Nachfolgend ein Beitrag vom 28.09.2016 von Ziemann, jurisPR-ArbR 39/2016 Anm. 4

Leitsatz

Wird in einem Vergleich in einem Kündigungsrechtsstreit eine inhaltliche Regelung für das zu erteilende Arbeitszeugnis getroffen, in der mindestens die „Benotung“ des Führungs- und Leistungsverhaltens festgelegt ist, so führt das regelmäßig zu einem Mehrwert in Höhe eines Monatsgehaltes.

A. Problemstellung

In arbeitsgerichtlichen Prozessvergleichen finden sich häufig Regelungen zu nicht streitgegenständlichen Ansprüchen. Hier stellt sich die Frage, ob insoweit bei der Streitwertfestsetzung ein zu bewertender Mehrvergleich vorliegt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der Rechtsstreit wurde durch Prozessvergleich beigelegt. In den Vergleich nahmen die Parteien Regelungen auf zu Ansprüchen auf Tantiemen- und Bonuszahlungen und Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses mit eindeutigen Bestimmungen zur Leistungs- und Verhaltensbewertung. Der Vergleich enthält ferner eine Regelung zum Ausgleich aller übrigen Ansprüche der Parteien (allgemeine Ausgleichsklausel).
Nach dem Landesarbeitsgericht ergibt sich der Wert eines Vergleichs aus dem Wert der rechtshängigen und nicht rechtshängigen Ansprüche, die erledigt werden, und nicht aus dem Wert dessen, was die Parteien aus dem Vergleich erlangen oder welche Leistungen sie zum Zwecke der Erledigung der Streitpunkte übernehmen. Der Streitwert eines Vergleichs ist gleichbedeutend mit dem Wert der Streitgegenstände, die durch den Vergleich beigelegt werden. Er ist nicht gleichbedeutend mit dem Wert der Leistungen, die sich die Parteien in dem Vergleich im Wege des gegenseitigen Nachgebens gegenseitig versprechen. Darüber hinaus kann mit einem Vergleich auch die Ungewissheit über künftige Ansprüche, z.B. über Schadensersatzansprüche, beseitigt werden. Auch dies kann zu einem Mehrwert führen. Bei dem Begriff der „Ungewissheit“ im vorgenannten Sinne ist darauf abzustellen, nach welcher Wahrscheinlichkeit noch künftige Forderungen auftreten können und mit welcher Wahrscheinlichkeit sie strittig sein werden. Unter diesem Gesichtspunkt ist etwa die Regelung der Beurteilung von Leistung und Führung für ein noch zu erteilenden Zeugnis üblicherweise als eine solche Beseitigung einer Ungewissheit anzusehen und mit einem entsprechenden Mehrwert zu bewerten.
Nach dieser Maßgabe hat das Landesarbeitsgericht für den Teil der Tantiemenforderung, der nicht vom Erfolg der Kündigungsschutzklage abhängig war, den Nominalbetrag in Ansatz gebracht. Ohne Bewertung blieb dagegen der Teil der Tantiemenforderung, der von dem Erfolg der Kündigungsschutzklage abhängig war.
Weil die Zeugnisregelung im Prozessvergleich eindeutige Bestimmungen sowohl zur Leistungsbewertung als auch zur Verhaltensbewertung enthält, hat das Landesarbeitsgericht insoweit ein Monatsentgelt angesetzt.
Außergerichtlich stritten die Parteien darüber, ob der Kläger die Kosten der Sonderausstattung des Dienstwagens, die auf seinen Wunsch zurückzuführen ist, zu tragen hat. Dieser Streit ist durch die Ausgleichsklausel in dem Prozessvergleich beigelegt worden, weshalb der Betrag der Kosten der Sonderausstattung in Ansatz gebracht worden ist.

