Nachfolgend ein Beitrag vom 8.2.2017 von Busch, jurisPR-ArbR 6/2017 Anm. 4

Orientierungssatz zur Anmerkung

Kritische Äußerungen eines Arbeitnehmers können eine Kündigung nicht rechtfertigen, wenn die Äußerungen sich innerhalb des Schutzbereichs der Meinungsfreiheit bewegen.

A. Problemstellung

Das LArbG Mainz musste sich mit der Frage befassen, ob Äußerungen in einer Mail gegenüber dem Vorgesetzten eine Kündigung begründen konnten.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

In der Sache ging es um die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung wegen Äußerungen des Beschäftigten.
Der Kläger ist seit dem Jahr 2013 beschäftigt. Er war unter der Leitung von Herrn L. als technischer Mitarbeiter eingesetzt.
Unter dem 31.08.2015 hatte der Kläger zwei Abmahnungen erhalten, eine wegen Arbeitsverweigerung und eine weitere wegen Beleidigung des Vorgesetzten und Störung des „Betriebsfriedens“ (Bezeichnung des männlichen Vorgesetzten als „Hetz-Fotze“).
Wenige Tage nach Zugang dieser Abmahnungen erhielt der Kläger eine Mail des Vorgesetzten Herrn L., die als Betreff „Meine Anhörung wegen mutmaßlicher Privatarbeit am Arbeitsplatz“ trug. In dieser wurde dem Kläger mitgeteilt, man könne ihm zwar keine Privatarbeit am Arbeitsplatz nachweisen, der Verdacht bestehe aber. Der Kläger wurde aufgefordert, „Ihren direkten Vorgesetzten zukünftig im Vorfeld freiwillig mitzuteilen, wenn Sie z.B. private Gegenstände oder Materialien an Ihrem Arbeitsplatz aufbewahren, welche Sie hier im Rahmen Ihrer Schlossertätigkeit anfertigen könnten oder welche prinzipiell lagergängige Materialien sind“. Weiterhin teilte der Vorgesetzte dem Kläger mit, er halte dessen Eintragungen zur Arbeitszeit für „extrem unplausibel“. Der Vorgesetzte formulierte, deshalb „ordne ich hiermit an, dass von Ihnen ab heute wieder ein Arbeitstagebuch geführt wird. Das jeweilige Arbeitstagebuch vom Vortag ist Ihrem Meister oder Vorhandwerker unaufgefordert zu der täglichen Arbeitsbesprechung vorzulegen“.
Per cc setzte der Vorgesetzte auch ein Personalratsmitglied sowie einen Personalsachbearbeiter von dieser Mail in Kenntnis.
Der Kläger antwortete auf diese Mail über den vom Vorgesetzten gewählten Verteiler einschließlich der ins cc genommenen Personen. Die Mail des Klägers, wegen derer der Arbeitgeber dann kündigen wollte, hatte folgenden Wortlaut:
„Hab Ihnen doch gleich gesagt, dass da nichts war.
Aber sie wussten es ja wieder einmal besser!
Haben Herrn N., Herrn E., Herrn F. und mir die Zeit gestohlen. (wem noch alles, weiß ich nicht?).
Will überhaupt nicht wissen, was das alles wieder gekostet hat?
Jetzt hoffe ich ja nur, dass sie die entwendeten Gegenständer an ihren Ursprünglichen Platz zurück bringen.
Missverständnisse, Probleme und Falsche Vorwürfe kamen bis heute nur von ihnen.
Auch in ihrem jetzigen Brief werden von Ihnen wieder zwei falsche Aussagen getroffen, die mich und meine angeblichen Aussagen in ein schlechtes Bild rücken und das machen sie schon, seit dem ersten Brief oder Gesprächsnotiz.
Wenn ich diese Fähigkeiten besitze um diese tollen Gegenstände zu fertigen, warum nutzen sie das nicht aus?
Dann bekomme ich vielleicht endlich die Lohngruppe, die meinen Fähigkeiten entspricht.
Weil das Geld scheinen sie ja zu haben?
Damit sie diesmal Ihre Kontrollsucht wirklich befriedigen können und ich vielleicht irgendwann mal wieder meine Ruhe habe,
hätte ich gerne für die Tagesberichte einen Auftrag. Sonst könnte ich die Zeiten ja nicht ehrlich zu Ihrer Zufriedenheit eintragen.
Bitte sagen Sie meinem Vorhandwerker Bescheid, weil ich sonst befürchte, das sie hier niemals ruhe geben und das kein Ende nehmen wird.
Falls es wider Erwarten Beschwerden über mein Tagesbericht und Ausführungen gibt, sagen sie es mir bitte gleich und nicht wieder erst nach Wochen. Weil abgeben muss ich ihn jeden Tag, also können sie oder meine Vorgesetzten auch jeden Tag Verbesserungsvorschläge machen.
Denn Ihre Priorität liegt ja anscheinend nicht bei der JGU sondern bei mir. Wahrscheinlich um mich noch zu verbessern. Also bitte, geben sie sich etwas mehr Mühe!
Für diesen Brief habe ich ca. 1,5 Stunde gebraucht. Falls irgendeinem wieder was nicht klar sein sollte!
Danke und noch ein frohes….“
Der Arbeitgeber erklärte wegen dieser Mail nach Anhörung des Personalrats die streitgegenständliche Kündigung. Er meinte, der Tonfall dieser Mail sei unangemessen und beleidigend.
Das Arbeitsgericht hatte entschieden, die Kündigung sei unwirksam, da der Kläger zwar eine Kritik am Vorgesetztenverhalten polemisch sowie ironisch zugespitzt habe, die Grenzen der Meinungsfreiheit hierbei jedoch nicht verlassen habe.
Mit der Berufung wandte sich der Arbeitgeber gegen diese Wertung; insbesondere nahm er darauf Bezug, dass der Kläger neben dem Vorgesetzten zwei weitere Personen im cc gehabt hätte und dass der Vorwurf der „Kontrollsucht“ gegenüber dem Vorgesetzten diesem eine Zwangsstörung attestiere, die jedoch tatsächlich nicht vorliege.
Das LArbG Mainz hat die Berufung zurückgewiesen und im Anschluss an das erstinstanzliche Urteil sowohl die fristlose wie auch die fristgemäße Kündigung für unwirksam erklärt. Das Urteil ist im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 BGB sei für die fristlose Kündigung nicht vorhanden. Das Landesarbeitsgericht klärt darüber auf, mit der „Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre“. Es stellt klar, auch Arbeitnehmer dürften Meinungen scharf oder überzogen äußern, solange nicht bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt oder Formalbeleidigungen geäußert würden. Wegen § 241 BGB müsste hierbei allerdings auch auf die Arbeitgeberinteressen Rücksicht genommen werden.
Vorliegend seien die Äußerungen des Klägers vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt und insoweit keine Pflichtverletzung.
Insbesondere lasse sich aus dem Begriff „Kontrollsucht“ nicht herleiten, dass der Kläger dem Herrn L. in Form einer Tatsachenbehauptung eine krankhafte Zwangsstörung unterstellt habe. Aus dem Kontext der Äußerung ergebe sich, dass der Kläger sich gegen die scharf formulierten Vorwürfe des Vorgesetzten und die Anweisungen wenden wollte, die u.a. im Führen eines „Arbeitstagebuchs“ bestanden. Mit dem Begriff Kontrollsucht habe der Kläger offenkundig zum Ausdruck bringen wollen, dass er diese Anweisung für überzogen hielt. Zutreffend meint das Landesarbeitsgericht, dass die Mail des Klägers „sicherlich nicht zur Deeskalation beiträgt“, es habe jedoch die Auseinandersetzung in der Sache und nicht die Diffamierung des Vorgesetzten im Fokus gestanden.
Hieran ändere sich nichts dadurch, dass der Kläger seine Mail neben dem Vorgesetzten auch im cc an zwei weitere Personen geschickt hatte. Dies insbesondere auch deshalb, weil der Vorgesetzte selbst diese beiden Personen in die Kommunikation einbezogen hatte und der Kläger deshalb auch ein Interesse daran hatte, seine Kritik auch diesen beiden Personen gegenüber mitzuteilen. Auch sei dem Kläger wenige Tage zuvor bei der Übergabe der Abmahnungen mitgeteilt worden, er solle Vorgesetzte nicht beleidigen, sondern ggf. unter Einbeziehung von Personalrat und Personalabteilung eine Lösung suchen. Da es sich bei den beiden anderen Personen um Vertreter von Personalrat und Personalabteilung gehandelt habe, sei dem Kläger hier noch weniger vorzuwerfen.
Schließlich sei auch zu berücksichtigen, dass der Vorgesetzte Herr L. neben den beiden ausgesprochenen Abmahnungen eine „Vielzahl von weiteren Abmahnungsverfahren“ gegenüber dem Kläger initiiert habe.
Da die Äußerungen des Klägers keine Vertragspflichtverletzung darstellten, konnten sie letztlich auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung nicht rechtfertigen.

