Nachfolgend ein Beitrag vom 28.6.2017 von Hoffmann, jurisPR-ArbR 26/2017 Anm. 2

Orientierungssatz zur Anmerkung

Zeiten der Arbeitsbereitschaft sind mit dem Mindestlohn zu vergüten; entscheidend bleibt die monatliche Gesamtvergütung, nicht die Zuordnung der gezahlten Vergütungsbestandteile zur Arbeitsbereitschaft.

A. Problemstellung

Das LArbG Mainz hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, inwieweit Zeiten der Arbeitsbereitschaft (gesondert) mit dem Mindestlohn zu vergüten sind.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger war Arbeitnehmer der Beklagten und im Rettungsdienst tätig. Auf das Arbeitsverhältnis war der DRK-Reformtarifvertrag (DRK-RTV) anzuwenden. Danach erhielt der Kläger ein festes Tabellenentgelt von 3.083,53 Euro für eine wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden. Der DRK-RTV sah vor, dass die wöchentliche Arbeitszeit durch Arbeitsbereitschaft auf bis zu 48 Stunden verlängert werden kann. Diese zusätzliche Arbeitszeit sollte mit dem festen Tabellenentgelt abgegolten sein. Mit der Klage begehrte der Kläger die Zahlung einer Vergütung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns für die in der Zeit von Februar bis August 2015 geleistete Arbeitsbereitschaft. Das ArbG Koblenz hatte die Klage abgewiesen (ArbG Koblenz, Urt. v. 17.03.2016 – 2 Ca 4064/15).
Das LArbG Mainz hat die durch den Kläger eingelegte Berufung ebenfalls als unbegründet zurückgewiesen.
Das Landesarbeitsgericht begründete dies damit, dass die Arbeitsbereitschaft zwar mit dem Mindestlohn zu vergüten sei, aber dieser Anspruch bereits hinreichend mit dem monatlichen festen Entgelt erfüllt sei. Dieses monatliche Entgelt sei höher als der für die Zeiten der eigentlichen Arbeitstätigkeit und Arbeitsbereitschaft zu zahlende Mindestlohn zusammen.
Die eingelegte Revision wurde durch Beschluss des BAG verworfen (BAG, Beschl. v. 23.02.2017 – 5 AZN 19/17).