C. Kontext der Entscheidung

Die Bemessung des Vergleichsmehrwerts macht in der überwiegenden Anzahl der Streitwertbeschwerden den Hauptstreit der Parteien und ihrer Prozessbevollmächtigten aus. Dies war Anlass für die Streitwertkommission, in ihren Empfehlungen im Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit in der überarbeiteten Fassung vom 05.04.2016 (Streitwertkatalog) die tatbestandlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Mehrvergleichs näher aufzuführen und anhand von Beispielen zu erläutern. Danach fällt nach Nr. I. 22.1 Streitwertkatalog ein Vergleichsmehrwert nur an, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden. Der Wert des Vergleichs erhöht sich nicht um den Wert dessen, was die Parteien durch den Vergleich erlangen oder wozu sie sich verpflichten.
Die Veränderung des Beendigungszeitpunkts führt (auch bei Verknüpfung mit einer Erhöhung des Abfindungsbetrages – Turbo- oder Sprinterklausel) nicht zu einem Vergleichsmehrwert (Nr. I. 22.1.1 Streitwertkatalog). Wird im Rahmen eines Abmahnungsrechtsstreits oder des Streits über eine Versetzung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbart, ist dies zusätzlich zu bewerten (Nr. I. 22.1.2 Streitwertkatalog). Typischerweise wird das Merkmal der „Ungewissheit“ insbesondere bei Vereinbarung eines Arbeitszeugnisses mit inhaltlichen Festlegungen zum Leistungs- und Führungsverhalten in einem Rechtsstreit über eine auf Verhaltens- oder Leistungsmängel gestützte Kündigung gegeben sein; dies ist zusätzlich zu bewerten (Nr. I. 22.1.3 Streitwertkatalog). Nur wenn eine Partei sich eines Anspruchs auf oder eines Rechts zur Freistellung berühmt hat, wird die Freistellungsvereinbarung mit bis zu einer Monatsvergütung (unter Anrechnung des Werts einer Beschäftigungs- oder Weiterbeschäftigungsklage) bewertet. Die Freistellung wird nur zukunftsbezogen ab dem Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses berücksichtigt, etwaige Zeiten einer Freistellung zuvor spielen keine Rolle (Nr. I. 22.1.4 Streitwertkatalog). Ausgleichsklauseln erhöhen den Vergleichswert nur, wenn durch sie ein streitiger oder ungewisser Anspruch erledigt wird (Nr. I. 22.1.5 Streitwertkatalog).
Das Landesarbeitsgericht ist zu den gleichen Ansätzen gekommen, die aus den vorstehenden Empfehlungen der Streitwertkommission abgeleitet werden können. Die Nichtberücksichtigung des fortbestandsabhängigen Teils der Tantiemen findet – vom Landesarbeitsgericht nicht näher bezeichnet – ihren Grund darin, dass insoweit regelmäßig ein unechter Hilfsantrag vorliegt (vgl. Ziemann, jurisPR-ArbR 6/2016 Anm. 6), weshalb die insoweit gebotene Bewertung nach § 45 Abs. 4 GKG i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG keinen Ansatz zuließ.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Empfehlungen der Streitwertkommission im Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit in der überarbeiteten Fassung vom 05.04.2016 (Streitwertkatalog) orientieren sich an der ganz h.M. zur Streitwertbemessung eines Mehrvergleichs.
Der für die Bemessung des Streitwerts maßgebende Gegenstand des Vergleichs ist nicht das, worauf sich die Parteien einigen (Verhandlungsergebnisse/Zugeständnisse), sondern worüber sie gestritten haben (BAG v. 16.05.2000 – 9 AZR 279/99; OLG Hamm v. 01.04.1992 – 20 U 283/91; OLG Düsseldorf v. 09.06.2008 – 24 W 17/08). Der Gegenstand, aus dessen Wert sich die Einigungsgebühr berechnet, ist also nicht die nach dem Vergleich zu erbringende Leistung, sondern das Rechtsverhältnis, über das der Streit oder die Ungewissheit bestanden hat, die der Vergleich beseitigt (BGH v. 28.05.1979 – III ZR 89/78; OLG Düsseldorf v. 09.06.2008 – 24 W 17/08). Der Wert