliche Bewertung vorgenommen. Das Ziel der Beklagten, erste berufliche Einstiegschancen im Rahmen eines einjährigen Trainee-Programms für Personen nach Abschluss einer Ausbildung und damit typischerweise für Jüngere anzubieten, sei selbst nicht frei von Diskriminierung wegen des Alters und könne daher grundsätzlich kein rechtmäßiges Ziel i.S.v. § 3 Abs. 2 HS. 2 AGG sein (vgl. BAG, Urt. v. 26.01.2017 – 8 AZR 848/13 Rn. 85).
Außerdem konnte die Beklagte, die nach § 22 AGG insoweit die Darlegungs- und Beweislast trifft, keine Tatsachen vortragen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung des Klägers geführt haben.
Auch der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB, den die Beklagte im Prozess vorbrachte, bestand nicht. Nach § 242 BGB sind durch unredliches Verhalten begründete oder erworbene Rechte oder Rechtsstellungen grundsätzlich nicht schutzwürdig. Der Ausnutzung einer rechtsmissbräuchlich erworbenen Rechtsposition kann demnach der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstehen (vgl. etwa BAG, Urt. v. 17.03.2016 – 8 AZR 677/14 Rn. 44; BAG, Urt. 21.10.2014 – 3 AZR 866/12 Rn. 48). Allerdings führt auch nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten stets oder auch nur regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung der hierdurch erlangten Rechtsstellung (vgl. BAG, Urt. v. 19.05.2016 – 8 AZR 470/14 – BAGE 155, 149).
Das BAG ging in seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 18.06.2015 (8 AZR 848/13 (A)) an den EuGH noch davon aus, der Kläger habe sich nicht ernsthaft und mit dem Ziel einer Einstellung bei der Beklagten beworben. Der EuGH bestätigte zwar, dass eine Person, die mit ihrer Bewerbung nicht die betreffende Stelle erhalten, sondern nur die formale Position eines Bewerbers i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG erlangen will mit dem alleinigen Ziel, eine Entschädigung oder Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG geltend zu machen, auch nach Unionsrecht rechtsmissbräuchlich handelt (vgl. EuGH, Urt. v. 28.07.2016 – C-423/15 Rn. 35 ff.).
Das BAG bewertete jedoch den Sachverhalt noch einmal neu und gelangte zu der Auffassung, dass sich aus dem Bewerbungsschreiben des Klägers allein noch keine hinreichenden objektiven Umstände entnehmen lassen, die den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers zulassen.
Auf einen Rechtsmissbrauch kann außerdem auch nicht geschlossen werden, wenn eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt und mehrere Entschädigungsprozesse geführt hat oder führt (vgl. etwa BAG, Urt. v. 18.06.2015 – 8 AZR 848/13 (A) Rn. 24; BAG, Urt. v. 24.01.2013 – 8 AZR 429/11 Rn. 63). Vielmehr müssen im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten rechtfertigen. Dies wird etwa dann angenommen, wenn sich ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen der Person feststellen lässt, das auf der Erwägung beruht, bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise werde letztlich ein auskömmlicher „Gewinn“ verbleiben, weil der Arbeitgeber – sei es bereits unter dem Druck einer angekündigten Entschädigungs- bzw. Schadensersatzklage oder im Verlaufe eines Prozesses – freiwillig die Forderung erfüllt oder sich vergleichsweise auf eine Zahlung einlässt (vgl. etwa BAG, Urt. v. 11.08.2016 – 8 AZR 4/15 Rn. 67; BAG, Urt. v. 19.05.2016 – 8 AZR 470/14 Rn. 58 – BAGE 155, 149).
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des rechtshindernden Einwands des Rechtsmissbrauchs, trägt nach den allgemeinen Regeln der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast derjenige, der diesen Einwand geltend macht (vgl. u.a. BAG, Urt. v. 18.06.2015 – 8 AZR 848/13 (A) Rn. 26; BAG, Urt. v. 23.08.2012 – 8 AZR 285/11 Rn. 37; BAG, Urt. v. 13.10.2011 – 8 AZR 608/10 Rn. 54).
Das LArbG Frankfurt hat daher in konsequenter Einhaltung der Vorgaben des BAG und nach weiteren Feststellungen letztlich zu Recht entschieden, dass bei Zweifeln derjenige die Darlegungs- und Beweislast trägt, der sich auf die Einrede des Rechtsmissbrauchs beruft. Dies gelang der Beklagten vorliegend nicht.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das Urteil des LArbG Frankfurt, das nach neunjährigem Instanzenzug nun vorliegt, belegt die bestehenden Unsicherheiten in der Praxis im Umgang mit Stellenausschreibungen und Ansprüchen nach dem AGG. Der Entscheidung kommt daher eine erhebliche Bedeutung für zukünftige AGG-Verfahren zu.
Zudem verdeutlicht die Entscheidung, dass bei der Prüfung von Ansprüchen nach dem AGG in jedem einzelnen Fall ein exaktes Herausarbeiten und Abwägen der objektiven Umstände und prozessualer Grundsätze erforderlich ist. Gleichzeitig verfestigt die Entscheidung die bisherige Rechtsprechung, wonach hohe Anforderungen an ein rechtfertigendes Ziel i.S.d. § 3 Abs. 2 AGG bestehen, wenn Arbeitgeber entgegen § 11 AGG unter Verstoß gegen § 7 AGG Stellenausschreibungen und Auswahlverfahren vornehmen.
Ebenfalls werden durch das Urteil des LArbG Frankfurt und der Vorinstanzen die Maßstäbe für die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens noch einmal stärker konkretisiert. Dies gilt insbesondere für die Entscheidung des EuGH vom 28.07.2016 (C-423/15 Rn. 35 ff.), wonach eine Person, die mit ihrer Bewerbung nur die formale Position eines Bewerbers i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG erlangen will, nur um eine Entschädigung oder Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG geltend zu machen, auch nach Unionsrecht rechtsmissbräuchlich handelt.

Prüfung einer Stellenbewerbung nach dem Grundsatz des Einwands des Rechtsmissbrauchs
Danuta EisenhardtRechtsanwältin
  • Fachanwältin für Familienrecht
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