Nachfolgend ein Beitrag vom 7.4.2017 von Spitz, jurisPR-ITR 7/2017 Anm. 3

Orientierungssatz zur Anmerkung

Die Weigerung eines Arbeitnehmers an der Teilnahme von durch Betriebsvereinbarung beschlossenen elektronischen Überwachungsmaßnahmen kann zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen.

A. Problemstellung

Arbeitgeberseitige Interessen können den Einsatz elektronischer Maßnahmen erfordern, die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers – etwa durch Überwachung – nach sich ziehen. Vorliegend hatte das BAG zu entscheiden, ob ein Busfahrer den Einsatz von Überwachungselektronik in seinem Fahrzeug dulden muss, wenn eine bestehende Betriebsvereinbarung dies erlaubt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger war bei der Beklagten – einem öffentlichen Nahverkehrsunternehmen – seit 1989 als Busfahrer beschäftigt. Aufgrund wirksamer arbeitsvertraglicher Inbezugnahme auf den geltenden Tarifvertrag konnte das Arbeitsverhältnis nach einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 15 Jahren durch den Arbeitgeber nur noch „aus einem wichtigen Grund (§ 626 Abs. 1 BGB)“ gekündigt werden. Die Beklagte schloss mit ihrem Betriebsrat im Jahr 2014 eine Betriebsvereinbarung über den Einsatz eines elektronischen Systems auf ihren Fahrzeugen. Dieses System wertet elektronisch Fahrereignisse aus und informiert die Busfahrer durch eine Warnleuchte über hochtouriges Fahren, Leerlaufzeitüberschreitungen, scharfes Bremsen, überhöhte Beschleunigung und Geschwindigkeitsüberschreitungen. Die Daten werden aufgezeichnet und gespeichert. Nach der Betriebsvereinbarung sind alle Fahrer zur Teilnahme am System verpflichtet. Fahrer, die nicht an dem vorgesehenen personalisierten Berichts- und Prämiensystem teilnehmen wollen, erhalten einen anonymisierten Systemschlüssel. Der Kläger stimmte einer Teilnahme am personalisierten Berichts- und Prämiensystem nicht zu. Daraufhin wurde ihm im August 2014 der anonymisierte Schlüssel zur Systemnutzung übergeben. Nachdem der Kläger wiederholt zur Systemnutzung aufgefordert und infolge seiner Weigerung insgesamt dreimal abgemahnt worden war, kündigte die Beklagte das bestehende Arbeitsverhältnis im März 2015 außerordentlich mit einer Auslauffrist zum 30.09.2015.
Das BAG hat die Kündigung für rechtmäßig erachtet.
Gemäß § 626 Abs. 1 BGB könne ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorlägen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung nicht zugemutet werden könne. Dafür sei zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet sei. Dann bedürfe es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar sei oder nicht (BAG, Urt. v. 13.05.2015 – 2 AZR 531/14). Ein wichtiger Grund liege auch im Verhältnis zu einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis ordentlich nicht gekündigt werden kann, dann vor, wenn es dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls objektiv nicht zuzumuten sei, den Arbeitnehmer auch nur bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. In diesem Fall wäre eine außerordentliche Kündigung auch dann gerechtfertigt, wenn die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen wäre (BAG, Urt. v. 13.05.2015 – 2 AZR 531/14). Durch die wiederholt vorsätzliche Unterlassung der Verwendung des anonymisierten Systemschlüssels habe der Kläger beharrlich seine arbeitsvertragliche Leistungspflicht verletzt. Dies sei an sich geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Die Pflicht zur Verwendung des Schlüssels folge aus § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG, wonach die getroffene Betriebsvereinbarung über das elektronische Erfassungssystem unmittelbar und zwingend gelte.
Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht gemäß § 75 Abs. 2 BetrVG in Verbindung mit dem Persönlichkeitsrecht des Klägers sei durch die Verwendung des anonymisierten Systemschlüssels nicht gegeben. Zwar habe der Kläger in die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten gemäß § 4 Abs. 1 BDSG nicht eingewilligt. Jedoch dürfen nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses u.a. erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für dessen Durchführung erforderlich sei. Um personenbezogene Daten i.S.d. § 3 Abs. 1 BDSG handele es sich auch bei einer zunächst anonymisierten Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung, wenn die Anonymisierung ohne unangemessenen Aufwand – wie hier – aufgehoben werden könne. Erforderlichkeit i.S.d. § 32 Abs. 1 BDSG setze ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der Datenerhebung, -verarbeitung oder deren Nutzung voraus, das aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis herrühren müsse. Greife eine Maßnahme in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers ein, müsse der Eingriff einer Abwägung der beiderseitigen Interessen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten (BAG, Urt. v. 07.09.1995 – 8 AZR 828/93). Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne sei gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe stehe (BVerfG, Beschl. v. 04.04.2006 – 1 BvR 518/02).
Das berechtigte Interesse der Beklagten an der Verwendung des elektronischen Systems bestehe darin, dass die bei ihr beschäftigten Busfahrer zu einer vorausschauenden und sparsamen Fahrweise angehalten werden sollen. Dies betreffe unmittelbar die von ihnen geschuldete Arbeitsleistung und damit die Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses i.S.d. § 32 Abs. 1 BDSG. Die beklagtenseits verfolgten Ziele an der Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs sowie einer Steigerung der Kundenzufriedenheit seien nicht unbillig oder unrechtmäßig, sondern ökonomisch vernünftig und lägen zudem im ökologischen Interesse der Allgemeinheit. Ein anderes Mittel, das gleichermaßen geeignet und der Beklagten zuzumuten sei und das das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Klägers weniger berühre, sei nicht erkennbar.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung stellt klar, dass bei einer Kollision von arbeitgeberseitigen Interessen mit Datenschutzinteressen des Arbeitnehmers die notwendig vorzunehmende Rechtsgüterabwägung letztlich dann nicht zulasten des Arbeitgebers geht, wenn dessen Maßnahme vernünftig und nachvollziehbar erscheint, ein milderes Mittel nicht erkennbar ist und eine datenschutzmäßige Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung auf Arbeitnehmerseite relativ gering ist. Dem ist zuzustimmen, da solche Rechtskollisionsfälle im Ergebnis anders nicht praktisch handhabbar zu lösen sind.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das Urteil des BAG schafft in dem wichtigen Problemfeld der Kollision von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen im Rahmen des Datenschutzes ein großes Stück weit Rechtsklarheit. Das Recht auf Datenschutz des Arbeitnehmers ist gesetzlich begrenzt. Diese rechtlichen Schranken können bei vernünftigem und nachvollziehbarem Verhalten des Arbeitgebers, das den Datenschutz eines Arbeitnehmers berührt, gegeben sein.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Die Entscheidung behandelte zusätzlich noch zwei weitere Rechtsfragen: Der Kläger hatte geltend gemacht, dass er nicht schuldhaft gehandelt habe, da er sich in einem gut begründbaren und vermeidbaren Verbotsirrtum befunden habe. Dem hat das BAG eine Absage erteilt, da der Schuldner das Risiko eines Rechtsirrtums grundsätzlich selbst trage und es nicht dem Gläubiger überbürden könne (BAG, Urt. v. 22.10.2015 – 2 AZR 569/14). Darüber hinaus hatte der Kläger auf Entfernung der beklagtenseits erteilten Abmahnungen aus seiner Personalakte geklagt. Diesen auf die §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB gestützten Anspruch hat das BAG als unbegründet erachtet, da nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf Entfernung von Abmahnungen nur dann bestehe, wenn es objektive Anhaltspunkte dafür gebe, dass die Abmahnung dem Arbeitnehmer noch schaden könne (BAG, Urt. v. 19.04.2012 – 2 AZR 233/11). Hierzu hatte der Kläger keine Tatsachen vorgetragen.