eines Vergleichs bemisst sich daher nach dem Gegenstand, über den sich die Parteien vergleichen, und nicht nach der Leistung, auf die sie sich verständigen (OLG Düsseldorf v. 12.04.2005 – 24 U 66/04; OLG Frankfurt v. 09.07.1985 – 5 W 12/85; OLG München v. 22.02.2000 – 14 W 333/99; OLG Bamberg v. 23.10.1990 – 2 WF 146/90; OLG Schleswig v. 27.11.1990 – 9 W 136/90; OLG Hamburg v. 12.06.1981 – 8 W 155/81; OLG Karlsruhe v. 30.01.2008 – 4 U 145/07; LArbG Düsseldorf v. 19.02.2008 – 6 Ta 38/08; LArbG Düsseldorf v. 28.12.2007 – 6 Ta 610/07; LArbG Köln v. 12.02.2010 – 7 Ta 363/09; LArbG Köln v. 06.01.2010 – 8 Ta 210/09; LArbG Köln v. 29.03.2007 – 3 Ta 58/07; LArbG Hamm v. 10.12.2009 – 6 Ta 541/09; LArbG Hamburg v. 11.01.2008 – 8 Ta 13/07; LArbG Mainz v. 21.11.2006 – 6 Ta 212/06; LArbG Halle (Saale) v. 08.12.2004 – 8 Ta 163/04; LArbG Stuttgart v. 23.12.2009 – 5 Ta 158/09; LArbG Berlin-Brandenburg v. 12.03.2009 – 17 Ta (Kost) 6011/09).
Über ein Rechtsverhältnis herrscht Streit, wenn die Parteien divergierende Standpunkte zur Sach- oder Rechtslage behaupten (BAG v. 26.04.2006 – 7 AZR 366/05; Marburger in: Staudinger, BGB, § 779 Rn. 22). Dafür ist nicht erforderlich, dass jede Partei von der Richtigkeit ihrer Prätention überzeugt ist. Es genügt, wenn sie dem Gegner gegenüber ernstlich darauf beharrt. Unerheblich ist auch, ob die Rechtslage objektiv unübersichtlich ist oder ob ein Richter den Streit sofort entscheiden könnte; denn es kommt allein auf die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch die Parteien an (Marburger in: Staudinger, BGB, § 779 Rn. 22).
Ungewissheit besteht, soweit über das Rechtsverhältnis keine Klarheit herrscht. Das wird subjektiv, vom Standpunkt der Parteien aus, bestimmt. Ungewiss ist danach folglich auch, was nur den Parteien unklar ist (BGH v. 24.03.1976 – IV ZR 222/74). Für die Ungewissheit genügen dann subjektive Zweifel tatsächlicher oder rechtlicher Art, die den Bestand des sog. Ausgangsrechtsverhältnisses betreffen, wobei dieser Begriff weit zu fassen ist und insbesondere ein kraft Gesetzes entstandenes Rechtsverhältnis ausreicht (BGH v. 06.11.1991 – XII ZR 168/90). Neuerdings wird auf die bei verständiger Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit und auf die von objektiver Ungewissheit gekennzeichnete Vergleichslage abgestellt (BGH v. 09.11.2006 – IX ZR 285/03). Streit oder Ungewissheit können sich auf das gesamte Rechtsverhältnis oder nur einen Teil, auf einzelne Leistungsmodalitäten, auf das Bestehen von Einwendungen oder Einreden, auf tatsächliche oder rechtliche Umstände oder auf die künftige Rechtsentwicklung beziehen. Streit oder Ungewissheit muss wirklich bestanden haben und darf nicht lediglich von den Parteien (verabredetermaßen) vorgetäuscht worden sein. Auch müssen Streit oder Ungewissheit im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgelegen haben. Weder genügt, dass sie in Zukunft entstehen können, noch dass sie irgendwann vor Vertragsschluss vorhanden waren (Marburger in: Staudinger, BGB, § 779 Rn. 25).
Der Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis steht es entsprechend § 779 Abs. 2 BGB gleich, wenn die Verwirklichung eines Anspruchs unsicher ist. Verwirklichung betrifft die Erfüllung, gleichgültig ob durch freiwillige Leistung oder zwangsweise im Wege der Klage und Vollstreckung. Unsicher ist inhaltlich gleichbedeutend mit ungewiss. Die Unsicherheit kann sich auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Schuldners, auf den (ungewissen) Erfolg der Zwangsvollstreckung, aber auch auf das z.B. durch Beweisschwierigkeiten oder schwankende Rechtsprechung verursachte Prozessrisiko beziehen (Marburger in: Staudinger, BGB, § 779 Rn. 26).