Nachfolgend ein Beitrag vom 8.3.2017 von Wolmerath, jurisPR-ArbR 10/2017 Anm. 6

Leitsatz

Die sofortige Untersagung der Amtsausübung eines Betriebsratsmitglieds im Wege einer einstweiligen Verfügung setzt über den groben Verstoß i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hinaus einen Sachverhalt voraus, der dem Arbeitgeber, dem Betriebsratsgremium und/oder der Belegschaft die weitere Amtsausübung des Betriebsratsmitglieds bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Amtsenthebungsverfahren unzumutbar und untragbar macht.

A. Problemstellung

In seiner Entscheidung hatte sich das LArbG Frankfurt mit der Frage zu befassen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen es einem Betriebsratsmitglied im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt werden kann, sein Betriebsratsmandat bis zur rechtskräftigen Entscheidung eines Amtsenthebungsverfahrens auszuüben.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Arbeitgeberseite verfolgt mit ihrem am 02.06.2016 bei Gericht eingereichten Antrag das Ziel, dem zunächst im Amt befindlichen und nachfolgend aus dieser Funktion abgewählten Betriebsratsvorsitzenden die Ausübung seines Betriebsratsmandates bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Amtsenthebungsverfahrens untersagen zu lassen. Mit Beschluss vom 16.02.2016 hatte das ArbG Frankfurt das besagte Betriebsratsmitglied aus dem Betriebsrat ausgeschlossen. Die hiergegen beim LArbG Frankfurt erhobene Beschwerde trägt das Aktenzeichen 24 BV 183/15.
Nach arbeitgeberseitiger Ansicht habe das Betriebsratsmitglied in grober Weise gegen seine Amtspflichten verstoßen. Behauptete Betriebsratsbeschlüsse habe es in Wahrheit nicht gegeben. So sei ein Rechtsanwalt ohne Vorliegen eines entsprechenden Beschlusses mit der Einleitung eines Ordnungsgeldverfahrens beauftragt worden. Eine weitere Zusammenarbeit mit dem Betriebsratsmitglied sei nicht zumutbar, zumal das ArbG Frankfurt eine Amtsenthebung ausgesprochen habe.
Dem Antrag blieb sowohl beim ArbG als auch beim LArbG Frankfurt der Erfolg versagt, da die begehrte Verfügung weder zur Abwendung wesentlicher Nachteile noch zur Verhinderung von Gewalt oder aus anderen Gründen erforderlich sei.
Die sofortige Untersagung der Amtsausübung im Wege einer einstweiligen Verfügung setze gemäß § 85 Abs. 2 ArbGG, §§ 935, 940 ZPO über einen groben Verstoß i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hinaus einen Sachverhalt voraus, der die weitere Amtsausübung bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Amtsenthebungsverfahren unzumutbar und untragbar erscheinen lasse.
Infolge des Beschlusses des ArbG Frankfurt vom 16.02.2016 sei eine fortwirkende Beeinträchtigung der Zusammenarbeit zwischen den Betriebsparteien nicht anzunehmen. Die Arbeitsgeberseite habe keine Umstände vorgetragen, die es ihr unzumutbar mache, das Betriebsratsmitglied auch nur vorübergehend in seinem Amt zu belassen. Eine deutliche Negativprognose lasse sich für die Zeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Amtsenthebungsverfahrens nicht anstellen, zumal das Betriebsratsmitglied nicht mehr den Vorsitz in dem Gremium inne habe und sich die ihm vorgeworfenen Amtspflichtverletzungen auf seine vormalige Vorsitzendenfunktion beziehen. Ein „Alleingang“ als einfaches Betriebsratsmitglied in Form des Hinwegsetzens über Beschlüsse des Betriebsrats und der eigenmächtigen Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Einleitung hiervon nicht gedeckter Gerichtsverfahren seien nicht zu erwarten. Dies gelte auch für die Verlautbarung getroffener Beschlüsse gegenüber dem Arbeitgeber, da ausschließlich der Betriebsratsvorsitzende Vertreter in der Erklärung sei.
Schlussendlich habe die Arbeitgeberseite durch ihr Verhalten nicht zu erkennen gegeben, dass sie die Angelegenheit als besonders eilig betrachtet. Schließlich würden die vorgeworfenen Amtspflichtverletzungen bereits mehrere Monate zurückliegen. Das Abwarten der gerichtlichen Entscheidung in dem Amtsenthebungsverfahren führe nicht zur Bejahung einer besonderen und hier notwendigen Dringlichkeit. Nicht die antragsgemäße Entscheidung im Hauptsacheverfahren mache die Zusammenarbeit mit dem Betriebsratsmitglied unzumutbar und untragbar. Erforderlich sei vielmehr ein die vorläufige Untersagung der Ausübung des Betriebsratsamtes gemäß § 85 Abs. 2 ArbGG, §§ 935, 940 ZPO vorauszusetzender – und gravierend beeinträchtigender neuer oder zumindest fortwirkender – Sachverhalt. Daran fehle es jedoch.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung folgt dem von der bisherigen Rechtsprechung eingeschlagenen Weg, wonach eine einstweilige Verfügung auf Untersagung der weiteren Ausübung des Betriebsratsamtes bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Amtsenthebung nur unter strengen Voraussetzungen in Ausnahmefällen in Betracht kommen kann. Insoweit sei an die Entscheidung des LArbG Nürnberg vom 25.02.2016 (7 TaBVGa 4/15 – vgl. Wolmerath, jurisPR-ArbR 29/2016 Anm. 5) erinnert.

