Nachfolgend ein Beitrag vom 27.4.2016 von Zimmermann/Kallhoff, jurisPR-ArbR 17/2016 Anm. 4

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Das Versprechen einer Mitarbeitertreueprämie oder sonstiger Vorteile durch den Arbeitgeber an Mitarbeiter für den Fall, dass sie eine verbindliche Kündigungsbestätigung ihrer bisherigen Mitgliedschaft in einer Arbeitnehmervertretung vorweisen können, stellt eine Verletzung der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG dar und begründet einen Unterlassungsanspruch.
2. Das gilt auch für das Aushängen von Mitteilungen im Betrieb des Arbeitgebers, in welchen darauf hingewiesen wird, dass man sich im Büro einen Vordruck für die Kündigung abholen könne, wenn man aus der Gewerkschaft austreten möchte, sowie die Befragung der Mitarbeiter dahingehend, ob sie Mitglied einer Gewerkschaft sind, es sei denn, es besteht ein rechtlich anerkennenswerter Grund, sowie ferner die mündliche oder schriftliche Aufforderung, aus der Gewerkschaft auszutreten.

A. Problemstellung

Die Gewerkschaftsmitgliedschaft ihrer Mitarbeiter ist häufig ein störender Faktor für Arbeitgeber. Etwaige Versuche, den Einfluss von Gewerkschaften im eigenen Unternehmen zu schmälern, können jedoch eine Verletzung der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG darstellen. So musste sich das ArbG Gelsenkirchen jüngst mit der Frage befassen, ob die Zahlung einer Prämie durch den Arbeitgeber für den Fall des Gewerkschaftsaustritts seiner Arbeitnehmer rechtmäßig ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Bundesvorstand der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) machte im einstweiligen Verfügungsverfahren Unterlassungsansprüche gegenüber einem Arbeitgeber wegen Verletzung der kollektiven Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG geltend. Bei dem Arbeitgeber handelt es sich um ein Reinigungsunternehmen, das zwischen 200 und 250 Mitarbeiter beschäftigt.
Das Unternehmen hatte seine Arbeitnehmer in Mitarbeitergesprächen zunächst dazu befragt, ob sie Mitglied in einer Gewerkschaft seien. Anschließend verschickte der Arbeitgeber an alle Mitarbeiter ein Rundschreiben, in dem jedem, der eine verbindliche Kündigungsbestätigung seiner bisherigen Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft vorweisen kann, eine einmalige „Mitarbeitertreueprämie“ in Höhe von 50 Euro versprochen wurde. Ferner wurde den Arbeitnehmern ein Vordruck für die Kündigungserklärung der Gewerkschaftsmitgliedschaft zur Verfügung gestellt, worauf durch Aushänge im Betrieb aufmerksam gemacht wurde. Damit reagierte das Unternehmen nach eigenem Vorbringen auf eine Werbeaktion der Gewerkschaft.
Das ArbG Gelsenkirchen hat einen Unterlassungsanspruch der Gewerkschaft nach den §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 9 Abs. 3 GG bejaht.
Das Versprechen einer „Mitarbeitertreueprämie“ gegenüber den Mitarbeitern bei Vorweis einer Kündigungsbestätigung ihrer bisherigen Gewerkschaftsmitgliedschaft beeinträchtige die kollektive Koalitionsbetätigungsfreiheit der Gewerkschaft. Dieses Verhalten ziele darauf ab, finanzielle Anreize für einen Austritt aus der Gewerkschaft zu schaffen und damit Einfluss auf deren Mitgliederbestand zu nehmen. Entsprechendes gelte für den Hinweis auf vorgefertigte Kündigungsschreiben sowie für eine schriftliche oder mündliche Aufforderung, aus der Gewerkschaft auszutreten.
Auch die Befragung der Mitarbeiter nach ihrer Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft sei eine gegen die koalitionsspezifische Betätigungsfreiheit gerichtete Maßnahme. Die von den Arbeitnehmern geforderten Auskünfte würden dem Unternehmen Kenntnis vom Umfang des Mitgliederbestandes der Gewerkschaft in ihrem Unternehmensbereich sowie dessen konkreter innerbetrieblichen Verteilung verschaffen.
Das ArbG Gelsenkirchen hat angenommen, dass es dem Unternehmen darum ging, seine Mitarbeiter zu einem Austritt aus der Gewerkschaft zu bewegen. Damit habe es gleichzeitig auch ein Signal für die Mitarbeiter gesetzt, die unter Umständen einen Beitritt in Erwägung zogen.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung des ArbG Gelsenkirchen steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BAG zu der in Art. 9 Abs. 3 GG normierten Koalitionsfreiheit. Danach dürfen Arbeitnehmer, die sich einer Gewerkschaft anschließen wollen, daran nicht durch wirtschaftlichen Druck gehindert werden. Sie müssen sich frei für den Beitritt zu einer Gewerkschaft entscheiden können. Sind sie bereits Mitglied einer Gewerkschaft, darf der Arbeitgeber in keiner Weise versuchen, sie zum Austritt zu bewegen.
Dementsprechend hat es das BAG etwa für unzulässig erklärt, die Einstellung eines Mitarbeiters von dem Austritt aus einer Gewerkschaft abhängig zu machen (BAG, Urt. v. 02.06.1987 – 1 AZR 651/85) oder von vornherein klarzustellen, dass nur Nichtgewerkschaftsmitglieder eingestellt werden (BAG, Beschl. v. 28.03.2000 – 1 ABR 16/99). Insbesondere die Befragung von Mitarbeitern nach ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit durch den Arbeitgeber im Zusammenhang mit Tarifvertragsverhandlungen und bevorstehenden Arbeitskampfmaßnahmen stellt nach dem BAG eine gegen die gewerkschaftliche Koalitionsbetätigungsfreiheit gerichtete Maßnahme dar (vgl. BAG, Urt. v. 18.11.2014 – 1 AZR 257/13).

D. Auswirkungen für die Praxis

Arbeitgeber sollten von jedweder Beeinflussung ihrer Mitarbeiter im Hinblick auf Gewerkschaftsmitgliedschaft absehen. Die Aufforderung, aus der Gewerkschaft auszutreten, stellt eine Verletzung der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG dar und begründet einen Unterlassungsanspruch – unabhängig davon, ob hierfür ein finanzieller Anreiz geschaffen wird. Auch das Anbieten vorgefertigter Kündigungserklärungen zum Gewerkschaftsaustritt der Mitarbeiter kann als eine solche Beeinflussung eingestuft werden. Bereits die Befragung von Arbeitnehmern dahingehend, ob sie Mitglied einer Gewerkschaft sind, verstößt gegen Art. 9 Abs. 3 GG, sofern kein rechtlich anerkennenswerter Grund besteht.
Ist über einen derartigen Unterlassungsanspruch erst entschieden, drohen bei Zuwiderhandlung Ordnungsgelder in empfindlicher Höhe. Das ArbG Gelsenkirchen setzte vorliegend ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung fest, das jedenfalls 4.000 Euro im Einzelfall nicht unterschreitet.