C. Kontext der Entscheidung

Das LArbG Mainz hat mit diesem Urteil die bisherige Rechtsprechung des BAG fortgesetzt und ein aus der dogmatischen Konstruktion des Mindestlohnanspruchs zwingend folgendes Urteil gefällt.
Wie das LArbG Mainz zu Recht festgestellt hat, handelt es sich bei dem Anspruch auf Mindestlohn nach § 1 MiLoG nicht um einen Anspruch, der den arbeitsvertraglichen bzw. tarifvertraglichen Anspruch auf Zahlung des Arbeitsentgelts ersetzt, sondern selbstständig neben dem arbeits- und/oder tarifvertraglichen Anspruch steht (BAG, Urt. v. 25.05.2016 – 5 AZR 135/16 Rn. 22; BAG, Urt. v. 29.06.2016 – 5 AZR 716/15 Rn. 20). Der arbeits- bzw. tarifvertragliche Anspruch wird durch den gesetzlichen Mindestlohnanspruch nicht berührt und in keiner Weise verändert (BAG, Urt. v. 29.06.2016 – 5 AZR 716/15 Rn. 18). Arbeitnehmer haben lediglich dann, wenn das arbeits- bzw. tarifvertragliche Entgelt die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns unterschreitet, einen Anspruch in Höhe der Differenz zwischen dem arbeits- bzw. tarifvertraglichen Entgelt und dem gesetzlichen Mindestlohn (vgl. BAG, Urt. v. 29.06.2016 – 5 AZR 716/15 Rn. 18). Der Anspruch auf Zahlung des Mindestlohns berechnet sich abstrakt aus der Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden multipliziert mit dem gesetzlichen Mindeststundenlohn.
Dies entspricht Systematik sowie Sinn und Zweck des MiLoG. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Alternative zur Begründung eines eigenständigen Anspruchs, der neben dem arbeitsvertraglichen Entgeltanspruch steht, eine Modifikation des arbeitsvertraglichen Entgeltanspruchs wäre. Dies würde aber einen Eingriff in eine bestehende vertragliche Vergütungsordnung darstellen. Je nach Art und Eigenheiten der jeweiligen vertraglichen Vergütungsordnung könnte dies aber Folgen haben, die über das zur Sicherung eines Mindestlohns notwendige Maß hinausgehen oder das Synallagma in anderer nicht intendierter Weise beeinflussen. Eine solche Alternative wäre daher nicht praktikabel.
Zu Recht erfolgt die Berechnung des Mindestlohns nach dem MiLoG abstrakt und losgelöst von den Bestimmungen des jeweiligen Arbeitsvertrags und dessen Vergütungsordnung. Nach § 1 Abs. 2 MiLoG ist einzig entscheidend, dass insgesamt ein bestimmtes Gesamtentgelt berechnet anhand der Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden gezahlt wurde. Die arbeitsvertragliche Konstruktion und Begründung der Vergütung ist dabei irrelevant, solange es sich um eine im Synallagma stehende Zahlungen handelt. Nicht das „Wie“ der Vergütung ist relevant, sondern nur das „Ob“ (BAG, Urt. v. 29.06.2016 – 5 AZR 716/15 Rn. 19).
Dementsprechend sind alle – irgendwie – im Synallagma stehenden Zahlungen auf den gesetzlichen Mindestlohn anzurechnen. So hat das BAG zu Recht geurteilt, dass Jahressonderzahlungen auf den gesetzlichen Mindestlohn anzurechnen sind (BAG, Urt. v. 25.05.2016 – 5 AZR 135/16 Rn. 33). Hiervon hat es zu Recht nicht auf den gesetzlichen Mindestlohn anzurechnende Leistungen abgegrenzt, die außerhalb des Synallagmas stehen bzw. auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung beruhen (BAG, Urt. v. 25.05.2016 – 5 AZR 135/16 Rn. 32).
Dass die rechtliche Betrachtung der Gewährung des Mindestlohns von der individuellen arbeitsvertraglichen Gestaltung und Zuordnung des Entgelts unabhängig ist, zeigt sich auch deutlich in § 2 Abs. 2 MiLoG. So stellt § 2 Abs. 2 MiLoG auf das monatliche Entgelt ab. Hierdurch wird erneut deutlich, dass nur die monatliche Gesamtbetrachtung entscheidend ist (so auch Ferme/Carsten, MiLoG, § 1 Rn. 35) und nicht die Betrachtung der einzelnen Stunde.
Die weitere „Entfremdung“ des gesetzlichen Mindestlohns von der arbeitsvertraglichen Entgeltkonstruktion und -zuordnung geschieht in Folge der Berücksichtigung des verstetigten Arbeitsentgelts. Sofern Arbeitszeitkonten genutzt werden, genügt es, dass über einen Zeitraum von 12 Monaten gerechnet für jede angefallene Arbeitsstunde der Mindestlohn gezahlt wird. Es ist hiernach erst Recht deutlich, dass nur das Gesamtergebnis zählt und nicht die individuelle Zuordnung von Arbeitsentgelt zu einer bestimmten Leistung.
Insoweit sind die Ausführungen des LArbG Mainz, dass aus der Systematik des DRK-RTV folge, dass die nach § 12 DRK-RTV verlängerte Arbeitszeit zur regelmäßigen Arbeitszeit wird und damit die verlängerte Arbeitszeit schon mit monatlichen Entgelt vergütet sei (so auch schon BAG, Urt. 26.06.2013 – 5 AZR 231/12 Rn. 12) strikt nur auf die rechtliche Bewertung eventueller noch offener arbeitsvertraglicher Ansprüche bezogen. Denn, wie bereits dargestellt, kann die Einbeziehung der verlängerten Arbeitszeit in die fixe monatliche Vergütung kein Argument für die Feststellung sein, inwieweit für die verlängerte Arbeitszeit der gesetzliche Mindestlohn gezahlt wurde. Das MiLoG lässt es genügen, wenn ein aus der Gesamtsumme der geleisteten Arbeitsstunden berechneter Mindestbetrag als Entgelt gezahlt wurde. Ob der Arbeitsvertrag eine ausdrückliche Entlohnung von bestimmten Arbeitsstunden vorsieht, ist ausschließlich für die Berechnung des arbeitsvertraglichen Anspruchs relevant und kann aus dieser Grundlage den Anspruch auf Zahlung weiteren Entgelts rechtfertigen. Der Anspruch auf Mindestlohn wird hierdurch jedoch nicht berührt.
Das LArbG Mainz hat zu Recht ohne tiefere Auseinandersetzung mit dem BAG (BAG, Urt. v. 19.11.2014 – 5 AZR 1101/12; BAG, Urt. v. 29.06.2016 – 5 AZR 716/15 Rn. 27 bis 30) angenommen, dass für Zeiten der Arbeitsbereitschaft der volle Mindestlohn zu zahlen ist. Das BAG verweist in diesen Entscheidungen darauf, dass der Mindestlohn für jede vergütungspflichtige Arbeit zu zahlen ist. Zwar hat das BAG bereits im Jahr 2004 die Arbeitsbereitschaft so eingestuft, dass es sich nicht um Vollarbeit handele und diese daher auch schlechter bezahlt werden könne (BAG, Urt. v. 28.01.2004 – 5 AZR 530/02). Mittlerweile hat das BAG aber ergänzend hierzu festgestellt (BAG, Urt. v. 19.11.2014 – 5 AZR 1101/12), dass es sich bei Arbeitsbereitschaft dennoch um eine Form der vergütungspflichtigen Arbeit handelt, da hierzu „nicht nur jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient, [zählt,] sondern auch eine vom Arbeitgeber veranlasste Untätigkeit, während derer der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz oder einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle anwesend sein muss und nicht frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann, er also weder eine Pause (§ 4 ArbZG) noch Freizeit hat“.
Zu Recht verwies das BAG darauf, dass das MiLoG nur einen einheitlichen Mindestlohn für geleistete Arbeit kennt. Trotz Kenntnis von den verschiedenen „Arten“ der Arbeitszeit (hierauf verweist auch ArbG Köln, Urt. v. 03.05.2016 – 14 Ca 6943/15) hat der Gesetzgeber den Mindestlohn einheitlich gestaltet und verweist nur auf „Zeitstunde“ und „Arbeitsentgelt“, sodass jede Stunde Arbeitszeit mit dem Mindestlohn vergütet werden muss. Für eine abweichende Auslegung des Gesetzes fehlt daher jeglicher Raum.
Der Gleichlauf von MiLoG und ArbZG schafft insoweit auch für die Praxis einfache universale Kategorien, die nicht in Bezug auf die grundlegenden gesetzlichen Anforderungen getrennt betrachtet werden müssen. Ein Auseinanderfallen würde zu dem lebensfremden Ergebnis führen, dass es Arbeitszeit gibt, die nicht vergütet werden muss.
Wie vom BAG schon 2004 festgestellt (BAG, Urt. v. 28.01.2004 – 5 AZR 530/02), handelt es sich bei der Arbeitsbereitschaft nicht um Arbeitszeit im klassischen Sinne, die wegen dieses Umstandes auch anders bezahlt werden kann (hierauf beruft sich auch Boemke, jurisPR-ArbR 7/2015 Anm. 2 in seiner Kritik an diesem Urteil). Eine solche vertraglich geregelte abweichende Bezahlung ist weiterhin möglich. Das MiLoG verlangt nur, dass ein Mindestlohn gezahlt wird, in dessen Berechnung auch die Zeiten der Arbeitsbereitschaft eingehen. Bei entsprechender Ausgestaltung der Grundvergütung bzw. der Vergütung der sonstigen Arbeitsstunden, ist immer noch eine niedrigere Bezahlung von Arbeitsbereitschaft möglich. Es ist sogar möglich, der Arbeitsbereitschaft in der vertraglichen Zuordnung der Vergütungsbestandteile einen Lohn unter dem Mindestlohn zuzuweisen, solange die monatliche Gesamtvergütung hinreichend hoch ist.
Die Rufbereitschaft bleibt aber weiterhin mangels Arbeitsleistung (bzw. vom Arbeitgeber veranlasster Untätigkeit) und wegen der im Wesentlichen weiterbestehenden Möglichkeit, frei über die eigene Zeit zu verfügen, von der Berechnung des Mindestlohns ausgenommen (vgl. LArbG Frankfurt, Urt. v. 21.11.2016 – 16 Sa 1257/15).

