Nachfolgend ein Beitrag vom 18.11.2015 von Maul-Sartori, jurisPR-ArbR 46/2015 Anm. 4

Orientierungssätze

1. Nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG ergeht der Beschluss nach § 17a Abs. 4 GVG auch außerhalb der mündlichen Verhandlung stets durch die Kammer, sofern er nicht lediglich die örtliche Zuständigkeit zum Gegenstand hat. Da es sich bei der Entscheidung über die Abhilfe oder Nichtabhilfe um eine erneute Entscheidung in der Sache handelt, ist sie nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG ebenfalls durch die Kammer unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter zu treffen.
2. Der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (§ 547 Nr. 1 ZPO) ist ein grundsätzlich nicht von Amts wegen zu beachtender Verfahrensmangel, der gemäß § 576 Abs. 3, § 577 Abs. 2 Satz 3 ZPO auch im Rechtsbeschwerdeverfahren nur auf Rüge hin beachtet werden darf.
3. Die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG greift unabhängig davon ein, ob das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis materiell-rechtlich als freies Dienstverhältnis oder als Arbeitsverhältnis ausgestaltet ist. Sie soll sicherstellen, dass die Mitglieder der Vertretungsorgane mit der juristischen Person keinen Rechtsstreit im „Arbeitgeberlager“ vor dem Arbeitsgericht führen.
4. Nach der Abberufung als Geschäftsführer greift die Fiktionswirkung des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht mehr. Das gilt auch dann, wenn die Abberufung erst nach Eingang der Klage erfolgt.

A. Problemstellung

Der Beschluss betrifft die Rechtswegzuständigkeit für eine Streitigkeit zwischen zwei juristischen Personen und ihrem in der Satzung bestimmten Vertreter. Insbesondere behandelt er die Wirkungen der Beendigung der Vertreterstellung.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger war als Geschäftsführer Vertreter beider Beklagten, eines Landesinnungsverbandes nach den §§ 79, 80 HwO und dessen in der Form eines Vereins betriebenen Bildungszentrums. Nach Beendigung der Geschäftsführerstellung machte er weitere Vergütungsansprüche für die Zeit seiner Tätigkeit als Geschäftsführer vor dem Arbeitsgericht geltend.
Auf die Rüge der Beklagten hin stellte das Arbeitsgericht in dem Vorabentscheidungsverfahren nach § 48 Abs. 1 ArbGG, § 17a GVG die Unzulässigkeit des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten fest und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht. Die hiergegen vom Kläger erhobene sofortige Beschwerde wies das Landesarbeitsgericht zurück. Zur Begründung führte es aus, der Kläger gelte in Anwendung der Vorschrift aus § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht als Arbeitnehmer, weil er durch die jeweiligen Satzungen zur Vertretung beider Beklagten berufen gewesen sei.
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers hin hat das BAG die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten festgestellt.
Der Kläger sei Arbeitnehmer beider Beklagten gewesen. Dies folge aus dem vertraglich jeweils uneingeschränkt vereinbarten Weisungsrecht, das Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betroffen habe. Für den Vertrag des Klägers zur Beklagten zu 2) folge es außerdem aus der darin vereinbarten Einordnung des Klägers als leitender Angestellter im Sinne des BetrVG und damit als Arbeitnehmer.
Die vom Landesarbeitsgericht herangezogene Vorschrift schließe die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte nicht aus. Die dort geregelte Fiktion, nach der die Arbeitsgerichte nicht für einen Rechtsstreit zwischen einer juristischen Person und ihrem Vertretungsorgan zuständig seien, greife nach einer Abberufung als Geschäftsführer nicht mehr. Lägen die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht mehr vor, so sei der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten auch für solche arbeitsrechtlichen Ansprüche eröffnet, die in einem Zeitraum begründet wurden, als die Voraussetzungen noch vorgelegen hätten.
C. Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung hat ihren Schwerpunkt bei der Anwendung von § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG. Die Vorschrift bestimmt, dass Personen, die kraft Gesetz, Satzung oder nach dem Gesellschaftsvertrag allein oder als Mitglied des Vertretungsorgans zur Vertretung einer juristischen Person berufen sind, im Verhältnis zu dieser juristischen Person nicht als Arbeitnehmer gelten. Damit scheint der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für Klagen eines Geschäftsführers oder anderen Vertretungsorgans gegen die von ihm vertretene juristische Person weitestgehend versperrt, setzt die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte doch nach der Regelung in § 2 Abs. 1 Nr. 4 ArbGG eine Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer voraus.
