Nachfolgend ein Beitrag vom 30.8.2017 von Boemke, jurisPR-ArbR 35/2017 Anm. 2

Leitsätze

1. Nimmt eine Ausschlussfrist Ansprüche wegen des gesetzlichen Mindestlohns nicht aus, führt dies nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Ausschlussfrist. Die Ausschlussfrist ist vielmehr nur insoweit unbeachtlich, als Ansprüche auf Mindestlohn tangiert sind.
2. Auf Überstunden ist die Regelung des § 2 Abs. 2 MiLoG analog anzuwenden.

A. Problemstellung

Sind Ausschlussfristen wirksam zulasten der Arbeitnehmerin vereinbart, wenn Ansprüche auf den Mindestlohn nicht ausdrücklich ausgenommen werden? Das BAG hat dies in Bezug auf Mindestlohnansprüche nach den §§ 2, 4 PflegeArbbV angenommen. Das LArbG Nürnberg hat nunmehr zu Ansprüchen nach dem MiLoG für eine Fallgestaltung entschieden, in der die Ausschlussfrist vor Inkrafttreten des MiLoG vereinbart wurde.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien streiten über die Abgeltung von Urlaubsansprüchen und über die Vergütung von Überstunden. Der Kläger war vom 01.01.2014 bis 31.07.2015 bei der Beklagten beschäftigt. Der Bruttomonatslohn betrug 4.361 Euro. Der dem Arbeitsverhältnis zugrunde liegende Arbeitsvertrag sah in § 10 eine zweistufige – jeweils drei monatige – Ausschlussfrist für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis vor. Der Kläger machte diese Ansprüche zunächst am 28.09.2015 schriftlich gegenüber dem Arbeitgeber geltend. Nach mehreren erfolglosen Versuchen eines Vergleichs erhob der Arbeitnehmer am 21.01.2016 Klage beim Arbeitsgericht. Er verlangte Bezahlung von Überstunden sowie Abgeltung für nicht genommenen Urlaub aus den Jahren 2014 und 2015. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.
Auch vor dem LArbG Nürnberg hatte die Klage keinen Erfolg.
Das Landesarbeitsgericht geht davon aus, dass die zweite Stufe der Ausschlussfrist nicht gewahrt war. Die bis November 2015 geführten Verhandlungen über die Ansprüche hätten den Lauf der Ausschlussfrist nicht analog § 203 BGB gehemmt. Hierbei beruft sich das Landesarbeitsgericht ganz formal auf die unterschiedliche Rechtswirkung von Verjährung und Ausschlussfristen. § 203 BGB sei nur auf Verjährungs-, nicht aber auf Ausschlussfristen anzuwenden.
Zentral sind die Ausführungen des LArbG Nürnberg zu § 3 Satz 1 MiLoG. Zunächst legt das Landesarbeitsgericht dar, dass die Ausschlussfrist, selbst wenn sie Mindestlohnansprüche erfasst, nicht nach § 134 BGB i.V.m. § 3 Satz 1 MiLoG unwirksam ist. Bestimmungen seien nämlich nach § 3 Satz 1 MiLoG nur „insoweit unwirksam“, wie die Geltendmachung des Mindestlohnanspruchs ausgeschlossen oder beschränkt werde. Der Begriff „insoweit“ schränke die Rechtsfolge der Unwirksamkeit einer den Mindestlohn gefährdenden Regelung ein; im Übrigen – soweit der Mindestlohn nicht betroffen sei – bleibe die Regelung wirksam. Vorliegend seien Mindestlohnansprüche nicht eingeklagt. Der Urlaubsabgeltungsanspruch sei kein Anspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG. Mindestlohn sei nach dem Gesetz Vergütung für geleistete Arbeit. Hingegen bestimme sich das Urlaubsentgelt gemäß § 11 BUrlG nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst. Weder enthalte das MiLoG Regelungen bezüglich Urlaubsentgelt oder Urlaubsabgeltung noch verweise das BUrlG auf das MiLoG. Auch hinsichtlich der Überstunden bestehe kein Anspruch nach dem MiLoG mehr. Zwar sei Überstundenvergütung Arbeitslohn, für den das MiLoG gelte; die geltend gemachten Überstunden könnten aber nicht isoliert von der im Übrigen gezahlten Vergütung betrachtet werden. Erfülle eine verstetigt gezahlte Vergütung für Zeiträume, in denen die Überstunden geleistet worden seien, den Mindestlohnanspruch, bestehe für die Überstunden kein gesonderter Anspruch auf Mindestlohn. Vorliegend war dem Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum auch unter Berücksichtigung der Überstunden ein Stundenlohn von 20,60 Euro brutto ausgezahlt worden.
Die Klausel soll nach Auffassung des LArbG Nürnberg auch nicht gegen das Transparenzgebot aus § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstoßen. Eine Klausel dürfe danach keine vermeidbaren Unklarheiten enthalten und Spielräume eröffnen. Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot liege deshalb nicht schon dann vor, wenn der Arbeitnehmer keine oder nur eine erschwerte Möglichkeit habe, die betreffende Regelung zu verstehen. Erst in der Gefahr, dass wegen unklar abgefasster Regelungen der andere Teil seine Rechte nicht wahrnehme, liege eine unangemessene Benachteiligung i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB (BAG, Urt. v. 15.11.2016 – 3 AZR 579/15 Rn. 59). Gebe eine Klausel ein gesetzliches Verbot nicht wieder, sei sie nicht intransparent, sondern nur insoweit unwirksam. Gesetzliche Verbote gelten nämlich für jedermann und seien insbesondere auch Arbeitnehmern zugänglich. Das Wissen oder Wissenkönnen um das gesetzliche Verbot stehe der Kausalität zwischen der vertraglichen Klausel und der Entscheidung, einen Anspruch nicht geltend zu machen, entgegen.