D. Auswirkungen für die Praxis

Vorkommnisse der vorliegenden Art gibt es eher am Rande. Auch wenn es gelegentlich zu einer Verletzung von Amtspflichten kommen mag, so dürften sie nur in den seltensten Fällen eine Amtsenthebung rechtfertigen – von einer Untersagung der Amtsausübung im Wege der einstweiligen Verfügung ganz zu schweigen. Das liegt zum einen daran, dass der Betriebsratsvorsitz in der Regel äußerst gewissenhaft wahrgenommen wird und es zum anderen eine gewisse Kontrolle innerhalb des Betriebsratsgremiums gibt. Letztere kann zu einer Neubesetzung des Vorsitzes führen, wie es auch in der vorliegenden Entscheidung erfolgt ist. Jeder Betriebsrat hat es in der Hand, die bisherige Betriebsratsvorsitzende bzw. den bisherigen Betriebsratsvorsitzenden per Betriebsratsbeschluss abzuwählen und die Position des Vorsitzes im Wege der Neuwahl anderweitig zu besetzen (vgl. § 26 Abs. 1 BetrVG).
Dass die Rechtsprechung die Hürden für eine vorläufige Untersagung der Ausübung des Betriebsratsamtes recht hoch hängt, ist zu begrüßen. Andernfalls würde die Gefahr bestehen, aus Arbeitgebersicht „unbequeme“ Betriebsratsmitglieder nur allzu leicht des Mandates zu entheben und auf diese Weise jede betriebliche Interessenvertretung zu untergraben. So hat das betroffene Betriebsratsmitglied in dem vorliegenden Beschlussverfahren vorgetragen, dass Letzteres allein dazu diene, ihn finanziell und psychisch unter Druck zu setzen. Ob und inwieweit dies tatsächlich der Fall ist, kann dem Beschluss des LArbG Frankfurt nicht entnommen werden. Allerdings darf ein professioneller Umgang mit der streitgegenständlichen Konfliktlage hinterfragt werden. Wäre es – auch im Sinne einer vertrauensvollen Zusammenarbeit gemäß § 2 Abs. 1 BetrVG – nicht zielführender gewesen, die ohne jeden Zweifel zu kritisierende Verhaltensweise des damals im Amt befindlichen Betriebsratsvorsitzenden in einem (Monats-)Gespräch (vgl. § 74 Abs. 1 BetrVG) zu thematisieren und von dem Betriebsratsvorsitzenden bei Bedarf den Nachweis einer entsprechenden Beschlussfassung im Betriebsrat einzufordern – getreu dem bekannten Sprichwort „Wer einmal lügt …“?