Nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Erfurt ist das Widerspruchsrecht bei Betriebsübergang verwirkt, wenn der Arbeitnehmer alle grundlegenden Informationen nach Maßgabe des § 613a Abs. 5 BGB erhalten hat und die Geltendmachung illoyal verspätet und damit aus Gründen eines berechtigten Vertrauensschutzes und des Bedürfnisses nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ausgeschlossen ist.
Aus Tatbestand und Entscheidungsgründen:
Der 1958 geborene Kläger war seit 1979 bei der Beklagten angestellt. Bis Dezember 2005 war er in deren Service-Niederlassung Verbundinstandhaltung als Service-Techniker tätig. Sie informierte u. a. den Kläger mit einem an seine Wohnanschrift gerichteten Schreiben vom 14.11.2005 darüber, dass sein Beschäftigungsbetrieb zum 01.01.2006 auf die neu gegründete D. GmbH übergehen werde, da die operativ technischen Dienstleistungen der Beklagten zusammen mit dem hier tätigen Personal und den Betriebsmitteln künftig von der Betriebserwerberin fortgeführt werden. Das Schreiben nennt die D. GmbH als Betriebserwerberin und neue Arbeitgeberin, nicht aber ihre Anschrift, ihren Sitz, das zuständige Registergericht, die Registernummer und auch nicht ihren Geschäftsführer. Es nennt den 01.01.2006 als Zeitpunkt des Betriebsübergangs. Zudem wurde dem Kläger mitgeteilt, dass auch sein Arbeitsverhältnis von dem Teilbetriebsübergang betroffen sei, dass er ein Recht zum Widerspruch habe und wie er dieses Recht ausüben könne. …
Mit Schreiben vom 24.10.2014, der Beklagten am 27.10.2014 zugegangen, widersprach der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses zum 01.01.2006.
Mit seiner am 09.02.2015 beim Arbeitsgericht Erfurt eingegangenen Klage machte er den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten geltend.
Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsverhältnis zwischen der Beklagten und dem Kläger wurde zum 31.12.2005 beendet. Es ging zum 01.01.2006 im Wege eines Betriebsübergangs nach § 613a Abs. 1 BGB von der Beklagten auf die Betriebserwerberin über. Der Kläger konnte die Rechtsfolgen dieses Betriebsübergangs durch sein Widerspruchsschreiben vom 24.10.2014 nicht wieder beseitigen.
I. Grundsätzlich kann ein Arbeitnehmer sein Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB nur innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 3 BGB ausüben. Diese Monatsfrist wird aber nur in Gang gesetzt, wenn der Arbeitnehmer zuvor auch tatsächlich ordnungsgemäß unterrichtet wurde. Das Unterrichtungsschreiben vom 14.11.2005 entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Unterrichtung. Bereits die Unterrichtung über die Person der Betriebserwerberin ist nicht ausreichend gewesen. Dies hätte Angaben zum Sitz der Gesellschaft und zum zuständigen Registergericht verlangt (BAG 15.03.2012 – 8 AZR 700/10 – Juris, Rd. 24). Mit den Anforderungen an eine ausreichende Unterrichtung eines Arbeitnehmers nach § 613a Abs. 5 BGB will das Gesetz diesen in die Lage versetzten, innerhalb der ihm hierfür gesetzten Monatsfrist eine hinreichend fundierte Entscheidung über einen Widerspruch gegen den Betriebsübergang oder die Akzeptanz seines neuen Arbeitgebers zu treffen. Bereits aus dieser Überlegung folgt, dass die hierfür erforderlichen Fakten in einem erkennbar hierauf zielenden Unterrichtungsschreiben mitgeteilt werden müssen. Spätere, gleichsam bei Gelegenheit irgendwann und irgendwie erhaltene Informationen erfüllen den Zweck des § 613a Abs. 5 BGB nicht (BAG 23.07.2009 – 8 AZR 558/08 – Juris, Rd. 21). Ob der Kläger mit dem Schreiben vom 14.11.2005 darüber hinaus auch nicht vollständig über die haftungsrechtlichen Folgen informiert wurde, kann dahin stehen (vgl. zu einem wortgleichen Unterrichtungsschreiben: LAG Hamburg 07.10.2016 – 6 Sa 21/16 – Juris, Rd. 48). Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es für das in Gang setzen der Frist auch nicht darauf an, ob die fehlerhafte oder lückenhafte Unterrichtung letztlich dafür ursächlich waren, dem Betriebsübergang zunächst nicht zu widersprechen. § 613a Abs. 6 BGB erfordert keinen Kausalzusammenhang zwischen der fehlerhaften Information und dem nicht ausgeübten Widerspruchsrecht (BAG 24.07.2008 – 8 AZR 73/07 – Juris, Rd. 39).