C. Kontext der Entscheidung

Der Entscheidung kann im Ergebnis nicht zugestimmt werden.
I. Zutreffend sind allerdings die allgemeinen Ausführungen zur Teilnichtigkeit nach § 3 Satz 1 MiLoG. § 3 Satz 1 MiLoG enthält die „gesetzliche Anordnung einer geltungserhaltenden Reduktion“ (Greiner in: Thüsing, MiLoG/AEntG, § 3 MiLoG Rn. 11; Hilgenstock in: BeckOK-Arbeitsgerchit, 44. Ed., Stand: 06.2017, § 3 MiLoG Rn. 15; siehe auch Bayreuther, NZA 2015, 385, 387; Franzen in: ErfKomm, 17. Aufl. 2017, § 3 MiLoG Rn. 3a). Hingegen sind die Ausführungen zu § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht nur vor dem Hintergrund der anderslautenden Entscheidung des 5. Senats des BAG zur vergleichbaren Regelung in § 4 PflegeArbbV (BAG, Urt. v. 24.08.2016 – 5 AZR 703/15 Rn. 29 f.) zweifelhaft. Das BAG hat hierzu ausgeführt:
„Eine Klausel, die die Rechtslage unzutreffend oder missverständlich darstellt und auf diese Weise dem Verwender ermöglicht, begründete Ansprüche unter Hinweis auf die in der Klausel getroffene Regelung abzuwehren, benachteiligt den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (BGH, Urt. v. 05.10.2005 – VIII ZR 382/04 Rn. 23; 25; BGH, Urt. v. 25.11.2015 – VIII ZR 360/14 Rn. 17 m.w.N. – BGHZ 208, 52). Gemessen daran ist die Ausschlussfristenregelung des § 22 Arbeitsvertrag intransparent. Die Klausel stellt die Rechtslage irreführend dar und suggeriert dem durchschnittlichen Arbeitnehmer – selbst wenn er die Klausel nicht nur flüchtig, sondern aufmerksam und sorgfältig betrachtet (vgl. BAG, Urt. v. 23.01.2014 – 8 AZR 130/13 – Rn. 24) –, er müsse auch den Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV innerhalb der dort vorgesehenen Fristen außergerichtlich und gerichtlich geltend machen. Damit besteht die Gefahr, dass bei Verstreichen dieser Fristen der Arbeitnehmer den Anspruch auf das Mindestentgelt nicht mehr durchsetzt, obwohl nach § 4 PflegeArbbV noch kein Verfall eingetreten ist. Um dieser Gefahr vorzubeugen, muss im Anwendungsbereich der PflegeArbbV der Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV von einer arbeitsvertraglichen Verfallklausel klar und deutlich ausgenommen werden“ (BAG, Urt. v. 24.08.2016 – 5 AZR 703/15 Rn. 30).
Gründe, dies für den Bereich des MiLoG abweichend zu entscheiden, sind nicht ersichtlich. Es überrascht überdies, dass das LArbG Nürnberg die intensiv in der Literatur geführte Diskussion, ob Ausschlussfristen, die Mindestlohnansprüche nicht ausnehmen, wegen § 3 Satz 1 MiLoG teilwirksam sind oder ob diese über § 307 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BGB wegen Intransparenz insgesamt unwirksam sind, anscheinend ignoriert (wegen der Nachw. vgl. nur BAG, Urt. v. 24.08.2016 – 5 AZR 703/15 