C. Kontext der Entscheidung

Auseinandersetzungen im Arbeitsverhältnis sind häufig mit beiderseitigen Vorwürfen und Werturteilen verbunden. Der Arbeitgeber bzw. Vorgesetzte hat die Möglichkeit, diese auch über Anweisungen zu kommunizieren; der Arbeitnehmer kann sich letztlich nur verbal wehren oder den Rückzug in die Krankheit antreten. Eine Pflicht zum Aufschreiben der täglich geleisteten Arbeit etwa ist ein Mittel, das leider häufiger genutzt wird, um Beschäftigten mangelndes Vertrauen und fehlende Wertschätzung zu signalisieren. Beschäftigte, die derartigem Verhalten länger ausgesetzt sind, geraten schnell in die Gefahr, mit einer Überreaktion einen Kündigungsgrund zu provozieren. Es ist zu begrüßen, dass das Landesarbeitsgericht hier nochmals klargestellt hat, dass auch abhängig Beschäftigte das Recht auf freie Meinungsäußerung haben. Das Landesarbeitsgericht bewegt sich hier auf der Linie der gängigen Rechtsprechung zur Äußerungsfreiheit.
Hinzuweisen ist noch darauf, dass das Gesetz den Beschäftigten auch ausdrücklich das Recht einräumt, Stellung zu nehmen, was gelegentlich übersehen wird. So gibt § 82 BetrVG das Recht zur Anhörung sowie zur Stellungnahme bei allen den Arbeitnehmer betreffenden Maßnahmen. § 84 BetrVG gibt ein Recht zur Beschwerde, sowie der Beschäftigte sich subjektiv „beeinträchtigt fühlt“, und stellt klar, dass den Beschäftigten wegen einer solchen Beschwerde keine Nachteile treffen dürfen. Auch hier gilt, dass die Grenze erst mit Formalbeleidigungen oder bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen überschritten ist.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das Urteil verdeutlicht, dass Vorgesetzte auch mit kritischen Äußerungen der Beschäftigten leben müssen.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Der Arbeitgeber hatte gegenüber dem Personalrat nicht alle Passagen aus der Mail des Klägers zitiert, auf die er sich dann später im Kündigungsschutzverfahren beziehen wollte. Das Landesarbeitsgericht macht deswegen auch Ausführungen zur Unzulässigkeit des Nachschiebens von Kündigungsgründen, zu denen der Personalrat nicht angehört wurde.