II. Wurde der Kläger mit dem Schreiben vom 24.11.2005 nicht ordnungsgemäß nach § 613a Abs. 5 BGB unterrichtet, setzte dies seine Monatsfrist für den Widerspruch gegen den Betriebsübergang auf die Betriebserwerberin nicht in Gang. Sein Widerspruchsrecht war daher zum Zeitpunkt seines Widerspruchsschreibens vom 24.10.2014 nicht verfristet. Allerdings ist es ihm unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung nach § 242 BGB versagt, sein Widerspruchsrecht noch geltend zu machen. Das Recht zum Widerspruch ist ein Gestaltungsrecht, dass wie jedes Recht unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben ausgeübt werden muss. Es kann hiernach auch verwirken, wenn seine Geltendmachung illoyal verspätet und damit aus Gründen eines berechtigten Vertrauensschutzes und des Bedürfnisses nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ausgeschlossen ist. Dabei genügt in der Regel nicht allein eine Untätigkeit des Gläubigers über eine längere Zeit (Zeitmoment). Er muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, sodass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Letztlich muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist (BAG 24.08.2017 – 8 AZR 265/16 – Juris, Rd. 18). Dabei kann im Kontext eines Betriebsübergangs grundsätzlich auch eine widerspruchslose Weiterarbeit des Arbeitnehmers für den Betriebserwerber zur Verwirkung des Widerspruchsrechts führen.
Dies setzt aber grundlegend zunächst voraus, dass der Arbeitnehmer im Rahmen einer Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB von den dort genannten Personen über den mit dem Betriebsübergang verbundenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses unter Mitteilung des Zeitpunkts oder des geplanten Zeitpunkts sowie des Gegenstands des Betriebsübergangs und des Betriebsübernehmers (sog: „grundlegende Informationen“) in Textform in Kenntnis gesetzt und über sein Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB belehrt wurde (BAG 24.08.2017 – 8 AZR 265/16 – Juris, Rd. 24).
Das ist vorliegend der Fall. Der Kläger wurde mit dem Schreiben vom 24.11.2005 über die Person der Betriebserwerberin, den Termin des beabsichtigten Betriebsübergangs zum 01.01.2006 und den betrieblichen Umfang des (Teil-) Betriebsübergangs unterrichtet. Ihm wurde erklärt, dass es sich u. a. um seinen Beschäftigungsbetrieb handelt, dessen Aufgaben, sonstige Betriebsmittel und Mitarbeiter künftig von der Erwerberin weiter geführt werden und dass damit sein Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes übergeht, wenn er dem Betriebsübergang nicht mit einem näher erläuterten Widerspruch widerspreche. Dass der Kläger diese grundlegenden Informationen mit dem Schreiben vom 24.11.2005 erhalten hat, steht unter Berücksichtigung des beiderseitigen Sachvortrags und der Einlassungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung nach § 286 ZPO zur Überzeugung der Kammer fest. Grundsätzlich oblag es dem Kläger, sich auf den Vortrag der Beklagten zum behaupteten Zugang nach § 138 Abs. 2 ZPO einzulassen und diesen ggf., unter Berücksichtigung der beiderseitigen prozessualen Wahrheitspflichten, bei entsprechendem tatsächlichen Anlass zu bestreiten. Das hat der Kläger nicht getan. Er wollte den Zugang bis zuletzt nicht tatsächlich bestreiten, sich nur nicht mehr erinnern. Er hat ihn zuletzt mit Nichtwissen bestritten. Das Bestreiten mit Nichtwissen ist nach § 138 Abs. 4 ZPO aber grundsätzlich nur auf solche Tatsachen beschränkt, die weder eigene