Rn. 30). Gleichwohl kann dem Landesarbeitsgericht in diesem Punkt im Ergebnis zugestimmt werden. Ob eine Klausel wirksam ist, muss nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestimmt werden; dies gilt auch für die Angemessenheitskontrolle nach § 307 BGB (BAG, Urt. v. 23.09.2010 – 8 AZR 897/08; Boemke, JuS 2015, 385, 392; Gotthardt/Roloff in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 7. Aufl. 2016, § 307 BGB Rn. 2; Klumpp in: Clemenz/Kreft/Krause, AGB-Arbeitsrecht, 1. Aufl. 2013, 307 BGB Rn. 44). Eine ursprünglich transparente Bestimmung kann nicht durch eine spätere Gesetzesänderung intransparent werden. Der Verwender kann von der Ausschlussklausel nicht Mindestlohnansprüche ausnehmen, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht gesetzlich gewährt wurden. Die Einführung des Mindestlohnes zum 01.01.2015 hat somit keine Auswirkungen auf den zum 01.01.2014 geschlossenen Arbeitsvertrag.
II. Dass bzgl. der Überstunden keine Mindestlohnansprüche mehr bestanden, ist auf Grundlage der Rechtsprechung des BAG zutreffend. Nach der Rechtsprechung des BAG ist der Anspruch nämlich dann erfüllt, wenn die für einen Kalendermonat gezahlte Bruttovergütung den Betrag erreicht, der sich aus der Multiplikation der Anzahl der in diesem Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit 8,50 Euro ergibt (BAG, Urt. v. 25.05.2016 – 5 AZR 135/16 Rn. 26; BAG, Urt. v. 28.09.2016 – 5 AZR 188/16 Rn. 23; a.A. z.B. Boemke, jurisPR-ArbR 29/2015 Anm. 6 unter C.II. m.w.N.).
Entsprechendes gilt auf Grundlage der Rechtsprechung des BAG daher auch für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung. Dieser wird für Zeiten nicht genommenen Urlaubs gezahlt, der wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden kann. Er betrifft also Zeiten für Lohn ohne Arbeit, während der Mindestlohnanspruch nach dem Konzept des BAG ein gesetzlicher Anspruch für Zeiten der Arbeitsleitung ist. Urlaubsabgeltungsansprüche fallen danach nicht unmittelbar unter das MiLoG (vgl. Lakies in: Däubler, TVG, 4. Aufl. 2016, § 5 TVG Anhang 1 Rn. 187 f.), finden allerdings bei der Bemessung des Urlaubsentgelts Berücksichtigung (vgl. BAG, Urt. v. 13.05.2015 – 10 AZR 191/14 OS. 3).
III. Nicht zustimmen möchte ich den Ausführungen zur analogen Anwendung von § 203 BGB auf die Ausschlussfrist. In seiner früheren Rechtsprechung hat das BAG wie vorliegend das LArbG Nürnberg den grundlegenden Unterschied zwischen Ausschlussfristen und Verjährung hinsichtlich ihrer Wirkung betont und deswegen eine analoge Anwendung verneint (vgl. BAG, Urt. v. 11.07.1990 – 5 AZR 609/89). Heute wird stärker darauf abgestellt, dass beide Institute der Prozessökonomie sowie der Rechtssicherheit und -klarheit dienen (vgl. Boemke in: NK-Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Aufl. 2016, § 194 BGB Rn. 10), sodass eine analoge Anwendung möglich ist, soweit Besonderheiten der Ausschlussfrist dem im Einzelfall nicht entgegenstehen (BGH, Urt. v. 09.07.1990 – II ZR 69/89; Boemke in: NK-Gesamtes Arbeitsrecht, § 194 BGB Rn. 10; Lakies in: jurisPK-BGB, § 194 Rn. 20). Immerhin erkennt das BAG bei vertraglichen Ausschlussfristen den Verjährungsvorschriften Leitbildcharakter i.S.v. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu (BAG, Urt. v. 25.05.2005 – 5 AZR 572/04; BAG, Urt. v. 28.09.2005 – 5 AZR 52/05; aus der Lit. nur Boemke in: NK-Gesamtes Arbeitsrecht, § 194 BGB Rn. 10; Preis in: ErfKomm, §§ 194-218 Rn. 44 ff.). Dies wäre ausgeschlossen, wenn Verjährung und Ausschlussfrist wesensverschieden wären.
§ 203 BGB ist ein spezieller Ausdruck des Gebots von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Der Norm liegt der Gedanke zugrunde, dass Verhandlungen nicht durch Klageerhebungen belastet werden sollen und eine Einigung zwischen den Parteien Vorrang vor einer gerichtlichen Auseinandersetzung haben soll. Zumindest dort, wo der Berechtigte sein Recht nicht einseitig durchsetzen kann, ist eine entsprechende Anwendung auf Ausschlussfristen geboten. Ist der Berechtigte zur Durchsetzung seines Rechts auf den Rechtsweg angewiesen, ist demnach auch eine Anwendung des § 203 BGB geboten. Anders verhält es sich, wenn der Berechtigte die Durchsetzung des Rechts einseitig in der Hand hat – etwa die Erklärung der Aufrechnung.
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass auf die erste Stufe der Ausschlussfrist § 203 BGB keine Anwendung finden kann; diese kann durch einfache Erklärung ggü. dem anderen Teil gewahrt werden. Demgegenüber bedarf die Wahrung der zweiten Stufe der Klageerhebung, sodass die Anwendung von § 203 BGB sachgerecht ist (Boemke in: NK-Gesamtes Arbeitsrecht, § 203 BGB Rn. 15; Ellenberger in: Palandt, BGB, Überbl. v. § 194 Rn. 14; Reinecke, BB 2005, 378, 383; a.A. LArbG Chemnitz, Urt. v. 14.07.2003 – 3 Sa 814/02; Krause, RdA 2004, 106, 110; Preis in: ErfKomm, § 218 Rn. 57). Es hätte daher näher geprüft werden müssen, in welchen Zeiträumen Verhandlungen geführt worden sind.

D. Auswirkungen für die Praxis

Im Verfahren ist Revision eingelegt worden. Der Fall gibt für das BAG allerdings noch keinen Anlass dazu Stellung zu beziehen, ob im Hinblick auf das Transparenzgebot aus § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB auch bzgl. der Ansprüche nach dem MiLoG in Ausschlussfristen Regelungen aufzunehmen sind, die diese Ansprüche ausdrücklich ausnehmen. Relevant wird aber wohl sein, ob § 203 BGB auf Ausschlussfristen Anwendung finden kann.