In einer Reihe von jüngeren Entscheidungen hat allerdings das BAG die zeitlichen Grenzen des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG deutlich gemacht. Die Vorschrift hindert eine arbeitsgerichtliche Zuständigkeit nur während der Amtszeit des Vertretungsorgans. Zuständigkeiten des Arbeitsgerichts können entstehen, sobald die Vertreterstellung beendet ist. So nimmt das BAG die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte an, wenn der Organvertreter Rechte mit der Begründung geltend macht, nach der Abberufung als Geschäftsführer habe sich das nicht gekündigte Anstellungsverhältnis in ein Arbeitsverhältnis umgewandelt. Nach Abberufung aus der Organschaft und damit nach Wegfall der Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG sind die Arbeitsgerichte weiter zuständig für Ansprüche aus einem zuvor abgeschlossenen, im Zusammenhang mit der Bestellung zum Geschäftsführer nicht aufgehobenen Arbeitsvertrag. Dies gilt auch für die während der Zeit als Geschäftsführer auf arbeitsvertraglicher Basis entstandene Ansprüche (BAG, Beschl. v. 23.08.2011 – 10 AZB 51/10 Rn. 13 f.; BAG, Beschl. v. 15.11.2013 – 10 AZB 28/13 Rn. 17 f.).
Maßgebend sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Beantwortung der Rechtswegfrage. Berücksichtigungsfähig ist die Beendigung der Vertreterstellung, wenn sie bis zur letzten mündlichen Tatsachenverhandlung eingetreten ist, oder – falls durch Vorabentscheidung über die Rechtswegzuständigkeit zu entscheiden ist – bis zum Zeitpunkt der jeweiligen Beschlussfassung. Abberufung aus der Vertreterstellung oder Amtsniederlegung nach Klageerhebung sind noch zu berücksichtigen und sogar noch die Beendigung der Vertreterstellung während des Beschwerdeverfahrens gemäß § 17a GVG, wenn sie dort in prozessual zulässiger Weise eingeführt werden kann. Dies folgt aus den zu § 17 GVG anerkannten Grundsätzen, wonach für die Beurteilung der Rechtswegzuständigkeit die Umstände bei Klageerhebung maßgebend sind, rechtswegbegründende spätere Umstände aber noch Berücksichtigung finden können (BAG, Beschl. v. 22.10.2014 – 10 AZB 46/14 Rn. 27, BAG, Beschl. v. 03.12.2014 – 10 AZB 98/14 Rn. 22).
Die zitierten Entscheidungen aus den Jahren 2013 und 2014 sind zu sogenannten sic-non-Fällen ergangen. Dies sind Streitigkeiten, bei denen der eingeklagte Anspruch ausschließlich dann bestehen kann, wenn die klagende Partei als Arbeitnehmer einzuordnen ist. Zur Begründung der Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte reicht es in diesen Fällen aus, dass die klagende Partei die Rechtsbehauptung aufstellt, sie sei Arbeitnehmer (GMP/Schlewing, § 2 ArbGG Rn. 159 ff., m.w.N.). Vorliegend war die Vorinstanz der Auffassung, die spätere Beendigung der Vertreterstellung sei nur bei solchen sic-non-Fällen beachtlich (LArbG Chemnitz, Beschl. v. 18.03.2015 – 4 Ta 300/14 (6), Rn. 34).
Dem folgt das BAG nicht. Die sic-non-Fälle bzw. die Fälle aus den beiden weiteren in diesen Zusammenhang gehörenden Gruppen (aut-aut und et-et: der eingeklagte Anspruch kann aus einer arbeitsrechtlichen oder einer anderen Anspruchsgrundlage folgen, die alternativ oder nebeneinander bestehen können, vgl. GMP/Schlewing, § 2 ArbGG Rn. 162 ff.) habe die Rechtsprechung im Hinblick auf die Frage abgegrenzt, welche Anforderungen an das klägerische Vorbringen zur Begründung der Rechtswegzuständigkeit zu stellen seien. Die Wirkung des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG bleibe hiervon unberührt. Dies sei insbesondere für den Fall der Geltendmachung arbeitsrechtlicher Ansprüche bei bestehender Vertreterstellung anerkannt, wo die dort geregelte Fiktion die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte auch für sic-non-Fälle hindere. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte müsse umgekehrt der Wegfall der Vertreterstellung ebenfalls für alle Fallgruppen beachtlich sein. Infolgedessen wendet das Gericht die neue Rechtsprechung auf den vorliegend zu beurteilenden aut-aut-Fall (vgl. Rn. 19) an.
Die Einbeziehung aller Fallgruppen überzeugt. In der Tat findet sich keine tragfähige Begründung für die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Differenzierung. Insgesamt ergibt sich somit folgendes Bild: Nach Wegfall der Wirkung des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG mit Beendigung der Vertreterstellung gelten die allgemeinen Regelungen hinsichtlich der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte einschließlich der differenzierten Anforderungen bei der gerichtlichen Prüfungstiefe. Für die sic-non-Fälle, wenn das ehemalige Vertretungsorgan bzw. dessen Mitglied den Bestand eines Arbeitsverhältnisses oder die Unwirksamkeit der Kündigung ausdrücklich eines Arbeitsverhältnisses geltend macht, genügt somit die Rechtsbehauptung eines Arbeitsverhältnisses zur Begründung der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte. Bei Klagen aus den übrigen Fallgruppen hängt dagegen bereits die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte von der Qualifizierung des Rechtsverhältnisses ab, aus dem Ansprüche heraus geltend gemacht werden. Hier sind die Arbeitsgerichte für Klagen des ehemaligen Geschäftsführers zuständig, mit denen er einen Anspruch aus einem Arbeitsverhältnis geltend macht.
