Nachfolgend ein Beitrag vom 10.10.2016 von Witt, jurisPR-InsR 19/2016 Anm. 2

Leitsätze

1. Analog § 142 InsO wirkt sich eine vom Geschäftsführer veranlasste Zahlung dann nicht i.S.d. § 64 Satz 1 GmbHG masseschmälernd aus, wenn der Gesellschaft bei wirtschaftlicher Betrachtung im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Zahlung eine mindestens gleichwertige Gegenleistung zufließt, unabhängig davon, ob mit dieser Gegenleistung ein dem unmittelbaren Gläubigerzugriff unterliegender Gegenstand zugeführt wird oder nicht. Dementsprechend wirken sich wiederkehrende Zahlungen der Gesellschaft für von ihr fortlaufend bezogene Versorgungsdienstleistungen nicht i.S.d. § 64 Satz 1 GmbHG masseschmälernd aus.
2. Um Wertungswidersprüche zum Recht der Insolvenzanfechtung zu vermeiden, wirken sich auch die vom Geschäftsführer veranlassten Vergütungszahlungen nicht i.S.d. § 64 Satz 1 GmbHG masseschmälernd aus, wenn mit ihnen Arbeitsleistungen abgegolten werden, die der Gesellschaft in den letzten drei Monaten erbracht worden sind.

A. Problemstellung

Das OLG Düsseldorf hatte darüber zu entscheiden, ob gem. § 64 GmbHG auch solche Zahlungen zu erstatten sind, in deren unmittelbarem Zusammenhang eine nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten gleichwertige Gegenleistung in die Masse gelangt ist, auch wenn es sich bei dieser Gegenleistung nicht um einen pfändbaren Gegenstand handelt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Nach Eintritt der Insolvenz hatte der Director einer britischen Limited aus der Barkasse laufende Versorgungsleistungen sowie Arbeitnehmergehälter bezahlt. Nachdem die erste Instanz der Klage des Insolvenzverwalters stattgegeben hatte, hat das OLG Düsseldorf einen Anspruch gem. § 64 GmbHG verneint.
Der Senat stellt darauf ab, dass nach der neuen höchstrichterlichen Rechtsprechung keine die Masse schmälernde Zahlung i.S.d. § 64 Satz 1 GmbHG vorliegt, wenn im „unmittelbaren Zusammenhang“ mit solch einer Zahlung ein gleichwertiger Gegenwert in das Gesellschaftsvermögen gelangt. Dabei ist nicht mehr erforderlich, dass der die Zahlung kompensierende Gegenstand auch bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch in der Masse vorhanden ist (BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13). Da es damit alleine auf den unmittelbaren, gleichwertigen Ausgleich für die erfolgte Zahlung ankomme, hält es das Oberlandesgericht für sachgerecht, für die Beantwortung der Frage des „unmittelbaren Zusammenhangs“ zwischen Leistung und Gegenleistung auf die Wertungen des Anfechtungsrechtes zurückzugreifen. Somit wäre analog § 142 InsO nur darauf abzustellen, ob der Gesellschaft bei wirtschaftlicher Betrachtung im „unmittelbaren Zusammenhang“ mit der Zahlung eine mindestens gleichwertige Gegenleistung zufließt. Dass die Gegenleistung auch dem Zugriff der Gläubiger unterliegt, sei nicht erforderlich. Der Senat bezieht sich zur Begründung seiner Auffassung auf die anfechtungsrechtliche Rechtsprechung, nach welcher der Regelung des § 142 InsO der wirtschaftliche Gesichtspunkt zugrunde liege, dass bei wertäquivalenten Bargeschäften eine bloße Vermögensumschichtung stattfindet (BGH, Urt. v. 10.07.2014 – IX ZR 192/13 Rn. 9). Daher kann die Erfüllung beliebiger gegenseitiger Verträge unter das Bargeschäftsprivileg fallen (BGH, Urt. v. 13.04.2006 – IX ZR 158/05 Rn. 32). Entsprechend sei eine Gegenleistung werthaltig, wenn der Schuldner für von ihm bezogene Versorgungsleistungen wiederkehrende Zahlungen erbringt. Für die Bezahlung von Arbeitsleistungen sei zudem entschieden, dass ein „unmittelbarer Zusammenhang“ zwischen Arbeitsleistung und Vergütungszahlung vorliege, sofern damit Arbeitsleistungen für die letzten drei Monate bezahlt werden (BAG, Urt. v. 06.10.2011 – 6 AZR 262/10 Rn. 17). Gerade hinsichtlich der Zahlung von Arbeitnehmervergütungen würde nach Ansicht des OLG Düsseldorf die analoge Anwendung des § 142 InsO auf die Haftung des Geschäftsführers Wertungswidersprüche vermeiden. Wenn es dem Insolvenzverwalter wegen der Einordnung als Bargeschäft in aller Regel untersagt werde, auf das in der Krise deutlich verspätet gezahlte Arbeitsentgelt zuzugreifen, weil es sich um eine bloße Vermögensumschichtung handele, wäre es wenig verständlich, wenn der Insolvenzverwalter den Ersatz dieser Zahlungen mit dem Argument verlangen dürfe, es handele sich um unmittelbar die Gläubiger benachteiligende, masseschmälernde Zahlungen. Abschließend prüft der Senat – von seinem Standpunkt aus folgerichtig –, ob es dem Geschäftsführer gemäß § 133 Abs. 1 InsO versagt sei, sich auf das Bargeschäftsprivileg zu berufen. Dies wird verneint, da ein Benachteiligungsvorsatz regelmäßig ausscheide, wenn die bezahlte Arbeitsleistung für die Betriebsfortführung notwendig ist (BGH, Urt. v. 10.07.2014 – IX ZR 192/13 Rn. 44).
Beim BGH ist nun die vom Oberlandesgericht zugelassene Revision anhängig (Az. II ZR 319/15).