Wahrnehmungen oder eigene Handlungen zum Gegenstand haben. Ein nur in engen Grenzen zulässiges Bestreiten eigener Wahrnehmungen mit Nicht-(mehr-)wissen verlangt jedenfalls eine plausible Begründung dafür, warum man sich nicht mehr erinnern kann. Allein der längere Zeitablauf überzeugt nicht. Dass der Kläger zum Jahreswechsel 2005/2006 arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und längere Zeit nicht im Betrieb gewesen sei, erklärt nicht, warum er sich an den Erhalt des an seine Wohnanschrift gerichteten Schreibens nicht erinnern kann. Gegen ein plausibles Nicht-mehr-erinnern spricht auch die spürbare Relevanz eines Betriebsübergangs, nachdem der Kläger seit dem 01.01.2006 mit einer „fremden“ Arbeitgeberin korrespondierte. Etwa 80 Kollegen hatten dem Betriebsübergang widersprochen. Sie wurden nach dem eigenen Sachvortrag des Klägers gleichwohl im Wege einer Personalgestellung später durch die Beklagte im Betrieb der Erwerberin weiterbeschäftigt. Dies warf Fragen über eine fehlende eigene entsprechende Unterrichtung auf, da sich für diese Mitarbeiter „nichts“ geändert hatte, für die nicht widersprechenden Mitarbeiter aber wohl. All dies sind zumindest geeignete Erinnerungsanker, angesichts derer sich der Kläger nicht auf das Fehlen einer Erinnerung zurückziehen kann.
Hat der Kläger nach der Überzeugung der Kammer also die grundlegenden Informationen nach Maßgabe des § 613a Abs. 5 BGB erhalten, ist sein Widerspruchsrecht nach Maßgabe der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verwirkt (BAG 24.08.2017 – 8 AZR 265/16 – Juris, Rd. 25 ff.). Über seine reine Weiterarbeit hinaus hat der Kläger keine relevanten Umstandsmomente zugunsten einer erkennbaren Akzeptanz der Erwerberin als neue Arbeitgeberin gesetzt. Alle von der Beklagten angeführten Anträge, Fortbildungen, Erklärungen etc. sind typische Erklärungen in Vollzug des Arbeitsverhältnisses eines Service-Technikers vor wie nach einem Betriebsübergang. Sie haben inhaltlich keinen über die reine Weiterarbeit hinaus gehenden Erklärungswert für ein berechtigtes Vertrauen in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit der Erwerberin. Allerdings kann in der reinen Weiterarbeit selbst ein Umstandsmoment liegen, wenn der Arbeitnehmer im Falle seiner grundlegenden Information über den Betriebsübergang und sein Widerspruchsrecht jahrelang für den Erwerber weiterarbeitet. Arbeitet er in Kenntnis dieser Umstände weiter, hat seine widerspruchslose Weiterarbeit eine andere Qualität als die eines schlichten Untätigbleibens. Sie stellt dann ein Umstandsmoment dar, das zur Verwirkung führen kann, wenn das Zeitmoment ein solches Maß erlangt, dass die Ausübung des Widerspruchs nun mit Treu und Glauben unvereinbar wäre. Unter Berücksichtigung der wechselseitigen schutzwürdigen Interessen gilt regelmäßig ein Zeitraum, der frühestens mit dem Betriebsübergang beginnt, von sieben Jahren als angemessen (BAG 24.08.2017 – 8 AZR 265/16 – Juris, Rd. 26 f.). Beginnend am 01.01.2006 hat der Kläger bis zu seinem Widerspruch mit Schreiben vom 24.10.2014 insgesamt acht Jahre und elf Monate widerspruchslos für die Erwerberin weitergearbeitet. Etwaige, den Einwand der Treuwidrigkeit im vorliegenden Einzelfall ausschließende Umstände, hat der Kläger nicht vorgetragen. Sein Widerspruchsrecht war daher im Oktober 2014 bereits verwirkt.
(Thüringer Landesarbeitsgericht, Urteil vom 15. Februar 2018 – 3 Sa 373/17 –, Rn. 1 – 23, juris)
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