Besonderheit ist vorliegend, dass das der Anstellung als Vertretungsorgan zugrunde liegende Rechtsverhältnis als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist. Vertretungsorgane wirken auf der Leitungsebene des Unternehmens. Sie sind regelmäßig zur Erteilung von Weisungen berufen und nicht zu deren Empfang und Befolgung, wie es für das Arbeitsverhältnis wesensgemäß ist. Daher wird das Anstellungsverhältnis regelmäßig kein Arbeitsverhältnis sein, sondern etwa ein Geschäftsbesorgungsvertrag (vgl. zum Anstellungsverhältnis des GmbH-Geschäftsführers: BAG, Urt. v. 26.05.1999 – 5 AZR 664/98; BGH, Urt. v. 10.05.2010 – II ZR 70/09 Rn. 7). Ausnahmsweise kann aber das Anstellungsverhältnis – weil eine Weisungsgebundenheit ausdrücklich vereinbart ist oder sich aus der Vertragsdurchführung ergibt – als Arbeitsverhältnis einzuordnen sein. Solche Anstellungs-Arbeitsverhältnisse treten als Fallgruppe arbeitsgerichtlicher Zuständigkeiten für Geschäftsführer neben die eingangs erwähnten Konstellationen, wo ein Arbeitsverhältnis neben oder nach dem Anstellungsverhältnis besteht oder begründet wird.Mit der vorliegenden Entscheidung stellt das BAG klar, dass für Klagen im Zusammenhang mit einem solchen ausnahmsweise als Arbeitsverhältnis einzuordnenden Anstellungsverhältnis als Vertretungsorgan § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nur dann den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ausschließt, wenn die Vertreterstellung im Zeitpunkt der gerichtlichen Beurteilung der Rechtswegzuständigkeit fortbesteht.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung gibt für die Beratung und Vertretung von GmbH-Geschäftsführern und anderen Vertretern juristischer Personen bzw. der vertretenen juristischen Person wichtige Hinweise. Die einschränkende Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG führt in diesem Bereich zu praktisch bedeutsamen Zuständigkeiten der Arbeitsgerichte. Typischerweise werden einschlägige Streitigkeiten nämlich erst im Zusammenhang mit Abberufung oder Amtsniederlegung gerichtlich ausgetragen. Insoweit bleibt festzuhalten, dass gemäß der aktuellen Rechtsprechung des BAG mit der Beendigung der Vertreterstellung die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht mehr greift. Dessen Sperrwirkung endet mit der Abberufung als Geschäftsführer (Schäuble, GWR 2015, 460). Der Geschäftsführer bzw. sonstige Vertreter kann sich nach Abberufung oder Amtsniederlegung auf die allgemeinen Regelungen zur Zuständigkeit der Arbeitsgerichte berufen; dies einschließlich der Grundsätze der sic-non-Rechtsprechung, die für Kündigungsschutzanträge, die auf die Feststellung des Fortbestands ausdrücklich eines Arbeitsverhältnisses zielen, stets zur Zuständigkeit der Arbeitsgerichte führen (vgl. GMP/Schlewing, § 2 ArbGG Rn. 160 f.). Dabei ist grundsätzlich auch die Amtsniederlegung beachtlich, die während des gerichtlichen Verfahrens bis zur Rechtskraft einer Vorabentscheidung über die Rechtswegfrage erfolgt. Das Vertretungsorgan kann also die Sperrwirkung des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG durch eigenes Handeln beseitigen.
Aus einer arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit folgen mit der Kostengünstigkeit des arbeitsgerichtlichen Verfahrens und den besseren Vergleichsmöglichkeiten aufgrund des vorgeschalteten Güteverfahrens strategische Vorteile für den Geschäftsführer (vgl. Lunk, NJW 2015, 528). In der Sache selbst ist zwar mit der Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte für die ehemals vertretungsberechtigte Person noch nichts gewonnen. Die Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten bzw. des arbeitsrechtlichen Bestandsschutz setzt grundsätzlich die materielle Qualifizierung des dem Anspruch zugrunde gelegten Rechtsverhältnisses als Arbeitsverhältnis voraus. Hierzu hat aber die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung differenzierte Überlegungen entwickelt: Trotz Bestellung als Geschäftsführer kann ein Arbeitsverhältnis fortbestehen oder nach Beendigung der Vertreterstellung begründet werden (vgl. etwa BAG, Beschl. v. 26.10.2012 – 10 AZB 60/12 Rn. 17 f.). In Ausnahmefällen kann – wie vorliegend – auch das der Anstellung als Vertretungsorgan zugrunde liegende Rechtsverhältnis als Arbeitsverhältnis einzuordnen sein. Vor diesem Hintergrund wird die klärende Rechtsprechung zu den zeitlichen Grenzen des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG dazu führen, dass die aus ihrer Spezialisierung folgende besondere Kompetenz der Arbeitsgerichte für die Beantwortung der Fragen nach dem Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses trotz Vertreterstellung in Zukunft häufiger zum Tragen kommen kann.