Nachfolgend ein Beitrag vom 26.7.2017 von Gravenhorst, jurisPR-ArbR 30/2017 Anm. 6
Orientierungssatz zur Anmerkung
Bei einem Urteil, wonach das Arbeitsverhältnis weder fristlos noch fristgerecht aufgelöst worden ist, findet die Entscheidung über die fristgerechte Kündigung beim Streitwert keine Berücksichtigung.
A. Problemstellung
Wie berechnet sich der Streitwert, wenn ein Arbeitgeber bei einer fristlosen Kündigung zugleich vorsorglich auch fristgerecht kündigt?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
B hatte seinem Arbeitnehmer K im Dezember 2016 fristlos gekündigt und im selben Schreiben gleichzeitig auch „hilfsweise ordentlich fristgerecht zum 31.03.2017“. Das erstinstanzliche Urteil lautete u.a. dahin, dass das Arbeitsverhältnis „weder fristlos noch fristgerecht aufgelöst worden ist“. Das Arbeitsgericht setzte den Streitwert insoweit auf drei Monatseinkommen fest, die Beschwerde hiergegen blieb erfolglos.
Der Kern der Beschwerdebegründung lautet wörtlich: „Es handelt sich um eine einheitliche Kündigungserklärung, die auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist, wenn auch – hilfsweise abgestuft – auf zwei Wegen […]. Die gegen eine solche Erklärung gerichtete Klage zählt daher schon dem Wortlaut nach zwanglos zu den „Rechtsstreiten […] über […] die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses” i.S.v. § 42 Abs. 2 Satz 2 GKG. Es liegen eben nicht mehrere Kündigungen vor“. (Kursivdruck hinzugefügt)
Ergebnis und Begründung können nicht überzeugen.
C. Kontext der Entscheidung
I. § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG handelt in der Tat u.a. von Streitigkeiten „über die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses“. Der durchschnittliche Normadressat (also der quivis ex populo, unter Ausschluss von Arbeitsrichtern und Anwälten) dürfte unter „die Kündigung“ zunächst einmal „die Kündigung“ verstehen, also einen Singular, nicht einen Plural. Hätte der Gesetzgeber mit seiner Gesetzesbestimmung auch mehrere Kündigungen erfassen wollen, hätte er dies zum Ausdruck bringen können und dies sicher auch getan. Auch die Gesetzesmaterialien geben nichts dafür her, dass das Gesetz nicht nur eine, sondern auch zwei oder gar mehrere Kündigungen erfassen wollte. Das hat augenscheinlich auch dem ArbG Düsseldorf erstinstanzlich noch eingeleuchtet; denn es spricht ausdrücklich davon, im vorliegenden Fall lägen „selbstverständlich“ zwei Kündigungen vor.
II. Erst das LArbG Düsseldorf meint, im entschiedenen Fall „liegen eben nicht mehrere Kündigungen vor“; es handle sich „um eine einheitliche Kündigungserklärung, die auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist, wenn auch – hilfsweise abgestuft – auf zwei Wegen“. Das ist eine deutliche Verkennung der Sach- und damit auch der Rechtslage.
III. Dass zwei Kündigungserklärungen erfolgt und zu beurteilen sind, wird unmittelbar daran deutlich, dass über eine fristlose, vorsorglich zugleich ordentliche Kündigung durchaus unterschiedlich entschieden werden kann. Wenn das Gericht beispielsweise der Klage hinsichtlich der fristlosen Kündigung mangels wichtigen Grundes gemäß § 626 Abs. 1 BGB stattgibt, die Klage gegen die ordentliche Kündigung aber abweist (z.B. weil es sich um einen Kleinbetrieb handelt oder das Arbeitsverhältnis noch keine sechs Monate bestanden hat oder der Arbeitgeber einen sozial rechtfertigenden Grund nachweisen kann), so liegt offen zutage, dass über zwei gänzlich unterschiedliche Streitgegenstände entschieden worden ist, nämlich über eine fristlose Kündigung und eine gleichzeitig vorsorglich ausgesprochene ordentliche Kündigung. Die These des LArbG Düsseldorf, es liege nur eine einzige Kündigung vor, ist mit den tatsächlichen Gegebenheiten nicht zu vereinbaren.
IV. Folgende Fall-Variante bestätigt dies besonders eindringlich: Die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB droht abzulaufen. Die 3-Tages-Frist des § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG ist bereits verstrichen, nicht jedoch die 1-Wochen-Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. B stellt dem K daher eine außerordentliche Kündigung durch Boten zu. Überraschenderweise stimmt der Betriebsrat noch am selben Tage der beabsichtigten ordentlichen Kündigung ausdrücklich zu. B lässt daher sofort nunmehr auch die ordentliche Kündigung überbringen. K greift beide Kündigungen in einer Klage an, und zwar die ordentliche Kündigung lege artis per uneigentlichem Hilfsantrag. Das Gericht gibt der Klage hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung statt und weist sie hinsichtlich der ordentlichen Kündigung ab.
Hieran wird geradezu überdeutlich, dass die Entscheidung des LArbG Düsseldorf verfehlt ist: Es kann sicher nicht darauf ankommen, ob die fristlose und die vorsorgliche ordentliche Kündigung in zwei getrennten Schreiben erfolgen oder in einem einheitlichen Schriftstück. In beiden Fällen handelt es sich nach BGB-AT zweifelsfrei um zwei unterschiedliche Kündigungen und prozessuale Streitgegenstände mit je eigenem rechtlichen Schicksal. So könnte K seine Klage gegen die ordentliche Kündigung zurücknehmen, die Klage gegen die fristlose Kündigung dagegen aufrechterhalten.
V. Im hier besprochenen Ausgangsfall des LArbG Düsseldorf ist für die beiden Kündigungen je ein Quartalseinkommen anzusetzen, zusammen also gemäß § 39 Abs. 1 GKG das Einkommen eines Halbjahres (vgl. hierzu auch W. Gravenhorst, FA 2016, 197 sowie W. Gravenhorst, jurisPR-ArbR 42/2010 Anm. 6 je m.w.N.).
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des LArbG Düsseldorf ist deutlich verfehlt. Sie verdient keine Gefolgschaft. Gleichlautende Entscheidungen sollten nicht hingenommen, sondern mit der Beschwerde angegriffen werden (Gutta cavat lapidem non vi sed saepe cadendo).
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
K hatte mit seiner Klage nicht nur die fristlose Kündigung und die zugleich vorsorglich ausgesprochene ordentliche Kündigung angegriffen, sondern darüber hinaus weitere uneigentliche Hilfsanträge gestellt, u.a. auf Zahlung fortbestandsabhängiger Vergütung für die Monate Januar, Februar und März 2017. Auch diese Ansprüche hat das Arbeitsgericht zugesprochen, sie aber bei der Streitwertberechnung nicht berücksichtigt.
Demgegenüber hat das Landesarbeitsgericht den Wert dieser Zahlungsanträge in seiner Beschwerdeentscheidung zugesprochen. In offener Ablehnung zahlreicher Stimmen aus Rechtsprechung und Literatur (einschließlich des Streitwertkatalogs) hält das LArbG Düsseldorf an seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung fest, dass eine „Identität“ zwischen Kündigungsschutzantrag und fortbestandsanhängigem Zahlungsantrag nicht besteht und jedenfalls die Vergütung für die ersten drei Monate nach dem umstrittenen Endtermin dem Wert für den Kündigungsschutzantrag hinzuzurechnen ist. Für die Frage, ob auch weitere Folgemonate streitwertmäßig zu berücksichtigen wären, bot der entschiedene Fall keine konkrete Veranlassung.