D. Auswirkungen für die Praxis

Arbeitgeber müssen bei der Planung ihrer Lohnstrukturen – soweit es das MiLoG betrifft – weiterhin sorgsam sowohl auf die Berechnungsgrundlagen als auch auf die Formen der Auszahlung achten.
Das LArbG Mainz bestärkt in diesem Urteil zunächst die Notwendigkeit, alle Formen der Arbeitszeit zu berücksichtigen, d.h. die „normalen“ Arbeitszeiten, in denen der Arbeitnehmer seine eigentliche Tätigkeit ausübt, und auch Zeiten der Arbeitsbereitschaft. Rufbereitschaft kann jedoch weiterhin außen vor gelassen werden. Es bleibt insoweit bei den vom BAG aufgestellten Grundsätzen.
Weiterhin können Arbeitgeber auch in Zukunft sicher sein, mit allen im Synallagma stehenden Vergütungen die Pflicht zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns zu erfüllen. Wie diese Zahlungen ansonsten vertraglich begründet oder einzelnen Tätigkeiten (oder Verhalten) aus dem Arbeitsverhältnis zugeordnet werden, ist dabei irrelevant. Gleichzeitig sind Arbeitgeber aber weiter angehalten, ihre Vergütungsmodelle genau zu planen und darauf zu überprüfen, ob sie in ihre eigenen Berechnungen, ob die Vergütung die Anforderungen des MiLoG erfüllt, nicht außerhalb des Synallagmas stehende Leistungen einberechnet haben. Soweit notwendig, sollten in diesen Fällen die Auszahlungen umgestaltet (was rechtlich häufig allerdings schwierig durchzusetzen sein dürfte) oder das Entgelt angehoben werden.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Das oben Dargestellte hat es tatsächlich nur als „obiter dictum“ in das Urteil geschafft. Die Klage war schon deswegen abzuweisen, weil der Kläger die Anzahl der noch zu vergütenden Stunden nicht hinreichend substantiierte, sondern auf einen Durchschnittswert abstellte. Es hätte vielmehr einer schlüssigen Darstellung der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden bedurft. Die Behauptung einer aus dem Durchschnitt eines Zeitraums ermittelten Stundenzahl ersetzt diesen Vortrag nicht (BAG, Urt. v. 25.05.2016 – 5 AZR 135/16 Rn. 19; BAG, Urt. v. 29.06.2016 – 5 AZR 716/15 Rn. 13).