C. Kontext der Entscheidung

Das OLG Düsseldorf überschreitet die vom BGH (Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13) aufgezeigten Grenzen der Geschäftsführerhaftung nach Eintritt der Insolvenz. In dieser Entscheidung hatte der BGH den Zweck der Haftungsnormen für die Gesellschaftsorgane bei Insolvenzreife noch einmal deutlich gemacht. Der in § 64 GmbHG und den Parallelnormen des § 130a Abs. 1 HGB und § 92 Abs. 2 AktG normierte Erstattungsanspruch soll im Interesse einer Gleichbehandlung der Gläubiger eine Schmälerung der Masse nach Eintritt der Insolvenzreife ausgleichen (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13 Rn. 9). Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des BGH, dass hier eine Verkürzung der Masse im Vorfeld des Insolvenzverfahrens verhindert werden soll. Für den Fall, dass der Geschäftsführer dieser Massesicherungspflicht nicht nachkommt, soll sichergestellt werden, dass das Gesellschaftsvermögen wieder aufgefüllt wird, damit es im Insolvenzverfahren zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung steht (vgl. BGH, Urt. v. 05.05.2008 – II ZR 38/07 Rn. 10, m.w.N.). Diesen Normzweck erfasst das OLG Düsseldorf jedoch nicht, wenn es auf die Feststellungen des BGH zum Bargeschäftsprivileg zurückgreift, wonach bei wertäquivalenten Bargeschäften keine Vermögensverschiebung zulasten des Schuldners, sondern eine bloße Vermögensumschichtung erfolge. Auch nach der Rechtsprechung des BGH verringert eine Umschichtung des Vermögens die den Gläubigern zu erhaltende Haftungsmasse, da das Vorliegen eines Bargeschäfts eine Gläubigerbenachteiligung gem. § 129 InsO bereits voraussetzt. Der Grund für die Ausnahmeregelung des §142 InsO liegt nicht darin, dass eine Vermögensumschichtung die Befriedigungsmöglichkeit der Gläubiger nicht beeinträchtigt, sondern dass der in der Krise befindliche Schuldner praktisch vom Geschäftsverkehr ausgeschlossen würde, unterlägen wertäquivalente Bargeschäfte der Anfechtung (Amtliche Begründung zu § 161 RegE-InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 167; st. Rspr., vgl. BGH Urt. v. 10.07.2014 – IX ZR 192/13). Die Norm des § 142 InsO stellt also nicht auf die Interessen der Gläubiger am Erhalt der Haftungsmasse ab, sondern auf das Interesse des Schuldners, auch in der Krise noch Waren- und Dienstleistungen beziehen zu können. Während das Bargeschäftsprivileg die Benachteiligung der Gläubiger billigt, soll über die Geschäftsführerhaftung die durch die Verkürzung der Haftungsmasse erfolgte Gläubigerbenachteiligung gerade rückgängig gemacht werden. Würde man das Bargeschäftsprivileg dahingehend auf die Geschäftsführerhaftung übertragen, dass auch nicht pfändbare Gegenstände eine vom Geschäftsführer veranlasste Zahlung kompensieren können, kann der Normzweck „Erhalt der Masse im Interesse der Gläubigergleichbehandlung“ nicht erreicht werden.
Daher kann auch der vom OLG Düsseldorf aufgezeigte Wertungswiderspruch nicht überzeugen, der für Gehaltszahlungen eintreten soll, wenn man nicht die Wertungen des Bargeschäfts auf die Geschäftsführerhaftung anwenden würde. Die Anfechtung von zeitnah gezahlten Arbeitsentgelten, die als Bargeschäfte zu behandeln sind, scheitert eben nicht an der Benachteiligung der Gläubiger, sondern das Bargeschäft setzt die Gläubigerbenachteiligung voraus. Mangels Gläubigerbenachteiligung ist eine Anfechtung aber dann ausgeschlossen, wenn eine Rechtshandlung ohne Einfluss auf die Befriedigungsaussichten der Gläubigergesamtheit ist (vgl. Karsten Schmidt, InsO, 19. Aufl. 2016, § 129 Rn. 54, m.w.N.). Ausgehend vom Zweck der Geschäftsführerhaftung in der Insolvenz, die in Folge einer Zahlung verringerte Befriedigungsmöglichkeit der Gläubiger wieder auszugleichen, kann somit die Haftung nur entfallen, wenn sich die im Interesse der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung zu erhaltende Haftungsmasse tatsächlich nicht verringert hat. Die Befriedigungsaussichten der Gläubiger werden aber nur dann nicht beeinträchtigt, wenn anstelle der Zahlung ein gleichwertiger Gegenstand in das Schuldnervermögen gelangt, der genauso wie die Zahlung zum pfändbaren Haftungsbestand des Schuldners gehört.
Eine analoge Anwendung des § 142 InsO würde seinerseits zu einem Wertungswiderspruch führen. Nimmt der Geschäftsführer nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit noch Zahlungen vor, welche die Haftungsmasse verkürzen, so scheidet die Erstattungspflicht nur bei pflichtgemäßem kaufmännischen Handeln aus. So ist es mit den Pflichten eines sorgfältigen Kaufmannes vereinbar, wenn ohne die Zahlung konkrete Sanierungschancen zunichte gemacht würden (BGH, Urt. v. 23.06.2015 – II ZR 366/13 Rn. 24). Würde man das anfechtungsrechtliche Bargeschäftsprivileg auf die Geschäftsführerhaftung übertragen, würde es nicht mehr darauf ankommen, ob eine Zahlung geeignet ist, Sanierungschancen zu wahren. Die Erstattungspflicht des Geschäftsführers wäre auch dann ausgeschlossen, wenn die Zahlung laufender Kosten keinen Einfluss auf die Sanierungsaussichten hat und somit als nicht mit den Pflichten eines ordentlichen Kaufmannes vereinbar zu werten wäre.

D. Auswirkungen für die Praxis

Bis zu einer Entscheidung des BGH wird das Urteil sicherlich viele Haftungsprozesse prägen. So dürfte die Zahlung von laufenden Rechnungen und Gehältern in aller Regel den Großteil der Zahlungen nach Insolvenzreife ausmachen, ohne dass damit auch aussichtsreiche Sanierungschancen gewahrt werden. Insolvenzverwalter sollten nach wie vor nur die Erstattung solcher Zahlungen nicht verfolgen, für die sich ein unmittelbar ausgleichender, pfändbarer Wert in der Masse feststellen lässt. Geschäftsführer wiederum sollten zur Vermeidung ihrer Haftung weiterhin nach Insolvenzreife alle Zahlungen unterlassen, welche die Masse im Ergebnis dezimieren, solange damit nicht konkrete Sanierungschancen gewahrt oder verbessert werden. Aus den genannten Gründen ist nicht davon auszugehen, dass der BGH die Rechtsauffassung des OLG Düsseldorf teilen wird.